Alice Schwarzer schreibt

Eine lyrische Vergewaltigung?

Till Lindemann von "Rammstein". - Foto: Christian Thiel/imago images
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Die Debatte über die Frage „Kunst oder Propaganda?“ ist alt und wird nicht nur, wenn aus gutem Grund auch verschärft, von Feministinnen geführt. Dabei ist die Unterscheidung gar nicht so schwer: Handelt es sich um die auch für den Autor schmerzliche Darstellung dunkler Abgründe auf literarischem Niveau (wie es Nabokovs „Lolita“ noch zugestanden werden könnte) – oder um das platte Propagieren von Gewaltfantasien und Frauenhass? Um Lyrik jedenfalls handelt es sich bei den eher hilflosen Reimen des Rammstein-Leaders Till Lindemann nicht.

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Und Übrigens: Was im Fall von Hass auf Fremde oder Juden gilt, das dürfte auch beim Hass auf Frauen gelten:  Worten folgen Taten (Bundespräsident Steinmeier).

Gewalt-Fantasien werden als "Kunst" verkauft. Aber: Es geht nicht mehr durch.

Neu ist das alles nicht. Seit über 20 Jahren brüllt Rammstein diese Art von Hetze in überfüllte Säle und Stadien, in denen Zehntausende grölen. Die „Neue Deutsche Härte“ ist schließlich das Markenzeichen dieser Band. Deutsch. Härte. Kennt man ja. Jetzt also mit tollen Showeffekten. Eigentlich auch nicht wirklich neu.

Neu ist, dass diese brachiale Popkultur, die die Fantasien der jungen Männer vergiftet, als „literarisch“ ausgegeben wird. Und neu ist, dass es nicht mehr durchgeht. Nach MeToo. Die (potenziellen) Opfer wehren sich.

Helge Malchow, Editor-at-Large von Kiepenheuer & Witsch, hatte zunächst versucht, die Proteste abzuwiegeln mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen dem „sogenannten lyrischen Ich“ und der Person Till Lindemann, sowie auf die „Freiheit der Kunst“. Kam nicht gut. Seine Nachfolgerin, Verlegerin Kerstin Gleba, ruderte wenige Tage später zurück, sprach von „toxischer Männlichkeit“ und versprach den empörten Jungautorinnen, die zum Boykott aufriefen, die „Argumente der Kritiker*innen sehr ernst“ nehmen zu wollen.

Gerade der Verlag Kiepenheuer & Witsch (der auch mein Verlag ist) hätte es auch kurz und knapp mit den Worten einer weiteren Autorin seines Hauses sagen können: Virginie Despentes („Vernon Subutex“). Die sagt in ihrer Wutrede anlässlich der – trotz aller Frauenproteste – Verleihung des Filmpreises César in Paris an Roman Polanski (der seit Jahrzehnten immer noch und immer wieder neu der Vergewaltigung Minderjähriger bezichtigt wird) ganz einfach: „Ihr könnt uns mal!“ (Der ganze Text in EMMA 3/2020)

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer schreibt

Schwarzer über Helmut Newton

Newton-Werke: "Die großen Akte I" (1980), "Grace Jones" (1978) und "Women working in the cellars of Ca' del Bosco" (1989)
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Ihr sollt euch kein Bild von mir machen. - Der alttestamentarische Gott erließ nicht zufällig dieses Gebot. Er wusste, dass, wer sich ein Bild vom anderen macht, sein Bild dem/der anderen überstülpt. In der Geschichte der Menschheit haben Bilder zweifellos das Bild vom Menschen stärker geprägt als Worte. Und wir leben in einer Zeit, in der die Macht des Bildes erneut zunimmt.

Gerade Frauen können ein Lied davon singen. Gerade sie sind tausendfach fixiert in Werbung, Medien, Film und Kunst: als Hure oder Heilige, als Körper ohne Kopf, als Objekt, das benutzt oder zerstört werden kann - ganz nach Lust und Laune des Betrachters. Es gehört zum Backlash, dass das "starke Geschlecht" die Definitionsmacht über das "schwache Geschlecht" nutzt, bis zum Anschlag.

Im Namen der so genannten "Freiheit der Kunst" ist mit Frauen alles möglich

Diese Bildermacht ist so allgegenwärtig, dass viele sie noch nicht einmal mehr als solche wahrnehmen. Eine Reaktion darauf ist die andauernde Empörung über das Frauenbild der Werbung. Ach, wenn es nur das wäre ... Längst hat die Bilder-Propaganda vom Untermenschentum der Frauen ihren Triumphzug durch Medien und Kunst angetreten. Im Namen der sogenannten "Meinungsfreiheit" oder "Freiheit der Kunst" ist alles möglich - mit Frauen sogar das, was, würde es Ausländer oder Juden treffen, längst Gegenstand öffentlicher Empörung und staatlicher Verbote wäre.

