Dossier: Frauen für den Frieden

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August 1914: Deutschland hat Russland und Frankreich den Krieg erklärt – und es herrscht allgemeine Euphorie. Alle scheinen ergriffen vom vaterländischen Kriegstaumel, auch Deutschlands Dichter und Denker, von Thomas Mann bis Max Planck. Sogar die Künstlerin und spätere Kriegsgegnerin Käthe Kollwitz jubelt mit in der Kriegsbegeisterung – bis ihr 18-jähriger Sohn Peter vier Wochen nach Kriegsbeginn fällt.

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Ohne den Männlichkeitskult kein Krieg

Es erfordert ungeheuren Mut, sich gegen den einstimmigen Chor der Kriegsbegeisterten zu stellen. Einer der wenigen Menschen, die ihn haben, ist Lida Gustava Heymann. Die Hamburger Patriziertochter ist eine der bedeutendsten Protagonistinnen des radikalen Flügels der Frauenbewegung. Sechs Wochen nach Kriegsbeginn veröffentlicht sie ein flammendes Plädoyer gegen die „entsetzlichen Gräuel“ und „giftigen Blüten des Völkerhasses“ und für sofortigen Frieden.

Heymann und ihre Mitstreiterinnen gehören zu der winzigen Minderheit, die es wagen, sich konsequent gegen den Krieg zu stellen und die ganzen Kriegsjahre über auch Kontakt zu den Pazifistinnen in den "Feindesländern" zu halten. Diese Minderheit besteht fast ausschließlich aus „Radikalen“, also den antibiologistischen Vertreterinnen der Frauenbewegung. Während die „Gemäßigten“ um Gertrud Bäumer dem Kaiser treu ihre Gefolgschaft zusagen und an der Heimatfront als Teil der Kriegsmaschinerie einen „Nationalen Frauendienst" aufbauen, organisieren Frauen wie Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg und Minna Cauer internationale Friedenskongresse.

Was können wir aus den Weltkriegen der Vergangenheit für die Bürgerkriege der Gegenwart lernen? Unbeirrbare Menschlichkeit! EMMA erzählt in ihrer aktuellen Ausgabe die ebenso beeindruckende wie spannende Geschichte des weiblichen Widerstandes gegen den Kriegswahn und druckt die hellsichtigen und hochaktuellen Originaltexte der Kriegsgegnerinnen nach – von Bertha von Suttner bis Hedwig Dohm.

Damit schließt EMMA die Lücke, die in der Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg klafft: Die Pazifistinnen, die ihren Einfluss bis in höchste Regierungs- und Kaiserkreise geltend machten und deren Texte und Forderungen angesichts der kriegerischen Weltlage ungebrochen aktuell sind, werden in all den Berichten und Dokumentationen mit keinem Wort erwähnt.

Was können wir
für die Kriege
der Gegenwart
lernen?

Ohne Männlichkeitskult und Weiblichkeitswahn kein Krieg. So ist das auch heute wieder, in Zeiten der Gotteskrieger und zwangsverschleierten Frauen. Umso suspekter war es den Kriegsherren schon damals, dass die Frauen jetzt, da die Helden an der Front kämpften, in die Männerberufe stürmten. Millionen Männer fehlten und Frauen übernahmen ihre Jobs: Sie hatten weder das Recht auf Besitz, noch das Wahlrecht. Aber sie fuhren nun Droschken und Straßenbahnen, sie übernahmen Bäckereien und Bauernhöfe, sie trugen die Post aus und zündeten Laternen an.

Es sind auch die Frauen an der „Heimatfront“, die schon bald nicht mehr wissen, wie sie mit den immer knapper werdenden Lebensmitteln ihre Familien satt bekommen sollen. Sie organisieren mutige Proteste und Hungermärsche.

Und schließlich: EMMA gibt mit einer Chronik einen Überblick über Entstehung und Verlauf des Ersten Weltkriegs – von Bertha von Suttners bahnbrechendem Antikriegs-Roman „Die Waffen nieder!“ von 1889 bis zum visionären Nachkriegs-Kongress der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ 1919, der den nächsten Weltkrieg bereits prophezeit – zu Recht.

Die aktuelle EMMA mit dem Dossier "Frauen für den Frieden 1914 bis 2014" - ab 26.6. im Handel. Ausgabe im EMMA-Shop bestellen

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Frieden - mit Herz und Verstand!

