28. Juni 1969. An diesem Tag veranstaltete die New Yorker Polizei eine ihrer mehr oder weniger routinemäßigen Razzien im "Stonewall Inn", einer beliebten Schwulenkneipe in Greenwich Village. In der Regel waren solche Razzien inszenierte Schauspiele die Barbesitzer schmierten die Bullen, die gaben den Barbesitzern dann einen Wink, und die Gäste schlüpften durch die Hintertür, sobald die Razzia losging. Solche Bars gehörten zu den wenigen "öffentlichen" Versammlungsorten für Schwule, auch wenn sie versteckt und nur scheinbar legal waren. Jedenfalls waren die Gäste ausreichend motiviert, sich an die Spielregeln zuhalten. Doch in jener Nacht schlug die Polizei ohne Vorwarnung im "Stonewall Inn" zu - und sah sich einem heftigen Gegenangriff ausgesetzt, der von den zwangsgeräumten Bargästen und jüngeren obdachlosen Schwulen ausging, die einen Park in der Nähe besetzt hatten.
Die Polizei schlug ohne Vor-
warnung im "Stonewall" zu
Als sich einige Polizisten in der Bar verschanzten, warf die Meute Flaschen und Ziegelsteine und schleuderte schließlich eine Mülltonne durch das Spiegelglasfenster der Bar, der schnell ein Sprühregen aus Feuerzeugbenzin und brennende Streichhölzer folgten. Eine Parkuhr wurde aus dem Boden gerissen und als Rammbock an der Eingangstür eingesetzt. Der Aufruhr hatte seine herausragenden Akteure. Unter den ersten und wildesten Kämpfern waren die DragQueens. Einigen Berichten zufolge war es eine von ihnen, Tammy Novak, die das Handgemenge auslöste, als ein Polizist sie schubste und sie ihm Gegenwehr leistete. Bereits verhaftete Transvestiten, die in die Polizeitransporter verfrachtet worden waren, bewaffneten sich mit den gefährlichsten aller weiblichen Kleidungsstücke, hochhackigen Stöckelschuhen. Ein seidenbestrumpftes Bein samt Stöckelschuh schoss aus der Tür einer Grünen Minna und ließ einen Bullen zurücktaumeln. "Eine Tunte machte einen Beamten mit ihrer Hacke nieder", erzählt Martin Duberman in seinem maßgebenden Bericht über Stonewall. "Sie schlug ihn nieder, nahm seine Handschellenschlüssel an sich, befreite sich und gab die Schlüssel an die Tunte hinter ihr weiter."
Als die Eliteeinheit der Polizei zur Bekämpfung von Unruhen (die geschaffen worden war, um die Vietnamkriegsgegner in Schach zu halten) in einer footballartigen Keilformation anrückte, wurde sie von ihrem Gegenstück begrüßt: einer Formation, die wie Cheerleader die Beine schwang. Die Frauendarsteller tanzten Cancan vor den Augen der verblüfften Bullen und sangen:
Wir sind die Mädels von der Stonewall Bar, wir tragen Stöckelschuh und Lockenhaar. Auf Slips verzichten wir ganz gern, das Schamhaar zeigen wir den Herrn. Wir krempeln unsre Arbeitshosen über die schwulen Knie, wir Losen!
Die Unruhen zogen sich über mehrere Nächte hin, und auch andernorts kam es zu Protesten. Dadurch erlebte die Schwulenbewegung ihre größte Renaissance, seit die Mattachine Society sie in den fünfziger Jahren mobilisiert hatte.
Transvestiten hatten als Katalysatoren der Revolution gewirkt
"Ich hatte einfach genug", erklärte mir Sylvia (Ray) Rivera, die schließlich den Beinamen "Rosa Parks der Schwulenbewegung" erhielt. Als die Polizei in der fraglichen Nacht die Razzia machte, war Rivera mit ein paar Bekannten in der Bar. Sie tranken und trauerten um die Sängerin Judy Garland, die an jenem Tag zu Grabe getragen worden war. "Ich war komplett geschminkt und trug eine hübsche Bluse", erinnerte sie (das von Rivera wie einigen anderen Drag-Queens bevorzugte Pronomen) sich. "Ich trug Frauenkleider, nur keinen BH oder falsche Titten." Rivera gehörte zu den wenigen Drag-Queens, die in diesem Aufzug ins ,,Stonewall" durften. Obwohl die Bar später fälschlicherweise als ,,Tuntenbar" bezeichnet wurde, waren in jenen Jahren, in denen Schwulsein unterdrückt und nur im Verborgenen ausgelebt wurde, im ,,Stonewall" die Schwulen in Frauenkleidung nur mit Ach und Krach toleriert - besser immerhin als die offene Feindseligkeit, die ihnen damals in den meisten Schwulenkneipen entgegenschlug. Transvestiten galten als heruntergekommen, als peinlich weibisch. Diese Einstellung, zusammen mit den gewalttätigen Übergriffen, denen Rivera auf der Straße und besonders seitens der Polizei ausgesetzt war - von der war sie des Öfteren verprügelt worden, nur weil sie ein Kleid trug -, führte dazu, dass Rivera "genug hatte".
