Erzherzogin Maria Theresia

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Als der Erzherzog von Österreich Karl VI. im Jahre 1740 plötzlich starb, war es mal wieder so weit: Ein Erbfolgekrieg konnte beginnen. Das 18. Jahrhundert war voll von Erbfolgekriegen.  Wann immer in den großen Monarchien die Nachfolge nicht eindeutig geregelt war, gingen die übrigen Königshäuser in Lauerstellung, um zu sehen, ob da nicht was zu holen sei. Denn der Hochadel bildete europaweit ein einziges Verwandtschaftsnetz, und so konnte ein Machtvakuum vortrefflich genutzt werden, um eine Umverteilung von Ländern oder Einflusszonen vorzunehmen.

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Was war 1740 also los in Wien? Karl VI., Haupt des Erzherzogtums Österreich, zugleich König von Ungarn und Böhmen sowie Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, hatte keinen männlichen Erben hinterlassen. Es gab „nur“ zwei Töchter: Marie Therese und Marianne. Die aber waren, da der Kaiser bis zum Schluss auf einen Sohn gehofft hatte, in keiner Weise auf das hohe Amt der Regentschaft vorbereitet worden.

Zwar war Karl VI. klug genug gewesen, mittels eines Erlasses, genannt „Pragmatische Sanktion“, zu verfügen, dass im Falle des Aussterbens seines Geschlechtes „im Mannesstamm“ die weib liche Erbfolge gelten sollte – doch seine älteste Tochter Marie Therese, 23 Jahre, verheiratet mit dem wenig bedeutenden Fürsten Franz Stephan von Lothringen und gesegnet mit zwei Töchtern, ein junges Muttchen also ohne jede Erfahrung in Staatsangelegenheiten, hatte ja wohl kaum die Kraft oder Absicht, die weit voneinander entfernt liegenden Besitztümer des Hauses Habsburg zusammen zu halten und eine starke Stimme im Konzert der europäischen Mächte zu erheben. So jedenfalls dachten die Monarchen in Preußen, Bayern, Sachsen, Frankreich, Spanien und der Türkei und rüsteten zum österreichischen Erbfolgekrieg.

Sie sollten sich alle miteinander gewaltig getäuscht haben! Die Frau, die jetzt in Wien die Zügel in die Hand nahm, erwies sich als eine der stärksten und machtbewusstesten Herrscherpersönlichkeiten ihrer Zeit. Es gelang Maria Theresia nicht nur, das Geschlecht der Habsburger aus der drohenden Bedeutungslosigkeit zu neuen Höhen zu führen und einen großen Teil ihrer Stammlande (außer Österreich auch Ungarn und Böhmen) sowie der italienischen und niederländischen Besitzungen zu halten – sie wirkte außerdem als Reformerin im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus unbeirrt und voller Energie an vorderster Front. Sogar ihr ärgster Feind (und entfernter Vetter!) Friedrich II. von Preußen wird von ihr sagen: „Sie hat ihrem Thron und ihrem Geschlecht Ehre gemacht.“

Das konnte im Jahre 1740 allerdings noch niemand wissen. Und besonders Freigeist Friedrich, der von Frauen wenig hielt und die katholisch-fromme Wienerin vorab gering schätzte, sah seine Stunde gekommen. Er war gut gerüstet, seine Armee in Bestform, und seine Eroberungslust auf dem Höhepunkt. Und so marschierte Friedrich II. ohne Kriegserklärung in das zu Österreich gehörende Schlesien ein. Er stieß auf nur geringen Widerstand. Doch wahrscheinlich hat Friedrichs Coup dazu beigetragen, dass aus der jungen Fürstin im Geschwindverfahren eine Realpolitikerin wurde.

Diese erste Etappe des österreichischen Erbfolgekriegs wird auch „Erster Schlesischer Krieg“ genannt. Es gab also noch weitere.  Tatsächlich zog sich das Ringen um die relativ hoch entwickelte Provinz Schlesien durch die gesamte Regierungszeit Maria Theresias. Die Habsburgerin konnte die widerrechtliche Anne - xion dieses Teils ihrer Erblande trotz wiederholter Versuche (Zweiter und Dritter Schlesischer Krieg) nie rückgängig machen.

Anfangs stand sie unter Schock. Friedrich war der Patensohn ihres Vaters gewesen; der hatte ihm sogar das Leben gerettet, als der junge Rebell vom eigenen Vater zum Tode verurteilt worden war. Dank der Intervention des Wiener Kaisers hatte der Berliner Soldatenkönig davon abgesehen, das Urteil vollstrecken zu lassen.  Maria Theresia hatte Gründe zu hoffen, dass sie mit ihrem werten Cousin europäische Friedenspolitik treiben könnte. Und jetzt das!

