Ein Detektiv für Laura und Larisa

Simon Häggström aus der Stockholmer "Prostitution Unit" spürt Opfer von Menschenhandel auf. - © Cornelia Nordström
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Es ist ein normaler Dienstag. Ich sitze vor meinem Computer und scrolle durch aufgespritzte Lippen, Silikonbrüste und Tangas. World Top Escorts heißt eine der zahlreichen Websites, die lüsternen Sexkäufern Tag und Nacht frische, junge Frauen bereitstellt. Klickt man auf die Unterseite Escort, öffnet sich eine Weltkarte.

Anzeige

Ich klicke auf Europa. Die Karte zoomt näher ran. Ich setze den Cursor auf Schweden und klicke. Eine Liste von Städten ploppt auf. Neben den Städten stehen Zahlen in Klammern: Frauen, die in diesem Moment Sex in dieser Stadt verkaufen. Stockholm steht, wie gewohnt, mit seinen 193 Frauen an der Spitze der Liste, gefolgt von Göteborg. Eslöv bildet das Schlusslicht mit nur einer aktiven Anzeige.

Welche der Frauen braucht uns am dringendsten?

Ich wähle Stockholm. Fünf Anzeigen in jeder Reihe: alles Frauen, ein Mann mit athletischem Körper ist die Ausnahme. Unter jedem Foto in der Reihe steht ein Name. Laura. Ionela. Karla. Larisa. Beatriz. Unter den Namen sind fünf Sterne. Während bei den einen alle fünf Sterne gelb aufleuchten, haben andere nur zwei oder drei gelbe Sterne, wiederum andere sogar nur anderthalb. Diese Sterne sind die Bewertungen der Sexkäufer.

Mein Job ist es, nun herauszufiltern, welche dieser Anzeigen sich die Sozialarbeiterinnen Malin und Zanna gemeinsam mit mir heute vornehmen sollten. Von all den Sexanzeigen schaffen wir nur einer Handvoll von ihnen pro Woche auf den Grund zu gehen. Die Frage, die wir uns dabei jeden Tag stellen: Wer benötigt am dringendsten einen Besuch der Prostitution Unit?

Um das herauszufinden, muss der Inhalt der Seite sehr genau auf bestimmte Muster und Signale durchleuchtet werden. Mein Blick bleibt bei einer Frau hängen, die sich selbst Serena nennt. Sie trägt einen winzigen rotkarierten Rock. Ihr Oberkörper liegt komplett frei und ihre Brüste sind sehr klein. Ihre langen Haare sind zu zwei Zöpfen gebunden, sie schaut mit verführerischem Blick direkt in die Kamera und lutscht an ihrem Daumen. Ich klicke auf das Foto und werde zu ihrer Anzeige weitergeleitet.

Ich frage mich, ob die Frau überhaupt schon 18 ist.

Das Foto erstreckt sich nun über meinen halben Bildschirm. Ich betrachte es noch genauer und stelle fest, dass sich meine Vermutung über das junge Alter der Frau bestätigt. Ich frage mich, ob sie überhaupt über 18 ist. Auf der rechten Seite des Fotos ist eine Liste mit den Eigenschaften des Mädchens: 18 Jahre alt, 167 cm, 48 Kilo, helle Haut, braune Haare, braune Augen, Körbchengröße B, rasiert, Nichtraucherin, spanisch.

Spanisch oder italienisch bedeutet in dieser Art von Anzeigen in Wirklichkeit meistens rumänisch. Die Menschenhändler wissen nämlich ganz genau, dass Frauen aus den ärmsten Ländern Europas bei den Sexkäufern nicht ziehen. Häufig hat das wenig damit zu tun, dass die Kunden fürchten, es mit einem Menschenhandels-Opfer zu tun zu haben. Sie haben vor allem Angst, dass sich das Risiko einer Verhaftung für sie erhöht. Die Sexkäufer glauben, solche Mädchen sind eher im Fokus der Polizei, weil sie so gut wie immer in die Organisierte Kriminalität verwickelt sind.

Weiter unten auf der Seite finden sich drei Spalten. Hierbei handelt es sich um eine Preisliste, die sich danach richtet, ob der Kunde einen incall will – also ob er Sex mit Serena bei ihr, in einem Hotel oder einer Wohnung kaufen möchte – oder einen outcall – dann kommt Serena zu ihm nach Hause. So wie andere Leute ­Pizza bestellen, ordern die Sexkunden eine Frau und lassen sie sich bis vor ihre Haustür liefern. Die Preise gehen von 150 Euro für 30 Minuten bis zu 2.000 Euro für 24 Stunden.

