"Soldatin" Eleonore von Aquitanien
Sie war die einflussreichste Frau des Hochmittelalters: Eleonore, Herzogin von Aquitanien (1122–1204). Zwei Kronen trug sie: zuerst die französische, danach die englische. Zehn Kinder gebar sie. Eleonores Reisen führten sie durch Europa und darüber hinaus – sie nahm sogar an einem Kreuzzug teil. Tatkräftig griff sie in politische und militärische Entscheidungen ein. Shakespeare lässt Eleonore von sich selber sagen: „Ich bin ein Soldat.“
Sie wurde über 80 Jahre alt und erlebte in ihrer Zeit so gut wie keinen Frieden. Waren nicht Aufstände niederzuschlagen, Grenzscharmützel zu entscheiden, Zerwürfnisse mit dem Klerus zu schlichten, Verschwörer abzustrafen, Eroberungskriege oder Feldzüge ins Heilige Land durchzuführen, konspirierte die Königin selbst gegen den eigenen Gemahl. 15 Jahre verbrachte sie als Gefangene hinter Festungsmauern. Am Ende ihres Lebens hatte sie mit ihren Gatten für Frankreich ebenso wie für England die Königsmacht konsolidieren können. Geliebt aber hat sie nur ein einziges Land: ihre Heimat Aquitanien. Doch die verlor sie am Ende.
Wo liegt Aquitanien? Zur Zeit von Eleonores Geburt 1122 in Poitiers war das Herzogtum mit seinen reichen Burgen und Städten Bordeaux, La Rochelle, Poitiers, Chinon, Angoulème und Limoges eine blühende Region und deshalb umkämpft. Es grenzte im Süden an die Pyrenäen, im Westen an den Atlantik und im Norden an die Loire. Als Eleonore gestorben war, wurde ihr Herzogtum dem Königreich Frankreich zugeschlagen.
Ihr Großvater Wilhelm IX war ein temperamentvoller, tatkräftiger Fürst, der viel Freude an seiner Enkelin gehabt haben soll. Denn sie glich ihm. Sie war das erste Kind ihrer Eltern Wilhelm X und seiner Frau Aenor von Châtellerault – und blieb die Erbin, da ihr Bruder im Kindesalter starb. Über ihre Jugendjahre sind keine Dokumente erhalten, manches aber lässt sich erschließen. Wilhelms jüngerer Sohn Raimund, Eleonores Onkel, lebte einige Jahre am Hof zu Bordeaux, und die Prinzessin wird von der brüderlichen Freundschaft dieses nur sieben Jahre älteren Verwandten viel profitiert haben. Vermutlich hat er die Kleine das Reiten gelehrt, sie auf die Jagd und zu den Troubadouren mitgenommen; kurzum, sie überall da eingeführt, wo Mädchen nicht vorgesehen waren.
Eleonore war sehr wissbegierig. Dass sie Latein gelernt hat, ist verbürgt; mithin war sie imstande, an den theologischen Disputen ihrer Zeit teilzunehmen. Zu Hause sprach man Okzitanisch. Aber sie beherrschte auch das Französische. Die junge Eleonore darf man sich als hübsch, gebildet, selbstbewusst und resolut vorstellen. Womöglich ahnte sie, was auf sie zukam. Denn Aquitanien erlaubte die weibliche Erbfolge.
Gleichwohl entging Eleonore nicht dem Schicksal aller Kinder des Adels, auch der Knaben: Heiratspläne, bei denen es nur darum ging, Länder, Loyalitäten und Einflusssphären beieinander zu halten, wurden über ihren Kopf hinweg geschmiedet. Prinz Ludwig, der spätere Ludwig VII von Frankreich, war für sie der Auserwählte – so bliebe Aquitanien in Personalunion mit Frankreich verbunden. Ostern 1137 starb Herzog Wilhelm X, und seine Tochter Eleonore wurde nur wenige Monate später in ihrer Heimat Bordeaux Prinz Ludwig angetraut – in einer prunkvollen Zeremonie. Der Bräutigam war 17, die Braut 15 Jahre alt. Nach der Krönung des Paares in Poitiers zur Herzogin und zum Herzog von Aquitanien ging es mit großem Gefolge nach Paris.
Für Eleonore hatte sich innerhalb nur weniger Monate die Welt verändert. Sie hatte das heitere, üppige Aquitanien aufgeben müssen und fand auf der Ile de la Cité ein Hofleben vor, das von ihrer sittenstrengen Schwiegermutter geprägt war. Wo waren die poetischen Troubadoure, der schwere Wein und das weite Meer? Wenig später erlag Ludwig VI, genannt der Dicke, seinem Darmleiden. Nun trugen die Jungvermählten als König und Königin von Frankreich Verantwortung.