Als die Polizisten sie an jenem Abend aus der Bar getrieben hatten, stand Rivera eine Weile am Rand des Geschehens und sah zu, wie andere Tunten die Bullen erst mit Wechselgeld und dann mit Flaschen bewarfen. Jemand reichte ihr einen Molotowcocktail, und sie schleuderte ihn. Wut wallte in ihr hoch, und sie stürzte sich in die Menge, warf Fensterscheiben ein und half, Autos umzustürzen. "Ich fühlte mich erleichtert, denn ich wusste, unsere Bewegung war lebendig geworden. Ich erinnere mich, geschrien zu haben: 'Die Revolution ist da, die Revolution ist da!'", sagte Rivera, die aus Puerto Rico stammt.
Schwulen in Frauenkleidung waren nur mit Ach und Krach toleriert
Scheinbar über Nacht erwachte eine ganze Generation Schwuler zu politischem Bewusstsein. "Die Lehren von Stonewall hatten weniger mit Sexualität zu tun als mit Politik", stellte der Journalist Charles Kaiser in The Gay Metropolis fest. Sich nicht geschlechtskonform zu kleiden und mit nonchalanter Verachtung über die Bühne zu scharwenzeln konnte, wie sich zeigte, mehr sein, als sich persönlich über eine vorurteilsbeladene Welt lustig zu machen; es konnte dazu beitragen, diese Welt zu verändern. Der politische Gehalt, der dem Tuntigsein im Privaten zugrunde lag, sollte bald explizit werden, so im Straßentheater der radikalen Tunten oder im "Gender-Fucking", das sich aus der Schwulenbewegung wie aus dem Feminismus Anregungen holte, um die sanktionierten Geschlechterrollen zu hinterfragen. Knapp ein Jahr nach Stonewall waren "Gay Power"und "Coming-out" die Parolen Tausender, die die Front zur Schwulenbefreiung mobilisiert hatte, und in ganz Amerika entstanden Schwulenrechtsorganisationen. In New York marschierten am ersten Jahrestag von Stonewall über 10.000 Aktivisten zu einem Gay-in im Central Park.
Transvestiten hatten als Katalysatoren der Revolution gewirkt. Sie hatten Sex, die Währung der ornamentalen Kultur, genommen und einen Weg gefunden, ihn in politische Münze zu tauschen. Später erfreuten sich Berichte gewisser Beliebtheit, die die Drag-Queens zwar als die ersten Stoßtrupps der Bewegung charakterisierten, ihnen aber meist wenig mehr zugutehielten als die Tatsache, dass sie die Ersten gewesen waren und der "richtigen" Schwulenbewegung den Weg geebnet hatten.
Die wiederum wurde von Gruppen geführt, die eher dem Mainstream zuzuordnen waren. Doch wenn man ihnen nur diese Rolle zubilligte, entging einem ihr grundlegender Widerstand. Der Schwulenaktivist und Gelehrte Martin Duberman, Stammgast im Stonewall, zeichnete die Unruhen auf. Er erzählte mir, dass DragQueens nicht nur bei Demonstrationen heldenhafte Herausforderer seien, sondern auch in ihren täglichen Auseinandersetzungen mit einer Kultur, die gewaltsam versuchte, sie zu bändigen. "Die wilde Entschlossenheit, mit der Sylvia Rivera versuchte, überall sie selbst zu sein, provozierte aufs Äußerste unsere bestgehüteten Geschlechterkonzepte, die ganze binäre Vorstellung von Geschlecht", sagte er. Als Mann öffentlich in Frauenkleidern aufzutreten erwies sich als sehr wirksame Waffe an vielen Fronten, nicht nur am Scheideweg zwischen Homo- und Heterosexualität. Während des Vietnamkrieges hatte sich Rivera voll ausstaffiert bei ihrer Musterungsstelle gemeldet, denn sie hatte "auf keinen Fall die Absicht, gegen ein Land in den Krieg zu ziehen, gegen das zu sein wir keine Veranlassung hatten". (Die Musterungskommission war so erpicht darauf, sie wieder loszuwerden, dass man sogar auf ihre Forderung einging, sie gratis und stilvoll heimchauffieren zu lassen.)
