Emma González: Stimme der Proteste

Emma Gonzales und MitstreiterInnen beim "March for our Lives". - Foto: Kevin Mazur/Getty Images
Artikel teilen

Wer nach den Massenschießereien in den Vereinigten Staaten über striktere Waffengesetze nachdenkt, hat weder Präsident Trump vor Augen noch Dana Loesch, die scheinbar nimmermüde Sprecherin der Waffenlobby National Rifle Association (NRA). Das Gesicht des Protestes ist eine 18-Jährige: Emma González.

Anzeige

Schon wenige Tage nach dem Anschlag auf die Douglas High School, bei dem ein 19-Jähriger 17 Menschen erschoss und den Emma versteckt im dunklen Auditorium der Schule überlebte, forderte sie zusammen mit MitschülerInnen ein Ende der so ­genannten School Shootings. Dabei beschränkte sich die Schülerin nicht auf die üblichen Gedenkstunden bei Kerzenschein, Spenden für Beerdigungskosten und gemeinsame Gebete. „Wir wollen erreichen, dass Politiker, die von der Waffenlobby NRA unterstützt werden, bei den Zwischenwahlen im November nicht gewählt werden!“, rief sie den TeilnehmerInnen einer ­Demonstration für strengere Waffengesetze in Fort Lauderdale zu.

Präsident Trumps Beileidsbekundungen wies die Schülerin als reine Lippenbekenntnisse zurück. „Wenn der Präsident mir sagen möchte, dass die Schüsse in Parkland nur eine fürchter­liche Tragödie waren, würde ich ihn fragen, wie viel Geld er von der NRA bekommen hat. Aber wisst ihr was? Ich weiß es schon. Es waren 30 Millionen Dollar. Jedes amerikanische Opfer von Waffengewalt in den ersten sechs Wochen des Jahres 2018 war also 5.800 Dollar wert“, rechnete die Zwölftklässlerin der ­Nation und dem Waffenfreund im Weißen Haus vor.

Sie sorgte für die lauteste Stille der US-Geschichte

Die knapp elf Minuten lange Rede machte die Jugendliche mit dem markanten Bürstenschnitt über Nacht zu dem Gesicht der größten Protestbewegung von SchülerInnen und Studierenden nach dem Vietnam-Krieg. González, die bis dahin noch nicht einmal eine Twitter-Seite hatte, richtete den Account ­
@Emma4Change ein.

Am 24. März zog Emma mit ihren MitstreiterInnen der ­Organisation „Never Again MSD“ („Nie wieder Marjory Stoneman Douglas High School“) und einigen Hunderttausend ­Jugendlichen, Eltern und LehrerInnen nach Washington. Während der Veranstaltung „March For Our Lives“ stellte González sich auf die Bühne und erklärte: „Innerhalb von sechs Minuten wurden uns 17 Freunde genommen, 15 weitere verletzt und ­jedes, wirklich jedes Mitglied der Schulgemeinde für immer ­verändert.“

Unter Tränen nannte González die Namen aller 17 Toten, ­bevor sie überraschend verstummte. Es folgte die lauteste Stille, die sich je über Washington ausbreitete. Während die 18-Jährige in zerrissener Jeans und Pilotenjacke schweigend vor einem Meer von Menschen stand, schienen viele die Ruhe kaum auszuhalten. Schließlich fand González ihre Stimme wieder. „Seit ich geschwiegen habe, sind sechs Minuten und 20 Sekunden vergangen. Jetzt hat der Schütze aufgehört zu schießen und ist ­dabei, sich unter die flüchtenden Schüler zu mischen. Vor seiner Verhaftung verbringt er noch eine Stunde in Freiheit.“

„Kämpft selber um euer Leben, bevor es andere für euch tun müssen!“ lautet der Slogan von Emma und ihren MitstreiterInnen. Die amerikanischen Medien feiern González auch wegen ihrer unerschrockenen Rhetorik. Die Berühmtheit, die sie und vier weitere Überlebende der Douglas High auf das Cover der März-Ausgabe des Magazins Time brachte, ist für Emma ein notwendiges Übel. „Ich bin 18, Kubanerin und bisexuell. Ich bin zu unentschlossen, um mich für eine Lieblingsfarbe zu entscheiden und reagiere allergisch auf zwölf Stoffe“, erklärte die Tochter einer Mathematiklehrerin und eines Juristen. „Ich male, zeichne, häkele, nähe, sticke und tue alles, was meine Hände ­beschäftigt, wenn ich Netflix sehe. Aber all das ist nicht mehr wichtig.“

Emmas Eltern waren Ende der 60er-Jahre von Kuba nach Amerika ausgewandert. Sie unterstützen den politischen Kampf ihrer Tochter. Manchmal, schrieb Emma, die bei dem Massaker viele FreundInnen verloren hat, in Harper’s Bazaar, „wäre es schön, ein Baum zu sein – tief verwurzelt und von den Schrecken der Welt verschont“.

Sie mischt sich mit Verve in die Debatte ein

Solche Anflüge von Melancholie bekämpft Emma mit Aktio­nismus. Sie mischt sich mit Verve in die politische ­Debatte ein. Trumps Vorschlag, LehrerInnen mit Waffen in den Unterricht zu schicken? Die Pädagogen brauchen keine Pistolen, sondern eine gute Ausbildung, um sie an ihre SchülerInnen weiterzugeben! Metalldetektoren an Schultoren? Waren schon in der Vergangenheit wirkungslos! Ein flächendeckendes Waffenverbot? Nein, aber gründliche Überprüfungen von ­WaffenkäuferInnen!

Auch bei psychischen Auffälligkeiten der fast immer männlichen Attentäter fordert González genaues Hinsehen. Sie mahnt: „Wir verlangen eine intensivere Behandlung von geistigen Störungen. Auch für die wütenden, frustrierten Männer, die diese Verbrechen meistens begehen. Geisteskrankheit und Waffen­gewalt haben nichts miteinander zu tun. Aber wenn sie aufeinandertreffen, verlieren Amerikaner, häufig Kinder, ihr Leben.“

Ob Emmas Schweigen während des „March For Our Lives“ auch bei den Abgeordneten in Washington gehört wurde, wird sich spätestens bei den US-Zwischenwahlen Anfang ­November zeigen.

Artikel teilen
 
Zur Startseite