Von Suttners Ziel: "Die verhetzten Völker miteinander zu versöhnen."
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Bertha von Suttner (1843–1914) war Schriftstellerin, Feministin und Pazifistin. Die Tochter eines Generals stammte aus einer böhmischen Adelsfamilie, die Teil der österreichisch-ungarischen k.u.k.-Monarchie war. 1889 veröffentlicht sie den Anti-Kriegs-Roman „Die Waffen nieder!“. Sie schildert darin die Schrecken des Krieges aus Sicht einer Ehefrau. Das Buch wird ein Welterfolg und von Suttner eine der ProtagonistInnen der internationalen Friedensbewegung. 1892 gründet sie die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Sie war es, die Alfred Nobel zur Stiftung des Friedensnobelpreises anregte, den sie 1905, als fünfter Mensch und erste Frau, selbst verliehen bekam. Im Mai 1914 gründen Pazifistinnen innerhalb der DFG einen „Frauenbund“. An seiner ersten Tagung kann die todkranke von Suttner nicht mehr teilnehmen. Sie schickt stattdessen diesen Text. Er erscheint in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ unter dem Titel „Bertha von Suttners letzter Brief an die deutschen Frauen“.

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Liebwerte Schwestern!

Da die Umstände es mir leider verwehrt haben, in Ihre Mitte zu kommen, so will ich doch schriftlich an der ersten Tagung des „Frauenbundes der Deutschen Friedensgesellschaft“ teilnehmen.

Seien Sie mir gegrüßt und beglückwünscht, verehrte Kämpferinnen. Denn als solche werden Sie sich bewähren müssen: Es wird Ihnen nicht ganz leicht gemacht werden, für die pazifistischen Ideale einzutreten. Auch unter den Frauen selber dürften Ihnen viele Gegnerinnen erwachsen. Es ist durchaus nicht richtig, wie manche behaupten, dass alle Frauen von Natur aus dem Kriege abhold sind. Nein, nur die fortschrittlich gesinnten Frauen, nur solche, die sich zu sozialem Denken erzogen haben, sind es, die die Kraft haben, sich von dem Banne tausendjähriger Institutionen zu befreien, und zugleich die Kraft aufbringen, dieselben zu bekämpfen.

Die Zeit rückt immer näher, da die Frauen im Rat der Völker, in der Lenkung politischer Dinge Sitz und Stimme besitzen werden, es wird ihnen daher möglich sein, gegen das, was sie als Kulturschäden erkannt haben, nicht lediglich zu protestieren, sondern an der Umwandlung der Zustände tätig und praktisch mitzuwirken.

Die Treibereien der Waffenfabrikation entlarven!

Dabei werden und dürfen sie ihre spezifischen weiblichen Eigenschaften – als da sind: Milde, Reinheit, Mitleid, warme Menschenliebe – nicht zurückdrängen, sondern mit in den Dienst stellen. Nicht als ob es Aufgabe und Bestimmung der Frauen wäre, allein die kriegslose Kultur herbeizuführen; doch ist ihre Mitarbeit zur Beschleunigung und Erreichung unerlässlich. Zur Stunde sind gar viele männliche Kräfte am Werke, den Krieg abzuwehren, den unerträglich gewordenen Rüstungen ein Ziel zu setzen, die verhetzten Völker miteinander zu versöhnen, die Treibereien der Interessenten der Waffenfabrikation zu entlarven.

Wir sehen, dass die Juristen, die Völkerrechtler, die Nationalökonomen, die Arbeiter und die Handelsleute – jeder von seinem Standpunkt – die Ergebnislosigkeit des Krieges und die Schädlichkeit der allen Wohlstand untergrabenden Rüstungen anklagen; wir lesen die genialen Bücher eines Norman Angell, die den mathematischen Beweis erbringen, dass keine Landeseroberung noch Gewinn bringen kann, – kurz: politisch und ökonomisch, logisch und soziologisch wird dem anarchistisch gewordenen System der gegenseitigen Menschenabschlachtungen entgegengearbeitet.

