Ein Plädoyer für das Unkraut
Als studierte Vegetationskundlerin mag ich generell alle Pflanzen, auch diejenigen, die als Unkräuter abgestempelt sind. Als gärtnernder Privatmensch stehe ich den Unkräutern allerdings zwiespältig gegenüber. Unkräuter sind für mich, ich bekenne es, Lust und Last zugleich. In letzter Zeit schlägt das Pendel eher zur Last hin aus. Denn objektiv betrachtet vereinnahmt der Umgang mit dem Unkraut, mit dem überbordenden Aufwuchs auf Gemüse- und Staudenbeeten und an Wegrändern, doch ziemlich viel von meiner knappen Zeit, die ich als gärtnernde Autorin überhaupt im Garten zubringen kann.
Unkraut ist Ausdruck der Persönlichkeit
Ich hadere manchmal mit mir, dass ich eine solch nutzlose Arbeit verrichten muss und weit und breit niemand da ist, der sie mir abnehmen könnte. Vor Jahrzehnten musste ich mir solche Gedanken noch nicht machen. Anfangs war mein Garten noch ziemlich unkrautfrei. Doch der unkrautfreie Zustand war nur von kurzer Dauer. Rasch entwickelte sich eine vielfältige Vegetation, denn ich greife nicht allzu rigoros ein und lasse manche Pflanze stehen, die blüht und ihre Samen ausstreut. Ich finde wild aufkommende Pflanzen mit ihren besonderen Gestalten ebenso ästhetisch wie Zierpflanzen. Mir gefällt es, wenn die Nesselblättrige Glockenblume unverhofft im Staudenbeet auftaucht oder wenn die Zaunwinde einen Maschendrahtzaun erobert.
Ich finde, dass mein leicht verunkrauteter Garten auch Ausdruck meiner Persönlichkeit ist, die Neues, Ungeplantes zulässt, die streng Geregeltes und Abgezirkeltes überhaupt nicht mag. Ich lasse der Natur gerne ihren Lauf.
Überall, wo ich mich aufhalte, registriere ich, welche Arten an diesem speziellen Standort wachsen und kann aus der Zusammensetzung vieles über den Boden und das Kleinklima ablesen. Weil sie Standorteigenschaften ziemlich genau anzeigen, werden viele Unkräuter deshalb in der Fachsprache auch als Zeigerpflanzen bezeichnet.
Der Acker-Schachtelhalm beispielsweise deutet immer auf Staunässe und Stauschichten im Bodenuntergrund hin. Besonders interessant finde ich Ödland und Bahndämme. Bahnfahrten und Wartezeiten auf Bahnhöfen sind nie langweilig für mich, weil sich im Bahnschotter eine besondere Flora zeigt. So finde ich es auch hochinteressant, über Jahrzehnte die Vegetationsentwicklung in meinem Garten beobachten zu können. Manche Pflanzenarten kommen, andere ziehen sich zurück. So war vor Jahren die Acker-Lichtnelke – ein betörend duftender Abendblüher – plötzlich auf meinen Gemüsebeeten. Wärmeliebende Arten wie die Hühnerhirse oder der Vielsamige Gänsefuß sind ebenfalls eingewandert und breiten sich auf den Beeten aus. In Kästen und Töpfen kamen plötzlich einzelne Pflanzen des schön und lange blühenden Schmalblättrigen Hohlzahns auf. Den sehe ich sonst nur auf Bahndämmen. Der Hornfrüchtige Sauerklee mit seinen rötlichen Blättern und dottergelben Blüten hat sich schon länger in Töpfen und im Erdbeerbeet angesiedelt und hält sich hartnäckig.
Es liefert
Informationen über den Garten
Bei den Neueinwanderern ist oft nicht klar, wie sie in den Garten gelangten; ob sie von alleine (also durch Zuflug, über Tiere, über verunreinigtes Saatgut oder mit Blumenerde) aufkamen. Oder ob nicht ich selbst es war, die ihnen zum Einzug in meinen Garten verhalf. Denn ich streife oft durch die Botanik und bringe da sicher manchmal unabsichtlich Fruchtstände und einzelne Samen in den Garten mit – als Anhängsel an Schuhen oder Kleidung oder mit Wildblumensträußen.
Auch manche Kulturpflanzen sind verwildert und suchen sich ihren Platz. Ich bezeichne diese Arten gerne als „Gartenvagabunden“. Die Rede ist von der Süßdolde mit ihren farnartigen Blättern, von der Kronen-Lichtnelke mit ihren samtigen bläulich-grünen Blättern oder vom duftigen Gelben Lerchensporn.