Aber statt die vollendeten Tatsachen hinzunehmen, wie es der Beraterstab, den die Herrscherin von ihrem Vater übernommen hatte, empfahl – lauter resignierte, im Amt ergraute Männer –lief Maria Theresia zur entschlossenen Kämpferin auf. Sie arbeitete sich mit Eifer und Erfolg in eine Materie ein, die ihr bislang völlig fern gelegen hatte: in das Militärwesen. Das war ja der wunde Punkt, die Überlegenheit der preußischen Armee hatte sie Schlesien gekostet. Am Ende ihres Lebens wird sie bekennen, dass das Militär „der einzige Zweig der Staatsverwaltung (war), für den ich Interesse hatte“. Da hat sie tief gestapelt, denn in den Staatsfinanzen, der Justiz, der Wirtschaft, der Bildung –überall war sie reformierend tätig, überall erwarb sie Sachverstand bis in die Details und stellte fähige Leute ein. Als Realpolitikerin, zu der sie sozusagen von heut auf morgen gereift war, hatte sie indessen gar keine andere Wahl, als ein Stück in die Richtung ihres Feindes Friedrich zu gehen und die Schlagkraft der Armee zu optimieren.

Diese Frau scheute den Krieg und musste ihn doch ständig führen. In die Mitte ihrer 40-jährigen Regierungszeit fällt der von Historikern als allererster Weltkrieg bezeichnete Siebenjäh - rige Krieg. Große Triumphe hat die militante Herrscherin im Feld nie feiern können, höchstens mal einen Etappensieg. Aber am Ende ihrer Ära hatte sie den Herrschaftsbereich des Hauses Habsburg einigermaßen gesichert, was bei den desaströsen Ausgangs bedingungen, die sie vorfand, eine enorme Leistung war.

Maria Theresia von Habsburg war weder zur Real- noch zur Kriegspolitik erzogen worden. Die im Jahre 1717 geborene Erzherzogin verbrachte eine sorglose Kindheit im lebensfrohen, barocken Wien. Ihre Warmherzigkeit und Unbefangenheit, die sie nie verlor, gedieh in jenen Jahren der Geborgenheit an der Seite von Schwester Marianne und der liebevollen Erzieherin Gräfin Fuchs (genannt „die Füchsin“). Die Eltern waren freundlich, aber meist abwesend. Die Mutter kränkelte, und der Vater wird sich schon deshalb nicht besonders um seine beiden Töchter bemüht haben, weil er ganz in der Hoffnung auf einen zweiten Sohn lebte (der erste war im Säuglingsalter verstorben). So hielten sich die Mädchen an ihre Füchsin.

Die Erziehung der Erzherzogin legte, wie für Töchter damals üblich, den Schwerpunkt auf die Religion. Für die Fürstenkinder kamen Mehrsprachigkeit und Schöne Künste hinzu. Letztere bedeuteten Maria Theresia wenig. Nicht einmal Mozart imponierte ihr. Stark ausgeprägt waren ihre sozialen Talente. Sie wusste, was in anderen vorging, konnte verstehen, überzeugen, ausgleichen – und sich durchsetzen.

Das knapp siebenjährige Reserl (so der Rufname des Kindes) begegnet 1724 dem 15-jährigen Franz Stephan von Lothringen.  Der junge Mann soll an der Hofburg zu Wien seine Erziehung vervollkommnen. Es gefällt ihm dort, er bleibt lange. Zwischendurch muss er mal wieder nach Hause, und in der Zeit, in der Reserl und Franz getrennt sind, merken beide: Sie mögen sich ganz arg. Aus der Jugendfreundschaft wird Liebe.

Und da es sich fügt, dass die Verbindung der Häuser Habsburg-Lothringen für beide Geschlechter Vorteile bringt, und da die Tochter darauf besteht, kommt es 1736 zur Vermählung und damit zum seltenen Fall einer politisch motivierten Verbindung im Hochadel, die zugleich eine Liebesheirat ist. Die Ehe wird glücklich. 16 Kinder gehen aus ihr hervor. Das sanftmütige Naturell des „Prinzgemahls“, der später zum deutschen Kaiser gekrönt wird (eine Repräsentativ-Position mit nur wenig realer Macht) ergänzt und dämpft den Ehrgeiz und das ungestüme Temperament Maria Theresias.

Nach dem Tod von Franz 1765 trug die Witwe nur noch schwarz und vereinsamte innerlich. Aber sie führte die Regierungsgeschäfte mit gewohnter Umsicht fort, arbeitete unermüdlich an ihrem Reformwerk und an der Verheiratung ihrer Kinder –eine eminent politische Tätigkeit.

