Die ganz andere Catterfeld

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An diesem Tourneetag gibt es backstage Fleischklöße, und Yvonne Catterfeld will gleich zwei davon. "Sind zwar keine echten Thüringer Klöße, aber schmecken trotzdem super!"

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Das Drei-Meter-Buffet, an dem die Crew vor dem Konzert noch mal zum Essenfassen erscheint, hätte auch Möhrchen und Blattsalat bereitgehalten. Aber das Rohkost-Angebot wird von der blonden Schönen gnadenlos ignoriert. Gemeinsam mit ihrer Junior-Managerin Helen Jarzombek und Backround-Sängerin Ricarda verspeist Yvonne Catterfeld am Resopaltisch wohlgemut ihre Klöße mit dicker Soße und schiebt noch einen Kinderriegel hinterher. „Wenn ich nicht ordentlich essen würde, würde ich so eine Tournee gar nicht durchstehen.“

Was Yvonne Catterfeld vor ihren Konzerten so alles isst und wie gern sie das tut, ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil die 24-Jährige als Sängerin und Schauspielerin in diesen anorektischen Zeiten nun mal unter Generalverdacht steht, ein eher problematisches Verhältnis zum Thema Essen zu haben. Doch das Gegenteil ist der Fall, und das ist doch wirklich eine gute Nachricht. Vor allem aber hat der Shooting Star, der im Jahr 2003 einen Nummer-eins-Hit nach dem anderen in den Charts platzierte und in der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ als Julia Blum reihenweise Jungen- und erwiesenermaßen Mädchenherzen bricht, das Thema „Ess-Störungen“ sich selbst zu einem Herzensanliegen gemacht: Yvonne Catterfeld rührt bei jeder Gelegenheit die Werbetrommel für den Kampf gegen Magersucht und Bulimie.

Fans, die Catterfelds Homepage anklicken, werden schon auf der Startseite aufgefordert, nur ja keine Diäten zu machen, weil die „zum Einstieg in Essstörungen führen“. Beim Promi-„Wer wird Millionär?“ im Mai erkämpfte Kandidatin Catterfeld 64.000 Euro für den „Berliner Förderverein für psychisch kranke Kinder“. Seit 1992 unterstützt der Verein die Arbeit der Berliner Charité mit essgestörten Kindern und Jugendlichen. Millionen sahen die Millionärs-Sendung, und wer seither ein Interview mit Yvonne Catterfeld führt, kommt am Thema Ess-Störungen nicht vorbei. Selbst die „Starnacht am Wörthersee“ muss sich gefallen lassen, dass Sängerin Catterfeld vor ihrer Gesangs-Darbietung noch rasch über Ess-Störungen referiert.

Auch im Video zu ihrem Hit „Du bleibst immer noch du“ flimmert die grassierende Bulimie mehrmals täglich in die Kinderzimmer und Jugendbuden der VIVA- und MTV-Zielgruppe. Die Story zum Hit: Ein junges, dunkelhaariges Mädchen hat Ballettunterricht. Die strenge und sichtlich unzufriedene Ballettlehrerin verbiegt Beine und Arme ihrer Schülerin und kneift ihr schließlich vorwurfsvoll in die kleinen Pölsterchen an Bauch, Hüfte und Po. Das Mädchen flüchtet aus dem Tanzsaal. Als sie sich in einem Spiegel betrachtet, ist ihr Blick auf sich selbst verzerrt – die Schlanke sieht einen dicken Körper. Das verzweifelte Mädchen rennt auf die Toilette, steckt sich den Finger in den Hals und übergibt sich. Yvonne, die alles beobachtet hat, umarmt und tröstet singend die weinende Freundin. „Du bleibst immer noch du, gehörst noch immer dazu.“

Schlagerhasser mögen Text und Musik ein hohes Kitschpotenzial attestieren – die Fans sehen das definitiv anders. Hunderte von Gästebuch-Einträgen auf Catterfelds Homepage zeugen davon. „hi yvonne, ich bin magersüchtig, das ist sehr schlimm. immer wenn ich was esse, kommt es wieder raus. LEIDER. aber du hast mir mit deinem total coolen lied sausau viel mut gemacht thank you yvonne, deine Lisa“. Oder: ‘Ne gute Freundin von mir bekommt jetzt auch immer schon Infusionen zu Hause, da sie nur noch 35 kg hat und noch immer keinen Platz in der Klinik. Ich hoffe, du setzt dich weiter für diese Krankheit ein.“ Und: „Ich möchte dir DANKE sagen. Ich leide seit vier Jahren an Magersucht und Bulimie. Ich habe schon einige Therapien gemacht, konnte die Ess-Störung aber leider noch nicht besiegen. Der Weg zur Heilung ist verdammt hart und dauert Jahre, falls man den Mist überhaupt ganz loswerden kann. Liebe Grüße, Jutta.“

