Gender-Klinik geschlossen
Keira Bell war die erste, aber ist ganz sicher nicht die letzte. Die heute 23-Jährige hatte 2021 die britische Jugendpsychiatrie Tavistock verklagt, weil die bei der damals 16-Jährigen nach nur kurzer Begutachtung die Diagnose „Transsexualität“ gestellt und sie mit Pubertätsblockern und Testosteron behandelt hatten. Der High Court gab Bell Recht.
Doch das war erst der Anfang. Jetzt rechnen britische Rechtsanwälte mit mindestens tausend jungen Menschen bzw. deren Eltern, die die Tavistock-Klinik verklagen werden. Denn die Klinik, die sich seit 1989 auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit „Geschlechtsdysphorie“ spezialisiert hatte, wird jetzt vom Nationalen Gesundheitsdienst NHS geschlossen.
Der Vorwurf: Viel zu schnell und ohne gründliche Untersuchung habe Tavistock Kinder und Jugendliche, die mit ihrem biologischen Geschlecht hadern, mit Pubertätsblockern und Hormonen behandelt. Es sei versäumt worden, nach anderen Ursachen für die „Geschlechtsdysphorie“ der jungen PatientInnen zu forschen. Das Klinikpersonal habe sich „unter Druck gefühlt, einen nicht zu hinterfragenden, affirmativen Ansatz anzuwenden“.
Bei den Langzeitfolgen von Pubertätsblockern gebe es international „signifikante Forschungslücken“. Außerdem habe die Klinik versäumt, systematisch Daten zu sammeln, sodass man den Weg der jungen PatientInnen nicht nachverfolgen könne. Die Kinder und Jugendlichen seien einer Art „klinischen Lotterie“ ausgesetzt worden. Das Grundproblem: Eine „offene Diskussion“ über die Ursachen von Gender-Dysphorie sei nicht mehr möglich gewesen.
Diesen Vorwurf erhebt nicht irgendwer, sondern Dr. Hilary Cass. Die ehemalige Präsidentin des „Royal College of Paediatrics and Child Health“ hatte im Auftrag der Nationalen Gesundheitsbehörde untersucht, was Whistleblower schon seit Jahren in haarsträubenden Berichten beklagt hatten. „Viele dieser Kinder haben eigentlich andere Probleme wie Depressionen, Autismus, ein erlittenes Trauma durch sexuellen Missbrauch oder internalisierte Homophobie“, erklärte Sue Evans. Sie ist eine der 35 TherapeutInnen, die Tavistock in den letzten Jahren unter Protest verlassen hatten. Folge: Man beschimpfte sie als „transphob“. Doch der sogenannte Cass-Report, der im März 2022 veröffentlicht wurde, bestätigte die Missstände, die Evans und andere Whistleblower angeprangert hatten. Im August wurde Tavistock geschlossen.
„Der angerichtete Schaden ist unermesslich“, bilanziert die Times. Vor allem der, der an den Kindern und Jugendlichen angerichtet wurde. Doch auch der Ruf der Klinik ist ruiniert. Die 1920 gegründete Klinik war bis vor kurzem für ihre innovativen Ansätze in der psychoanalytischen Behandlung von Kindern gefeiert worden. Vor 33 Jahren übernahm Tavistock mit seinem „Gender Identity Development Service“ (GIDS) dann für ganz England die Betreuung von Kindern mit Störungen der Geschlechtsidentität. Deren Zahl explodierte in den letzten zehn Jahren von 52 im Jahr 2011 auf rund 5.000 in 2021, also um das fast hundertfache.
„Die Londoner Klinik, die einst Pionierarbeit bei der psychiatrischen Versorgung von Kindern geleistet hat, ist von einer Clique ‚Queer-Theorie‘-Transaktivisten gekapert worden“, beklagt die Times und fordert: „Wissenschaft sollte niemals von Ideologie gekapert werden.“
Und Deutschland? Transsexualität sei „ein subjektives Gefühl“, erklärt Sybille Winter im Interview mit der FAZ. Sie ist die Leiterin der interdisziplinären Sprechstunde für Fragen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter an der Berliner Charité. „Für uns bedeutet das: Wir prüfen nicht, wir stellen es nicht infrage. Wir schauen nicht, ob es wirklich so ist.“
Sollte das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ durchkommen, mit dem in Deutschland Jugendliche ab 14 notfalls auch gegen den Willen ihrer Eltern ihren Geschlechtseintrag ändern könnten, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch hierzulande die Klagewelle rollt. Es sei denn, die Politik zieht vorher die Reißleine.
CHANTAL LOUIS
Mehr zur Schließung der Tavistock-Klinik bei "Trans Teens Sorge Berechtigt"