Welle der Euphorie
"Wir wollen die Mädchen, die jetzt begeistert sind, morgen in den Vereinen sehen und ihnen eine Zukunft bieten", sagt Martina Voss-Tecklenburg beim Empfang der Nationalmannschaft am Frankfurter Römer. Sichtlich gerührt stehen die Spielerinnen auf dem Balkon und lächeln in das Fahnenmeer. Selbst Alexandra Popp kann sich ein Lächeln irgendwann nicht mehr verkneifen und feiert mit. In ihrer Rede an die Fans würdigt Voss-Tecklenburg den Teamgeist ihrer Spielerinnen und besinnt sich auf die Werte, die sie gezeigt haben: Zusammenhalt, Konzentration aufs Wesentliche, das große Miteinander. Das ist ihrem Team gelungen.
Und nicht nur das. So spielstark, so schnell, so selbstbewusst war keine EM zuvor. Women play soccer! 18 Millionen Fans haben die Live-Übertragung der ARD geschaut - ein Turnierrekord. Kein Medium, das nicht den Teamgeist lobte und ebenfalls von "Werten" sprach, die die Frauen dem Sport zurückgegeben hätten und die der Männerfußball oft vermissen lässt.
Und dann nutzt die Trainerin auch die Gelegenheit, um die Weichen für die Zukunft des Frauenfußballs zu stellen. Sie fordert ein Grundgehalt in der Frauenbundesliga, den Zugang zu den großen Stadien, mehr Förderung für Talente und mehr Fernsehgelder. Und generell eine Professionalisierung der Ligen. Dass all das möglich ist, zeigt England. Dort wird es lange praktiziert. Mit Erfolg, wie frau sieht.
Das Team der Britinnen feierte die ganze Nacht. 90.000 Fans kamen ins Wembley-Stadion. Und es mussten erst die Frauen kommen, um 56 Jahre Pleiten des Nationalteams zu beenden. Zu schön, wie sie bei der Pressekonferenz auf dem Tisch tanzen. Die Unterstützung der BritInnen für das gesamte Turnier war schlichtweg fantastisch. Wie sehr haben sie ihre Mannschaft angefeuert, sofort ausverkaufte Stadien, kein Pub, der nicht alle Spiele übertragen hat. Kleine Mädchen und Jungen, Frauen, Männer, die dreieinhalb Wochen lang ihr Trikot nicht ausgezogen haben. Nur Prinz William, der hätte zum Finale, genau wie bei der Männer-EM auch, ruhig mal Kate und die Kinder mitbringen können - es wäre ein schönes Zeichen gewesen, but so what. Dafür gratulierte die Queen ihrem Team. "Das 2:1 nach Verlängerung im Finale gegen Deutschland im Londoner Wembley-Stadion ist eine Inspiration für Mädchen und Frauen heute und für zukünftige Generationen", erklärte die 96-jährige Monarchin.
Das Endspiel der EM 2022 mag eine Niederlage für die deutschen Fußballerinnen gewesen sein - aber die EM war ein Sieg für alle Frauen. Zuschauerrekorde in den Stadien und im TV! Der Ruf nach Equal-Pay und gleichen Trainingsbedingungen, der nicht mehr überhört werden kann.
Auch Olaf Scholz bekräftigte nochmals die Forderung von Equal Pay der Frauen-Nationalmannschaft, so wie England es bereits umsetzt und es die US-AmerikanerInnen erkämpft haben. Die deutschen Fußballfrauen haben es längst verdient. Es war ein weiter Weg vom Kaffee-Service bis heute. Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg wurde 1989 selbst noch damit bedacht. Es steht bis heute in ihrer Küche. Mahnmal und Motivation zugleich. Im gleichen Jahr kämpfte auch EMMA für die "Hälfte des Balles für die Frauen". Das legendäre Dossier zum Frauenfußball öffnete doch so manches trübe Männerauge. Wollte Sonntagabend eigentlich noch irgendjemand DFB-Pokal gucken?
Der "Hälfte des Balles" sind die Fußballfrauen aus allen Ländern mit dieser EM deutlich näher gekommen. Die WM 2023 in Australien kann kommen.