„Überwältigt“ war Yvonne Catterfeld von der Lawine, die sie da losgetreten hatte. „Nach dem großen Erfolg im letzten Jahr war klar, dass ich mich für irgendwas engagieren wollte“, erzählt sie, den Blick aus sehr blauen Augen immer sehr fest auf ihr Gegenüber gerichtet. Und schnell war klar, was dieses „irgendwas“ sein sollte: Ess-Störungen. „Weil die in der Öffentlichkeit immer noch viel zu wenig Beachtung finden.“ Yvonne besuchte die Station für essgestörte Kinder und Jugendliche an der Berliner Charité, sprach mit Betroffenen und ÄrztInnen. Und war „erschüttert“ darüber, „wie viele an Ess-Störungen erkrankt sind und was für ein Leidensweg das ist. Ich habe auch erfahren, dass das die psychische Krankheit mit der höchsten Todesrate ist“. Yvonne ist begeistert, als sie von der EMMA-Reporterin hört, dass die britische Frauenministerin schon vor einigen Jahren VertreterInnen von Modebranche und Frauenzeitschriften an einen Tisch zitiert und eine Kampagne gegen Ess-Störungen initiiert hat. Auch Juniormanagerin Helen Jarzombek kommt ins Grübeln. „So wat müssten wer doch hier auch hinkriegen.“ Catterfeld weiß: „Klar, die Betroffenen sind zu 90 Prozent Mädchen.“ Wie ihre Fans.

18 Uhr. Noch zwei Stunden bis Konzertbeginn. Pressekonferenz. Die steht unter der Regentschaft von Seniormanagerin Veronika Jarzombek. Die Mutter der Kompanie ist parkuhrgroß, hat flammend rote Haare und ein großes Herz. Zumindest für die Jung- beziehungsweise Jüngstreporterinnen, die sich unter das Dutzend Journalisten gemischt haben. Die WDR-Kindersendung Lilipuz und die Jugendbeilage Lenz der Westfälischen Nachrichten haben die Teilnahme an der Pressekonferenz für vier Catterfeld-Fans verlost. Die Erwachsenen werden mit Jarzombek’scher Strenge sächselnd in ihre Schranken gewiesen. Die präpubertierenden Mädchen können sich dagegen der Jarzombek’schen Zuneigung sicher sein. „Na, denn schießt ma los!“

„Hast du als Kind schon gern gesungen?“ fragt Charlotte, 9, und strahlt ihr Idol mit entwaffnendem Zahnspangenlächeln an. „Wie sieht so dein Alltag aus, seit du ein gefragter Star bist?“ Idol Catterfeld beantwortet all diese Fragen, die ihr ihre jungen Fäninnen wohl schon Hunderte Male gestellt haben, als wäre es das erste Mal. Sie ist konzentriert, zugewandt, lieb. Und sie tut nichts, um den Jungstar-Mythos zu pflegen. Im Gegenteil. Sie demontiert ihn.
Nein, mit den anderen GZSZ-Stars ist sie nicht befreundet. Man unterhält sich mal nett. „Richtig intensive Freundschaften hab ich nur mit den Freunden von früher.“ Wenn sie dreht, hat sie oft einen 18-Stunden-Tag. Sechs Uhr aufstehen, zwölf Stunden drehen und nach dem Dreh noch Texte lernen. In ihrer Freizeit, von der es nicht viel gibt, trifft sie sich mit ihren alten Freunden, und sie muss ja auch ihre Berliner Wohnung mal saubermachen. Das verblüfft einen von den erwachsenen Journalisten. „Hast du dafür denn niemanden?“ Diese Frage verblüfft wiederum Yvonne Catterfeld. „Nein, das mach ich schon noch selbst.“ Nein, nach den Konzerten geht sie normalerweise nicht mehr raus. Sie sitzt dann mit BandkollegInnen und Management zusammen und wertet das Konzert aus. „Wir sind sehr diszipliniert. Aber nur so kommt man weiter.“ Charlotte notiert.

