In der aktuellen EMMA

Ein Not-Taxi für Frauen

Artikel teilen

"Ich wollte doch einfach nur sicher nach Hause kommen“, sagt Anne W. aus Köln. Nach einer Party im „Bootshaus“, einem Nachtclub im Stadtteil Mülheim, hat sie ein Taxi gerufen. Anne ist bewusst hinten eingestiegen, „weil das sicherer ist“. Nach ein paar Kilometern fuhr der Taxi-Fahrer an den Straßenrand, stieg aus dem Auto und setzte sich zu ihr auf die Rückbank. Dann packte er sie an den Haaren und griff ihr zwischen die Beine. Anne konnte sich in letzter Sekunde befreien, die Tür öffnen und weglaufen.

Der besten Freundin von Oliver Beckmann ist Ähnliches passiert. Auch sie wähnte sich in einem Taxi in Sicherheit. Aber nein, der Taxi­fahrer hat sie massiv sexuell belästigt. Zuhause hat sie dann die Polizei gerufen. Oliver hat sie am nächsten Tag davon erzählt. „Ich war wütend. Wäre ich mit im Taxi gewesen, hätte der Typ sich warm anziehen können“, sagt der 23-Jährige, der in einem Entrümpelungsunternehmen arbeitet. Und seither fragt sich der Bremer: Wie sollen Frauen eigentlich nachts nach einer Party sicher nach Hause kommen? Zu Fuß oder auf dem Rad? Geht gar nicht. Straßenbahnen oder Busse? Das ist nicht nur in Bremen zur Nachtzeit eine Kata­strophe. Bleibt eigentlich nur noch das teure Taxi. Doch selbst darin können Frauen nicht sicher sein.

„Und da dachte ich mir, wir Männer, wir sind so oft die Täter, wir müssen jetzt auch mal die Guten sein.“ Also hat Oliver das selbst in die Hand genommen und in Bremen ein „Not-Taxi für Frauen“ ins Leben gerufen. Seit einem halben Jahr nun fährt er Freitag- und Samstagnacht Frauen, die sich in einer Notsituation befinden, nach Hause – ehrenamtlich. „Es sind Frauen, die sich gerade von ihrem Freund getrennt haben, die geschlagen wurden oder die in einen Streit geraten sind, die verfolgt wurden oder einfach im ­Trubel der Nacht irgendwo im Nirgendwo gestrandet sind“, sagt Oliver. Nicht eine habe ­bislang das Angebot ausgenutzt. Jede war in Not.

Den Kontakt des Not-Taxis finden die Frauen auf Instagram unter „nottaxifuerfrauen“. „Sie schreiben oder rufen mich an und ich nenne ihnen ein Codewort. Das sage ich dann, wenn ich komme, damit sie sicher sein können, dass ich es bin.“ Oliver nimmt ausschließlich Frauen mit.

Mittlerweile ist das Bremer Not-Taxi-Team auf sieben FahrerInnen angewachsen. Neben Oliver noch zwei Männer, von Beruf Polizisten, und vier Frauen fahren zwischen 22 Uhr und 4 Uhr morgens durch Bremen, um ihre Stadt für Frauen am Wochenende ein wenig sicherer zu machen. Sie wechseln sich ab, pro Abend fahren sie zirka vier Frauen.

Oliver will jetzt einen Verein gründen und hofft darauf, über Instagram und Spenden ein wenig Unterstützung zu bekommen, um den Sprit zu finanzieren. Denn sein Angebot soll kostenfrei bleiben. „Ich will damit kein Geld verdienen“, sagt er.

Seine Verlobte unterstützt ihn, ebenso seine Mutter, eine Grundschullehrerin, die ihn allein großgezogen hat. „Meine Mutter hat mir früh beigebracht, respektvoll gegenüber Frauen zu sein.“ Oliver ist Vater einer zweijährigen Tochter, Ende Dezember kam ein Sohn zur Welt. Er sagt: „So als Vater einer Tochter frage ich mich, was in unserem Land eigentlich los ist, dass Frauen nicht in Sicherheit leben können. Und es macht mich wütend, dass ein so reiches Land wie Deutschland die Gewalt gegen Frauen einfach so hinnimmt.“ 

In der Tat steigen die Zahlen sexueller Übergriffe auf Frauen im Nahverkehr von Jahr zu Jahr. Eine Studie des Bundeskriminalamtes (BKA) liefert bedrückende Zahlen: Zwei von drei Frauen (67 Prozent) haben nachts in öffentlichen Verkehrsmitteln Angst (Männer: 40 Prozent). Jede zweite Frau (52 Prozent) meidet deshalb nachts den öffentlichen Personennahverkehr (Männer: 27 Prozent). Fast jede zweite Frau (41 Prozent) verlässt nachts gar nicht erst das Haus.

Die BKA-Befragung hat noch eine weitere erschütternde Zahl ermittelt, die schon lange bekannt ist, sich aber nicht ändert. Nur jede zehnte Frau zeigt eine „schwere Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ an. Sexuelle Beläs­tigung zeigt sogar nur jedes 50. Opfer an. Wir müssen also die Zahl der fast 10.000 jährlich angezeigten Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen mit zehn multiplizieren. Das macht 100.000 Opfer eines schweren sexuellen Übergriffs im Jahr. Aber nur eine von hundert Taten wird letztendlich auch verurteilt. 1 von 100!

In den USA rollte jüngst eine Klagewelle von 550 Frauen gegen den Taxi-Dienst „Uber“. Mehrere der privat organisierten Fahrer haben Frauen belästigt oder vergewaltigt. Auch in Berlin kam es zu Übergriffen bei Uber und dem Fahrdienst Bolt. Das größte Problem sind allerdings die U-Bahnen. Pro Tag passieren zwölf angezeigte Gewalttaten in U-Bahnen, Bussen und auf Bahnhöfen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Hälfte davon sind Sexualdelikte.

Die Berliner Grünen haben deshalb jüngst spezielle „Frauenabteile“ in den U-Bahnen Berlins gefordert – wie in islamischen Ländern längst üblich. Geschlechtertrennung als letzte Chance?

In Metropolen wie New York, London oder Berlin sind junge Frauen dazu übergegangen, sogenannte „Subway-Shirts“, weite unansehnliche Shirts, zu tragen, um nur ja keine Blicke auf den Busen oder nackte Schultern anzuziehen.

„Es darf nicht sein, dass Frauen immer mehr auf ihre Freiheiten verzichten müssen, nur um nicht belästigt zu werden“, sagt Oliver Beckmann und findet: „Dagegen können jetzt auch Männer mal ihren Teil dazu beitragen!“ 

Instagram: @nottaxifuerfrauen

Ausgabe bestellen

Anzeige

 
Zur Startseite