Bei mir dürfen sie alle leben. Fast alle. Die den Boden durchziehenden Wurzelunkräuter Acker-Schachtelhalm, Giersch und Acker-Winde, die viel Jätarbeit mit sich bringen, möchte ich nicht im Garten haben. Und Brombeerranken und Gehölzsämlinge entferne ich ebenfalls. Denn sonst würde mein Garten in kürzester Zeit zum Gebüsch und schließlich zu einer Art Wald.
Auch ökologisch wirtschaftende Bauern und Gärtner müssen pflügen, hacken, abflammen und das Unkraut mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Denn sonst würden die konkurrenzkräftigen Unkräuter die schwächeren Nutzpflanzen bedrängen oder gar verdrängen, sodass es nichts mehr zu ernten gäbe.
In meiner privaten Umgebung stehe ich mit meiner toleranten Einstellung zum Unkraut auf ziemlich verlorenem Posten. Ich brauche mich nur in den Gärten in meiner Nachbarschaft umzuschauen. Da bleibt kein einziges wild aufkommendes Kraut stehen. Die Nachbarn, die ich insgeheim als „Kehrwochengärtner“ bezeichne, zupfen, rupfen und kratzen mit Inbrunst jedes Kraut aus den Fugen oder hacken es vom Beet. „Unkraut“ muss weg, es muss bekämpft werden. Der Garten soll aufgeräumt sein wie ein Wohnzimmer. Und dieses Ziel wird mit vielen im Gartencenter angepriesenen Gerätschaften und viel Energie verfolgt. Die harmlose Taubnessel wird genauso ausgerissen wie die Wilde Waldrebe oder der Efeu.
Wenigstens nehmen die Kehrwochengärtner keine Herbizide, sondern gehen mechanisch vor und verbringen so ihre Tage auf Kissen oder Knieschonern kniend dem Unkraut hinterherarbeitend. Irgendwie kann ich es da schon verstehen, dass sie, wenn ihnen das Knien doch zu viel wird, gleich den Garten zupflastern oder zuschottern, um die Mühe des Unkrautjätens vom Hals zu haben.
Und scheinbar macht es manchen Angst!
Meine Erklärungen und Hinweise auf die wichtige ökologische Funktion der Unkräuter, selbst über den direkten Nutzen als Bienenweidepflanzen, wollen meine Nachbarn nicht hören. Manchmal höre ich unschöne Begriffe, wenn sie von Pflanzen sprechen. „Dreck“ ist noch ein harmloser Ausdruck. Die Kehrwochengärtner wollen auch gar nicht wissen, wie die Arten heißen, geschweige denn, wie sie sich vermehren und ausbreiten, welchen Insekten und Schmetterlingen sie Lebensraum bieten. Ich stelle mir vor, dass unkontrolliert wachsende Vegetation Urängste in ihnen weckt. Urängste vom Verschlungenwerden in der Wildnis ... Ein weites Feld für die Tiefenpsychologie tut sich da auf.
Schon über die Vorsilbe „un“ mit ihrem abwertenden Beiklang lässt sich sinnieren. Sie rückt das Unkraut in die Nähe des Unglücks bzw. Unbills. Oder die Redewendung „Unkraut vergeht nicht“. Der Duden versteht unter Unkraut Pflanzen, die zwischen Nutzpflanzen wild wachsen „und deren Entwicklung behindern“. Diese Definition bezieht sich jedoch nur auf den Ackerbau und den Gartenbau und greift etwas kurz. Wer von Unkraut spricht, meint damit Kraut im Plural. Ein Unkraut kommt selten allein – es erscheinen viele Exemplare einer Art und/oder eine Vielzahl von Arten. Aus der Tatsache, dass seit einiger Zeit viele den Begriff Unkraut gerne umschiffen und lieber von Beikraut oder Wildflora sprechen, kann man schließen, dass ein Umdenken im Gange ist und eine gewisse Toleranz Raum greift. Hoffnung für das „Unkraut“.
Den Gundermann oder das Pfennigkraut unter Sträuchern einfach wachsen lassen, das wäre schon ein Anfang. Unkräuter geradezu als Aushängeschild eines Gartens, als bewusst gesetzter Kontrapunkt zu den um sich greifenden steinernen, öden Vorgärten gesetzt, das wäre doch etwas! Ein Plädoyer also für Brennnessel, Ehrenpreis & Co., die mit ihren interessanten Formen und vielfältigen ökologischen Funktionen Garten- und Siedlungsräume bereichern. Ich bekenne mich dazu!
Brunhilde Bross-Burkhardt
Die Agrarwissenschaftlerin lebt in Langenburg/Baden-Württemberg. Sie hat sich der Botanik und dem biologischen Land- und Gartenbau verschrieben.
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Der Text ist ein Nachdruck aus: Die Philosophie des Gärtnerns (Hrsg. Blanka Stolz, Mairisch Verlag, 18.90 €)