Alice Schwarzer schreibt

Koalitions-Vertrag: Das planen sie

Was haben sie vor? Und was bedeuten die Pläne der Koalition für die Frauen? - Foto: Jörg Carstensen/picture alliance
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Der Schutz von Frauen und Kindern vor Männergewalt nimmt im Koalitionsvertrag einen breiten und sehr konkreten Raum ein. Vor allem: Erstmals wird das Recht auf Schutz vor Gewalt formuliert! Das ist eine kleine Revolution! Als wir Feministinnen in den 1970er Jahren erstmals laut sagten: Es gibt sie, die Männergewalt, und sie ist keine Ausnahme, sondern strukturell und epidemisch – da wurden wir laut verlacht. Bedrohte Frauen, die damals hilfesuchend in die Frauenzentren kamen, mussten von schlagkräftigen Feministinnen-Trupps nach Hause begleitet werden, um wenigstens ihre Zahnbürste aus ihren Wohnungen holen zu können. Sodann zogen sie, meist mit Kindern, in Frauen-WGs, bis eine Lösung gefunden war. Das hat sich geändert. Und wie! Heute versteht ein aufgeklärter Staat es als seine Aufgabe, Frauen und Kinder zu schützen.

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Gewalt ist immer der dunkle Kern von Herrschaftsverhältnissen, auch dem zwischen den Geschlechtern. Ohne Androhung und Ausübung von Gewalt funktioniert Unterdrückung nicht (siehe auch Iran). Auch darum ist es so existenziell, dass dieser Bereich ausgeleuchtet, benannt und bekämpft wird. Selbstverständlich muss das von einer entsprechenden Familien- und Sozialpolitik flankiert werden. Da gibt es noch Handlungsbedarf.

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Es ist allerdings ein Skandal, dass selbst eine rot-gelb-grüne Regierung den § 218 auch 50 Jahre nach Beginn des Kampfes gegen das Abtreibungsverbot nicht streichen will. Die FDP scheint seit langem vergessen zu haben, dass sie als Liberale einst führend eintrat für das Recht auf Abtreibung. SPD und Grüne verzetteln sich zwischen Moralisieren über den „Schutz des ungeborenen Lebens“ und Duckmäusertum vor dem Vatikan. Jetzt treiben sie die Scheinheiligkeit so weit, dass sie die im § 218 verankerte gesetzliche Beratungspflicht nicht etwa ganz abschaffen. Ihr Verständnis von Fortschritt ist, dass frau sich zukünftig auch „online“ beraten lassen kann. Alles, nur eines nicht: Endlich das klare Recht für Frauen, selber zu bestimmen, ob sie Mutter werden oder nicht!

Und dann ist da noch etwas, was besonders beunruhigend ist. Scheinbar fortschrittliche Positionen verwandeln sich in neue Gefahren. Zum Beispiel die geplante Reform des Transsexuellen-Gesetzes. Sie würde – sollte sie in der Form nicht verhindert werden können – allen voran tausende junger Mädchen in neue Geschlechtsrollen-Zwänge treiben, statt ihnen endlich die Chance auf ein freies Leben zu geben (Ich werde zusammen mit meiner Kollegin Chantal Louis zu der Problematik Anfang April ein fakten- und argumentereiches Buch herausgeben).

Und die Prostitution? Kein Thema. Das Wort kommt auf 177 Seiten nicht einmal vor.

Oder die weltweit steigende Gefahr der Politisierung aller monotheistischen Religionen, allen voran der Islam, dicht gefolgt vom Christentum mit seinen Evangelikalen und anderen Fundamentalisten. Zu dieser größten Gefahr im 21. Jahrhundert steht im Koalitionsprogramm tatsächlich nicht ein Wort.

ALICE SCHWARZER

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