Erzieherinnen: „Flagge zeigen!“

Anja Radloff (li) bei der Demo in Köln
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Das Trillerpfeifen-Konzert ist so laut und schrill, dass man sich ab liebsten die Ohren zuhalten möchte. Aber schließlich wollen sie gehört werden von denen, die im Kölner Stadthaus sitzen und ihnen endlich mehr Gehalt zahlen sollen. „Gute Arbeit, guter Lohn – alles andere wär nur Hohn!“ brüllen sie in Sprechchören und wenden sich singend direkt an Oberbürgermeister Jürgen Roters: „Bruder Roters, Bruder Roters, schläfst du noch? Hörst du nicht die Streikenden: Aufwertung jetzt! Aufwertung jetzt!“

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Flagge zeigen! Sonst heißt es: Frauen lassen sich das gefallen!

Rund 2.000 Kölner Erzieherinnen haben das riesige rote Ziegelgebäude umstellt, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen: 10 Prozent mehr Gehalt. Das gab es noch nie. Aber alle finden: Jetzt ist der Moment! Noch gestern habe sie in der Zeitung gelesen, dass „die Frau Schwesig auch dafür ist, die Frauenberufe aufzuwerten“, sagt Anja Radloff. „Die Stimmung ist sehr für uns!"

Im Arbeitsvertrag von Anja Radloff steht, dass sie nicht über ihr Gehalt sprechen darf. Deshalb antwortet die 47-jährige, die in einer Kita im bunt gemischten Kölner Stadtteil Zollstock arbeitet, auf die Frage nach ihrem Verdienst vorsichtshalber abstrakt: „Eine Erzieherin mit meiner Berufserfahrung geht mit 1.400 Euro netto nach Hause.“

Dabei sind die Anforderungen in den letzten Jahren immens gewachsen: Stichwort PISA und die damit eingeführten Dokumentationspflichten. Stichwort Migrantenkinder und Flüchtlinge und die damit notwendige Sprachförderung. Stichwort Unter-Dreijährige. Stichwort Ganztagsbetreuung. Natürlich hat sie sich ständig fortgebildet, um den Anforderungen gerecht zu werden. Mehr Geld gab es dafür nie. „Wer fördert, darf fordern!“ steht auf dem Transparent, das Anja Radloff für die Demo gemalt hat.

Deshalb ist Anja Radloff jetzt in der „erweiterten Streikleitung“. Am Morgen hat sie in einem der roten Zelte auf dem Köln-Kalker Ottmar-Pohl-Platz gesessen und ihre Kolleginnen in die Streikliste eingetragen, damit sie Geld aus der Streikkasse bekommen. 75 Prozent zahlt Ver.di seinen Mitgliedern für den Verdienstausfall. Der Streik geht den Erzieherinnen ins Geld. „Aber die Kolleginnen sind sehr motiviert“, weiß Radloff.

Auch ihre Chefin ist beim Streik dabei. Dabei wird Kita-Leiterin Uta Mentzel-Dziedzitz „finanziell nichts davon haben, weil ich noch nach dem alten BAT-Tarif bezahlt werde. Aber ich stehe hier für meine jungen Kolleginnen. Denn mir geht der Nachwuchs aus!“ Eine Berufspraktikantin nach der anderen erkläre ihr, dass sie nicht im Job bleiben wird. „Die hängen lieber noch ein Studium an oder machen was anderes.“ In den nächsten Jahren werden einige der älteren Kolleginnen in Rente gehen. Und dann? „Ich verstehe ja, dass einige Eltern von unserem Streik nicht begeistert sind. Aber was nützt es denn, wenn ich in fünf Jahren ohne Personal dastehe?“ 

Ich stehe hier für meine jungen Kolleginnen. Mir geht der Nachwuchs aus!