Der 17-jährige Ludwig VII war eigentlich für die geistliche Laufbahn erzogen worden. Die Zufälle der Erbfolge – sein älterer Bruder war bei einem Reitunfall umgekommen – hatten ihn zum König bestimmt; er selbst war darüber nicht froh. Er hätte lieber nur seinem Gott gedient als seinem Volk und dem Götzen Macht. Bei Eleonore war es umgekehrt.
Die Stellung der französischen Königinnen war damals recht stark. Sie gestalteten das Hofleben, hielten an der Seite ihres Gatten Gerichtstag, empfingen Gesandte und nahmen gemeinsam mit dem König den Lehnseid der Vasallen entgegen. Eleonore lag daran, die Unabhängigkeit Aquitaniens von Frankreich so weit wie möglich zu bewahren. Für sie hatte sich lediglich ihr Einflussbereich nach Norden erweitert. Erst 1145 bekam sie das erste Kind, ein Mädchen Marie.
15 Jahre lang blieb Eleonore an der Seite ihres Mannes Ludwig, auch bei Feldzügen gegen aufsässige oder noch zu unterwerfende Lehnsempfänger. Im Jahr 1146 kündigte sie an, ihren Gatten bei dessen nächstem großen Unternehmen, einem Kreuzzug ins Heilige Land, begleiten zu wollen. Ludwig erschrak – wie so oft, wenn seine Gemahlin ihre Beschlüsse kundgab. Aber da es keinem Christenmenschen zu verwehren war, als Pilger an die heiligen Stätten zu ziehen, gab er nach. Die Königin hatte jedoch gar keine frommen Absichten. Sie wollte vor allem ihren Onkel Raimund wiedersehen, der es zum Fürsten von Antiochia gebracht hatte. Antiochia lag auf dem Weg. Und in der Tat: Eleonore warf sich in Raimunds Arme. Die Legende will, dass sie ein Liebespaar wurden.
Die Legende will so manches bei Eleonore, schon weil die Quellen so dürftig sind. Was wir wissen ist, dass der Kreuzzug von 1147/48 für Ludwigs Heer entsetzlich scheiterte. Die junge Königin reiste durch Byzanz und Antalya, geriet mehrfach in Lebensgefahr und kam nur mit viel Glück heil davon. Die Verluste beider Seiten, der Christen und der Muselmanen, waren beträchtlich. Eleonore begriff, dass die religiösen Fragen Vorwände waren, hinter denen sich Machtfragen, Geschacher um Handelswege und Einflusssphären, verbargen.
Auf dem Rückweg nach Frankreich besuchte das Königspaar Papst Eugen in Rom. Beide bezweifelten, dass der Fortbestand ihrer Ehe noch Sinn hätte und wollten den Papst bitten, ihren Bund zu lösen. Ludwig war seiner anstrengenden Frau, die ihm in gut zehn Jahren Ehe nur ein Mädchen geboren hatte, überdrüssig. Und Eleonore kommentierte ihr Scheidungsbegehren mit den Worten: „Ich habe einen Mönch geheiratet und keinen Mann.“ Der Heilige Vater aber dachte nicht daran, den Wünschen des Paares zu entsprechen. Statt der Auflösung ihrer Ehe bot er den beiden ein geschmücktes Doppelbett und zog sich lächelnd zurück.
Gehorsam versuchten es die Majestäten erneut mit der Zeugung eines Prinzen. Und in der Tat, der päpstliche Segen wirkte, die Königin ward schwanger. Nach der Rückkehr kam in Paris die zweite Tochter zur Welt, Alice, auch sie später eine bedeutende Fürstin. Nun zweifelte die Familie des Gatten nicht länger: Eleonore war eine Hexe und der königlichen Familie Kapet zu deren Untergang vom Teufel gesandt. Zwei Jahre nachdem der Segen des Papstes zu nichts Besserem als zu einer weiteren Tochter geführt hatte, wurde die Ehe des französischen Königspaares vom Heiligen Stuhl aufgelöst. Eleonore war frei, ihre Erleichterung groß.
Das Los einer höchstinstanzlich weggeschiedenen Frau, egal wie hoch ihr Rang war, hieß im Mittelalter stets: Kloster. Das aber war nichts für Eleonore. Die Aquitanierin hatte Geschmack an der Macht gefunden, sie wusste, wie man sie ergreift; jetzt wollte sie zeigen, wie man sie festhält.
