Kommunistin & Bürgermeisterin

Foto: Erwin Scheriau/APA/dpa
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Sozialsprechstunde bei Elke Kahr, eine junge Frau in engen Jeans ist gekommen. Gerade hat sie sich von ihrem Mann getrennt, sie habe nichts mehr, „nicht einmal ein Bett für den Kleinen”. Für eine neue Wohnung braucht es aber eine Kaution. Kahr verspricht, 250 Euro zu überweisen, „und wegen des Betts hab’ ich vielleicht eine Idee“.

Bis zu 150 Menschen empfängt die Grazer KPÖ-Chefin und Bürgermeisterin Elke Kahr pro Woche. Tausende Male hat sie Geld herausgerückt, eigenes Geld: Seit 1998 spenden die KPÖ-Abgeordneten der Steiermark einen Teil ihres Gehalts. Auch heute, als Bürgermeisterin, behält die 61-Jährige von den 7.921 Euro Nettogehalt nur 2.000 Euro für sich selbst. Denn „Menschen, die kein Essen kaufen können oder vor der Obdachlosigkeit stehen“, bräuchten eben sofort Hilfe.

Die WählerInnen dankten es ihr: Im September 2021 bekam die gelernte Bankkauffrau, die seit 2005 in der Stadtregierung sitzt, knapp 29 Prozent der Stimmen und nahm so Langzeit-Bürgermeister Siegfried Nagl von der konservativen Volkspartei das Amt ab. Kahr wurde die erste Bürgermeisterin von Graz – und die einzige kommunistische Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt in Österreich. Nun ist ihre Biografie erschienen. Kahr erzählt darin von ihren ersten Lebensjahren im Kinderheim und den Eltern, die sie adoptierten: Eine Hausfrau und ein Schlosser, mit denen sie in einem winzigen Haus lebte. „Ein Badezimmer oder eine Dusche hatten wir nicht, Wasser gab es draußen beim Brunnen.” Trotz der ärmlichen Verhältnisse sei ihre Kindheit unbeschwert gewesen.

Der Vater habe sie gelehrt, allen Menschen gleich offen zu begegnen, „egal, wer sie sind und woher sie kommen”.

Theoretische Debatten gehen ihr bald auf die Nerven. Mit 17 hatte sie sich Karl Marx’ „Kapital“ besorgt: „Es war mir allerdings zu kompliziert: Also schlug ich das Telefonbuch auf und suchte die Nummer der KPÖ heraus.” Und so kommt in ihrem Buch Marx nur zweimal vor, John Lennon dagegen zwölfmal. „Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz mehr”, zitiert sie aus „Imagine”. Die Leidenschaft für die Beatles teilt sie mit ihrem Lebensgefährten und früheren Vorsitzenden der steirischen KPÖ Franz Parteder, mit dem sie einen erwachsenen Sohn hat.

Auch Grundsätzliches zum Kommunismus handelt Kahr ab. Viel zu lange habe die KPÖ zu den Gräueln des Stalinismus geschwiegen. Putins Überfall auf die Ukraine verurteilt sie klar.

Mit ihrer Koalition aus Grünen und Sozialdemokraten konnte Kahr rasch Tatsachen schaffen: Einfrieren der städtischen Gebühren, höhere Energie-Zuschüsse und eine nur moderate Erhöhung der Gemeindebau-Mieten – der jahrzehntelange Einsatz für bezahlbares Wohnen und ihr Mieternotruf haben die KPÖ in Graz groß gemacht.

Doch holt sie jenes Thema ein, das ihrem Vorgänger zum Verhängnis wurde: die rasche Bebauung, das Verschwinden an Grün und die vielen Baustellen in der stark wachsenden Stadt. Die Wut darüber kriegen allerdings vor allem die Grünen ab, die für Verkehr und Stadtplanung zuständig sind.

Kahr aber wurde laut Umfragen in der ersten Zeit nach der Wahl noch beliebter. Wo immer sie ist, sie stellt sich voll auf ihre Umgebung ein und gibt ihrem Gegenüber das Gefühl, gehört zu werden. Auch die Frauenszene versteht ihre Stadträtin als glaubwürdige Vertreterin. Musste der Frauenrat jahrelang ehrenamtlich über die Runden kommen, hat Kahr einen bezahlten Geschäftsführerposten geschaffen. Und die von der KPÖ erfundene Sozialcard, die Menschen mit kleinen Einkommen Vergünstigungen verschafft, kommt zu fast zwei Dritteln Frauen zugute.

Beim knallvollen Volkshausfest der KPÖ im September, längst ein Fixtermin für Familien ebenso wie für Partytiger, wird Kahr wieder den ganzen Abend durch die Gegend düsen. Mit einer Zigarette zwischen den Lippen wird sie wieder Spritzer ausschenken, sich um Krisen kümmern, für Fotos posen – und erst heimgehen, wenn sie bis in die Morgenstunden mit ihren Genossen alles wieder aufgeräumt hat. Denn eines hat Kahr am Abend ihrer Wahl zur Bürgermeisterin versprochen: „Wir werden nie die Nase hoch tragen.“

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