EMMA auf der Gamescom
Ein Mal im Jahr findet in Köln die größte Computerspiele-Messe der Welt statt: Die Gamescom. Rund 350.000 BesucherInnen sind diesmal angereist, so viele wie noch nie zuvor. Wie in einem Adventure-Videospiel möchte ich mich mit folgender Frage dorthin aufmachen: Was hat die Gamescom für Mädchen und Frauen zu bieten? Ich suche: Gamerinnen und Entwicklerinnen, Awareness und Equality. Das bringt jeweils fünf Punkte. Sexismus bringt Minuspunkte. So sind die Regeln. Das Ziel: 100 Punkte.
Und ganz wie in einem richtigen Adventure habe ich keinen Schimmer, was mich auf dem 400.000 Quadratmeter großen Messegelände erwartet. Ich habe nur acht Stunden Zeit. Zum Rätseln und Kombinieren. Für Dialoge mit Menschen, die meinen Weg kreuzen und die mich auf die richtige Fährte bringen. Und ich darf mich nicht verlaufen, das ist auch wichtig.
Yvonne mochte den World-of-Warcraft-Tanzwettbewerb
Selbstverständlich mache ich mich nicht ohne Hilfsmittel auf den Weg. Ich trage einen Block mit einer geheimnisvollen Notiz: „Indie Arena Booth“. (Tipp von einem Freund, was ich mir unbedingt anschauen soll); eine magische Box, die alle Fragen beantwortet (mein internetfähiges Smartphone); und eine mächtige Waffe unterm Arm namens EMMA, bei deren Anblick Männer sofort zu Staub zerfallen (na ja, ihr wisst schon!). Nun also los!
12 Uhr. Das Tor zu meinem Abenteuer zu finden, ist einfach: Ich folge den CosplayerInnen. Das sind Leute, die sich wie Fantasy-Figuren aus Filmen, Comics oder eben Videospielen verkleiden. Und dann bin ich auch schon mitten drin im Spektakel. Erster Eindruck: Hier rennen deutlich mehr Gamerinnen rum, als ich erwartet hatte. SCHARRRRING. Mein Punkte-Stand steigt prompt auf fünf. Erst mal orientieren!
Direkt nach Eintritt ins Abenteuer treffe ich Jan und Alex, beide Mitte 30. Sie tragen Camouflage-Anzüge, sind maskiert und haben jeder eine große Wumme in der Hand. Das müssen diese gefährlichen Computer-Nerds sein, vor denen immer alle warnen. Ob sie mir trotzdem helfen können? Alex und Jan stellen sich als „Live-Action-Rollenspieler“ vor, kurz LARP. Alex organisiert sogar selbst so ein Endzeit-Rollenspiel. Ich deute auf die Wumme. Ganz schön groß. Nein, nein, klärt Alex auf, alles nur Deko! Ballern sei bei LARPS nicht angesagt, es handele sich schließlich um ein „soziales Spiel“, bei dem die „Interaktion“ im Mittelpunkt stehe. „Ich bin eher der Typ, der gerne redet!“. Aha. Aber so komme ich nicht weiter.
Überall balgen sich Jugendliche um Werbe-
geschenke
Ein paar Schritte weiter treffe ich auf den Pyramiden-Mann und das Pokemon-Mädchen. Der Pyramiden-Mann hat, das legt der Name nahe, eine riesige Pyramide auf dem Kopf und trägt eine etwas zu groß geratene Papp-Axt. Das Pokemon-Mädchen trägt ein Pokemon-Stofftier. Die beiden heißen Mark und Yvonne. Yvonne hat auf der Gamescom der World-Of-Warcraft-Tanzwettbewerb am Vortag besonders gut gefallen. Da imitieren Gamer und Gamerinnen die Tanzkünste der Charaktere aus dem Multiplayer-Online-Game vor einer Jury auf der Bühne. SCHRRRING. Macht 10 Punkte. Tanzende Nerds? Großartig!