In den Jahren nach ,,Stonewall" nahm Rivera regelmäßig an den zahlreichen New Yorker Demonstrationen der Schwulenbewegung teil. Einmal wurde sie verhaftet, als sie, angetan mit Spike-Absätzen, versuchte, die Stirnseite des Rathauses hoch zu einem offenen Fenster zu klettern. Sie wollte sich Zugang zu einer nichtöffentlichen Sitzung des Stadtrats verschaffen, auf der es um eine Vorlage über Schwulenrechte ging. Doch rasch mussten Rivera und andere Drag-Queen-Aktivisten erkennen, dass sie nicht wirklich willkommen waren - die Bewegung sorgte sich zunehmend um ihr Image. "Sie ließen Sylvia immer aufmarschieren, wenn es sich um eine Demonstration handelte, die eine Verhaftung erforderte", meinte Bebe Scarpi, die einzige Drag-Queen, die damals im Vorstand der "National Gay Task Force" saß. "Doch wenn es darum ging, vor die Kameras zu treten, schaffte es keiner, Sylvia zu holen. Anfang der siebziger Jahre herrschte in der Schwulenbewegung die feste Überzeugung, dass eine Drag-Queen das männliche Image zerstörte. Diese Typen sahen sich in ihrer Männlichkeit beleidigt." Für Scarpi war die "Sichtbarkeit" der Drag-Queens der Schlüssel für ihre destabilisierende politische Macht. "Ihr habt uns gesehen", sagte sie mir. "Wir verfügten nie über den Luxus, uns verstecken zu können, doch das hat uns auch stark gemacht." Und führte letztlich auch zum Rausschmiss aus der Bewegung. "Zuerst haben sie uns benutzt, weil wir sichtbar waren", sagte Scarpi verbittert. "Dann benutzten sie uns, weil wir entschlossen waren. Doch dann hatten sie keine Verwendung mehr für uns, und so drängten sie uns hinaus, um akzeptiert zu werden." Sie selbst verließ schließlich die "National Gay Task Force", weil sie es leid war, als "Vorzeigetransvestit benutzt zu werden"
Das Vermächtnis der Drag-Queens,
Opfer einer zerstörenden Macht
Auf der Feier zum Gay Pride Day bekam Sylvia Rivera 1973 erschreckend deutlich die Feindseligkeit der homosexuellen Männer und Frauen zu spüren. Es begann damit, dass ihr Name von der Rednerliste gestrichen worden war – die Feierlichkeiten sollten frei von "politischen" Erklärungen sein. Als Rivera versuchte, sich einen Weg zur Bühne zu bahnen, wurde sie laut Augenzeugen von Männern wie von Frauen geschubst, getreten und ausgebuht. "Meine eigenen Brüder und Schwestern haben mich geschlagen", erinnerte sich Rivera mit einer Stimme, der die Verletzung noch immer anzumerken war. Auf einem Video von der Veranstaltung ist der Krach gefilmt worden; aus dem Publikum sind Stimmen zu hören, die während ihrer Rede "Halt endlich dein Maul!" schrien. Sie geißelte das Publikum dafür, dass es den Opfern, die die Drag-Queens erbracht hatten, nicht die gebührende Anerkennung zollte - viele von ihnen waren ins Gefängnis gesteckt, geschlagen und vergewaltigt worden – und dass sie denen, die im Gefängnis saßen, keine Unterstützung zukommen ließen.
