Christian Karbe sitzt auf einem Holzstühlchen und fachsimpelt mit einem Vierjährigen über Motorsägen. Zwei echte Kerle unter sich, gäbe es da nicht ein klitzekleines Problem: „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung von Technik“, sagt Karbe und zuckt lachend mit den Schultern.
Dem kleinen Luis ist das egal. Der ist selig, dass er heute sein neues Spielzeug präsentieren darf. Und während der Vierjährige zaghaft, aber stolz die Funktionsweise seiner Plastikmotorsäge erklärt, wächst die Ungeduld der anderen Kinder, die auch endlich an die Reihe kommen wollen: Emil will sein Spiderman-Kostüm vorstellen, Friederike ihr Bilderbuch „Peter und der Wolf“, Finn seine Ritterarmee und Lynn ihren schon reichlich in Mitleidenschaft gezogenen Stoffhasen.
Karbe kennt die meisten Spielzeuge schon, die Kinder haben sie nicht zum ersten Mal zum „Morgenkreis“ mitgebracht. Trotzdem tut er so, als käme er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fast nimmt man dem 45-Jährigen ab, dass er selbst gern ein Spiderman-Kostüm, eine Ritterarmee oder einen Stoffhasen hätte. „Mit Kindern entdeckt man die Welt jeden Tag aufs Neue“, sagt er, „das liebe ich an meinem Beruf.“
Seit zweieinhalb Jahren arbeitet der selbst kinderlose Karbe als Erzieher im Kinderhaus „Waldschulallee“ am Rande des Berliner Grunewalds. Gemeinsam mit einer Kollegin betreut er dort die „Krümelmonster“, eine Gruppe von Drei- bis Sechsjährigen. Außerdem ist er für die vorschulische Erziehung der älteren Kindergartenkinder verantwortlich.
Dass er der einzige männliche Betreuer im Haus ist, stört den Pädagogen nicht, mit den Kolleginnen kommt er gut klar. „Schon während meiner Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher waren wir nur drei Männer“, sagt er. „Ich wusste also, worauf ich mich einlasse.“
Mittlerweile liegt Karbes Ausbildung 23 Jahre zurück und in der Kinder- und Jugendarbeit hat sich viel getan. Mit Einführung der Ganztagsbetreuung und der Einrichtung von Kita-Plätzen für unter Dreijährige sind auch die Anforderungen an die Kita-ErzieherInnen gestiegen. Nur eins hat sich in all den Jahren nicht geändert: Im Bereich der Kinderbetreuung sind männliche Erzieher noch immer eine Rarität.
Nur jede 25. Kita-Fachkraft ist männlich. Als das Bundesfamilienministerium 2010 die Ergebnisse der Studie „Männliche Fachkräfte in Kitas“ vorstellte, wurde endlich das amtlich, worüber Kita-Einrichtungen schon seit Jahren klagen. Doch erst mit Veröffentlichung dieser Zahlen schlug auch Familienministerin Kristina Schröder Alarm. In den Kitas fehle es den kleinen Jungen und Mädchen an „männlichen Vorbildern“, befand sie und fügte bedeutungsschwanger hinzu: Für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder könne das problematisch sein.
Fundierte wissenschaftliche Belege für diese Behauptung gibt es zwar nicht, dennoch ist die frischgebackene Mutter seitdem nicht müde geworden, für ihr in diesem Jahr gestartetes Modellprojekt „MEHR Männer in Kitas“ die Werbetrommel zu rühren: Mit gezielten Kampagnen und Aktionen soll binnen drei Jahren das „Image“ des Kita-Erzieherberufs so verbessert werden, dass sich „langfristig“ der Anteil der männlichen Fachkräfte verachtfacht, also steigt.
Ein ehrgeiziges Ziel, für das Schröder eigens die Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ einrichten ließ, welche die bundesweiten Aktionen koordinieren soll. Dort allerdings ist man überzeugt, dass das mangelnde Interesse der Männer am Erzieherberuf nicht nur eine Imagefrage, sondern vor allem auf die schlechte Bezahlung und die geringen Aufstiegsmöglichkeiten zurückzuführen ist.
Tatsächlich verdient Karbe trotz seiner langjährigen Berufserfahrung und einer 35-Stunden-Woche nicht mehr als 1 400 Euro netto im Monat. Auch in Zukunft kann der verheiratete Pädagoge keine großen Gehaltssprünge erwarten: Der nächst- und zugleich letztmögliche Karriereschritt für ihn wäre die Übernahme der Kita-Leitung. Und die – ebenfalls ein Mann – verdient netto gerade einmal 800 Euro mehr.