Jetzt steht Sailor Moon vor mir, zumindest denke ich das. Aber Miriam, 16 Jahre alt und im rosa Tütü, klärt mich auf: „Ich bin Pico, ein sehr beliebter Charakter aus einem japanischen Animé“. Pico ist ein 12-jähriger Junge der gerne rosa Kleider trägt. Ein gender-sensibles Thema! SCHARRRRRRRING! Macht 15 Punkte! Miriam weiter: „Und dann fängt er eine Affäre mit einem deutlich älteren Mann an …“ Wie bitte?! Dödödödööööö. Fünf Minuspunkte. Schnell weiter!
Jetzt bin ich in Messehalle 10.1 gelandet, der „Entertainment Area". Es poltert, es piept, es plärrt, es knattert. Licht kommt hier nur von Bildschirmen oder den bunt beleuchteten Messeständen - mal blutrot, mal tief blau. Plötzlich: Geschrei. Was ist da los? Vor der kleinen Schau-Bühne eines Hardware-Herstellers stehen etwa 50 Jugendliche und balgen sich um Kappen, die ein Mann, assistiert von einer junge Frau in Hotpants, in die Menge wirft. „Wo sind die Jungs?!?!“ brüllt der Einpeitscher ins Mikrofon. „Gröhl“, antworten die Jungs. „Wo sind die Mädchen?!“ Bescheidenes Raunen. Dann hält der Einpeitscher eine Festplatte in die Höhe. „Sorry, Mädels, das ist jetzt nur was für die Jungs.“ Seriously?! Mädchen brauchen keine Festplatten?! Dö-dö-dö-dööööö! Mein Punktestand sinkt zurück auf fünf. Nerv!
Egal wo ich hinschaue: Überall Jugendliche, die sich um Werbegeschenke balgen. Wie auf einem Jahrmarkt schallt das Gebrüll der Einpeitscher durch die Halle. Für die Kunden von morgen.
An einer Bühne begegnet mir Elisabeth. Sie arbeitet für die Software-Firma, der hier für ihr Audio-Programm wirbt. „Sag mal, warum stehen eigentlich immer Mädels in Hotpants auf der Bühne, wie bei euch?“, frage ich. „Verstehe ich auch nicht!“, schimpft Elisabeth. „Es ist auch nicht so, als hätten wir vorher nicht darüber diskutiert! Ich war ja gegen Mädchen auf der Bühne, aber ich wurde überstimmt.“ SCHRING. Fünf Punkte plus, macht zehn Punkte. Immerhin.
Jetzt stehe ich vor der „Indie Arena Booth"! Hah! Die geheimnisvolle Notiz auf meinem Block. Das also steckt dahinter! Hier stellen 45 kleinere Studios aus 15 Ländern ihre Produkte vor. Die Indie-Szene ist der Innovations-Motor der Branche. Hier wird deutlich mehr experimentiert, als bei den Blockbustern-Spielen von Sony, Nintendo oder Microsoft.
Warum immer nur Helden? Auch Frauen spielen!
Mir gefällt ein Plakat, auf dem sowohl eine Frauen- als auch eine Männersilhouette abgebildet ist: „Metrico“. Ein sogenanntes Puzzle-Platform-Game, das Säulendiagrammen Leben einhaucht. Permament fahren Elemente hoch und runter. Die Spielenden müssen das vorhersehen, um sich über diese Säulen fortzubewegen. Sie können zudem entscheiden, ob sie einen Mann oder eine Frau spielen möchten. (Das ist auch im Jahr 2015 bei so einigen Games noch nicht möglich). „Wieso habt ihr das so gemacht?“, frage ich die Macher aus Holland. Antwort: „Warum sollte es nur einen männlichen Charakter geben, wenn auch Frauen das Spiel spielen?“ SCHRING. 15 Punkte. Yeah!
Ich mache mich auf die Suche nach jemandem, der den Überblick hat über den Indie-Stand. Ich frage einen Typen, der einen anderen Typen fragt, der mich zu einer rothaarigen Frau bringt. Sie heißt Linda und zählt zum Orga-Team des gesamten Independent-Bereichs. SCHRING. 20 Punkte! Linda ist eigentlich Projekt-Managerin bei dem Spiele-Hersteller Ubisoft und dort u.a. für „Siedler Online“ mitverantwortlich. Ihr Großvater war verrückt nach Computerspielen und hat die Enkelin angesteckt. Ob sie mir denn eine Spiele-Entwicklerin vorstellen könne? . „Klar!“, sagt Linda.
