Alice Schwarzer schreibt

"Eiskönigin" oder "Mutter Theresa"?

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Was denn nun? Ist sie die berechnende Politikerin mit dem „kalten Herz“, die noch im Sommer ein Flüchtlingsmädchen zum Weinen brachte – oder ist sie die naive „Königin der Herzen“, die im Herbst nicht weiß, was sie tut, wenn sie Flüchtlingen „ein freundliches Gesicht“ zeigt? Ist die „Eiskönigin“ zur „Mutter Teresa“ (beides Spiegel) mutiert?

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Weder noch. Es passte zu der Besonnenheit und Gradlinigkeit der Kanzlerin, als sie auf ihrer Goodwill-Rundreise im Sommer der kleinen Palästinenserin ehrlich antwortete, es könnten nicht alle Flüchtlinge in Deutschland bleiben. Und es passt, wenn sie im Herbst angesichts der anstürmenden Flüchtlingsmassen nicht minder ehrlich antwortet, man könne die deutschen Grenzen nicht wirklich dichtmachen, selbst wenn man wollte, aber man könne Menschen in Not auch nicht abweisen. („Sonst ist das nicht mein Land.“)

Menschen
in Gefahr
müssen wir
Schutz geben

Aber wir dürfen dennoch nicht blauäugig sein und auch vor schmerzlichen Entscheidungen nicht zurückschrecken. Menschen in echter Gefahr müssen von denen unterschieden werden, die „nur“ (wenn auch verständlicherweise) so gut leben wollen wie wir. Ehrlich Integrationswillige müssen unterschieden werden von Antidemokraten. Und doppelt Gefährdete, wie Frauen und Kinder, müssen auf unseren besonderen Schutz zählen können – manchmal auch gegen die eigenen Männer.

Denn eines ist doch klar: Viele der überwiegend jungen Männer, die da jetzt zu uns kommen, sind bisher noch nicht einmal von einem Hauch Gleichberechtigung der Geschlechter gestreift worden. Sie kommen aus Kulturen wie dem Islam, in denen Frauen als minderwertig gelten (was durch die Radikalisierung und Politisierung des Islam nicht gerade besser wird). Sie sind überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, traditionell schlecht bestellt ist um die Frauenrechte. Und sie kommen aus (Bürger)Kriegsgebieten, in denen sie Opfer oder Täter waren, und so manches Mal auch beides zugleich. Auch das macht es nicht zwingend einfacher.

All das muss Politik wie Zivilgesellschaft alarmieren. Wir müssen auch von den Macho-Männern Respekt vor Demokratie und Rechtsstaat, vor Frauen und Kindern einfordern (Ganz wie es in dem Katalog von EMMA aufgelistet wird). Und wir müssen bei Nichtbeachtung Sanktionen durchsetzen.

Innenpolitisch ist es an den sehr gebeutelten Kommunen und Ländern, ihr Maximales zu geben. Außenpolitisch ist die Kanzlerin gefordert. Dass sie das nicht nur kann, sondern in besonderem Maße dafür geeignet ist, hat sie mehrfach bewiesen.

So war es ausschließlich Merkels Tag-und-Nacht-Dialog mit Putin in Kiew am 13. August dieses Jahres zu verdanken, dass das scheinbar Unvermeidliche in letzter Sekunde abgewendet werden konnte: Die Amerikaner verzichteten auf die geplante Waffenlieferung in die Westukraine – was unweigerlich zur Eskalation des Bürgerkrieges und der gesamten West/Ost-Konfrontation geführt hätte.

Auch Merkels Nicht-Beteiligung an der selbstgerechten Bombardierung Libyens durch den Westen im Jahr 2011 konnte den Gang der Dinge zwar nicht aufhalten, aber immerhin: Sie hat es versucht, dem Gespött aller Besserwisser zum Trotz.