Disziplin ist ein wichtiges Wort für Yvonne Catterfeld. Sie weigert sich, den Teenie-Traum der „Deutschland sucht den Superstar“-Generation zu bedienen, der besagt, dass quasi jeder, der ein bisschen singen kann, von heute auf morgen reich, berühmt und begehrt werden kann. Sie selbst, und das erzählt sie auch ihren jungen Fans mit den leuchtenden Augen, hat für ihren Erfolg hart gearbeitet.

Gesangsstunden mit 15, zusätzlich Klavier- und Gitarrenunterricht, nach dem Abi ein Jahr Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung an der Leipziger Musikhochschule mit der traditionell soliden Ausbildung. Nach bestandener Prüfung zieht die Tochter eines Ingenieurs und einer Lehrerin für Wirtschaft, Recht und Technik - zu DDR-Zeiten noch „Werken“ genannt („Das sollte wieder reguläres Schulfach werden, damit man auch mal selbst ‘ne Lampe anschließen kann!“) – von Erfurt nach Leipzig, Studium der Jazz- und Popularmusik, Hauptfach Gesang. Dann macht die Musikstudentin vor vier Jahren einen Preis beim Fernseh-Talentwettbewerb des MDR „Stimme 2000“ und hat einen Plattenvertrag in der Tasche. Von da an geht es mit Riesenschritten Richtung Karriere.

Zuerst wird Udo Lindenberg auf das neue Talent aufmerksam und nimmt mit ihr zwei Songs für sein neues Album auf. Dann kommt Yvonne Catterfeld der Trend zur „crossmedialen Vermarktung“ zugute: Ihre Plattenfirma BMG gehört zur Bertelsmann-Gruppe, wie auch der GZSZ-Sender RTL. Das Rezept, den einen oder anderen singenden Serienstar in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ zu platzieren, hat sich schon bei Oli P. oder Jeanette Biedermann bewährt. Den Plattenverkäufen ist dieser „Synergieeffekt“ enorm zuträglich, hat die Vorabendserie GZSZ als Deutschlands Soap Number One doch einen Marktanteil von 40 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen und täglich um die sechs Millionen (!) Zuschauer. Prompt hüpft Yvonnes Hit „Für Dich“, der in der Serie präsentiert wird, auf Platz eins der Charts, ihr Debütalbum „Meine Welt“ verkauft sich eine Viertelmillion Mal.

Seit Frühjahr 2002 spielt Yvonne Catterfeld in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ die Julia Blum. Die ist Oberstufenschülerin, liiert mit Nico, nach einer Mini-Affäre mit dem Lehrer wieder getrennt von Nico. Seit zig Folgen fiebert die GZSZ-Nation nun mit: Kommen die beiden wieder zusammen?

Die Julia-Darstellerin weiß, dass sich ihre ZuschauerInnenschaft zu einem hohen Prozentsatz aus Mädchen unter 20 zusammensetzt - der ist so gigantisch, dass RTL den Anteil männlicher Zuschauer schon gar nicht mehr ermittelt. Und sie weiß – im Gegensatz zu vielen anderen – auch, dass sie damit Verantwortung trägt. „Natürlich bin ich für die Mädchen ein Vorbild. Und deshalb ist es mir auch so wichtig, dass die Julia Blum eine Figur ist, hinter der ich stehen kann. Die ist klar, die ist höflich, die hat Werte. Aber die kann auch mal auf den Tisch hauen und sagen: So geht’s nicht!.“

Sie hat wirklich „höflich“ gesagt. Das ist auch ein wichtiges Wort für Yvonne Catterfeld. „Es klingt vielleicht blöd, aber ich finde es gut, dass wir damals in der Schule noch Noten für Betragen und Fleiß gekriegt haben.“ Das war noch zu DDR-Zeiten – als die Mauer fiel, war Yvonne zehn Jahre alt. „Ich gehöre wohl zur letzten Generation, die noch von diesem Unterschied geprägt ist.“ Sie findet Umgangsformen wichtig, weil sie „mit Respekt zu tun haben“.