Die stärkste Kraftquelle für Maria Theresia war die Religion. Ihre Frömmigkeit war sprichwörtlich und im Zeitalter der Aufklärung auch eine Zielscheibe für Hohn und Spott. Den ließ die Fürstin an sich abprallen. Doch als auch ihr eigener Sohn, Thronfolger Joseph, in die Riege der Spötter einrückte, war die Mutter alarmiert. Sie sprach: „Die Hauptgrundlage unserer Religion ist die Nächstenliebe, sie ist nicht nur ein Rat, sondern eine Vorschrift.  Glaubst Du etwa, sie auszuüben, wenn du die Menschen durch Ironie betrübst und verwirrst?“

Unbeirrt besuchte die treue Tochter ihrer Kirche täglich die Messe und verlangte ein Gleiches von ihren Kindern. Aus dem Gebet bezog sie die Kraft für ihr politisches Werk – und aus der festen Überzeugung, von Gott gesandt zu sein, um die Geschicke des „Erzhauses“ (so nannten die Habsburger ihren Stamm) zum Wohl ihrer Untertanen zu lenken. Sie hat mit Befremden gesehen, wie sich das „Monster“ von Potsdam, dieser Räuber und Ketzer, ausgerechnet den größten Kirchenkritiker der Zeit, Voltaire, an den Hof holte. Noch größer ist ihr Entsetzen, als Sohn Joseph, der nach dem Tod seines Vaters als Mitregent neben ihr sitzt (und später ebenfalls deutscher Kaiser wird), sogar mit dem von ihm heimlich bewunderten Preußenkönig zusammentrifft. Die ganze Richtung passt ihr nicht: „Die Welt ist jetzt so leichtfertig, so wenig wohlwollend; alles wird ins Lächerliche gezogen und als Bagatelle hingestellt. Unsere Deutschen verlieren hiedurch die beste Eigenschaft, die sie besaßen, ein wenig schwerfällig und rauh zu sein, aber gerade, wahrhaft und fleißig.“

Maria Theresias tiefe Religiosität führte sie aber auch in die Intoleranz. Und die zeitigte bei einer Herrscherin ihrer Machtfülle zuweilen böse Folgen. So regte sie in Böhmen Juden-Vertreibungen an, die jedoch so kläglich scheiterten – die Juden kehrten einfach wieder in ihre Häuser zurück – dass sie aufge - geben werden mussten. Und sie richtete eine „Keuschheitskommission“ ein, die jede Form von illegitimer geschlechtlicher Beziehung herausschnüffeln und zur Anzeige bringen sollte.  Doch das Ancien Régime war sehr freizügig, und so wurde die Kommission wieder aufgelöst, bevor die Kaiserin sich vollends lächerlich gemacht hätte.

Maria Theresia stand also der Aufklärung fern. Geistig blieb die fromme Frau der barocken Welt ihrer Kindheit verhaftet. Praktisch jedoch schritt sie in die Moderne voraus. Die Fromme bestand auf einer strikten Trennung von Kirche und Staat. Sie „erfand“ überhaupt erst den zentralistischen Staat, indem sie die Stände zwang, ihre Partikularinteressen aufzugeben und sich ihren Direktiven zu beugen. Mit Sorge sah sie, wie die hörigen Bauern von den Grundherren ausgeplündert wurden, die ihrerseits keine Steuern zahlten! Jetzt bat sie den Adel zur Kasse –und den Klerus. Denn wie sollte sie je ein gewandtes, mit neuestem Gerät ausgerüstetes Heer aufstellen ohne die dafür notwendigen Mittel?

Die Regentin stieß bei ihren Reformen auf massive Widerstände, die sie aber niederrang. Und sie suchte zielbewusst nach den fähigsten Leuten, auch wenn sie persönlich schwer mit ihnen zurechtkam. Der Vielvölkerstaat war, als die Erbtochter ihn vom Vater übernahm, bitterarm, marode und vom Zerfall bedroht. Die Beamtenschaft war korrupt, das Militär pflichtvergessen, der Adel dekadent, und das Volk litt unter Abgabenlast und Hunger. Zynische Machtpolitik war der Herrscherin zutiefst fremd, doch nicht immer konnte sie auf sie verzichten. Die „polnische Teilung“ des Jahres 1772, die blanker Raub war, führte sie machtpolitisch an die Seite Friedrichs und der Zarin Katharina – was ihr entsetzlich schwer fiel. „Wie lange habe ich mich dagegen gewehrt!“ Doch die hohe Moralität Maria Theresias zeitigte auch positive Folgen. So schritt sie mit Erfolg gegen Hexenprozesse ein.

Noch während der österreichische Erbfolgekrieg andauerte –er endete erst 1748 – musste die frisch gekürte Herrscherin nach Pressburg ziehen, um dort mit der „Stephanskrone“ zum König von Ungarn geweiht zu werden. Ihr Erscheinen machte großen Eindruck, die Ungarn begeisterten sich für die schöne Habsburgerin und beobachteten entzückt, wie gut sie ritt. Währendessen eskalierte der Krieg: Bayern und Franzosen marschierten in Oberösterreich ein, Preußen stieß nach Böhmen vor, Spanien streckte die Hand nach den italienischen Besitzungen Habsburgs, nach Parma, Piacenza und der Toscana aus, und der traditionelle Bündnispartner England tat nichts, um das Erzhaus zu retten. Nie wieder war Habsburg so bedroht wie zu Beginn von Maria Theresias Herrschaft.