Außenpolitisch
hat Merkel
alles richtig
gemacht

Das Land, das einst von Gaddafis eiserner Faust zusammengehalten worden war, ist in ein blutiges Chaos gestürzt, von dem niemand so profitiert wie die gut organisierten und, dank Saudi-Arabiens Petro-Dollars, bis an die Zähne bewaffneten Islamisten (ganz wie im Irak). Ein endgültiger Fall Libyens und die drohende Machtübernahme durch die Islamisten wäre existenzbedrohend für ganz Nordafrika und Ägypten, also damit auch für Israel. Dieses Drama, das die halbe Welt in Flammen setzen könnte, ist noch längst nicht ausgestanden.

Und jetzt ist es wieder Merkel, die als eine der ersten von Verhandlungen mit Assad spricht. In allen drei Fällen – Irak, Libyen wie Syrien – herrscht(e) ein zwar autokratischer, aber immerhin weltlicher Staatschef. Und in allen drei Fällen handelt es sich keineswegs nur um „Religionskriege“, sondern auch um eine Konfrontation des neokapitalistischen Westens mit dem postsozialistischen Osten. Auf fremden Terrains spielen sich Stellvertreterkriege ab: zwischen Amerika mit seinen Alliierten sowie Russland mit seinen Verbündeten.

Ein Sturz Assads würde nicht nur das Land, sondern auch die gesamte Region aus dem Status Quo kippen und den Islamisten in die Arme treiben. Nur mit dem einst gewählten Präsidenten Assad wäre die Flüchtlingsflut zu stoppen und die Lage in Syrien noch stabilisierbar – zumindest übergangsweise und bis zu Wahlen. Das scheint Merkel ähnlich zu sehen. Und sie steht es mit der gewohnt stoischen Ruhe und völliger Abwesenheit von Gefallsucht durch.

Doch gibt es nicht nur aus meiner Sicht noch zwei, drei Dinge anzumerken. Die Bundeskanzlerin müsste sich der Gefahr bewusster werden, die durch den massenhaften Zuzug von auch orthodoxen oder gar fundamentalistischen Muslimen droht. Die haben nämlich in der Regel einen nicht zu unterschätzenden Antisemitismus und Sexismus im Gepäck. Nur wenn die Kanzlerin diese Gefahr wirklich begreift, ist es richtig, dass sie ihren Weg weitergeht. Unbeirrt von Umfragen. 

Sie muss es schaffen!

Alice Schwarzer

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Flüchtlinge: Was jetzt passieren muss!
EMMA wird geflutet mit Hilferufen. Deutsche Frauen machen sich Sorgen. Um die Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen. Aber auch um sich selbst. EMMA hat einen Forderungskatalog erstellt (pdf zum Ausdrucken): Was passieren muss, damit zu uns geflüchtete Männer wie Frauen Demokratie und Gleichberechtigung respektieren. mehr

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Ein Weltgastrecht für Frauen

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Ein Wort wird zentnerschwer: K-R-I-E-G.

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Natürlich kennen wir das Wort, aber für die meisten von uns bezeichnet es Nachrichten von anderswo. Oder ein Etwas aus Geschichtsbüchern. Der 1. Weltkrieg ist ein fernes Gespenst. Der 2. Weltkrieg endete 1945, unsere Mütter oder Großmütter haben ihn noch erlebt. Aber wenn wir jünger als 70 Jahre alt sind? Dann sind wir Friedenskinder.

Wir kennen Erzählungen und Fotos von Elend und Luftschutzkellern. Vereinzelt noch Baulücken in Städten. Hinzu kommen aktuelle aber ferne Kriege aus zweiter Hand, Nachrichtenschnipsel, wackelige Kamerafahrten, KommentatorInnen vor hastig arrangiertem Hintergrund.

Krieg ist die Katastrophe schlechthin

Wir misstrauen den Bildern, während sie uns zugleich gefangen halten. Wenn wir aber hinsehen: Was wäre zu tun? Scham und Ohnmacht mischt sich mit der gleichwohl vorhandenen Erleichterung, „hier“ sicher zu sein.