Sie führt mich zu Julia, die extra aus New York angereist ist um auf der Gamescom ihr Spiel „Mushroom 11“ vorzustellen. Darin steuert man einen grünen Fungus durch eine apokalyptische Welt.
Julia ist 32 Jahre alt und kommt eigentlich aus dem Mittleren Westen. In New York leitet sie zusammen mit ihrem Mann und einem weiteren befreundete Ehepaar die Spiele-Schmiede „Untame“. Sie ist Designerin und Programmiererin. „Die Independent-Szene unterstützt Frauen stark, die in den Bereich rein wollen“, berichtet sie. SCHRING. 25 Punkte. Bloß gestern, da war Julia noch auf einer Party mit anderen Game-Entwicklern. Sie war die einzige Frau. Mal wieder. Dödödödöööööö. Minus 5 Punkte.
Es ist jetzt 15 Uhr. Punktestand: 20. Verbleibende Zeit: Fünf Stunden. Ich muss mich ranhalten und wechsele in Halle 9. Zugegeben: Ich war ja schon von der „Entertainment Area“ beeindruckt. Allerdings kannte ich da die pompöse Selbstinszenierungen der Branchen-Giganten noch nicht. Willkommen in der „Battle-Arena“ von „Final Fantasy XIV“, einem Multiplayer-Kampf-Spiel aus Japan. Wie das Dutzend Spieler am Rechner fightet, wird auf einer riesigen Leinwand für ein Publikum live übertragen. Und außerdem von zwei Moderatoren kommentiert wie ein Fußballspiel. Eine Gamerin im Publikum erklärt mir, dass das hier noch klein sei im Vergleich zu den richtigen eSport-Events in Japan, wo zehntausende ZuschauerInnen in Stadien zehn Gamer anfeuern. SCHRING. 5 Punkte.
Zehntausende ZuschauerInnen feuern zehn Gamer an
Gegenüber steht Friederike in der Warteschlange vor dem großen Pavillon, in dem das sogenannte Open-World-Game „Fallout 4“ präsentiert wird. Das scheint in diesem Jahr auf der Gamescom besonders wichtig zu sein - ganz Köln ist plakatiert mit der Werbung dafür. Es spielt in einem postapokalyptischen Amerika im Jahr 2077, kurz nach dem Atomkrieg. SpielerInnen können ihren Charakter hier an eigene Wünsche anpassen – und sie können auch eine Frau spielen. Friederike ist 21 Jahre alt und wartet nun schon eine Weile. Sie studiert Mediendesign und möchte danach selbst Games entwickeln. Die Gamescom besucht sie zum vierten Mal. Früher seien ja nur sehr wenige Frauen auf der Messe gewesen, berichtet Friederike. Dieses Jahr sind es zwar schon ziemlich viele - aber es könnte ruhig noch mehr werden, findet sie. SCHRING. 30 Punkte! Es läuft! Cool!
Ich gehe weiter und passiere das große Nintendo-Areal. Super Mario wird im September 30 Jahre alt. So müssen sich meine Kolleginnen in der Redaktion fühlen, wenn sie von damals berichten, als es noch das Klebelayout gab …
Halle 6. Allmählich bin ich überfordert von den riesigen Plakaten mit muskelbepackten Kampfhelden und miesepetrig dreinblickenden Kreaturen. Irgendwo rattert immer ein Maschinengewehr. Vor den blickdichten Pavillons der Spiele-Giganten hocken die Umdiezwanzigjährigen im Schneidersitz auf dem Boden. Mädchen wie Jungs. Sie warten Stunden, um im Inneren der Pavillons einen kurzen Blick auf die neuen Fassungen der bekanntesten Spiele zu erhasche. Die Branche hat im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Umsatz gemacht, mehr als die Filmindustrie oder die Bundesliga. Selbst ich kenne ja so einige der großen Titel vom Namen her: Assasin‘s Creed oder Call of Duty. Und das, obwohl ich die noch nie gespielt habe.
