Alice Schwarzer schreibt

Der erste deutsche Karikaturenstreit

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Es ist viereinhalb Jahre her. Da stürmten zwei Islamisten in Paris die Redaktion der satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo, eröffneten das Feuer und töteten zehn MitarbeiterInnen, allen voran die Zeichner. Plus zwei Polizisten. Grund: Eine Karikatur des Propheten Mohammed, die sie „beleidigend“ fanden. Die Tat löste nicht nur weltweites Entsetzen aus - und Jubel bei den Gesinnungsbrüdern der Killer -, sondern auch die Frage: Was darf die Karikatur, die Satire, ja was muss sie?

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Was darf,
was muss
Satire tun?

Am 29. Juni erhält die Karikaturistin Franziska Becker in Berlin - nach vielen Cartoon-Preisen - nun auch einen journalistischen Preis: die „Hedwig-Dohm-Urkunde“. Dohm (1831-1919) war die geistreichste und spöttischste Intellektuelle der historischen Frauenbewegung. Und dass nun dieser Preis an eine Cartoonistin geht, deren Medium Bild und Wort sind, ist kein Zufall. Denn Dohm und Becker haben vieles gemein: Beide spotten nicht nur über die Männerwelt, sondern verschonen auch die Frauen nicht - und schon gar nicht die Frauenbewegung. Die Cartoons, in denen die EMMA-Hauscartoonistin die Rigidität und den Kitsch in den eigenen Reihen aufspießte, gehen in die Dutzende: strickende Feministinnen im Frauenzentrum, Hackebeil schwingende Separatistinnen im Frauenland, esoterische Frauenrechtlerinnen auf der Suche nach der Göttin. Selbstironie ist eben immer die beste aller Ironien.

Ebenfalls der Namensgeberin des Preises und ihrer Empfängerin gemeinsam ist ihre scharfe Religionskritik, bzw. die Kritik am Missbrauch von Religionen zur Frauenunterdrückung durch selbstgerechte, schriftgläubige Fanatiker. Unvergessen der Cartoon, in dem ein christlicher Priester und Lebensrechtler mit seinem Schild „Für das Leben“ auf eine Gegendemonstrantin einschlägt. Der Vatikan hat sich daraufhin übrigens nicht bei EMMA gemeldet.

Seit 1991 (!) nun karikiert Becker hellsichtig auch die Fanatiker im Islam, die Scharia-AnhängerInnen und Burka-PropagandistInnen. Sie hat dies immer in der gebotenen Schärfe getan. Denn es ist ja die Aufgabe der Karikatur, durch groteske Zuspitzung zu irritieren, die Augen zu öffnen. Auch hier gab es nie Proteste. Bisher nicht.

Aus dem Becker-Cartoon "Kopftuch & Co." in EMMA 6/2003.

Treffend preist auch die Jury des Journalistinnenbundes Becker als "unerbittlich klarsichtig“. Doch diese Klarsicht scheint plötzlich nicht mehr angesagt. Die Stunde der Vernebelung und Ideologisierung, ja der Meinungsverbote und Zensur hat geschlagen.

28 Jahre nach ihrem ersten Anti-Islamismus(nicht Islam!)-Cartoon wird Becker nun plötzlich wegen ihrer über Jahrzehnte veröffentlichten Karikaturen über die reaktionären Islam-Auslegungen der „Islamfeindlichkeit“ und des „Rassismus“ bezichtigt. Eine deutsche Bloggerin türkischer Herkunft hat den Protest initiiert - und so mancher folgt ihr. Darunter auch bekannte Namen.

Augstein entschuldigt Charlie-Hebdo-Massaker

So twittert der Journalist Jakob Augstein: „Für mich sieht das so aus, als könne es auch in der Jungen Freiheit stehen“ (für Nichteingeweihte: ein rechtsextremes Blatt). Und Augstein jr. setzt nochmal nach: „Karikaturen sind dann gut, wenn sie die Großen klein machen – nicht, wenn sie auf die treten, die ohnehin unten sind“, schreibt er. „Darum waren auch die antimuslimischen Charlie-Hebdo-Karikaturen schlecht. Es geht um die Machtfrage.“

Es stimmt. Satire sollte immer nach oben zielen, nie nach unten treten. Für Augstein scheinen MuslimInnen immer unten zu sein. Was bedenklich ist, um nicht zu sagen „rassistisch“. Mal ganz davon abgesehen, dass er mit der Qualifizierung der Charlie-Hebdo-Karikaturen als „schlecht“ das Massaker entschuldigt, wenn nicht sogar rechtfertigt.