Dabei seien die Reaktionen der Eltern – bzw. wohl vor allem die Mütter – die sich gerade in Krisenmanagement üben müssen, um ihren Nachwuchs andernorts unterzubringen, „im Moment noch sehr positiv. Viele sind zu mir ins Büro gekommen und haben uns Glück gewünscht“, freut sich die Kindergarten-Leiterin. „Das Klima ist gerade gut. Und das sollten wir nutzen!“ 

Dabei, das wissen hier alle, geht es nicht nur um sie selbst und ihren Kontostand. Der Streik der Erzieherinnen und die Frage, ob sie erfolgreich sein werden, hat Signalwirkung. „Wir müssen jetzt Flagge zeigen!“ weiß Anja Radloff. „Sonst heißt es: Die Frauen lassen sich das gefallen.“ Und das wäre nicht nur schlecht für die Erzieherinnen, sondern auch für ihre Kolleginnen in Krankenhäusern und Altenheimen. Denn die stehen schon in der Startlöchern. 

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Erzieherinnen-Streik: Sie sind es wert!

Erzieherinnen-Demo in Mainz. © Franz Ferdinand Photography/ CC BY-NC 2.0
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Das gab es noch nie. Gestreikt haben die Erzieherinnen ja schon öfter (das große I sparen wir uns bei 2,4 Prozent männlichen Erziehern an dieser Stelle). Aber dass sie bzw. ihre Gewerkschaft Ver.di zehn Prozent Gehaltserhöhung fordern, das ist wahrhaft historisch. Und nun tobt die Debatte: Dürfen die das?

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Die Debatte tobt: Dürfen die Erzieherinnen das überhaupt?

Ja, sie dürfen! haben sie bei der Urabstimmung letzte Woche mit überwältigenden 92 Prozent beschlossen. Denn offenbar haben die Erzieherinnen die Nase voll davon, dass sie zwar eine bis zu sechsjährige Ausbildung absolvieren und ihre Aufgaben in Pisa-Zeiten ständig anspruchsvoller werden – sie aber dafür mit knapp 1.700 Euro netto nach Hause gehen. Das Anfangsgehalt einer Erzieherin liegt bei 2.590 Euro brutto. Wohlgemerkt: Wenn sie in einem kommunalen Kindergarten arbeitet. Kirchliche oder private Träger zahlen in der Regel etwa 15 Prozent weniger.

Kinder betreuen, Kranke versorgen, Alte pflegen – das haben Frauen traditionell umsonst gemacht. Wenn sie inzwischen sogar Geld dafür bekommen, können sie doch zufrieden sein, oder? Sind sie aber nicht. Nicht mehr. Die Debatte um die unterbezahlten „Frauenberufe“ läuft seit Jahrzehnten, in der Fabrikarbeit waren das früher die „Leichtlohngruppen“.

Jetzt scheint die Sache endlich Fahrt aufzunehmen.

Von der Auf-
wertung der „Frauenberufe" profitieren auch auch Männer.

Das liegt auch daran, dass sich die in der DDR aufgewachsene Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) die „Aufwertung“ der sogenannten Frauenberufe auf die Fahnen geschrieben hat. Das kann sie zwar nicht qua Gesetz verordnen. Aber allein die aufschlussreiche Diskussion, die um Schwesigs angekündigtes „Entgeltgleichheitsgesetz“ tobt, hat offenbar schon Wirkung gezeigt. Dass die Gewerkschaft – die das Problem lange sträflich vernachlässigt hat - mit einer zweistelligen Lohnforderung an den Start geht, ist historisch. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass andere „Frauenberufe“, zum Beispiel die Krankenschwestern und Altenpflegerinnen, folgen werden.

Übrigens: Von der Aufwertung der bisherigen „Frauenberufe" könnten auch die Männer profitieren. Die könnten dann nämlich endlich ernsthaft darüber nachdenken, Erzieher oder Kranken-/ Altenpfleger zu werden. Bisher lief das Bundesmodellprojekt „Mehr Männer in Kitas“ mit dem Auftrag, „praxistaugliche Konzepte und Strategien zu finden, um mehr männliche Fachkräfte für Kitas zu gewinnen“, eher ergebnislos. Zehn Prozent Gehaltserhöhung könnten helfen.

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