Empört in Teheran!
Ich erhalte die Mai-Ausgabe der EMMA digital und befinde mich gerade auf einer Reise durch den Iran. Die Artikel über die mutigen Iranerinnen, welche das Kopftuch unter Lebensgefahr ablegen, berühren mich sehr. Ich selbst mache hier die Erfahrung, wie es ist, ein Kopftuch tragen zu müssen. Eine ständige Erinnerung, weniger wert zu sein als ein Mann. Ein Symbol der Unterdrückung. Es macht was mit mir. Es macht mich wütend und traurig. Es macht auch was in der Beziehung zu meinem Mann. Ich höre mich sagen: „Nur weil ich hier ein Kopftuch tragen muss …“ oder „Ich bin ja nur eine Frau!“
Während unserer dreiwöchigen Reise durch den Iran begegne ich nur einer einzigen Frau ohne Kopftuch, an einem Mittwoch, weiß gekleidet am Grabmal des Saadi, in Shiraz. Ich bewundere sie. Unser Bundespräsident Van der Bellen, den ich schätze und auch gewählt habe, sagte letztes Jahr im April: Es „wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“ Wo ist meine säkulare Welt geblieben? An welchem Ort und in welchem Jahrhundert lebe ich? Was ist das für eine Toleranz?
Ich befreie mich von diesem Stück Stoff, diesem Symbol der Diskriminierung.
Von mir aus können Frauen privat so viel Kopftücher tragen, wie sie wollen, wenn sie glauben, sich auf diese Weise vor den Männern schützen zu müssen, oder weil sie glauben, Gott wolle es so. Gerechter fände ich es allerdings, wenn auch Männer dieses Glaubens Kopftücher tragen würden. Doch was hat dieser Irrsinn mit mir zu tun? Was mit all den Frauen, die von den Menschenrechten überzeugt sind? Mein Mitgefühl gehört all jenen Frauen, die zum Kopftuchtragen gezwungen werden, auch bei 40 Grad Hitze, denn „… der Schweiß der Frau weiset ihr den Weg ins Paradies“, so eine der vielen Begründungen, die auf diversen Plakaten im Iran zu lesen sind.
Meine Lust und mein Bedürfnis, etwas zu tun, wird von Tag zu Tag größer. Was kann mir schon passieren? Festnahme, Haft, Schläge, Einreiseverbot?
An einem Mittwoch kommen wir nach Teheran. Ich kleide mich weiß und gehe ins Zentrum. Ich hoffe, auch anderen weiß gekleideten Frauen zu begegnen, doch dem ist nicht so. Alle Frauen sind dunkel gekleidet, die meisten schwarz.
Dann tue ich es, an vier Stellen, mitten in Teheran. Ich befreie mich von diesem Stück Stoff, dem Symbol der Diskriminierung. Kurz, doch demonstrativ. Ein Glücksgefühl. Von der Sittenpolizei werde ich nicht erwischt und ich fühle mich viel besser. Danke EMMA!
Anna Rösch-Wehinger, 62, Historikerin, Wien