"Ein grauenvoller Schnellschuss"
Was sind denn die wesentlichen Änderungen durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
Thomas Brehm: Das Gesetz richtet sich an Betreiber von Sozialen Netzwerken, die zwei Millionen Nutzer oder mehr haben. Also zum Beispiel an Facebook, Twitter oder an WhatsApp. Diese Anbieter werden nun verpflichtet, ein transparentes Verfahren einzurichten, um bestimmte rechtswidrige Inhalte zu löschen. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden, sonstige rechtswidrige Inhalte binnen sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt werden. Die Netzwerk-Betreiber müssen außerdem einen Ansprechpartner im Inland zur Verfügung stellen. Und sie müssen auf ihrer Webseite und im Bundesanzeiger vierteljährlich einen Bericht über ihre Maßnahmen veröffentlichen. Sonst drohen Bußgelder mit Maximalbeträgen zwischen 500.000 und 5.000.000 Euro.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang „rechtswidrig“?
Da listet das Gesetz eine Reihe Paragraphen auf, um die es geht. Zum Beispiel Straftaten gegen den demokratischen Rechtsstaat, auf gut Deutsch: vor allem „Nazi-Kram“. Und auch so genannte landesverräterische Fälschungen, kurz: Fake News. Die Beleidigung des Bundespräsidenten oder von Religionsgemeinschaften. Oder Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Nehmen sie als Beispiel die Volksverhetzung, sprich: aktiver Rassismus.
Und der Online-Hass gegen Frauen, sprich: Sexismus?
Am interessantesten wird es für Frauen bei den „Straftaten gegen die persönliche Ehre“. Das ist alles, was im Bereich Beleidigung stattfindet, plus üble Nachrede und Verleumdung. Oder auch die Darstellung von Gewalt. Und die Nötigung bzw. Androhung von Gewalt. Und die Verbreitung von Kinderpornografie. Die Verbreitung pornografischer Schriften ist allerdings nicht erfasst. Vermutlich, weil der Pornografie-Begriff schwer zu fassen ist.
Dabei sind pornografische Inhalte die meistgeklickten im Internet.
Tja.
Steht denn eine Frau, die auf Facebook als Schlampe und Lügnerin beschimpft wird, jetzt besser da?
Jemanden als Schlampe oder Lügnerin zu beschimpfen, war auch schon vorher strafbar. Aber es handelt sich bis jetzt nicht um eine Tat, bei der die Bundesregierung persönlich auf den Plan tritt. Das lief dann bisher eher so: Die Betroffenen haben erst mal den Plattformbetreiber in Kenntnis gesetzt. Und wenn sie Glück hatten, wurde der Beitrag entfernt. Problematisch wurde es in Fällen, in denen niemand reagiert hat. Bei Facebook hat man davon ja schon häufiger gehört. Hinzu kommt: Die Dienstanbieter hatten bisher oft keinen Ansprechpartner außerhalb der USA. Das heißt, die Betroffenen mussten ihren Anspruch zum Beispiel in Mountain View in den Vereinigten Staaten geltend machen. Und das war dann der Zeitpunkt, an dem die meisten resigniert haben. Es hat sich also einerseits schon etwas verbessert für die Frauen. Alleine dadurch, dass es eine Beschwerde-Einrichtung und ein geregeltes Beschwerdeverfahren geben wird.
Andererseits haben wir es in Deutschland mit einem Rechtssystem zu tun, in dem Frauenhass gar keine Kategorie ist, anders als in den USA.
Ja, und damit sind wir beim Kernproblem angekommen. Nehmen Sie zum Beispiel die Volksverhetzung. Da wird Hass auf Grund des Geschlechtes gar nicht erwähnt. Die Frauen sind höchstens mitgedacht. Das heißt: Es gibt bisher auch keine eindeutige Definition, was eigentlich alles unter Frauenhass fällt. Und dann bleiben Hassbotschaften, die sich nicht gegen eine konkrete Person, sondern gegen Frauen an sich richten oder die nicht eindeutig gegen einen der im Gesetz erwähnten Paragraphen verstoßen, weiterhin einfach online stehen.
Was hätte anders laufen können?
Dieses Gesetz befasst sich ja nur mit der effektiven Durchsetzung von bereits bestehenden Rechtsvorschriften. Wenn Sie an das Thema Gewalt gegen Frauen on- wie offline ran wollen, dann müssen Sie an die eigentlichen Strafvorschriften ran. Dazu hätten wir eine Strafrechtsnovelle gebraucht, kein Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Also Frauenhass zu einer strafrechtlichen Kategorie machen, die zum Beispiel in die Volksverhetzung aufgenommen wird.
Ja. Aber gesetzgeberisches Handeln hat ja leider häufig Zielsetzungen, die sich nicht nur an dem orientieren, was für eine Gesellschaft gut oder wünschenswert wäre. Sondern an Drucksituationen. Wie auch dieses Mal.