Sexkunden ordern die Frauen wie Pizza.

Unter dem Titel Beschreibung ist eine Nachricht, die verführerisch und einladend klingen soll:

Hi Baby,
ich bin eine völlig unabhängige Escort-­Dame. Eine wirklich charismatische Schönheit mit glamouröser Weichheit und hinreißender Energie, die dich auf unglaubliche Weise fesseln wird. Ich bin gutmütig, habe Manieren und lache gerne. Mein reizendes, diskretes und vergnügtes Auftreten macht mich zu deiner idealen Begleiterin für jeden Anlass. Ich bin ein extrem bodenständiges, kluges, sexy, kultiviertes und abenteuerlustiges Mädchen, das es einfach liebt, Spaß zu haben! Also nimm dein Telefon und ruf mich an. Ich bin sehr aufregend, Baby. Ich mach deine Träume wahr.

Sie arbeitet von Montag bis Sonntag, 24 Stunden von 24.

Dass es da draußen tatsächlich Männer gibt, die glauben, Serena stehe als eine „unabhängige Escort-Dame“ 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche aus völlig freiem Willen den Sexkunden zur Verfügung, ist einfach nur deprimierend.

Ich muss an den älteren Mann denken, den wir vergangene Woche verhaftet haben. Er erzählte uns, dass er das slowakische Mädchen schließlich gefragt hätte, ob sie das Geld behalten dürfe. Als sie daraufhin Ja sagte, fand er, er habe seine Pflicht getan und nahm ihre „Dienste“ ruhigen Gewissens in Anspruch.

Serenas Anzeige will einfach nicht enden. Kein Detail wird ausgelassen. Ich scrolle weiter nach unten und finde eine Liste mit den Dienstleistungen, die sie anbietet:

Fortgeschritten, American, CIM, Classic Cocktail, CIB, Cocktail, COF, Danish, Deep throat, Dildo Show, Dutch, erotische Massage, Escortdate, Facesitting, Fetish Fashion, Fingern, Fisting, French, German, GFE, Lesben Show, Golden Showers, Greek, Küssen, Masturbation Show, Norwegian, Oily Spanish, OWO, Oral mit Schlucken, Anilingus, Rollenspiele, Russian, Sandwich, Schulmädchen, BDSM, Sexspielzeuge, Sex ohne Kondom, Sklavenschlampe, Spanish, Schläge, Squirting, Striptease, Super French.

Die 18-Jährige Serena will also "Sklavenschlampe" sein.

Aha, diese angeblich 18-jährige Frau will also das alles machen. Nehmen wir zum Beispiel das Küssen. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass viele der ausländischen Frauen keine Küsse anbieten. Küssen gilt als zu intim; das möchten sie für den Tag aufheben, an dem sie ihre große Liebe finden. Damit sie wenigstens eine Sache von sich aufgehoben haben, wenn es soweit sein sollte.

Weiter unten finde ich noch mehr Fotos. Auf dem einen trägt die Frau ein pinkes Höschen und umarmt einen Teddybären; auf dem nächsten hält sie einen Stapel Bücher, gekleidet wie ein Schulmädchen in einem kurzen, karierten Rock und aufgeknöpfter Bluse. Es liegt auf der Hand, dass solche Fotos versteckt zeigen sollen, dass die Frau definitiv unter 18 ist.

Wie auch immer, die Anzeige sagt, Serena sei 18 Jahre alt. Falls das wirklich stimmt, ist sie den Fotos nach allerdings höchstens 18 Jahre und einen Tag alt. Sie ist Tag und Nacht verfügbar und bietet alle möglichen Sexpraktiken an. Diese Anzeige riecht nur so nach Menschenhandel.

Die Bürotür öffnet sich und Zanna kommt rein, das Funkgerät in der einen Hand und ihre schwarze Schutzweste in der anderen. „Komm, wir müssen los! Ein gesuchter Zuhälter ist Nathalie und Henk direkt in die Arme gelaufen. Sie brauchen Rückendeckung! Malin wartet auf uns im Auto.“

Prostitution kann nicht komplett untertauchen.