Irgendwo rattert immer ein Maschinen-
gewehr
Auf einer großen Bühne ganz hinten durch sitzen drei Männer Anfang 30 und diskutieren über „Star Wars: Battlefront“. Neben der Bühne läuft auf einer großen Leinwand der Trailer zu dem Spiel, sieht aus wie ein Hollywood-Film. Als ich näher komme, sind die drei Jungs gerade bei ihren Lieblingscharakteren aus den Kult-Filmen angekommen. Prinzessin Leia steht bei dem einen auf Platz Zwei. Und zwar „im Sklavinnen-Outfit“. Auf Platz Eins steht bei dem anderen der schlabbrige Bösewicht Jabba. Denn der "is'n nicer Typ und hat ne Frau an der Kette, Alter!" - meint: Prinzessin Leia im Sklavinnen-Outfit. Das Publikum johlt. Dödödödöööö. Wieder runter auf 25 Punkte.
Ich eile zum Fifa-Stand. Hier kann ich Punkte holen. In der neuen Version des beliebten Fußball-Spiels gibt es jetzt auch Frauen-Nationalmannschaften. Warum eigentlich erst jetzt, 24 Jahre nach der ersten Frauen-WM? Egal! SCHRING! 30 Punkte.
Zufällig treffe ich Tobi. In einem Computerspiel wäre er wahrscheinlich ein gütiger Magier, der aus dem Nichts auftaucht, um mir zu helfen. Im echten Leben ist er ein wahrer Kenner der Gaming-Szene – wir kennen uns seit 15 Jahren. Tobi hat einen Tipp: Kate Edwards aus Seattle, mit der müsse ich unbedingt sprechen. Bloß: Edwards hat die Messe schon verlassen? Wird sie zurückkommen?
Während ich warte, lerne ich Mareike kennen. Mareike hat das viel beachtete (und wirklich bezaubernde) Point-and-Click-Adventure „The Inner World“ mitentwickelt. Im Mittelpunkt der Handlung steht das rotzige Mädchen Laura (SCHRING!). Mareike ist auch Professorin für Gamedesign an der HAW Hamburg. Am Mittwoch hat sie auf dem „Women in Tech Day“ (SCHRING!) anlässlich der Gamescom über Vielfalt in der Spieleindustrie gesprochen. Das macht für mich: zehn Punkte plus.
Die Brüste müssen wirklich nicht so groß sein
Kate Edwards ist da! Sie ist die Chefin der „International Game Developers Association“. Sozusagen die Interessensvertretung der Spiele-EntwicklerInnen. Außerdem berät sie Firmen in Sachen „Darstellung von kulturellen Aspekten in Games“. Also auch: Wie Frauen so dargestellt werden. „Ich weise die Entwickler zum Beispiel auf Klischees hin. Etwa: Die Brüste müssen wirklich nicht so groß sein!“, sagt Kate. Sie war auch ein Opfer der Gamergate-Attacken im vergangenen Jahr. Denn sie ist glühende Fürsprecherin für mehr Frauen in der Spiele-Industrie. Ich finde, Kate gibt 20 Sonderpunkte! SCHARRRRRRRIIIIIIIING.
19.45 Uhr. Die Gamescom schließt. Auch ich verlasse erschöpft die Hallen. 60 von 100 Punkten. Gar kein so schlechter Schnitt für eine Anfängerin.
Alexandra Eul
PS Der Christian, einer von den Dreien aus dem Star-Wars-Absatz, regt sich übrigens seit gestern Abend ziemlich auf. Worüber? Über diesen kleinen Text. Shitstorm gegen EMMA, da hat er „Bock drauf“! Shitstorm? Geil! Hatten wir lange nicht mehr! Ach ja, es gibt jetzt auch das Video zur Veranstaltung. Habt ihr ja alles noch viel krasser gesagt, Alter! Darum haben wir jetzt aktualisiert (am 11.8.).