In Europa an der Macht
Finnland - Sanna Marin
HoS(i)anna in der Höhe! Mit Sanna Marin hat Finnland nun nicht nur die jüngste Premierministerin der Welt, sondern quasi das Matriarchat ausgerufen. Die Sozialdemokratin ist Chefin einer Koalition aus fünf Parteien, die auch alle von Frauen geführt werden. Ihr Regierungsziel: eine strengere Umwelt- und Klimapolitik und das Vertrauen in die Sozialdemokratie zurückgewinnen. Die nationalistische Finnenpartei hat bereits den Notstand ausgerufen: „Das ist der Höhepunkt einer modernen feministischen, männerfeindlichen Bewegung!“ 1985 wird Sanna in Helsinki geboren, der Vater ist Alkoholiker, verlässt die Familie. Die Mutter verliebt sich bald in eine Frau – in einer Zeit als es das Wort „Regenbogenfamilien“ auch im fortschrittlichen Finnland noch nicht gibt. Heute hat Sanna selbst eine zweijährige Tochter namens Emma, mit einem Mann. Marin ging als erste in der Familie zur Uni, ihr Studium der Verwaltungswissenschaften finanzierte sie selbst. Mit 27 wurde sie Chefin des Stadtrats ihrer Heimatstadt Tampere, mit 30 saß sie als Abgeordnete im Parlament, mit 34 wurde sie Ministerin für Verkehr und Kommunikation. Und nun Premierministerin!
Schottland - Nicola Sturgeon
Nicola Sturgeon firmiert in Großbritannien als „Schottlands Angela Merkel“. In britischen Comedy-Serien wird sie in den einschlägig bekannten Merkel-Outfits, mit Merkel-Frisur und Merkel-Raute dargestellt (siehe Tracy Ullmann Show). Beim Brexit ist für Sturgeon Schluss mit lustig. Die Pro-Europäerin kämpft für den Weg zurück – als unabhängiger Staat am Beispiel Nordirlands. Nur 1,63 Meter groß, aber als rhetorische Größe bekannt, legt sie sich gern mit Boris Johnson an. Nicola Sturgeon, 49, ist bekennende Feministin. Obwohl sie hart gegen Theresa May zu Felde zog, betonte sie stets die Solidarität zu ihr als Frau. Sturgeon kämpft seit den 1990ern für Frauenrechte, hat maßgeblich dazu beigetragen, Schottlands Chauvinismus abzuschütteln. Ihr Kabinett hat sie 2014 als „First Minister“ direkt paritätisch aufgestellt und außerdem in der Antrittsrede klargestellt: „An jede Frau und jedes Mädchen in Schottland! Ab sofort gibt es für Ambitionen keine Glasdecke mehr – egal wie euer Hintergrund aussehen mag!“ Sturgeon selbst kommt aus der Arbeiterklasse, hätte ohne damalige Gebührenfreiheit nicht in Glasgow Jura studieren können. Sie trat bereits mit 16 in die Schottische Nationalpartei (SNP) ein, kletterte seitdem steil die Karriereleiter nach oben.
Serbien - Ana Brnabić
Ana Brnabić ist ein Lichtblick im tiefpatriarchalen Serbien und eine kleine Sensation: Sie ist nicht nur der erste weibliche Premierminister, sondern auch offen homosexuell. Die Hälfte der serbischen Bevölkerung würde laut Umfrage versuchen, ihr Kind von Homosexualität zu heilen, 73 Prozent sind strikt gegen die Homo-Ehe. Brnabićs Symbolwert überragt ihren politischen Stellenwert. Mit ihrer Ernennung 2017 sorgte Präsident Aleksandar Vučić zwar für internationales Aufsehen, stellte aber direkt klar, dass Brnabić in erster Linie repräsentative Aufgaben übernehme. Politisch steht Brnabić für eine Abwendung vom russischen Einfluss und gilt als „Vertreterin der Amerikaner“. Eine ihrer Hauptaufgaben ist die Digitalisierung des Landes. Sie wurde 1975 in Belgrad geboren, machte ihren Master in Marketing an der Universität in Großbritannien und arbeitete zehn Jahre für internationale Organisationen und ausländische Investoren. 2019 hat sie ihren Symbolwert gesteigert: Mit ihrer Lebensgefährtin, einer Ärztin, bekam sie einen Sohn. Und sie zeigt Flagge: Auf dem jährlichen CSD marschiert die Premierministerin mit ihrer Lebensgefährtin für die Rechte von Homosexuellen.