Danach trat in Frauenkleidern der Herausgeber der Zeitschrift DRAG ans Mikrophon. Sie trug ein Diadem und ein langes Kleid. Ihre Stimme zitterte vor Wut. "Ihr geht in Bars, weil Drag-Queens euch das ermöglicht haben", sagte sie und bezog sich dabei auf eine Änderung der Stadtverordnung, für die sie selbst erfolgreich gekämpft hatte und aufgrund derer die Schwulenkneipen in New York nun zugelassen waren. "Wir haben euch euren Stolz gegeben... Drag-Queens ölen die Türen für euch Leute, damit ihr aus dem Verborgenen treten könnt, aber ich werde die Türen nicht länger mit meinen Tränen ölen. Zum Teufel mit der Schwulenbewegung!" Mit diesen Worten schleuderte sie ihr Diadem in die Menge. Die Organisatoren beeilten sich, Bette Midler auf die Bühne zu holen, die "You got to have friends" anstimmte... Zwei Tage später versuchte Sylvia Rivera, sich die Pulsadern aufzuschneiden. "Ich hatte wirklich die Schnauze voll von der Welt und der Bewegung."
Doch letzten Endes sollte das Vermächtnis der Drag-Queens aus der Stonewall-Bar einer Macht - der ornamentalen Kultur - zum Opfer fallen, die nachhaltiger zerstörend wirkte als der alte Frauenhass und der zensurwütige Puritanismus. Diese Macht schaffte es, nichtgeschlechtskonformer Kleidung jeglichen politischen Inhalt zu rauben. In ihrem Scheinwerferlicht bekam der Begriff "Akzeptanz" eine ganz neue Bedeutung. Innerhalb weniger Jahre wich das schlampige Stonewall dem glitzernden "Studio 54" und in den achtziger Jahren den "Limelights". Die oft mafiamäßig bezahlten Leibwächter, die früher schwulenfeindliche Schläger abgeschreckt hatten, wurden durch adrette Türsteher ersetzt, die hinter samtenen Absperrseilen standen und das Glitzerimage ihrer Clubs vor denjenigen schützten, die einfach nur dazugehören oder gaffen wollten. Es ging darum, gesehen zu werden, und nicht darum, abgeschirmt zu sein. Innerhalb einer attraktiven jüngeren Kundschaft, die Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in der kommerziellen Schwulenclubszene heranwuchs, wurde darum gestritten, wer sich allein auf einem der Podeste, die auf den vielen neuen Tanzflächen errichtet worden waren, zur Schau stellen durfte. Einige der jüngeren Männer kleideten sich nach wie vor in schrille, tuntige Klamotten, doch dies taten sie in der Regel eher deshalb, um aufzufallen, und seltener wegen der politischen Wirkung. Die meisten wählten ihre Garderobe nicht, um starre Geschlechterrollen infrage zu stellen, sondern um sich kommerziell erfolgreichen Stilen der Verführung anzupassen; sie folgten mit ihrer konventionell "männlichen" Uniform, die aus Polohemd und Khakihose bestand, eher Calvin Klein oder Ralph Lauren als Candy Darling oder Holly Woodlawn. "Obwohl sich nur wenige Aktivisten dessen bewusst zu sein schienen, bewegte sich die Schwulenbewegung in zentralen Fragen in die gleiche Richtung wie die Kultur des sexuellen Mainstream", beobachteten John D'Emilio und Estelle Freedman in "Intimate Matters", ihrer Geschichte der amerikanischen Sexualität. "Und der Kommerz, der die männliche Schwulensubkultur in den Siebzigern zu prägen begann, unterschied sich seinem Wesen nach nicht von den Werten der Konsumgesellschaft, die aus Sex bereits eine Handelsware gemacht hatte."
Drag war das erste Opfer dieser imagebewussten Zeit. Mitte der siebziger Jahre nahmen Teile der männlichen Schwulenkultur eine neue, aggressive Machopose ein. Wie mehrere alarmierte Schwulenkommentatoren jener Zeit bemerkten, fehlte dieser Pose die selbstbewusste, spöttische Haltung von Camp. In einem Artikel von 1977 in "Gaysweek" nahm Jack Nichols besorgt die Lederbars unter die Lupe, die überall im Land aus dem Boden schössen - "dekoriert mit Seilen, Totenschädeln, Masken, Ketten, Brecheisen, Stahlhelmen und sogar Hakenkreuzen".Er fragte: "Bereitet dieser Zustrom an SM-Praktiken wirklich den Weg für eine neue Art sexueller Befreiung und sexuellen Bewusstseins, wie die dominanten/unterwürfigen Sado-Masos behaupten? Oder belebt dieser Trip der Dominanz und Unterwürfigkeit für die Anhänger der gleichgeschlechtlichen Liebe nicht Elemente wieder, die den altmodischen Mann-Frau-Rollen zugrunde liegen?" In den Achtzigern schrieb der schwule Autor und Literaturprofessor Seymour Kleinberg den Essay "Wo sind bloß all die Schwuchteln?" Darin äußert er sich besorgt über das "rastlose Streben nach Männlichkeit", das er bei der Mehrheit der jungen Schwulen beobachtete, die in der Szene auftauchten und ihre identisch gemeißelten Torsos, Stoppelhaarschnitte, Achselhemden und Lederjacken zur Schau stellten. Sie waren das symbolische Gegenstück zu den Drag-Queens, die "Frauen verkörperten, weil sie begriffen hatten, dass sie genau wie die Frauen Opfer von männlichen Vorstellungen über Sexualität waren". Andererseits war für die neuen Abziehbildermachos "Männlichkeit die einzig wahre Tugend; andere Werte sind verachtenswert". Die neuen schwulen Übermänner "erotisierten eben die Werte der Heterogesellschaft, die ihr eigenes Leben tyrannisiert haben".