Da war es nur gut, dass diese Fürstin so ungewöhnlich mutig und entschlusskräftig war – und dass Ungarn Truppenhilfe stellte. Die Königin, der inzwischen auch die böhmische „Wenzelskrone“ aufs Haupt gesetzt worden war, musste erleben, dass die Preußen Prag einschlossen. Sie schrieb an ihren Berater Kinski: „Alle meine Heere sollen eher vernichtet werden, als dass ich irgendetwas abtrete."

Der böhmische Adel, loyal einzig seinen Privilegien verbunden, huldigte flugs dem neuen Herren. Der aber blieb nicht lange im Lande, denn Böhmen wurde zurückerobert. Die Herrin verfuhr milde mit den Verrätern. Und die Monarchen draußen in Europa korrigierten in aller Stille ihre Einschätzung. Der Erbfolgekrieg um Österreich hatte ihnen statt der erhofften Zugewinne eine Königin mit Adlerklauen beschert. Leichte Beute war da nicht mehr zu machen.

Während all der kriegerischen Ereignisse, der Krönungen, Aufstände und Verhandlungen brachte Maria Theresia ein Kind nach dem anderen zur Welt. Thronfolger Joseph war ihr viertes Kind und der erste Knabe. Der Jubel in Wien war endlos, und dieser erstgeborene Sohn sollte denn auch eines Tages Mitregent, König und Kaiser werden.

Damals, nach dem Verlust Böhmens, schrieb die Königin an ihren Feldmarschall Graf Khevenhüller einen Brief, um ihn zur äußersten Anspannung aller Kräfte aufzufordern. Sie legte ihr Bildnis mit dem kleinen Joseph bei. „Hier hast du eine von der ganzen Welt verlassene Königin, mit ihrem männlichen Erben vor Augen. Was vermeinst Du, will aus diesem Kind werden?  Handle, o Held und getreuer Vasall, wie du es vor Gott und der Welt verantworten kannst.“ Dieser Brief ist insofern charakteristisch, als er das oberste Regierungsziel der Habsburgerin, die Stärkung ihrer Dynastie, gut illustriert. Die Dynastin diente ihrem Ziel auf zwei Wegen: erstens durch Reformen, die das Land nach außen wehrhaft und nach innen entwicklungsfähig machen sollten; und zweitens als Mutter, die Kinder bekam.  Fünf Söhne und elf Töchter hat sie geboren, von denen ihr vier Jungen und sieben Mädchen blieben. Sie war also zwischen ihrem 20. und 40. Lebensjahr (16 davon waren Regierungsjahre) ohne Unterbrechung entweder schwanger oder lag im Wochenbett.  Und das mit Freuden, denn für sie war das dynastische Prinzip der Herrschaft gottgewollt.

Der deutsche Kaiser wurde durch die Reichsstände gewählt, diese Krone war nicht erblich. Dennoch hatten die Habsburger das Gefühl, als sei es so, denn sie trugen sie in Folge seit 300 Jahren. So sahen sie sich auch fast betrogen, als nach Karls VI.  Tod kein Habsburger, sondern ein Wittelsbacher aus dem Bayerischen Herrscherhaus in die Kaiserwürde gewählt wurde.  Dieser Karl VII. Albrecht verstarb jedoch bald, woraufhin Maria Theresias Gemahl Franz Stephan seine Chance bekam (1745). Die Wahl geht knapp aus – aber Franz I. ist nun Kaiser, und seine Gemahlin darf Kaiserin genannt werden. Was jedoch alle erstaunt und manche brüskiert: Sie lehnt es ab, sich in Frankfurt zur Kaiserin krönen zu lassen – obwohl ihre politischen Berater sie dazu drängen. Die Gründe wollte sie für sich behalten. Sie sind aber doch durchgesickert und sehr typisch für diese stolze, nur eine einzige Abhängigkeit – die von Gott und Rom – akzeptierende Frau: Maria Theresia wollte keine abgeleitete, indirekte, von ihrem Mann auf sie übertragene Würde.  Eine weitere Interpretation ihrer Weigerung besagt, dass sie ihrem Mann, den sie liebte und den sie dennoch ständig in den Schatten stellte, einen eigenen Bereich der Bedeutung und der Repräsentation gönnen wollte. Wahrscheinlich trifft beides zu.

Der Siebenjährige Krieg tobte von 1756 bis 1763; wieder rangen Friedrich und Maria Theresia um Schlesien, wieder verlor Österreich. Aber es ging um noch vieles mehr. So entschied dieser Weltkrieg auch die Vorherrschaft von Frankreich und England in den Kolonien, in Indien und Nordamerika. Österreich wechselte seinen enttäuschenden Bundesgenossen England gegen Frankreich aus – diese „Umkehrung der Allianzen“, von Berater Graf Kaunitz vorbereitet, verblüffte Europa, da Frankreich als Hauptgegner Österreichs gegolten hatte.

Sieben Jahre nach Ende des Krieges festigte Habsburg die neue Allianz durch die Heirat von Maria Theresias jüngster Tochter Marie Antoinette mit Ludwig XVI. – beide endeten während der Revolution auf dem Schafott, was die Kaiserin, die 1780 starb, nicht mehr miterlebte.