Ich klicke auf das X in der rechten Ecke des Fensters und schließe den Browser. Für diesen Moment muss ich die junge Frau gehen lassen. Ich muss ein anderes Mal Zeit für sie finden. Wenn sie dann überhaupt noch in Schweden ist. Das Risiko ist ziemlich hoch, dass die Menschenhändler sie in eine andere Stadt verfrachten werden, vielleicht sogar in ein anderes Land – Sexkäufer sind schnell gelangweilt von dem immer ­gleichen Angebot an Frauen.

In diesem Fall kann man nur hoffen, dass meine Kollegen von einer anderen Prostitution Unit irgendwo auf der Welt sie im Internet finden, die gleichen Schlüsse wie ich ziehen – und ihr helfen.

In den vergangenen Jahren hatte ich die Möglichkeit, verschiedene Länder zu besuchen und über unsere Arbeit in Schweden zu sprechen. Auf diesen Reisen gibt es eine Frage, die mir immer wieder begegnet – ob von PolitikerInnen, RichterInnen, PolizeikollegInnen und JournalistInnen. Bei dieser Frage geht es um die Befürchtung, dass die Prostitu­tion verschwinden und im Untergrund ausgeübt würde, wenn man die Freier kriminalisiert. Angeblich verliere man durch die Kriminalisierung der Freier die Kontrolle und könne Frauen wie Freier nicht mehr aufspüren. Das ist ein bedauerlicher Irrglaube über unser Schwedisches Modell, der sich in keinster Weise bestätigt hat.

Es ist ganz einfach: Prostitution kann gar nicht komplett untertauchen. Wie in jedem anderen Business auch, müssen Käufer und Verkäufer in irgendeiner Weise miteinander kommunizieren, und das passiert meistens über solche Anzeigen, wie ich sie beschrieben habe. Genauso leicht wie die Sexkunden die Anzeigen der Frauen finden, die sie treffen möchten, findet die Polizei sie.

Alles, was die Polizei braucht, ist ein Handy

Die Prostitution Unit hatte noch nie Probleme damit, Hotels oder Wohnungen aufzuspüren, in denen Frauen verkauft werden. Es erfordert nicht sonderlich viel Zeit oder großen Aufwand, die Adressen herauszufinden. Alles was wir brauchen, ist ein Handy – und in ein paar Minuten wissen wir, wo genau der nächste Sexverkauf in Stockholm abläuft. Nichts leichter als das.

Es überrascht mich immer wieder neu, wie viele Leute sich plötzlich zu Experten der Polizeiarbeit aufschwingen, sobald es um das schwedische Sexkaufverbot geht. Behauptungen wie „Prostitution wird in den Untergrund abtauchen!“, „Die Gewalt gegen Prostituierte wird drastisch zunehmen!“, „Das Gesetz ist nur schwer umzusetzen!“ oder „Die Polizei kann nicht genügend Beweise finden!“ werden einfach für bare Münze genommen. Immer und immer wieder werden diese Pseudo-Argumente in Debatten und Konferenzen in aller Welt vorgebracht. Wir, die an der Front arbeiten, nehmen das nicht sonderlich ernst.

Denn wir wissen, dass es sich dabei nur um eins handelt: einen Mythos.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch von Simon Häggström: Shadow's Law (Bullet Point Publishing) - Übersetzung aus dem Englischen: Maren Schleimer

Simon Häggström referiert über "Die Freierbestrafung in Schweden" am 26.11. um 16 Uhr in der Ev. Stadtakademie München. Anmeldung hier.

 

 

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Freierbestrafung in Frankreich

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Mit einem Abstecher in den Bois de Boulogne, den Straßenstrich im feinen Pariser Westen, wollte Jean angeblich „seinen Liebeskummer überwinden“. Doch von einer Polizei­streife in flagranti erwischt, handelte sich der 20-jährige Elektriker-Lehrling einen Bußgeldbescheid in Höhe von 250 Euro ein. Denn seit dem 13. April 2016 ist der Kauf so genannter „sexueller Dienstleistungen“ in Frankreich verboten. Mit seinem „Gesetz zum Kampf gegen das prostitutionelle System“ war Frankreich dem Beispiel Schweden, Norwegen und Island gefolgt. Ertappten Freiern drohen Geldstrafen: bis zu 1.500 Euro, im Wiederholungsfall 3.700 Euro. Ist die Prostituierte minderjährig, kann die Strafe bis zu 45.000 Euro betragen. Plus einen Sen­si­bilisierungskurs.