Einkaufen war zu einer Form des politischen
Aktivismus geworden
Zumindest könnte die übertrieben männliche Pose des muskulösen "Marines" noch etwas individuellen Witz haben, einen Hauch Travestie enthalten. Doch nach Daniel Harris, der in "The Rise and Fall of Gay Culture" eine scharfsinnige Diagnose der Kommerzialisierung des Schwulenlebens lieferte, hätte in den Neunzigern ein Slogan für Schwulenrechte sehr gut lauten können: "Kreditkarten unser Weg zur Befreiung!" Einkaufen war zu einer Form des politischen Aktivismus umdefiniert worden, und es war völlig aus der Mode geraten, das Recht der Unterhaltungsindustrie und der Werbeagenturen zu hinterfragen, die kulturellen Gralshüter zu spielen und festzulegen, was das jeweilige Geschlecht auszeichnete. Das war vielleicht nirgends so offenkundig wie im Bereich der Schwulenmedien. Frühere "Untergrundzeitschriften" wurden erstaunlich rasch zu Kopien von "Vanity Fair".
Betrachten wir einmal die Entwicklung von "Details", einer anfangs bodenständigen Zeitschrift der Gegenkultur. Anfang der achtziger Jahre begann Details als schwulen- und feministenfreundliches Magazin, das sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die von der Konsumgesellschaft gestützten Geschlechterstereotypien auf die Schippe zu nehmen. Tunten mit phantasievollen Namen wie Lady Bunny, Hapi Phace, International Chrysis tummelten sich auf den Seiten. Die Zeitschrift verfolgte eine offene, nicht ausgrenzende, gemeinschaftsförderliche Linie sowohl ihren Mitarbeitern als auch ihrer Leserschaft gegenüber. Doch in den neunziger Jahren übernahm der Medienkonzern Conde Nast die Zeitschrift und erklärte die nächste Epoche zum "Jahrzehnt des Männlichen". Unter dem Motto "Stil zählt" wurde "Details" neu herausgebracht; es sollte als Leitfaden dienen, um ein angeberisches Guter-Junge-Schlechter-Junge-Image zu kultivieren, vage als "Samurai-Männlichkeit" bezeichnet. Man schmeichelte den Lesern mit der Vorstellung, sie könnten allein durch ihren Stil zu "Gesetzlosen" werden - "Denken Sie daran, 'kleiden ist ein aktives Verb." Das neue "Detail" bot aber nur die Stilrichtungen des herrschenden Massenmarkts an. Als die Auflage dahinsiechte, versuchte das nervös gewordene Management hektisch, das Magazin mit rückschrittlichen Fotos spärlich bekleideter Mädchen wieder zu beleben. Als auch das erfolglos blieb, gab man ganz auf und machte daraus einen Moderatgeber für Männer. Mit anderen Worten, "Details" wurde zu dem, was Conde Nast die ganze Zeit über gewollt hatte: ein Vehikel, um Konsumartikel an den Mann zu bringen -wenn auch verborgen hinter der gespielten Ermahnung an die Männer: "Zieh dich an wie ein Rebell!" In der Welt der Zeitschriften und der Clubs hatte die Revolte gegen die kulturell diktierte Männlichkeit gerade lange genug triumphiert, um sich in ihr eigenes Ableben zu schicken.
Auszug aus: Susan Faludi, "Männer – das betrogene Geschlecht" (Rowohlt). Zuletzt zum Thema in EMMA: Frauenliebe - heißer Sommer, 4/98.