Der Tat geht der Gedanke voraus. Bevor man es tut mit dem/der anderen, führt man ihn oder sie in der Phantasie vor: als solche, mit denen man es machen kann und denen es nur recht geschieht. Das war in der jüngeren deutschen Vergangenheit nicht anders. Die viehischen Transporte jüdischer Menschen an die Stätten ihrer seriellen Vernichtung waren ja nicht nur Resultat eines seit Jahrhunderten verwurzelten Antisemitismus. Sie wurden auch gezielt vorbereitet von einer mit allen Mitteln der Kunst betriebenen Wort- und Bild-Propaganda gegen "den jüdischen Untermenschen": So sieht einer/eine aus, den/die ihr anspucken, vertreiben, töten dürft...

Der 1920 in Berlin geborene Großbürgersohn Helmut Newton hatte einen jüdischen Vater. Seine von ihm verehrte Fotolehrerin Yva wurde in Auschwitz ermordet. Er selbst flüchtete rechtzeitig nach Australien. Doch das Herrenmenschentum nahm er mit, in ihm lebt es weiter. Seine Phantasiewelt ist bevölkert von Tätern in Uniform oder Nadelstreifen und Opfern, deren besondere Anziehung meist darauf basiert, dass sie stark sind und erst noch gebrochen werden müssen: hochgewachsene blonde Gretchen, glänzende schwarze Sklavinnen und lüsterne Herrinnen, die ihren Herrn suchen.

Das Phänomen Newton wäre nicht denkbar ohne die Frauenbewegung

Das Phänomen Newton wäre nicht denkbar ohne die Frauenbewegung. Er liefert einer verunsicherten, irritierten Männerwelt den neu geschärften Blick auf die erstarkenden Frauen. Solchen, denen die Herren es schon zeigen werden, und die heimlich davon träumen, es gezeigt zu kriegen. Bis Mitte der 70er war Newton ein Fotograf wie viele. Dann wurde er plötzlich berühmt. Der Zeitpunkt - wenige Jahre nach dem Aufbruch der Frauen - ist kein Zufall.

Helmut Newton ist als Mann und Jude potentieller Täter und potentielles Opfer zugleich. Er hat sich entschieden. Er hat sich auf die Täterseite geschlagen. Zumindest in seinen Phantasien. Würden seine sadomasochistischen Phantasmen ihn nur in dunklen Träumen beschäftigen, so wäre das traurig und ein Fall für den Analytiker. Aber Newton veröffentlicht und verkauft seine Phantasmen. Und er macht Schule damit. Er prägt den Blick von Millionen. Aus dem Modefotografen ist ein politischer Fotograf geworden: Newton liefert Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg. Jahr für Jahr höher dosiert.

"Ich bin Feminist", sagt Newton - wohl wissend, dass die Vereinnahmung des Feminismus und die Verkehrung der Werte ein zentrales Element der modernen Pornographie ist. Eine schwache Frau unterwerfen - wie uninteressant. Eine starke Frau brechen - echt scharf. Seit Röhls "konkret" Anfang der 70er gehört die Mischung aus Objektfrau und Feminismus auch in Deutschland zur Hausmannskost des Pornographen (ihre dunkle Kehrseite ist die Pädophilie).

Ein zentrales Element der modernen Pornografie: Eine starke Frau brechen

Und das sind die Ingredienzien: "Newtons Ideen sind aufwendige Ideen: sie erfordern edelstes Rohmaterial", prahlt das Vorwort zu "White Women". Und für den Modeschöpfer Karl Lagerfeld sind die Newton-Models schlicht "Nordfleisch" (zu diesem Titel inspirierte ihn die Neonreklame eines Hamburger Kühlhauses). Er rühmt in seinem Vorwort zu "Big Nudes" Newtons "Liebe für blasses Fleisch" und hat recht damit: Nichts scheint Newton so anzumachen wie der erkaltete Frauenkörper, die weibliche Leiche. Aber zuvor darf sie getötet werden. Und zum Frauenfoltern und -schlachten liefert der Zeremonienmeister des Sadomasochismus den Stoff, aus dem die Träume, die Begierden - und die Taten sind.

Ich analysiere hier vor allem Newtons Produktion aus den 80er und 90er Jahren, vorher ging's harmloser zu. Da ist Newtons Frauenbild: Von der nackten Herrin mit Fetisch Stöckelschuh über die glänzende Sklavin in Ketten bis hin zum viehisch vorgeführten Objekt. Den bloß stöckelnden Frauen in dem so assoziationsreichen Kellergewölbe gibt der Fotograf den Titel "Arbeitende Frauen". Für ihn arbeitet sein "Rohmaterial" umsonst.

Newton, der nach eigenen Angaben 100.000 Dollar am Tag verdient, zufrieden: "Die Models könnte ich gar nicht bezahlen." Zum Lohn erhalten sie ein vom Meister signiertes Abbild ihrer Erniedrigung. - Übrigens: Die nackte Grace Jones in Ketten war es, die 1978 die legendäre Stern-Klage auslöste, in der Emma zusammen mit anderen Frauen den Stern wegen seinen "frauenerniedrigenden Titelbildern" verklagte.