Jean, wie ihn die Medien nennen, geht jedoch vor dem Pariser Polizeigericht auf die Barrikaden. Er legt Widerspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, landesweit eine Premiere: „Ich finde es nicht normal, wegen einer solchen Geschichte zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden“, erläutert der selbstbewusste junge Mann dem Richter. „Dieses Gesetz ist unlogisch: ­Einer Person, die sich prosti­tuiert, wird das Recht dazu nicht abgesprochen, wir Freier aber sind nun in der Illegalität!“

Jean beantragt, der Conseil Constitu­tionnel solle prüfen, ob das Gesetz verfassungskonform sei, denn es bedrohe, so findet er, „zahllose Rechte und Freiheiten“. Doch sein Ansinnen wird abgeschmettert. Die Verfassungskonformität des Textes stehe nicht mehr zur Diskussion. Das Thema sei lang und breit bei den Parlamentsdebatten vor der Verabschiedung des Gesetzes durchgekaut worden, belehrt das Gericht den Freier. Der, so darf man getrost vermuten, wird Rückenstärkung von organisierten Freiern haben.

Jean ist bei weitem nicht der einzige, der der Polizei bisher in die Fänge geraten ist. Rund 1.300 Freier wurden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes in den ersten 15 Monaten auf frischer Tat ertappt. Im Schnitt erwischt die Polizei monatlich mittlerweile 400 Freier in flagranti. Meist geben sich die Männer geständig und nehmen den Bußgeldbescheid an, um die peinliche Angelegenheit geheim zu halten. Gleich 100 Freier auf einen Schlag gingen kürzlich in Arras in Nordfrankreich ins Netz. Die Polizei hatte einen Menschenhändlerring auffliegen lassen – und bei den Ermittlungen die Spur bis zu den Freiern zurückverfolgt. Sollten auch andere Staatsanwälte im Land auf diesen Kurs einschwenken, dürfte die Zahl der von der Justiz belangten Freier rasant steigen.

Doch beim „Gesetz zum Kampf gegen das prostitutionelle System“ geht es nicht nur um die Freier-Bestrafung, sondern um den Schutz von Prostituierten. Abgeschafft wurde der Tatbestand der „Anmache“ (Raccolage), der bis dato erlaubte, Prostituierte auf „Kundenfang“ strafrechtlich zu verfolgen. Nun gelten sie offiziell als „Opfer der Prostitution“. Festgeschrie­ben wurden auch Ausstiegshilfen, finanziert aus einem speziellen Fonds von 6.6 Millionen Euro.

Jedes Département muss zudem Kommissionen einberufen, in denen VertreterInnen von Polizei, Gesundheits- und ­Sozialamt gemeinsam mit Hilfs­vereinen auf regionaler Ebene Präventionspolitik entwickeln. Allein jenen, die aus dem Rotlicht­mi­lieu herauswollen, muss konkreter und maßgeschneiderter Beistand ­gegeben werden. Ausstiegswilligen Ausländerinnen ohne Papiere wird es erleichtert, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für sechs Monate zu erhalten – ohne dass sie dafür, wie bislang verlangt, ihren Zuhälter, zumeist aus dem Milieu von Menschenhändler-Netzwerken, nennen müssen. Und sie können Sozialhilfe beantragen – wenn auch nur 330 Euro monatlich.

Für das Gesetz hatten Feministinnen jahrelang gekämpft. Rückenwind erhielten sie von einer Kommission der Nationalversammlung. Die veröffentlichte im April 2011 eine Lagebeschreibung zur Prostitu­tion in Frankreich, die ein großes Echo in den Medien hatte. Die beiden VerfasserInnen, die Sozialistin Danielle Bousquet und der Konservative Guy Geoffroy, präsen­tierten darin die Ergebnisse einer halbjäh­rigen Recherche im In- und Ausland. In Frankreich belaufe sich, so der Bericht, die Zahl der prostituierten Personen auf 20.000 – 40.000. Zu 85 Prozent handele es sich um Frauen, 99 Prozent der Freier seien Männer. Neun von zehn Prostituierten seien AusländerInnen, vor allem aus Osteuropa und Schwarzafrika. Die PolitikerInnen räumten auf mit dem romantischen Bild von Irma la Douce: Auf dem Strich fänden sich mittlerweile in überwältigender Mehrheit Menschen, die von kriminellen Netzwerken zum Anschaffen gezwungen seien.