Auch zahlreiche Geistliche verschiedenster Bekenntnisse beginnen, sich pazifistisch zu organisieren und nun treten die Frauen auf den Plan. Da fragt es sich, welche besondere Aufgabe fällt diesen zu? Eigentlich können wir, soweit unsere Kenntnisse und Einflüsse reichen, auf all den oben genannten Gebieten uns betätigen, denn heute sind uns ja keine sozialen Studien mehr verwehrt, und täglich stehen uns mehr öffentliche Ämter offen. Aber noch eines mehr können wir tun, vor dem die meisten Männer sich zurückhalten, weil sie nicht als schwachmütig und rührselig erscheinen wollen: Lassen wir unsere Herzen sprechen! Im Namen der Liebe, diesem heiligsten aller Gefühle, das ja als die eigentlichste Domäne des Weibes gilt, im Namen der Güte, die ja erst den Menschen „menschlich“ macht, im Namen des Gottesbegriffs, zu dem sich unsere Ehrfurcht erhebt, wollen wir den Krieg bekämpfen; nicht nur, weil er sich nicht mehr auszahlt und daher eine Torheit – sondern weil er grausam und daher ein Verbrechen ist. Das soll in all dem Aufwand von politischen und ökonomischen Argumenten nicht vergessen werden.

Das Gefühl nicht gegen die Gräuel verschließen

Desto besser, wenn sich der Verstand auch gegen den Krieg auflehnt, aber unterdrücken wir darum nicht die Empörung unserer Herzen. Nicht nur das Denken und Erkennen, das Rechnen und Schlussfolgern zeugt von unseren Seelenkräften, sondern auch das Fühlen. Klar und scharf sollen unsere Gedanken sein, warm und edel die Gefühle – erst so ist die volle Menschenwürde erreicht. Richtige Schlüsse ziehen ist schön – begeistert sein ist schöner. Leidenschaft brauchen wir, um zu handeln und zu wirken – nur Leidenschaft reißt hin.

Zu den Gefühlen, die uns der Krieg einflößt, gehört leidenschaftlicher Mitschmerz; denn die Gräuel, die himmelschreienden Leiden, die er verursacht, gehen schon über die Grenzen des Erträglichen hinaus. Er nimmt ja täglich mit jeder neuen Heeresverstärkung, jeder neuen Erfindung an Fürchterlichkeit zu.

Warten wir nur, bis alle Details aus den Balkankämpfen uns zur Kenntnis kommen – die Verjagten, die Massakrierten, die Verhungerten, die lebendig Verbrannten … nein, gegen das alles darf man sich nicht verschließen. All dem Elend muss man ins Gesicht sehen, aber nicht, um es als Unglück zu beklagen, sondern als Schlechtigkeit anzuklagen! Denn es ist keine Elementarkatastrophe, es ist das Ergebnis menschlichen Irrwahns und menschlicher Fühllosigkeit.

Also lassen wir uns durch den Vorwurf der Sentimentalität nicht abschrecken. Wir haben das Recht, wir Frauen, unsere Gefühle zu zeigen. Seit jeher, auch schon zu Römerszeiten, hatten die Mütter das Privileg, den Krieg zu hassen. Lassen wir uns ja diesen instinktiven Hass – der ja nur eine intensive Form von Menschenliebe ist – nicht rauben; er soll unter den mannigfaltigen Waffen, die unsere neue Zeit gegen barbarische alte Institutionen schmiedet, vielleicht eine der wirksamsten, gewiss eine der edelsten sein. Also liebe Schwestern, ans Werk und seid standhaft!

Montecuculi sagte: „Zum Kriegführen braucht man Geld, Geld und wieder Geld.“ Ich will nicht sagen, dass wir das Ding zu unserer Kampagne nicht auch gut brauchen könnten; aber die Hauptsache ist doch: Ausdauer, Ausdauer und noch einmal Ausdauer! Ich hoffe noch viel vom „Frauenbund der Deutschen Friedensgesellschaft“ zu hören. Und ich lade Sie herzlichst ein, uns eine Abordnung des Bundes zum XXI. Weltfriedenskongress nach Wien zu schicken. Eine Kundgebungsversammlung Ihnen gleichgesinnter Wiener Frauen ist auf das Programm gesetzt.

Wie würde ich mich freuen, Ihnen allen die Hand drücken und ins Auge schauen zu können!

Bertha von Suttner

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