Ein diffuser Schrecken: Krieg ist die Katastrophe schlechthin. Ich zum Beispiel empfinde neben den Bombentoten oder Schusswaffen das als ­besonders fürchterlich, was zwischen Uniformierten und Zivilisten passiert, was marodierende Milizen anrichten. Dazu das, was Schmerzen, Verletzungen, Tod wie eine Lache umgibt, die auch in Jahrzehnten nicht trocknen wird: Angst, Grauen, Trauer, Panik, Verrat. Der Zerfall jeglicher Freundschaft und Fürsorge. Zu lindern ist das nicht – oder eben durch Hass.

Hass wiederum treibt Kriegsbereitschaft und Kriegsgeschäfte weiter voran. Überhaupt, ja: die Geschäfte. „Sicherheit“ ist ein Gut, dessen Aktienkurse man durch Kriegsangst und Krieg hochtreibt. Es gibt Ökonomien des Krieges, Branchen, für die sich Krieg rechnet, und militärische Eliten, deren Handwerk er ist. Die Soldaten und neuerdings auch Soldatinnen sind nur zu verheizendes Material.

Und Waffen sind Material, das verbraucht sein will, zumal in Zeiten, in denen es kein teures (also lukratives) Wettrüsten mehr gibt. Die „neuen“ Kriege gehen darum so: Immer seltener steigen heute ganze Staaten offiziell ein. Stattdessen toben heute, wo geschossen, vergewaltigt, verstümmelt wird, die Wölfe: Warlords, Clanchefs, Milizen, Söldner, Mafia. Ein schmutziger Alptraum mit leisem Beginn und ohne Ende.

Krieg ist nach wie vor Männersache, auch das macht ihn gespenstisch. Trotz Frauen im Soldatenberuf: In der Eskalation fallen die Geschlechterrollen wieder brutal auseinander. Schon lange sterben in Kriegen prozentual mehr Zivilpersonen als Militärs. Systematische Vergewaltigungen sind ein Instrument auch der Kriegführung des 21. Jahrhunderts. Und das Leben danach mit den Ex-Kämpfern, die das Vergewaltigen und Morden professionell betrieben haben? Frauensache. Das Grauen geht auch nach Kriegsende im Kleinen weiter.

Und das Leben danach mit den Ex-Kämpfern?

Wohin also mit dem Krieg? Einfach nur hoffen, dass er uns nicht trifft? Und wenn ich etwas tun will: Wie kann ich heute noch friedenspolitische Zeichen setzen? Gibt es Friedensdemonstrationen, die hie die Waffenproduzenten und da die Warlords, marodierende Milizionäre, die Mafia beeindrucken? Oder auch nur den Sohn meiner Nachbarin, der mit Kumpels weltweit World of Warcraft spielt? Ist ja nur ein Spiel, meinte die Nachbarin, eine überzeugte Pazifistin. Unlängst meldete ihr Sohn sich als Zeitsoldat zum Bund. Gewalt öffentlich anprangern, Heroisierung verweigern, Bilderkonsum hinterfragen. Reicht das aus?

Ich habe einen Traum: Lasst uns in großem Stil weibliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen! Öffnet die Kindergärten für afghanische Mädchen, bietet ihren Müttern Wohnraum und einen Job, schafft Studienplätze für syrische Studentinnen, holt weibliche afrikanische Vertriebene – kurzum: Schafft ein Weltgastrecht für Frauen! Aufenthalt so weit und so lange sie es wollen. Nehmen wir den kriegführenden Parteien die andere Hälfte der Menschheit weg, ihr Ruhekissen und ihre Zukunft.

Angenommen, diejenigen, zu denen Soldaten, Waffenschmuggler, Milizionäre zurückkehren wollen, könnten mit den Füßen abstimmen.

Angenommen, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Töchter wären keine Geiseln des Territoriums mehr. Dann endlich würde Krieg sich nicht mehr lohnen.

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