Im Frühjahr 2016, als das Gesetzesvorhaben nach viel Widerstand endlich in die Zielgerade gegangen war, gaben sich viele Medien, allen voran die linke Tageszeitung Libération, überzeugt davon, diese „revolutionäre Idee“ sei „nicht umsetzbar“. Eine Botschaft, für die auch die „Sexarbeiter-­Gewerkschaft“ Strass bei Kundgebungen in Paris trommelte.

Davon ist ein Jahr später, anlässlich der ersten Bilanz des „Gesetzes zum Kampf ­gegen das prostitutionelle System“, keine Rede mehr. Inzwischen schlagen auch die Medien andere Töne an. Die Statistiken zur Zahl ertappter Freier sprechen für sich – und für die Umsetzbarkeit des Gesetzes. Nun stehen in den Medien, statt effektheischendem Mitleid mit geschassten Freiern, die Fakten im Vordergrund.

Auch zwei Kampagnen der Regierung scheinen zu einem Bewusstseinswandel beigetragen zu haben. Im Juni 2016 wurde erstmals auf Plakaten landesweit der Slogan verbreitet: „Der Preis für eine schnelle Nummer auf dem Strich ist höher als du denkst.“ Im Oktober 2016 lief eine zweite Aktion: „Sex zu kaufen ist inzwischen verboten.“ Die Medien berichten nun über die Schwierigkeiten beim Ausstieg und über die Sensibilisierungskurse, die ertappten Freiern auferlegt wurden.

Pionierarbeit leistet ein Verein im Département Essonne, im Süden von ­Paris. Normalerweise kümmert er sich um Täter Häuslicher Gewalt, die vom Gericht zur Teilnahme an einem Sensibilisierungskurs verpflichtet werden. Im vergangenen März bot der Verein ACJE91 landesweit den ersten Kurs zum Thema Prostitution an. Leitgedanke bei dem Kurs sei, erklärt Vereinspräsident François Roques, „aufzuklären zum Thema Frauenkauf“. Ertappte Freier darauf hinzuweisen, dass sie eine Straftat begangen haben. Vor allem aber: Ihnen bewusst zu machen, wie sehr die Gewalt zum Rotlichtmilieu gehört.

In Frankreich gilt die Prostitution seit einigen Jahren offiziell als „Gewalt an Frauen“. Dazu liefert das Pariser „Staatssekretariat für die Gleichstellung von Männern und Frauen“ auf seiner Webplattform Zahlen: 51 Prozent der Frauen, die sich in Frankreich prostituieren, hätten im Laufe der letzten zwölf Monate bei der ­Arbeit physische Gewalt erlebt. Im selben Zeitraum seien 38 Prozent Opfer einer Vergewaltigung geworden – sechsmal mehr als in der weiblichen Bevölkerung Frankreichs. Und fast jede dritte Person auf dem Strich hat im Laufe des letzten Jahres Selbstmordgedanken gehegt.

In ganz Frankreich sind derzeit die ­gesetzlich geforderten neuen Strukturen zum Kampf gegen das „prostitutionelle System“ im Aufbau. Der Verein „Mouve­ment du Nid“, der seit 70 Jahren Prostituierten zur Seite steht, ihnen beim Ausstieg hilft und in vielen Städten Beratungsstellen betreibt, verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Marlène Schiappa, Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frauen und Männern, hat noch kürzlich versichert, die Umsetzung des Gesetzes habe für die neue Regierung Priorität. Eine Auskunft, die Grégoire Théry, Geschäftsführer des „Mouvement du Nid“, beruhigt: „Schließlich hat Präsident Emmanuel Macron die Gleichstellung der Frauen zum ‚großen nationalen Anliegen‘ erklärt“.

„Wir vom Mouvement du Nid haben jährlich Kontakt zu etwa 5.000 Menschen in der Prostitution. Im Anschluss kommen 1.500 von ihnen zu einer weiteren Beratung in unsere Anlaufstellen“, bilanziert Grégoire Théry. Sie suchten Rat und Hilfe – sei es beim Beantragen von Sozialhilfe, in Sorgerechtsfragen für ihr Kind oder einer Aufenthaltsgenehmigung. Der Ausstieg aus dem Milieu gelingt ­vielen erst nach langjähriger Stabilisierungsarbeit.

Suzanne Krause

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