Und übrigens: So wenig wie der Priester als Lebensrechtler der kleine Mann von nebenan ist, sondern Teil der rechten Strömung einer Weltmacht, so wenig sind die Denk- und Veröffentlichungsverbote im Namen eines „beleidigten Islam“ Privatsache von Privatpersonen, sondern Teil einer weltweiten Offensive des politisierten Islam. Hinter dem Diktat der nicht nur Frauen entmündigenden und entrechtenden Scharia - in inzwischen weltweit 35 islamischen Ländern - und ihrer Propagierung bis in die Communities mitten in westlichen Metropolen stehen gewaltige Mächte, stehen die Petro-Milliarden der Ölscheichs und die ideologischen Einpeitscher in tausenden Koranschulen. 

Das scheinen viele immer noch nicht begreifen zu wollen, bzw. sie sind nützliche Idioten oder gar HandlangerInnen dieser neuen Rechten. So attestiert die Chefredakteurin des Online-Magazins Edition F, Teresa Bücker - profiliert als "sex-positiv“ (also pro Prostitution) und Kopftuch-Anhängerin - spitzmündig: „Puh, da wird einem ja schwindelig“, nämlich beim Anblick der Becker-Cartoons. „So offen rassistisch, insbesondere gegenüber kopftuchtragenden Frauen.“

Doch den Vogel schießt die Trägerin des „Friedenspreises des Deutschen Buchhandels“, Carolin Emcke, ab. „Wer sitzt denn da in der Jury? Nur aus Neugierde…“ fragt sie inquisitorisch. Was beabsichtigt Emcke denn eigentlich mit so einem Satz?

„Unsittlich erscheint der Menge stets alles Ungewöhnliche, was sie aus dem Zauberbann ihrer Phrasen, ihrer brunnentiefen Gemütsruhe aufschreckt“, schrieb einst Hedwig Dohm, und fuhr fort: „Doch jeder Gedanke, wenn er wirklich einer ist, ist ein wenig ketzerisch.“ Will sagen: Das Gegenteil von politisch korrekt. Es ist unter keinen Umständen die Aufgabe der Satire, gläubig nachzubeten, was im jeweils angesagten Gebetbuch steht. Es ist die Aufgabe der Satire, querzudenken, gegenzuhalten, zu irritieren und so die Augen zu öffnen!

Weil Franziska Becker, die übrigens am 10. Juli 70 wird, all das seit 42 Jahren in EMMA tut, hat sie den Hedwig Dohm Preis mehr als verdient!

Selbstverständlich wird sich ebenso EMMA diesem Tugenddiktat der Selbstgerechten auch in Zukunft nicht beugen. EMMA ist ganz im Gegenteil stolz darauf, 2006 neben Charlie Hebdo weltweit die erste Zeitschrift gewesen zu sein, die aus Solidarität die Mohammed-Karikatur des Dänen Kurt Westergaard aus Jyllands Posten veröffentlichte. Auch damals waren fundamentalistische Muslime über eine Zeichnung „beleidigt“, weltweit. Bücher wurden verbrannt, Menschen ermordet, der mit dem Tod bedrohte Karikaturist Westergaard musste mit seiner Familie abtauchen.

Schwarzer mit dem algerischen Schriftsteller Sansal im Mai 2019 in Paris. Gemeinsame Sorge: die Politisierung des Islam.
Schwarzer mit dem algerischen Schriftsteller Sansal im Mai 2019 in Paris. Gemeinsame Sorge: die Politisierung des Islam.

Die Meinungsfreiheit und Denkfreiheit kann einen hohen Preis haben - muss aber nicht. Wehret darum den Anfängen!

Alice Schwarzer

Der Dohm-Preis wird Franziska Becker am 29. Juni in Berlin verliehen, um 19.30 Uhr im Place One/Friedrichshain.

 

Hier alle Cartoons von Franziska Becker aus EMMA zur Politisierung des Islam und Verharmlosung von Scharia und Burka.

EMMA 9/1991: Schleierhafter Unterschied

EMMA 6/1995: Nur ein Stück Stoff

EMMA 6/2003: Kopftuch & Co.

EMMA 6/2007: Türban mültigülti

EMMA 1/2014: Aus freiem Willen.