Zunächst stellte Eleonore klar, dass sich an ihrem Status als Herzogin von Aquitanien nichts ändern würde. Sie hatte schon vor ihrer Scheidung Kontakt zur aufstrebenden Familie der Plantagenet von Anjou, zu Gottfried dem Schönen, Herzog der Normandie und König von England, geknüpft. Die Legende will gar, dass beide zueinander in Leidenschaft entbrannten. Doch Gottfried war nicht frei. Und so plante das Paar im Geheimen eine Ehe Eleonores mit Gottfrieds Sohn Heinrich, der den Thron erben sollte. Er war zwar erst 18 Jahre alt, aber männlich-kühn und kampferprobt.
Der junge Heinrich Plantagenet war fasziniert von der Aussicht, das reiche Aquitanien, welches an das Anjou grenzte, seinem Herrschaftsbereich zurechnen zu können. Außerdem gefiel ihm die attraktive 30-jährige Herzogin. 1152 heiraten er und Eleonore in Poitiers. Und siehe da: Ganz plötzlich verstirbt nun Eleonores verehrter und begehrter Schwiegervater Gottfried.
Sohn Heinrich trauert nicht lange. Er ist derart in Eroberungslaune, dass er den englischen Bürgerkrieg gegen den (von seiner Warte aus so zu nennenden) Thronräuber Stephan von Blois für sich entscheidet, den Rivalen ins Grab ärgert und König wird. Im Dezember 1154 finden die Krönungsfeierlichkeiten für Heinrich II und Eleonore von Aquitanien in Westminster statt. Der erste gemeinsame Sohn Wilhelm ist da schon auf der Welt. Ein Jahr später wird Heinrich geboren, in den Jahren darauf erst Mathilde, dann Richard, schließlich Gottfried und Eleonore. Nach einer Pause schenkt die über Vierzigjährige noch Johanna und Johann das Leben.
Spricht dieser Kinderreichtum für eine glückliche Ehe? Nicht zwingend, denn auch das Gebären war Politik und Eleonore war sich dessen bewusst. Gleichwohl: Die Majestäten von England passten zusammen, waren beide ungestüme Machtmenschen, impulsiv und hitzig, aber immer klug genug, auf weisen Rat zu hören. Mutter Eleonore zog ihre Kinder natürlich nicht selber groß. Sie gab sie in die Obhut von Ammen und Geistlichen; als Königin hatte sie andere Pflichten.
König oder Königin sein hieß im Mittelalter: auf Reisen gehen. Denn die Besitzungen eines einzelnen Herrscherhauses lagen – durch Zufälle der Lehnsvergabe und der Erbschaften – oft so weit voneinander entfernt, dass Herr oder Herrin ihr Reich nie im Ganzen überblicken konnten; Illoyalität, Verrat und Abfall ganzer Provinzen waren an der Tagesordnung, und der Lehnsherr musste vor Ort erscheinen, um Frieden zu stiften und für den Fluss der Steuern zu sorgen.
Erschwerend kam hinzu, dass es kein einheitliches Recht gab und dass neben dem Patchwork von Gewohnheitsrechten und verbrieften Vorrechten im weltlichen Bereich noch die ebenfalls regional unterschiedliche Kanonische Rechtsprechung existierte. So flammten immer wieder lokale Fehden auf, die manchmal mit schwer bewaffneten Truppen in blutigen Schlachten entschieden werden mussten.
Heinrich war in seiner Funktion als Heerführer fast so oft unterwegs wie in der als Richter. In den Zeiten seiner Abwesenheit führte Eleonore die Regierungsgeschäfte. Sie hatte sich nach und nach genaue Kenntnisse der Verwaltung und der Gesetzgebung angeeignet und regierte das Reich mit fester Hand. Oft geschah es allerdings, dass Heinrich und sie aneinander gerieten, denn beide waren willensstark und wenig diplomatisch, und beide sahen die Dinge verschieden. So wollte Heinrich sein Reich einig sehen und widersetzte sich hartnäckig einer Vergabe von Domänen an seine heranwachsenden Söhne. Eleonore war eher dem Leitsatz: „Divide et impera“ (teile und herrsche) zugeneigt, stritt für die Unabhängigkeit Aquitaniens und wollte ihre Kinder durch zeitige Vergabe von Ländereien versorgt sehen.
Da Heinrich immer nur Nein sagte, lehnten sich schließlich seine Söhne Richard, Gottfried und Johann gegen ihn auf. Eleonore schlug sich auf ihre Seite. Sie wollte ihren Liebling Richard zum Nachfolger aufbauen – und ihn als Herrn über Aquitanien einsetzen. So reiste sie mit dem 14-Jährigen nach Poitiers und ließ ihm dort die Insignien eines künftigen Herzogs überreichen. Heinrich missbilligte diesen Schritt entschieden. Seine Söhne, Hitzköpfe wie er, hielten es aber, je älter sie wurden, im Wartestand nicht mehr aus. Schließlich suchte Richard beim französischen König Rückendeckung für die Entmachtung seines Vaters.
