Schwedischer Mann & deutsche Frau
Freitag, der 13. - auf zu den Nordischen Botschaften in Berlin, wo unter dem Titel "Männer kaufen Sex - ist das ein Problem?" ein Gespräch mit dem schwedischen Filmemacher Svante Tidholm und der deutschen Zeit-Journalistin Mariam Lau über die "unterschiedliche Sicht auf Prostitution in Deutschland und Schweden" stattfinden sollte. Als Aktivistinnen von "Abolition 2014" und Teil der Anti-Prostitutions-Bewegung in Deutschland gingen wir mit ambivalenten Gefühlen zur zweiten Veranstaltung zum Thema Prostitution in die Nordischen Botschaften (nachdem EMMA und die Botschaft schon im März zur Diskussion geladen hatten). Ambivalent, da uns bewusst war, dass dieses Mal auch die Seite Raum bekommen würde, die Position für das Trugbild der "Freiwilligkeit" bezieht.
Mit Spannung hatten wir auch Tidholms Dokumentarfilm "Like a Pascha" erwartet, der vorab in der Botschaft gezeigt wurde. Darin reflektiert der Regisseur auch immer wieder seine eigene Rolle als feministischer Mann im Prozess der Filmentstehung. Und er zeigt die Realität hinter der grell leuchtenden Fassade des elfstöckigen Großbordells "Pascha" in Köln. Das Gebäude erinnert an ein Gefängnis, ebenso der Alltag der Frauen, die sich im Pascha verdingen müssen.
Eine der Prostituierten, Sonia, erzählte im Film von ihrem Traum, Kinder, eine Familie zu haben, "dann bin ich glücklich", sagt sie. Aber wann soll das sein, wenn immer mehr Sexkäufer ins „Pascha“ kommen? Wenn, wie nach der Filmvorführung, Menschen in Positionen gesellschaftlicher Verantwortung die Frage stellen: "Was ist an diesem Film denn jetzt so schlimm?"
Was ist daran so schlimm?
Der Schwede erklärte, er habe für sein Filmdebüt das "Pascha" ausgewählt, weil er im "most horrifying place", also am schlimmsten Ort überhaupt, drehen wollte. Interessanterweise teilte das deutsche Publikum in Berlin seine Einschätzung nicht: Das, was man im Film zu sehen bekam, wurde als "völlig harmlos" wahrgenommen. Ein deutscher Mann aus dem Publikum meldete sich zu Wort. Er habe im Dokumentarfilm "schöne, romantische Sexszenen" gesehen. Kommentare wie dieser machten uns deutlich, wie sehr sich die Propaganda der milliardenschweren Prostitutions-Lobby in so manchen Köpfen verankert hat. Und wie unterschiedlich die Haltungen in Deutschland und in Schweden zum System Prostitution sind.
Regisseur Tidholm argumentierte in der anschließenden Diskussion, dass die gelebte männliche Sexualität nicht einer sexuellen Potenz, sondern der männlichen Sozialisierung entspricht: "Die Männerrolle überhaupt orientiert sich am Bild des aggressiven Killers, das in diversen Filmproduktionen und anderen Medien propagiert wird."
Die Zeit-Redakteurin Miriam Lau hingegen, die jüngst ein euphorisches Editorial pro freiwillige Prostitution geschrieben hatte, scheint in einer anderen Welt zu leben. Denn wie sonst wäre ihre völlige Verblüffung zu erklären angesichts der Möglichkeit, dass die Medien Einfluss auf die Menschen nehmen? Da stellt sich die Frage, wie es um das Bewusstsein für die eigene Verantwortung als Journalistin bestellt ist.
Medien nehmen Einfluss auf Menschen?
Während Tidholm an die Verantwortung der Männer appellierte, schloss Lau eine Einmischung des Staates bei der Prostitution rigoros aus. Sie argumentierte, der Staat dürfe sich nicht in "Moralangelegenheiten" einmischen und begründet dies vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus. Dabei übersah sie allerdings die Tatsache, dass der deutsche Staat mit dem Prostitutionsgesetz die Moral der Deutschen und den Wertekonsens in unserer Gesellschaft entschieden beeinflusst hat.
In der Diskussion zeigte sich leider immer wieder das Missverständnis, beim schwedischen Modell gehe es "nur um Verbote". Dass in Schweden flächendeckend in Projekte investiert wird, in denen man Menschen in der Prostitution, wenn sie es wünschen, Ausbildungsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Schuldenberatung, Begleitung zu Behörden usw. anbietet - Angebote, die hierzulande fast gänzlich fehlen - schien den wenigsten bekannt. Eher war die Haltung zu finden, dass Frauen, die sich "frei entschieden" haben, auch "selbst schuld" sind an ihrem Schicksal.
Frau Lau ermahnte: "Wir müssen den Frauen zuhören!" Ja, das müssen wir. Es ist jedoch bezeichnend, dass man in diesem Land einseitig den Frauen zuhört, die sich noch in der Prostitution befinden und selbstverständlich den Glauben aufrecht erhalten müssen, dass alles ihre Entscheidung sei. Oder denen, die daran verdienen, dass sich andere Frauen prostituieren. Ob Frau Lau auch denen zuhört, die den Begriff Überlebende(!) für sich beanspruchen? Oder denen, die kaum Deutsch sprechen und gar nicht erst die Gelegenheit haben, sich auf Blogs, in Interviews, bei Veranstaltungen wie dieser in Berlin Gehör zu verschaffen? Ob sie die Bücher und Artikel von Mandy Kopp, Rachel Moran, Jana Koch-Krawczak, Rebecca Mott gelesen hat? Sich die "survivor stories" auf der Seite von Equality Now zu Gemüte geführt hat? Auch wenn diese Frauen nicht in das Bild von der "Meisterin ihres eigenen Schicksals" passen (das, wie wir die Erfahrung gemacht haben, auffallend oft gerade bei erfolgreichen Frauen anzutreffen ist)?
Auch den Überlebenden zuhören
Der Schwede ließ sich jedenfalls nicht aus der Fassung bringen und benannte Prostitution als Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, als sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Menschen, die keine andere Wahl haben.
Uns, als Aktivistinnen, die gegen Prostitution kämpfen, geht es nicht darum, Frauen, die sich prostituieren, "an den Fersen aus den Bordellen zu schleifen", wie es Frau Lau zynisch behauptet hat. Es geht darum, dass wir Prostituierten das Gefühl geben wollen, dass sie sich an jemanden wenden können. Und dass wir ihnen andere Möglichkeiten bieten als die Perspektivlosigkeit, die sie in ihrer Situation verharren lässt. Wollen wir Mädchen und Frauen in der Prostitution wirklich vermitteln, dass "nichts dabei" ist und es für sie keinen anderen Platz in unserer Gesellschaft gibt, als die Straße, die Modelwohnung oder das Bordell?
Trotzdem hat die Veranstaltung Sinn für uns gemacht. Wir haben Kontakte geknüpft und sind der Schwedischen Botschaft dankbar, dieser so wichtigen Debatte auch mitten in Berlin Raum zu geben. Die Veränderungen sind spürbar. Der EMMA-Appell und viele weitere Initiativen haben das Schweigen gebrochen. Wir können nur hoffen, dass auch Deutschland bald den Schwedischen Weg gehen wird: für Prostituierte und gegen Prostitution.
Janina und Maria - Abolition 2014 - für eine Welt ohne Prostitution