Aber Karbe beschwert sich nicht. Da es sich beim Kinderhaus „Waldschulallee“ um eine Elterninitiative handelt, die nicht an die Tarifvereinbarungen im Öffentlichen Dienst gebunden ist, hätte er theoretisch noch schlechter bezahlt werden können. Ohnehin findet der Erzieher das Gehalt eher zweitrangig. „Mir ist auch wichtig, dass mich mein Beruf erfüllt“, sagt Karbe. Schließlich bekämen seine weiblichen Kolleginnen ja auch nicht mehr Geld, und die seien trotzdem zahlreich in den Kitas vertreten.
Nein, der Pädagoge vermutet eine andere Ursache für die schwache Männerquote in den Kitas: „Viele Männer denken noch immer, die Betreuung von Kindern sei Frauensache“, sagt er. „Aber wo bitteschön steht das geschrieben?"
Auch Janett Köber, die Leiterin der Kita „Bergzwerge“ in Berlin-Marzahn, stellt fest: „Kita-Erzieher zu sein, gilt heutzutage noch immer als unmännlich.“ Drei Jahre lang haben die „Bergzwerge“ per Stellenanzeige nach einem männlichen Erzieher gesucht. „Ich hatte einfach das Ideal vor Augen, dass jede Kita-Gruppe von einem Mann und einer Frau im Team betreut wird und so auch überkommene Geschlechterrollen aufgebrochen werden.“ Inzwischen ist Köber schon dankbar, dass sie zumindest einen männlichen Erzieher für die Kita gewinnen konnte. Der heißt Johann Stüben und arbeitet bei den „Bergzwergen“ alsTeilzeitkraft, solange noch parallel seine schulische Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher läuft.
Der 24-Jährige fühlt sich wohl bei den „Bergzwergen“, auch wenn er die ersten Wochen als Erzieher ganz schön anstrengend fand: „Wer als Mann in einer Kita arbeitet, muss sich nicht nur das Vertrauen der Kinder, sondern auch das der Eltern hart erarbeiten“, sagt er. Amüsiert berichtet er von seinen ersten Begegnungen mit den Vätern: „Einige haben mir anfangs einen betont kräftigen Händedruck gegeben. Die wollten erstmal herausfinden, ob ich ein Mann oder ein Waschlappen bin.“
Mittlerweile haben die Eltern Johann Stüben akzeptiert, ja finden es sogar gut, dass ihre Kinder in der Kita auch von einem Mann erzogen werden. Janett Köber ist froh darüber, denn sie weiß nur zu gut: In den elterlichen Köpfen sitzt eine große Angst, über die nicht einfach lächelnd hinweggegangen werden kann. Die Angst vor dem sexuellen Missbrauch. „Wer sein geliebtes Kind in fremde Hände gibt, der will natürlich auch sicher sein können, dass es gut versorgt wird“, sagt Köber. „Der Skandal um die Missbrauchsfälle in der Kirche hat die Furcht vor sexuellen Übergriffen sicherlich noch verstärkt.“
Aber Köber und ihre Kollegin Annemone Liewald, mit der sie sich die Kita-Leitung teilt, sind sich gleichzeitig sicher, dass vielen Eltern die Angst leichter genommen werden könnte, wenn mehr Erzieher in Kitas und Grundschulen arbeiten würden und somit „die Beteiligung beider Geschlechter an der Erziehung zur gesellschaftlichen Normalität geworden ist“.
Noch fehlen eben die Erfahrungswerte, auf die sich verunsicherte Eltern stützen können. Bei den „Bergzwergen“ sucht man deshalb ganz bewusst das Gespräch mit Eltern und Erziehern. „Wir achten darauf, dass der Erzieher in seiner Arbeit eng in das Team eingebunden wird, dass also keine Situation entsteht, in der er völlig allein mit Kindern ist“, sagt Köber. Es müsse aber auch klar sein, dass ein generelles Misstrauen gegenüber männlichen Erziehern nicht gewollt sein kann: „Das einzige, was wir damit erreicht hätten, wäre die komplette Verunsicherung der Männer, die sich mit Frauen gleichberechtigt die Erziehung von Kindern teilen sollen.“
„Männer, die Kita-Erzieher werden wollen“, stellt auch Johann Stüben fest, „brauchen vor allem viel Selbstbewusstsein.“ Der Pädagogikschüler lehnt am Türrahmen seines Kita-Gruppenraumes und hat die Hände in den Hosentaschen. Lächelnd schaut er einem Jungen dabei zu, wie der sich ein Laken über den Kopf zieht und als laut heulendes Gespenst über den Boden rutscht. Stüben selbst ist eher der ruhige Typ. Einer der sich nicht aufdrängt, aber trotzdem genau weiß, was er will.
Dass er als Kita-Erzieher nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, wurde Stüben zuletzt beim „Boy’s Day“ bewusst, den seine Kita vor einigen Monaten erstmals ausgerichtet hatte: Die 12- bis 15-Jährigen, die in den Arbeitsalltag einer Kita-Kraft hineinschnuppern sollten, wirkten nicht sehr beeindruckt von dem jungen Mann mit Kapuzenpulli und Bart. Anstatt ihn mit Fragen zu seinem Beruf zu bombardieren, hatten sie gelangweilt am runden Tisch im Besprechungszimmer gesessen, kauten Kaugummi und schwiegen ihn an.