Norwegen - Erna Solberg
2019 war für sie und ganz Norwegen ein historisches Jahr. Durch den Eintritt der Christdemokraten in die bestehende Koalition von Solbergs Konservativen (Høyre), der rechtspopulistischen Fortschrittspartei und der Liberalen Partei, bekam das Land seine erste nicht-sozialistische Mehrheitsregierung seit 1985. Die Parlamentsmehrheit kostete einen sehr hohen Preis: eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze, damit die Christdemokraten der Koalition beitreten. Feministinnen protestierten lautstark vor dem Parlament. Bis dato war Solberg als Feministin bekannt. Als Frau, die es trotz Legasthenie ganz nach oben schaffte, deren Ehemann mit aller Offenheit für die Betreuung der zwei Kinder einstand und die für 40 Prozent Frauenanteil im Parlament sorgte. Schon 1980 kämpfte die 1961 in Bergen geborene Solberg um Frauenrechte, Gleichstellung und Frauenbildung.
Dänemark - Mette Frederiksen
Wer noch nicht das YouTube-Video gesehen hat, in dem Mette Frederiksen sich selbst und das gesamte dänische Parlament zum Lachen bringt – als sie über den Kauf des alten Zirkus-Elefanten Ramboline und seinen besten Freund, das Kamel Ali, berichtet – sollte das nachholen. Frederiksen begeistert, vor allem, weil sie „das Thema Migration richtig anpackt“, so der Tenor der dänischen Medien. Sie steht für eine „linke" Sozialpolitik und eine so genannte „rechte“ Einwanderungspolitik: schnelle Abschiebungen von Illegalen, Einschränkung beim Familiennachzug sowie „eine Obergrenze für nichtwestliche Einwanderer“. Sie investiert mehr Geld in Schulen und Sozialleistungen, besteuert Konzerne und Reiche höher. Mette wurde 1977 als Tochter einer Lehrerin und eines Druckers in Aalborg, im Norden Jütlands geboren. Mit 15 trat sie der Jugendorganisation der Sozialdemokraten bei, mit 24 wurde sie jüngste Abgeordnete. Ihr erstes Ziel: die Bestrafung von Freiern nach dem Schwedischen Modell. Heute lebt die geschiedene Mutter zweier Kinder mit einem Fotografen zusammen.
Slowakei - Zuzana Čaputová
Vier Bodyguards hatte Zuzana Čaputová bei ihren letzten Auftritten als Präsidentschaftskandidatin dabei. So groß war die Angst vor einem Attentat. 2018 hatte der Enthüllungsjournalist Ján Kuciak mafiöse Verbindungen bis in höchste Regierungs- und Justizkreise aufgedeckt. Er und seine Verlobte wurden erschossen. Immer neue Enthüllungen erschütterten seither das Vertrauen der BürgerInnen. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße und forderten eine „anständige Slowakei“ – so wurde die Bürgerrechtlerin Zuzana Čaputová zur Schlüsselfigur: skandalfrei, integer, systemkritisch, pro-europäisch. Čaputová, 46, hat nur einen Fehler: Die Mutter von zwei Kindern ist geschieden – für konservative SlowakInnen ein No-Go. Noch dazu sprach sie sich für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften aus, für das Adoptionsrecht von Homosexuellen sowie für erleichterte Bedingungen für Abtreibungen. Und siehe da: Die Anständige hat gesiegt. Am 15. Juni 2019 setzte sie sich in einer Stichwahl deutlich gegen den EU-Diplomaten Maroš Šefčovič durch. Sie ist die erste Präsidentin der Slowakei.