Der Siebenjährige Krieg selbst, von Maria Theresia mit Ingrimm geführt, brachte Österreich weder Gebiets- noch Prestigegewinne.  Es siegte bei Kolin, es verlor bei Leuthen, und so ging es über Jahre, bei großen Verlusten auf beiden Seiten – Österreich und Frankreich, Russland und Sachsen gegen Preußen, England, ab 1761 auch Russland – hin und her, ohne dass sich die Kräfteverhältnisse entscheidend änderten. 1763 schlossen die ausgebluteten Staaten den Frieden von Hubertusburg.

Die Kaiserin hatte, ganz wie die Gegner, ihr Kriegsziel nicht erreicht, aber sie dachte jetzt um. Ehrgeiz und Gebietsgewinn erschienen ihr der immensen Opfer an Menschenleben nicht mehr wert. Sie schrieb an ihren Sohn Joseph: „Großmut macht dir mehr Ehre als jede Eroberung. Besser ein mittelmäßiger Friede als ein glänzender Sieg.“

Doch die nächste kriegerische Verwicklung ließ nicht auf sich warten: Diesmal war es der Bayerische Erbfolgekrieg. Maria Theresia ließ ihre Generäle machen und kümmerte sich um ihre Reformen: die Neustrukturierung der Verwaltung und des Bildungswesens.  Jeden erstaunte ihre Sachkenntnis, alle fürchteten ihre Einmischung. Sie wurde sehr dick, bekam schlecht Luft und litt an der Wassersucht. Aber sie arbeitete zäh weiter und spielte ihre Krankheit als Unpässlichkeit herunter.

Als Maria Theresia im November 1780 einer Erkältung wegen unpässlich war und vor ihrem Sofa zusammenbrach, half ihr der Sohn, inzwischen Kaiser Joseph II., auf, schaffte es aber nicht ganz, sie richtig zu lagern. „Majestät liegen sehr schlecht“, sagte er.  „Gut genug, um zu sterben“, antwortete sie. Wenige Atemzüge später verschied die große Monarchin ohne Kampf.

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Franz Herre „Die große Habsburgerin“.

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Pharaonin Hatschepsut

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Die Pharaonin Hatschepsut kam um das Jahr 1495 vor Christus in der Hauptstadt Theben zur Welt. Die Epoche, in der sie über Ober- und Unterägypten regierte (zirka 1479-1458 vor Christus) wird "Neues Reich" genannt. Sie begann ihre Herrschaft als Witwe und Regentin für ihren vierjährigen Neffen und Stiefsohn Thutmosis III. Anfangs ließ sie sich noch hinter ihm stehend abbilden, womit sie anzeigte, dass ihm, dem Kind Thutmosis, der Vortritt gebühre. Doch irgendwann genügte ihr die Regentschaft nicht mehr und sie griff nach der ganzen Macht.

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Hatschepsut nannte sich "Maat Kare" (König von Ober- und Unterägypten) und bestieg den Horusthron. Statuen und Reliefs zeigen sie mit allen Insignien der Macht, in männlichem Königsmantel und mit dem Pharaonenbart. Objektiv gesehen war Hatschepsut eine der bedeutendsten Pharaonen des ägyptischen Reiches. Sie bescherte ihrem Land zwei Jahrzehnte großer Prosperität, Frieden und Reichtum. Dennoch war sie über 3.000 Jahre vergessen, ausradiert. Ihr Nachfolger hatte dafür gesorgt, dass uns beinahe kein einziges Abbild von ihr erhalten geblieben wäre, geschweige denn die Geschichte ihres langen Wirkens. Und bis ins 21. Jahrhundert hinein ist Hatschepsut für viele ägyptische Männer ein rotes Tuch. Schon nur die Erwähnung dieser vor genau 3.467 Jahren gestorbenen Frau provoziert im Nilstromland bis heute gereizte Debatten über Frauen und Macht. Wer also war sie wirklich, diese Hatschepsut, genannt Maat Kare?

Auch im alten Ägypten galt eigentlich einzig die männliche Erbfolge. Hatschepsut aber wurde von ihrem Vater Thutmosis I seinen männlichen Nachkommen vorgezogen, vielleicht weil sie das erste Kind war, das ihm seine Hauptfrau Ahmose geboren hatte. Es folgte aus dieser Verbindung noch eine Tochter, aber kein Sohn.

Hatschepsuts Mutter Ahmose entstammte als einzige jenem göttergleichen Pharaonengeschlecht, das nach langer Fremdherrschaft der so genannten Hyksos die Macht über Ober- und Unterägypten zurückerobert hatte. Jetzt musste dieses Geschlecht seine Herrschaft festigen. Und zwar über Ahmose, die das genealogisch mächtigere Geschlecht repräsentierte als ihr Gatte Thutmosis I, Hatschepsuts Vater, der einer weniger wichtigen Nebenlinie entsprossen war. Hier deutet sich also schon eine über Frauen vermittelte Erbfolge bzw. Machtweitergabe an.