EMMA 3/2015: Auf Tuchfühlung

EMMA 6/2016: Nur ein Stück Stoff

 

 

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Alice Schwarzer schreibt

Alice Schwarzer über das Attentat

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Charlie Hebdo ist das Kind der legendären Hara-Kiri. Als das von den 68ern vergötterte Anarcho-Satire-Blatt Anfang der 70er Jahre mal wieder zensiert und verboten wurde, machte die Hara-Kiri-Redaktion einfach unter einem neuen Namen weiter: Charlie Hebdo. Und erschien von nun an einmal in der Woche statt einmal im Monat. Die Versuche der Einschüchterung und Zensur haben das unabhängige Satireblatt also eigentlich immer nur stärker gemacht. Doch diesmal hatten sie keine Chance. Die Gegner richteten ihre Kalaschnikows auf die Meinungsfreiheit.

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Mit Kalaschnikows gegen die Meinungsfreiheit

Amateurvideos zeigen, wie hoch professionell die Killer an diesem Vormittag des 7. Januar vorgingen. Zwei schwarz gekleidete Männer, die aussahen wie Soldaten einer Anti-Terror-Truppe, stürmten durch die ruhige Wohnstraße in den zweiten Stock des Gebäudes. Dort tagt immer mittwochs die gesamte Redaktion von Charlie Hebdo, auch die freien Zeichner sind präsent.

Die Killer richteten ihre Kalaschnikows gezielt auf die Redaktion und die beiden Polizisten, die Chefredakteur Charb bewachten. Der steht seit 2006 unter Personenschutz, seit Charlie Hebdo als einzige Zeitung in Frankreich die dänische Karikatur über Mohammed veröffentlichte (in Deutschland hat das damals auch EMMA getan).

„Allahu akbar. Wir haben den Propheten gerächt“

Jetzt aber hat niemand mehr eine Chance. Nach Sekunden liegen mehrere Schwerverletzte und zwölf Tote auf dem Schlachtfeld; darunter zwei Polizisten, Chefredakteur Charb sowie die in Frankreich berühmten und beliebten Karikaturisten Wolinski und Cabu.

Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Radiosender und Fernsehstationen unterbrechen ihre Programme und senden den ganzen Tag live vom Ort des Geschehens. Im Internet ist ein erstes Amateurvideo zu sehen - und zu hören. Die Killer verlassen den Ort mit den Rufen: "Allahu akbar! Wir haben den Propheten gerächt! Wir haben Charlie Hebdo getötet."

Frankreich hat jetzt seinen 11. September

Stunden später gehen über hunderttausend Menschen in ganz Frankreich auf die Straße, sie halten Schilder in den Händen, auf denen steht: "Ich bin Charlie". Heute gehen die Demonstrationen weiter. Der Präsident hat "nationale Trauertage" ausgerufen. Das hat ein Präsident zum letzten Mal am 11. September 2001 getan. Und 1970, zum Tod von de Gaulle. Die Staatschefs aller Nationen bekunden ihr Mitgefühl und ihre Solidarität, von Merkel bis Obama.

Frankreich hat seinen 11. September. Europa hat seinen 11. September. Denn hier sind nicht nur Menschen getötet worden. Eine ganze Zeitschrift ist ausgelöscht worden. Mehr noch: Frankreichs antiautoritärste, respektloseste, unabhängigste Stimme ist zum Verstummen gebracht worden. Hara-Kiri/Charlie Hebdo waren ein Symbol für Freiheit. Sie kannten keine Tabus. Sie zogen über alle her: Päpste, Staatschefs, Wichtigtuer – und eben auch Mohammed. Mit ihrem tiefschwarzen Humor und ihrer satirischen Zuspitzung legten sie ihre Pranken in die Wunde. Niemand ging in Frankreich gegen Kitsch und Doppelmoral so provokant vor wie sie.

Die respektlose Charlie Hebdo kannte keine Tabus

Jetzt sind diese Unerschrockensten ins Verstummen geballert worden. Und das nicht von radikalisierten Einzeltätern, sondern von hochprofessionellen Kriegern mit Netzwerk. Die sind bis jetzt zwar nicht gefasst, aber man weiß, wer sie sind. Denn die Profis haben einen Fehler gemacht: Sie haben ihre Pässe im Fluchtauto liegengelassen. Es handelt sich um die beiden Brüder Said und Cherif Kouachie, die 32 und 34 Jahre alten Söhne algerischer Eltern, beide in Frankreich geboren und im Besitz der französischen Staatsangehörigkeit. Der Polizei sind sie schon seit vielen Jahren als militante Islamisten bekannt. 