Die nackte Grace Jones in Ketten löste 1978 die legendäre Stern-Klage aus

Es folgen Newtons Arrangements. Die Inszenierung "Frau und Hund", die 1981 mit Raquel Welch so scheinbar harmlos begann und heute eines der Lieblingssujets von Newton ist, bringt er 1984 auf den Punkt: Die Frau liegt mit gespreizten Beinen, roten Fußnägeln, Stöckelschuhen und Folterbändern aus Leder und Stahl an Arm- und Fußfesseln auf dem Rücken - sichtbar überwältigt von der Dogge über ihr, deren kraftvoll-aggressive Bewegung eindeutig ist. Titel: "Siegfried" (sic). - Übrigens: Die Vergewaltigung von Frauen durch dafür eigens abgerichtete Schäferhunde und Doggen ist in modernen Diktaturen eine klassische Foltermethode.

Ersparen möchte ich mir an dieser Stelle die "lesbischen" und pädophilen Phantasien von Newton (auch letztere widerspruchslos publiziert!). Ersparen würde ich mir am liebsten alles, denn keines seiner Bilder ist das Produkt eines Besessenen, der einen gemarterten Blick in die eigenen Abgründe wagt. Newtons Bilder beunruhigen nicht, sie bestätigen - die bestehenden Verhältnisse in einer Welt der Gewalt, der Folter, der Kriege. Newtons Bilder stellen keineswegs "produktive Fragen", sie geben glatte Antworten. Newtons Bilder sind kühl kalkulierte Hochglanzprodukte für einen expandierenden Sadomaso-Markt und regen zur forschen Nachahmung an, zumindest die Täter - und vielleicht auch so manches Opfer, das glaubt, nur als solches "begehrenswert" zu sein.

Die Bilderpaare in "Archives de nuit" wurden von Newton so arrangiert - mit Hilfe seiner Frau June, die unter dem Namen Alice Springs selbst fotografiert: Sie zeichnet verantwortlich für "Konzeption und Realisation" seiner jüngsten Publikation. Das Buch wird vom Verlag mit den anzüglichen Worten "erotisch abgründig und bedeutungsdunkel" angekündigt.

In der Tat, dunkel und bodenlos geht es da zu. Da paart Newton Herrn M. in betonierter Herrschaftsarchitektur mit Madame O. in der Wildnis. Er kombiniert die bloßgelegte, sezierte Frau mit dem sich verschließenden, gepanzerten Mann. Er stellt neben die ewig Nackte auf der Folterstreckbank den Jäger mit seiner (Frauen)Beute. Er wirft neben den erlegten Berglöwen im Müll die Aufgebahrte. Kommentarlos. Denn diese Bilder brauchen keine Worte.

Newton ist der Hohepriester der Pornographen, er ist ihr Schrittmacher

Das geht zu weit? I wo. Newton ist steigerungsfähig. Immer wieder spielt er auf "11.000 Kontaktbögen" an, die noch in seiner tiefsten Schublade liegen ... Er ist unstreitig führend in der Porno-Avantgarde. Wenn Pornographie die Verknüpfung von Lust mit Herrschaft und Gewalt ist, dann ist Newton der Hohepriester der Pornographen. Er ist ihr Schrittmacher. Denn wenige sind so begabt, so raffiniert, so kalt wie er. Und so zu allem bereit.

Eines seiner Bildpaare zeigt eine blondbezopfte KZ-Wärterin und eine dunkel geschorene KZ-Insassin, er macht beide gleichzeitig zum Opfer seiner Begierde. Und dann der - vorläufige - Höhepunkt der Newtonschen Pornographie: Die "Young Woman Suspended" auf Seite 48. Ihr gegenüber, Seite 49, der "Birchtree", ein Birkenwald. Die junge Frau hat, wie üblich, einen perfekt-modischen Körper, sie ist gefesselt und aufgehängt und trägt, wie üblich, Stöckelschuhe (das unentbehrliche Signal für weibliche Hilflosigkeit: Diese Frau kann nicht weglaufen, noch nicht einmal vor Newtons Phantasien). Die Frau hängt gekreuzigt inmitten einer seelen- und menschenlosen Welt aus Beton und Stahl. Sie blickt auf den Wald. Auf den Wald von Birkenau bei Auschwitz. Auf den Wald, der - spätestens seit Landmanns "Shoah" - seine Unschuld verloren hat. Oder blickt sie auf den Wald bei Los Angeles oder Wien oder Hamburg, wo der Körper aller young and old women verscharrt wird? Danach.

Auf die Frage, was er vom "Rechtsradikalismus in Deutschland" halte, antwortete Helmut Newton jüngst: "Schrecklich!" Und auf die Frage, was er gerne ändern würde, wenn er könnte: "Die Grausamkeit von Menschen an Menschen." Der Mann verdient es, beim Wort genommen zu werden.

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