Hatschepsut, Tochter der Ahmose und des Thutmosis, genoss die allerbeste Erziehung, begleitete ihren Vater auf dessen Expeditionen und lernte früh, was es heißt, über ein Land zu gebieten. Die Forschung glaubt Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass der Pharao sie – entgegen der Tradition – von Anbeginn an als Nachfolgerin aufbauen wollte.

Sie heiratete, den Gepflogenheiten folgend, in früher Jugend ihren Halbbruder Thutmosis II, der als kränklich oder gar geistig behindert dargestellt wird. Nach dem Hinscheiden von beider Vater Thutmosis I wurde Hatschepsut, die "große königliche Gemahlin", wahrscheinlich sogleich mit den Regierungsgeschäften betraut. Nach nur dreieinhalb Jahren auf dem Horusthron verstarb Hatschepsuts Bruder-Ehemann; das Paar hatte lediglich eine Tochter, Neferure (auch: Nofrure).

Als legitimer Thronerbe wurde nun Thutmosis III, Sohn von Thutmosis II mit seiner Nebenfrau Isis, eingesetzt. Für diesen vierjährigen Knaben trat seine Tante und Stiefmutter Hatschepsut im Jahre 1479 vor Christus die Regentschaft an. Doch sie sollte sich zur Pharaonin aufschwingen und den Thron bis zu ihrem Ende nicht mehr aufgeben.

Ein Pharao hatte zunächst sein Reich zu verwalten; hierin hatte es das alte Ägypten weit gebracht. Ein großer und differenzierter Beamtenapparat stand zur Verfügung und musste von Hatschepsut geleitet werden. Anzunehmen, dass sie die dafür nötigen Kenntnisse als Liebling und rechte Hand des Vaters, sowie als Mitherrscherin an der Seite ihres beschränkten Bruder-Gatten längst erworben hatte. Jetzt aber kam die Autorität der Pharaonin hinzu. Hatschepsut stieß auf wenig Schwierigkeiten, wenn es galt, sich durchzusetzen.

Selbstverständlich stand der Pharao auch an der Spitze des Militärs; auch hier kannte Hatschepsut sich aus. Der Vater hatte seine Tochter in die Geheimnisse der Kriegskunst eingeweiht, wenn er sie nicht sogar mitnahm auf einige seiner "Strafexpeditionen" oder Feldzüge gegen Aufrührer oder Abtrünnige, etwa aus dem Lande Kusch. Hatschepsut aber war dennoch keine kriegerische Pharaonin; sie zog es vor, das Land durch Förderung des Bergbaus, des Handwerks und des Güteraustauschs sowie durch mancherlei Reformen groß zu machen.

Ihre weiten Reisen zum Zwecke des Warenaustausches sind legendär. So schickte sie eine Handelsmission in das sagenhafte afrikanische Land Punt (dessen genaue Lage auf dem afrikanischen Kontinent bis heute unbekannt ist), um Weihrauch, Elfenbein, Gold und Tierfelle zu erwerben.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Pharaos war die Pflege der Baukunst, die religiöse Pflicht, Denkmäler, Grabstätten, Tempel und Stelen zu errichten – zu Ehren der Götter und des Herrscherhauses. Wir kennen bis heute diese großartigen Zeugnisse des Wirkens der Pharaonen als Pyramiden, Tempel, Skulpturen und Obelisken. Hatschepsuts Totentempel, ein in den Fels getriebenes Terrassenbauwerk im westlichen Theben nahe dem hochberühmten "Tal der Könige", ist – in Resten, die immer noch den Atem rauben – bis heute zu besichtigen.

Und wer die Stadt Paris besucht, kommt kaum um den Hatschepsut-Obelisken herum, der den Place de la Concorde beherrscht. Die Franzosen haben ihn im 19. Jahrhundert in Ägypten geklaut. Im Amun-Tempel zu Karnak am Ufer des Nil ließ die Pharaonin die damals höchsten Obelisken errichten (dreißig Meter); etliche weitere große Anlagen, so der Mut-(=Name der Göttin Thebens)Tempel zu Karnak, gehen auf ihre Regierungszeit zurück.

Die wichtigste aller Pflichten der Pharaonin jedoch war der Dienst an den Göttern. Als Herrscherin war sie zugleich die Gebieterin aller Priester, die höchste Vertreterin der Götter auf Erden – ja, mehr noch: sie war selbst von göttlicher Natur. Hatschepsut streute die Legende, dass niemand anderes als Gott Amun selbst sie gezeugt habe – nachdem er die Gestalt von Thutmosis I angenommen hatte.

Möglicherweise war es üblich, dass ein Pharao sich auf diese Weise eine göttliche Abkunft zuschrieb. Vielleicht aber hat Hatschepsut auf dieser hohen Geburt auch deshalb bestanden, weil sie als Frau auf dem Thron eine zusätzliche Legitimation liefern musste. Sie hatte ja schon Ahmose vorzuweisen, eine hochkönigliche Mutter. Der Vater sollte dann gleich Thebens Schutzgott selbst sein. Auch war da noch das Orakel des Amun, in dem ihr die Herrscherwürde prophezeit worden war ...