Heute Morgen hat die marokkanischstämmige Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem einen Brief an alle Lehrerinnen und Lehrer der Nation geschrieben. Sie fordert darin auf, mit den Schülerinnen und Schülern über das Attentat zu reden und die „Werte der Republik“ zu verteidigen.

Mit ihrem Ruf „Allahu akbar“ wollen die islamistischen Killer den ganzen Islam für ihr blutiges Geschäft vereinnahmen. Das scheint ihnen jedoch nicht zu gelingen. Selbst die rechtspopulistische Marine le Pen unterscheidet explizit zwischen „dem Islam“ und „den Islamisten“. Doch sie fordert einen „Krieg gegen die Islamisten“ und nutzt die Gunst der Stunde, für ein Referendum über die Todesstrafe zu plädieren. Es ist zu befürchten, dass sie nicht nur bei den Ewiggestrigen offene Türen damit einrennt.

Was tut die schweigende Mehrheit der Muslime?

Eine überwältigende Mehrheit der französischen PolitikerInnen und JournalistInnen argumentiert allerdings sehr differenziert, auch und gerade nach dem Attentat. Sie warnen vor einer Vermischung der Minderheit radikaler Islamisten mit der Mehrheit der friedlichen und demokratischen Muslime. Aber auch sie fordern ein entschiedeneres staatliches Vorgehen gegen die Agitation und Gewalt von Islamisten mitten in Frankreich. 

Und die Muslime? Der als liberal geltende Imam der Großen Moschee von Paris hat sich umgehend von dem Attentat distanziert und es als „unislamisch“ verurteilt. Auch zahlreiche andere muslimische Stimmen haben sich zu Wort gemeldet. Aber was wird die bisher schweigende Mehrheit der Millionen Musliminnen und Muslime in Frankreich nun tun? Werden sie es endlich wagen, sich offen gegen die Terroristen zu richten, die ihren Glauben missbrauchen?

Am 7. Januar habe ich auch zwei Freunde verloren

Ein persönliches Wort sei mir zum Schluss noch erlaubt. Ich war in meiner Zeit als Korrespondentin in Paris, in den späten 60er und frühen 70er Jahren, eng befreundet mit der Equipe von Hara-Kiri. Auch damals traf man sich immer am Mittwoch, um die nächste Ausgabe fertig zu machen. Am frühen Abend kamen dann wir Freunde und Freundinnen dazu. Es wurde gegessen, getrunken, diskutiert und gelacht, sehr viel gelacht.

Wir Freundinnen mussten allerdings immer wieder mal diese oder jene Hand, die sich dreist auf unseren Hintern legte oder unserem Busen näherte, energisch wegschieben. Doch wir hatten das im Griff. Denn diese scheinbar so rauen Jungs waren in Wahrheit alle feinfühlig und hochsensibel. Allen voran der so früh gestorbene Jean-Marc Reiser, aber auch der verträumte Cabu und der rotzfreche Wolinski. Am 7. Januar habe ich also nicht nur hochgeschätzte Kollegen, sondern auch zwei ganz persönliche Freunde verloren. Hätte mir damals jemand gesagt, dass Wolinski und Cabu eines Tages am Redaktionstisch abgeknallt werden wie die räudigen Hunde – ich hätte es für eine besonders makabre Übertreibung von Hara-Kiri gehalten.

Alice Schwarzer

Aktualisierung, Freitag, 9.1.2015, 18 Uhr: 90.000 Polizisten haben die Killer von Charlie Hebdo gejagt. Sie wurden aufgespürt in einer Druckerei in der Nähe vom Flughafen Charles de Gaulle, vor den Toren von Paris. Die Geisel, die sie entführt hatten, eine 24-jährige Frau, hat überlebt. Die Brüder Kouachi nicht. Sie wurden bei der Geiselbefreiung erschossen. Gleichzeitig starben vier von fünf Geiseln in einem jüdischen Supermarkt in Paris. Ein Sympathisant der Charlie-Mörder hatte heute Morgen auf der Straße eine Polizistin erschossen und fünf Geiseln genommen. Auch er überlebte nicht.

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