Für die fünf Jungen stand anscheinend schon fest, dass Stübens Beruf für sie später nicht in Frage kommen würde: „Das sollen Frauen machen, die können das besser!“, feixte der zwölfjährige Sandro. „Schließlich kriegen die ja auch die Kinder!“ Warum die Jungs dann überhaupt am „Boy’s Day“ teilgenommen haben? „Weil es dafür schulfrei gab.“
„Warum sollte sich jemand für die Arbeit mit Kindern interessieren, der selbst noch ein halbes Kind ist“, sagt Stüben. Aber seine Chefin Köber weiß nur zu gut „Leider haben auch schon Jugendliche feste Rollenbilder im Kopf.“ Die Pädagogin hoffte dennoch, dass bei den fünf Schülern etwas hängen bleibt. „Schnuppertage wie der ‚Boy’s Day‘ mögen auf kurze Sicht nicht viel bringen, aber auf lange Sicht vielleicht doch: „Viele Männer kommen allein schon deshalb nicht auf den Gedanken, sich für einen ‚Frauenberuf’ zu interessieren, weil sie ihn nie kennengelernt haben“, glaubt Köber.
Auch Christian Karbe ist überzeugt, dass viele Männer noch immer zu wenig über seinen Beruf wissen: „Man ist ja nicht bloß Erzieher, man ist auch Künstler, Techniker, Sportler, Schauspieler und Wissenschaftler“, sagt der Optimist. Gerade heute hat er mit den Vorschulkindern ein Experiment durchgeführt: Zwei Eier, ein rohes, ein gekochtes. Welches rollt weiter? Natürlich ist das rohe Ei irgendwann zu Bruch gegangen, aber dafür hatten die Kinder und Karbe jede Menge Spaß. „Als Kita-Erzieher muss man sich gefühlsmäßig öffnen können“, sagt Karbe, „gerade Männern fällt das oft schwer“.
Auf sein Herz hören, damit hat sich auch Benjamin Gabler unglaublich schwer getan. Er hat Jahre gebraucht, bis er sich eingestehen konnte, dass er gerne mit kleinen Kindern arbeiten würde. „Für mich war das immer ein absolutes Frauending“, sagt er. „Dieses Bild hat sich schon so in der Schule festgesetzt: Wer sich als Typ für soziale Berufe interessierte, war uncool.“ Also ging Gabler zur Bundeswehr, studierte fünf Semester Lebensmitteltechnologie und setzte dann eine Ausbildung als Laborant obendrauf. Erst mit dem Arbeitsleben kam für den heute 26-Jährigen das böse Erwachen: „Im Labor herrschte absolutes Redeverbot!“ Für den kontaktfreudigen Gabler ein echtes Problem. Binnen sechs Monaten wurde er depressiv – und kündigte.
Gabler erinnert sich, wie er niedergeschlagen zuhause in der Küche saß, als gerade im Radio ein Beitrag über männliche Kita-Erzieher lief. „Ich habe wie gebannt vor dem Radio gesessen und alles in mich aufgesogen, was diese Männer gesagt haben“, erzählt er. In dem Moment wusste er: „Das mache ich auch!“
Heute, nur wenige Monate später, steht der ehemalige Laborant im leeren Klassenraum seiner Erzieherschule in Berlin-Tempelhof und bezeichnet sich als „den glücklichsten Mann der Welt“. Begeistert erzählt er von der Ausbildung, den DozentInnen und MitschülerInnen und seinem ersten Tag im Kita-Praktikum: „Der Hammer!“ sei das gewesen.
Trotzdem ist Benjamin Gabler sich sicher: Ohne den Rückhalt von Familie und Freunden hätte er auch heute nicht den Mut aufgebracht, sich zu seinem Traumberuf zu bekennen. Seine alten Zweifel, dass Kinderbetreuung doch eigentlich ein Frauending ist, hätte Gabler längst begraben, würden ihn nicht seine Lehrbücher tagtäglich daran erinnern: In ihnen ist nur von „Erzieherinnen“ die Rede. „Vor allem meiner Freundin bin ich unendlich dankbar“, sagt Gabler. Die hat ihm nicht nur den entscheidenden Schubs gegeben, sondern kommt auch jeden Monat für die 90 Euro Studiengebühr auf, die Gabler für seine private Ausbildung zahlen muss.
Mittlerweile hat sich der angehende Pädagoge an den Gedanken gewöhnt, dass nicht er, sondern seine Freundin später das Geld verdienen wird. „Ich werde mich dann um unsere Kinder kümmern“, sagt Gabler. Aus seinem Mund klingt das, als sei das für einen Mann die selbstverständlichste Sache der Welt.