Im Leben der alten Ägypter war die Religion kein Bereich für sich – sie durchwirkte den Alltag mit all seinen Verrichtungen, sie war stets gegenwärtig. Die Pharaonin lebte ihr Leben quasi in Tuchfühlung mit den Göttern. An den Feiertagen zu Ehren der Götter und der Pharaonenfamilie legte Hatschepsut die männliche Tracht und den Bart an, und zollte so dem ursprünglich rein männlichen Thronanspruch Tribut.

Offenbar verstand diese Pharaonin und Gottestochter es sehr gut, sowohl das Volk als auch die Eliten, das heißt die Beamtenschaft, die Heerführer, Priester und Gelehrten derart für sich einzunehmen, dass niemand ihr die höchste Majestät streitig machte. Ihre auf Frieden, Handel und Baukunst gerichteten Regierungsziele überzeugten und machten sie zu einer beliebten Herrscherin ihrer Zeit, deren Ruhm über die Grenzen des Landes hinaus für Ägypten und sein Herrscherhaus warb.

Wichtige Unterstützung bei den Regierungstätigkeiten sowie den Bauvorhaben leistete ihr der Hauslehrer ihrer Tochter, der als Architekt weithin bekannte Senenmut. Die Forschung nimmt an, dass die langjährige Nähe zwischen Hatschepsut und ihrem engsten Berater ein Liebesverhältnis wurde. Die Deuter der Quellen glauben sogar ein Kind von Hatschepsut und Senenmut nachweisen zu können. Manche vermuten gar, Neferure sei Senenmuts Tochter gewesen. In späteren Jahren fiel der große Berater und Freund bei seiner Pharaonin in Ungnade, es kam zu keiner Versöhnung mehr. Senenmut verschwand von der Bildfläche. Die Gründe sind unbekannt.

Nun gab es aber doch einen, der mit Neid und Missgunst auf die Frau auf dem Horusthron blicken musste, und das war Thutmosis III. Der junge Mann wuchs im Königspalast auf, während seine Tante/Stiefmutter regierte. Die Priester, Lehrer und Berater, die ihn unterrichteten, erwiesen ihm die Ehrerbietung eines künftigen Pharao, und auch Hatschepsut ließ sich häufig mit ihm sehen. Nach außen hin und auch gemäß dem Protokoll und dem Erbfolgegesetz war und blieb Hatschepsut eine Regentin in Vertretung ihres Neffen/Stiefsohns. Die Tatsachen aber sahen anders aus.

Auch als Thutmosis III herangewachsen war und sich auf der Jagd und in den allfälligen Grenzscharmützeln als wahrer Heißsporn erwies, war es weiterhin seine Tante/Stiefmutter Hatschepsut, die die politischen Entscheidungen fällte: Schiffe für Handelsmissionen ausrüstete, den Bau der Grabanlagen für die Pharaonenfamilie leitete, Heerführer und Spitzenbeamte ernannte und die Scharen von Bediensteten im Palast auf das Zeremoniell um ihre Person konzentrierte. Thutmosis, obwohl längst erwachsen, blieb ohne Einfluss, eine Nebenfigur. Wir wissen nicht, was er dabei empfand, dürfen aber annehmen, dass ein tiefer Grimm in ihm kochte.

War nicht er der wahre Pharao und sie nur seine Stellvertreterin? Aber was konnte er ihrer göttlichen Abkunft entgegensetzen, er, der Sohn des zweiten Thutmosis, der ja nur einer Nebenlinie entstammte, der Sohn der im Vergleich mit Ahmose unbedeutender Nebenfrau Isis? Der Familienzwist im Pharaonenpalast ist uns nicht überliefert, aber er muss heftig gewesen sein und entschied sich für Hatschepsut – sie verließ den Thron erst nach zwanzig Jahren und neun Monaten, als sie um 1458 starb.

Es wird von einem zeremoniellen Begräbnis berichtet, in dem kein Ritus fehlte, der einer Herrscherin gebührte. Lange Zeit galt ihre Mumie als verschollen. Erst im Jahre 2007 wurde sie quasi zufällig in einem Hinterraum des ägyptischen Nationalmuseums in Kairo entdeckt. Neueste Prüfmethoden ergaben zweifelsfrei: Es ist Hatschepsut. Den Untersuchungen zufolge soll die mit knapp vierzig Jahren Verstorbene an Krebs gelitten haben. Ob sie auch daran gestorben ist oder aber ob sie gar ermordet wurde, das ist bis heute nicht klar und wohl auch nicht mehr zu klären.

Hatschepsuts Nachfolger Thutmosis III übernahm ein hervorragend von seiner Stiefmutter organisiertes Heer, eine funktionierende Verwaltung, eine Riege hochmotivierter Skulpteure und Baukünstler (die ihre Aufgabe als königliche Bildhauer und Architekten nicht nur darin sahen, die Tradition zu pflegen, sondern auch, neue Ausdrucksformen zu erproben – das hatte die "Maat Kare" von ihnen gefordert). Thutmosis III also hatte die besten Startbedingungen für seine Herrschaft, und er nutzte sie.