Island - Katrín Jakobsdóttir
Der Feminismus hat in Island einen konkreten Geburtstag: der 24. Oktober 1975. Da treten 90 Prozent aller Frauen in einen Streik: Sie gehen nicht zur Arbeit, sie putzen nicht, sie kümmern sich nicht um die Kinder. Männer nennen diesen Tag bis heute den „langen Freitag“. 1975 waren in dem 360.000 Einwohner-Staat 60 Prozent der Frauen berufstätig. Als sie die Arbeit niederlegten, ging nichts mehr. Das Land nimmt seine Frauen seitdem sehr ernst. Nur vier Jahre später wurde Vigdís Finnbogadóttir, eine geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter, Islands erste Präsidentin. Island ist dem Rest der Welt also in Sachen Feminismus Lichtjahre voraus. Dass die seit 2017 regierende Premierministerin, Katrín Jakobsdóttir, eine Frau ist, wundert also niemanden. Die verheiratete Mutter von drei Söhnen ist selbstverständlich eine glühende Feministin, gilt als integer, rechtschaffen und ehrlich – Werte, die für Island nach der Wirtschaftskrise wichtig geworden sind. Die 44-jährige Jakobsdóttir ist Chefin der Links-Grünen Bewegung. Keine Partei zuvor hat so viel Geld in Bildung und Gesundheit investiert. Ihr Ziel: „Gewalt gegen Frauen ausrotten.“
Estland - Kersti Kaljulaid
„Das Wort ist frei“ – mit diesem Aufdruck auf einem weißen Pullover erschien die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid 2019 zur Vereidigung der neuen Regierung im Parlament. Ein Statement gegen die umstrittene rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei (Ekre), die neuerdings in der Regierung von Ministerpräsident Jüri Ratas sitzt und fordert, dass „staatsfeindliche Stimmen verstummen sollen“. Die 51-jährige Kaljulaid zeigte mit dem Pulli ihren Unmut über die zusammengezimmerte Koalition. Mit Worten durfte sie das nicht. Als ein Ekre-Minister, der wegen häuslicher Gewalt in der Kritik steht, eine Rede hielt, war Kaljulaid vorübergehend verschwunden. Der Minister musste einen leeren Stuhl grüßen. Kersti Kaljulaid zog 2016 als erste Frau ins Parlament und gilt seitdem als „unbequeme Staatschefin“. Zuvor saß die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin zwölf Jahre lang als Vertreterin Estlands am Europäischen Rechnungshof in Luxemburg. Kaljulaid steht für soziale Themen und kämpft für die Gleichstellung der Geschlechter. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat eine Tochter und drei Söhne.
Griechenland - Katerina Sakellaropoulou
Hellas! Dass Griechenland zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Frau zur Staatspräsidentin macht, kam für viele Landsleute fast so überraschend wie der Sieg bei der Fußball-Europameisterschaft 2004. In Griechenland gibt es so gut wie keine Frauen in Politik und Wirtschaft. Nur 56 der 300 Abgeordneten im Parlament sind Frauen, und nur fünf der 51 Kabinettsmitglieder. Und nun: Katerina Sakellaropoulou! Mit 261 von 300 möglichen Stimmen fiel die Wahl eindeutig auf die 64-jährige Juristin. „Griechenland bewegt sich auf eine neue Ära der Gleichberechtigung zu!“ gratulierte Ursula von der Leyen. Als Staatspräsidentin hat sie unter Regierungschef Kyriakos Mitsotakis zwar in erster Linie repräsentative Funktionen, ist aber ein Symbol. Sakellaropoulou hat ohne die Rückendeckung durch eine Partei oder Familie Karriere gemacht. Mit Ausnahme eines Studienaufenthalts in Paris sitzt die Staats- und Verfassungsrechtlerin aus Thessaloniki und geschiedene Mutter eines Sohnes seit mehr als 30 Jahren im höchsten Gericht Griechenlands. 2018 wurde sie dessen Präsidentin und damit zur obersten Richterin des Landes. Schon da war sie die erste Frau.
Belgien - Sophie Wilmès
Als Sophie Wilmès von den Liberalen am 27. Oktober 2019 von König Philippe zur Ministerpräsidentin ernannt wurde, jagten drei Infos durch die belgischen Medien: die erste Frau in diesem Amt, Mutter von vier Kindern und Jüdin. Wilmès Mutter hat zahlreiche Familienangehörige im Holocaust verloren. Die Ziele der neuen Regierungschefin: das Haushaltsloch stopfen, das in zwölf Fraktionen zersplitterte Parlament vereinen und endlich die Spaltung zwischen den Flamen und frankophonen Wallonen beenden. Wilmes selbst ist Wallonin. Ihre Eltern waren in der großen Politik aktiv, zu Hause sei es „immer um Politik gegangen“. Als Jugendliche wollte Sophie daher „nie im Leben was mit Politik zu tun haben“. An der Uni fasziniert sie der europäische Handel. Sie startet in der Finanzwelt durch, landet aber dann doch in der Finanzpolitik und wird 2015 Finanzministerin. Wilmès, 45, ist mit einem Australier verheiratet, der die Erziehung der vier Kinder (drei Töchter, ein Sohn) übernommen hat und nach eigenem Bekunden auch sehr gern den Haushalt schmeißt.