Eleonore stahl sich bei Nacht und Nebel in Männerkleidern nach Paris. Mutter und Söhne hatten genug Vasallen auf ihre Seite gebracht, um den Aufstand zu wagen. Doch die Verschwörung wurde aufgedeckt. Die Söhne mussten zu Kreuze kriechen, Eleonore wurde gefangen gesetzt. Für 15 Jahre verschwand die Aufrührerin hinter Festungsmauern.
Sie landete hinter vergoldeten Gittern. Die Königin konnte ihren Hofstaat mitnehmen, verfügte über großzügigen Unterhalt und geräumige Suiten – allerdings gab es auch Bewacher, die aufpassten, dass die Queen nicht neue Intrigen spann oder gar entfloh. Und es gab Spione, die Heinrich berichteten, was sie sprach und tat.
Lange Jahre sah Eleonore weder Söhne noch Töchter, und da sie den Tröstungen der Religion nicht sehr zugeneigt war, gab sie sich jetzt den Anregungen der Wissenschaft und der Künste hin. Anlässlich hoher Feiertage wie Weihnachten hielt Heinrich Hoftag in Chinon oder Windsor, zu denen auch Eleonore willkommen war.
Der König tröstete sich mit seiner Geliebten Rosamund. Die Legende kolportiert, dass Eleonore versucht habe, die Rivalin zu vergiften. Tatsache ist, dass Rosamund früh starb. In Eleonores Lebensgeschichte gab es viele plötzliche und schwer erklärliche Todesfälle. Ihr Bruder? Ihr Vater? Gottfried der Schöne? Ludwig der Dicke? Wäre dem König seine verräterische Ehefrau ein Dorn im Auge gewesen, hätte er sie wahrscheinlich beseitigen lassen. Stattdessen suchte er noch in Zeiten äußerster Distanz zuweilen ihren Rat. Auch sie hat ihn bis zum Schluss geachtet. Heinrich starb 1189 in Chinon als einsamer alter Mann. Jetzt wurde Richard König.
Eleonore war frei und noch einmal sehr erleichtert. Gleich stürzte sich die betagte Königinmutter wieder in die Politik und reiste nach Aquitanien, um Städteprivilegien zu vergeben. Dann weiter nach Kastilien, um ihre Enkelin Blanca für die Hochzeit mit dem französischen Thronfolger Ludwig, später dem VIII, abzuholen. Diese Ehe sollte den Bund zwischen den verfeindeten und doch aufeinander angewiesenen Kapetingern und Plantagenets besiegeln.
Königin Eleonore war fast achtzig Jahre alt und hatte zwei Ehemänner und die meisten ihrer Kinder überlebt. Einen letzten schweren Verlust musste sie hinnehmen, als ihr Sohn Richard, der sich auf seinen Kreuzzügen den Beinamen Löwenherz verdient hatte, nach der Niederschlagung eines Aufstandes in Aquitanien schwer verletzt heimkehrte und in ihren Armen starb.
Jetzt war ihr außer Tochter Eleonore, der Mutter Blancas, nur noch ihr Jüngster geblieben, an dessen politischen und militärischen Fähigkeiten sie stets gezweifelt hatte. Johann „Ohneland“ – so genannt, weil er bei dem allfälligen Gezerre um Besitztümer stets leer ausgegangen war – wird nun König von England. Eleonore stirbt 1204 im Kloster Fontevrault. Sie hat nicht mehr miterlebt, dass der glücklose King John das Reich nicht zusammenhalten konnte. Als erstes geht Aquitanien verloren.
Historiker betonen, dass Eleonore nie eine souveräne Herrscherin gewesen sei, sondern „nur“ in Vertretung ihrer königlichen Gatten regiert habe. Das trifft rein formal zu. Doch Eleonore hat alle Spielräume, die sich ihr boten, mit einer unerhörten Energie und Zielstrebigkeit genutzt und ausgeweitet, bis hin zum versuchten Umsturz. Dafür hat sie einen hohen Preis gezahlt – ohne je in Selbstmitleid zu verfallen. Vielleicht konnte sie so kraftvoll auftreten, weil sie aus einem Land kam, in dem die weibliche Erbfolge galt. Mit Sicherheit hat der Stolz des Großvaters auf seine begabte Enkelin, hat ihr Selbstbewusstsein als designierte Herzogin dazu beigetragen, dass die Königin mit den zwei Kronen den engen Radius einer weiblichen Herrscher-Existenz im Hochmittelalter sprengen konnte.