Aber sein Grimm? Was wir wissen, ist, dass einige Jahre nach Hatschepsuts Tod in einer beispiellosen Zerstörungswut fast alle Zeugnisse von Existenz und Wirken der Pharaonin regelrecht eliminiert wurden: aus den unzähligen Reliefs in Palästen, Tempeln und Stelen wurden Hatschepsuts Bildnisse und die Verweise auf ihre Taten gelöscht. Sie wurden sozusagen chirurgisch herausgefräst und durch Abbildungen des Thutmosis III ersetzt. Statuen von Hatschepsut wurden zerstört oder zerstückelt. Ihre Bildnisse wurden aus Obelisken und Wandschmuck in Pyramiden und an Säulen herausgekratzt. Selbst auf den in Ägypten lückenlos geführten Königslisten verschwand ihr Name: auf Thutmosis II folgte sogleich Thutmosis III. Durch Zufall sind einige Statuen erhalten geblieben. Sie ergeben einen sinnlichen Eindruck der Pharaonin, die offenbar sehr schön war. Auch ihre Mumie wurde nicht angetastet.

Die Pharaonin sollte zur Unperson herabgewürdigt, ihr Dasein und ihre Leistung in den Orkus des Vergessens gerissen werden. Wie konnte das geschehen?

Erst im 19. Jahrhundert wurde Hatschepsuts Andenken durch die moderne Archäologie, in der England führend war, wieder hergestellt – die Bilderstürmer im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hatten also ganze Arbeit geleistet. Doch für immer hatten sie die Pharaonin nicht aus der Geschichte katapultieren können. Wir wissen dreieinhalb Jahrtausende nach Hatschepsut von ihr und stellen ihr Andenken wieder her. Und wir fragen uns: Wer wollte warum einst die Erinnerung an sie auslöschen, die Geschichte so umschreiben, als habe Hatschepsut nie existiert?

Die Forschung stieß sogleich auf den Grimm des Thutmosis. Bloß hat es damit eine Schwierigkeit: Die geschilderte Zerstörungsorgie fand erst viele Jahre nach Hatschepsuts Tod statt, als der neue Pharao bereits fest und sicher auf dem Thron saß. Wäre es um eine Tat im Affekt gegangen, hätte sie keinen Aufschub vertragen.

Oder war Hatschepsuts Vernichtung von langer Hand geplant, musste jedoch mit Umsicht in die Tat umgesetzt werden, um ihre Anhänger und Gönner nicht zu verärgern? Man wird das Geheimnis nie ganz lüften. Man kommt aber einer Erklärung näher, wenn man an die Bedeutung des religiösen Lebens im alten Ägypten denkt. Die Götter waren keine Inbegriffe oder Prinzipien – sie wurden als wirkende, wirkliche Wesenheiten gedacht. Sie gekränkt zu haben, galt als größte Sünde – völliges Verderben, unter Umständen für das ganze Land, war die Strafe.

So ist es vorstellbar, dass Thutmosis eine Kommission aus hohen Priestern einsetzte, die im Verein mit den Verwaltern der Königslisten darüber nachsinnen sollte, wie man wieder Ordnung in die Erbfolge bringen und einen weiblichen Thronanspruch künftig ausschließen könnte. Zwar war Neferure schon vor ihrer Mutter gestorben – aber wer weiß, vielleicht gab es wirklich jene sagenhafte Tochter von Hatschepsut und Senenmut, die womöglich von einflussreichen Gruppen im Palast gefördert wurde. Bei ihrem Versuch, die Erbfolge rückwirkend rein männlich zu gestalten, musste eine solche Kommission sehr vorsichtig sein, um den Gott Amun sowie den Sonnengott und die übrige Verwandtschaft Hatschepsuts nicht zu brüskieren – man überstürzte also nichts.

Vielleicht gab es auch zwei Parteien bei Hofe, eine pro, eine contra Hatschepsut. Vielleicht musste die Contrapartei, geführt vom Pharao selbst, warten, bis das Haupt der Propartei, ein weiser Priester, der Hatschepsut einst persönlich in ihre religiösen Pflichten eingeführt hatte, vom Totengott Osiris abberufen worden war, bevor Hatschepsut ausradiert werden konnte.

Die Pharaonin Hatschepsut, die bedeutendste Herrscherin in der Antike, wurde jedenfalls nicht zufällig im 19. Jahrhundert, in der Epoche der Historischen Frauenbewegung, wiederentdeckt. So wie einst der patriarchale Furor ihre Person und Bedeutung ausgelöscht hat, so grub nun eine emanzipatorisch inspirierte Archäologie Hatschepsut wieder aus.

Zum Weiterlesen:
Marianne Schnittger: Hatschepsut (2008)
Christiane Desroches Noblecourt: Hatschepsut (2007)
Joyce Tyldesley: Hatschepsut (2001)
EMMA-Serie: Herrscherinnen

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