Der Druck kam durch die massive Fremdenfeindlichkeit im Netz.
Genau. Das führte wohl zur Wahrnehmung: „Da muss jetzt aber mal was passieren! Da müssen wir aber was tun!“ In dieser Stimmung wurde das Gesetz verfasst. Heraus gekommen ist ein entsetzlicher Schnellschuss. Diese Liste an Paragraphen ist völlig unsystematisch, wenn nicht willkürlich. Und um Frauenhass hat man sich beim Verfassen des Gesetzes offensichtlich auch keine großen Gedanken gemacht.
Dabei ist der Frauenhass im Netz ja mindestens genau so präsent wie der Fremdenhass.
So ist es, aber das wird politisch offensichtlich nicht als so gravierendes Problem empfunden.
Was hätte denn in das Gesetz unbedingt rein gemusst?
Wir haben sehr gute Regelungen im Datenschutz- und im Kunsturheberrechtsgesetz. Die kommen zum Zuge, wenn private Fotos von Frauen im Internet veröffentlicht werden. Da muss es doch auch eine unkomplizierte Möglichkeit geben, die löschen zu lassen. Am besten mit einem einfachen Entfernungsverfahren, ohne dass diese Frauen dafür erst einmal Gerichte in Anspruch nehmen müssen oder darauf angewiesen sind, dass sich eine staatliche Stelle erbarmt. Hinzu kommt: Viele der Straftaten im Netz bewegen sich im niederschwelligen Bereich und auf Plattformen, die weniger als zwei Millionen Nutzer haben.
So wie bei den selbsternannten Männerrechtlern, die Adressen von Frauenhäusern oder von Vergewaltigungsopfern in ihren Online-Foren veröffentlichen?
Genau. Das ist für die Betroffenen auch sehr schlimm. Trotzdem wäre es schon schwierig, da überhaupt in den Strafbarkeitsbereich reinzukommen. Weil die eindeutige Gewaltandrohung fehlt. Aber das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sollte ja unbedingt „verfassungskonform“ werden und deswegen wurde nur eine Auswahl an gravierenden Straftaten reingenommen.
Entzieht sich das Justizministerium damit seiner Verantwortung?
Nicht das Justizministerium, aber der Staat als Ordnungsträger. Wir haben es gerade im Bereich der Beleidigung und üblen Nachrede häufig mit Fällen zu tun, bei denen nicht einmal ein Richter sofort entscheiden kann, ob ein Tatbestand verwirklicht ist. Und jetzt sagt man zu den Netzwerkbetreibern: Das sollen eure Moderatorinnen und Moderatoren regeln.
Unsere Beiträge auf Facebook werden immer wieder systematisch von Maskulisten denunziert. Wie groß ist das Risiko, dass das neue Gesetz für solche Strategien missbraucht wird?
Genau das ist ja die große Befürchtung: Dass die Plattformbetreiber aus vorauseilendem Gehorsam handeln und Inhalte löschen, die völlig harmlos sind. Ich bin entsetzt darüber, was heute in Sozialen Online-Netzwerken so alles gelöscht wird – und was einfach stehen bleibt. Man hätte sich viel stärker über rechtswidrige Inhalte allgemein Gedanken machen sollen und nicht nur über irgendwelche Leuchtturmprobleme wie Fake News. Und natürlich: Dass es auch darum gehen muss, betroffenen Frauen endlich die Sicherheit zu geben, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können.
In Österreich hat man ein Gesetz gegen Cybermobbing erlassen.
Das fände ich auch in Deutschland sinnvoll. Und man hätte die Polizei besser ausstatten und ausbilden müssen, damit Straftaten im niedrigschwelligen Bereich auch konsequent geahndet werden.
Die große Kritik an dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz lautet: Angriff auf die Meinungsfreiheit!
Na ja, wenn man sich mal die berücksichtigten Paragraphen anschaut, reden wir über Taten, wo wir in 90 Prozent der Fälle gar nicht mehr über Meinungsfreiheit diskutieren müssen, zum Beispiel IS-Enthauptungsvideos oder Rachepornografie. Die Kritik wegen der Meinungsfreiheit betrifft also höchstens die Paragraphen zur Beleidigung und üblen Nachrede. Und da ist die Diskussion auch berechtigt. Es soll ja nicht jeder Politiker einen kritischen Artikel wegen angeblich übler Nachrede einfach so löschen lassen können.
Wurde das Thema Hass im Netz einfach viel zu lange ignoriert?
Ja. Da hätte man schon viel früher etwas tun müssen! Aber es haben immer alle behauptet: Online gilt das gleiche Recht wie offline, und da gibt es ja schon alles, was wir brauchen. Für die Frauen ist das natürlich fatal. Und es wird durch das neue Gesetz nicht besser werden.