18.30 Uhr. „Meet and greet“. Ein Pulk Mädchen von acht bis 18 stürmt den Backstage-Raum. Mit Engelsgeduld schreibt Yvonne Catterfeld ihren Namen auf Stapel von Autogrammkarten, Poster und T-Shirts, auf CDs, Gipse und in Poesiealben. „Können wir noch eins haben für meine Schwester?“ – „Ja klar, wie heißt die denn?“ – „Kannst du auch noch in mein Freundschaftsbuch schreiben?“ – „Ooch, so was hatten wir früher auch, hast du denn auch so Glanzbilder dafür?“ – „Können wir noch ein Foto zusammen mit meiner Freundin machen?“ – „Ja sicher, wo soll ich mich denn hinstellen?“ Yvonne umarmt, lächelt, streichelt. Die Fans sind beeindruckt. „Die is ja gar nicht eingebildet, ey!“ raunt es von Teenagermund zu Teenagerohr. „Die ist ja so natürlich!“

Draußen füllt sich langsam das Foyer, und wer bei den ungeduldigen Mädchenscharen nachfragt, was so cool ist an Yvonne Catterfeld, bekommt diesen Satz als Standardantwort: „Dass sie so natürlich ist.“ Eine Variante: „Dass sie sich so anzieht.“ – „Wie denn?“ – „Na, dass sie keine Miniröcke und so trägt. Dass sie das nicht nötig hat und trotzdem erfolgreich ist“, erklärt Jacy, 18, deren Handy vom Hals über ihren freigelegten Bauch baumelt.

Dabei musste Yvonne Catterfeld am Beginn ihrer Karriere zunächst die Erfahrung machen, dass ihre „Natürlichkeit“ nicht unbedingt willkommen war. Die Plattenfirma hielt das offenbar für ein wenig lukratives Image. Davon zeugen auch die Cover-Fotos ihrer ersten CD „Meine Welt“, die auf der Vorderseite nach viel Retusche und auf der Rückseite nach High Heels und kleinem Schwarzen aussehen. Inzwischen hat sich das geändert. Das Booklet der neuen CD zeigt die Sängerin lächelnd im hippen Sportjäckchen. „Ich will natürlich und als ganz normaler Mensch rüberkommen, und das habe ich mir hart erkämpft“, erzählt Yvonne. „Als ich noch ganz neu im Geschäft war, hatte ich noch nicht so die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.“ Da war zum Beispiel die Fotostrecke für ein Männermagazin – das sich zwar an die Vorgabe „Keine Bikinifotos!“ hielt. „Aber dafür war’s dann Unterwäsche. Es sind damals Fehler gemacht worden.“

Selbstredend hat auch der Playboy der „GZSZ-Blondine“ schon mehrfach Avancen gemacht. „Die haben wir natürlich abgelehnt.“ Genau wie die Antwort auf die Frage nach dem „ersten Mal“, die der Verblüfften reihenweise in Fragebögen gestellt wurde. „Ich war zuerst total perplex und hab mich gefragt: Huch, wie viel muss ich denn jetzt von mir preisgeben?“ Nicht alles – dank vieler verkaufter CDs und Managerin Jarzombek, die in diesem Punkt „mit mir an einem Strang zieht“.

20 Uhr. Das Konzert beginnt pünktlich. Natürlich schiebt Yvonne zu wabernden Keyboardklängen „für dich die Wolken weiter, sonst siehst du den Sternenhimmel nicht“. In der Märchenwelt der Yvonne Catterfeld-Songs gibt es noch Prinzessinnen und Prinzen auf weißen Pferden. Aber es gibt auch Mädchenfreundschaft – und Ess-Störungen. „Passt auf euch auf!“ ruft sie den Mädchen zu, bevor sie ihr Anti-Magersuchts-Lied singt: „Du bleibst immer noch du“.
Vielleicht ist es genau diese Mischung, die so viele Mädchenherzen so sehr für die Sängerin schlagen lässt, dass sich im Gästebuch unzählige unschuldige Liebeserklärungen finden: „Ich hab dich ganz doll lieb für immer und ewig!“
Für diejenigen, die Yvonne Catterfeld ins Reich des Kitsches verbannt haben, ist das Konzert eine Überraschung. Denn mit ihrer sauguten Band rockt sie auch mal ab und hat sogar einen Reggae oder ein Latin-Stück im Repertoire.
22.15 Uhr. Nach zwei Zugaben ist Schluss. Der Nachwuchs muss nach Hause.

Wie es weitergehen soll mit der Julia Blum und Songs wie „Für Dich“? Das kann man im Moment nur ahnen. Sicher ist: Yvonne Catterfeld ist auf jeden Fall bis 2005 bei GZSZ zu sehen. Und die Musik? „Ich finde es schade, dass es so wenig deutschsprachigen Soul oder Pop gibt“, sagt sie. Und: „Ich will mich weiterentwickeln.“ Aber jetzt muss sie erst mal was essen. Ob noch Klöße übrig sind?

www.YvonneCatterfeld.de
Berliner Förderverein für psychisch kranke Kinder und Jugendliche e.V.: T 030/450566289, www.charite.de/rv/kpsych/verein.html

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