EU: Warum sollte es nicht möglich sein!

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"Die 'Klausel' ist eine brillante Idee", schwärmte die Schwedin Margot Wallström, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, im vergangenen November und sie versprach: "Ich werde alles tun, um dieses Projekt zu unterstützen."

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Schon 1979, im Jahr der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments, hatte die französische Anwältin und Feministin Gisèle Halimi die Idee. Dank der "Klausel" sollen für alle Bürgerinnen der Europäischen Union die gleichen Rechte gelten – und zwar nur die besten. Alle 253 Millionen Europäerinnen sollten von den frauenfreundlichsten Rechten aus den einzelnen Mitgliedsstaaten profitieren.

Wie das funktionieren kann? Ein Kniff aus dem europäischen Wirtschaftsrecht soll es möglich machen: Im internationalen Handel gibt es die Vereinbarung, dass ein Staat einem anderen alle außenhandelspolitischen Vorteile – zum Beispiel Zollermäßigungen – zu gewähren hat, die er bereits einem dritten Staat zugestanden hat. Warum sollte das nicht auch für Frauenrechte gelten können? Warum sollte eine Deutsche nicht vom belgischen Gleichstellungsgesetz in der Politik profitieren? Oder eine Polin vom Abtreibungsgesetz der Schweden?

"Über viele Jahre hinweg habe ich mich gefragt, wie man die Bedingungen der Frauen in Europa verbessern und damit Europa humanistischer gestalten könnte. Es hat mich einfach nicht losgelassen", sagt Halimi. Die Juristin ist in Frankreich keine Unbekannte: 1971 hatte sie im Zuge des berühmten "Manifestes der 343" gegen das Abtreibungsverbot gemeinsam mit Simone de Beauvoir und anderen Feministinnen die Organisation "Choisir la cause des femmes" (Die Sache der Frauen wählen) gegründet, um alle Frauen, die sich öffentlich zum Recht auf Abtreibung bekannten, vor juristischer Verfolgung zu schützen.

1972 verteidigte Halimi in einem spektakulären Prozess eine Minderjährige aus dem Pariser Vorort Bobigny. Das Mädchen hatte nach einer Vergewaltigung abgetrieben. Der Prozess wurde in Frankreich zum Symbol für den Kampf um das Recht auf Abtreibung. 1975 führte Frankreich die Fristenlösung ein. Das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten gilt bis heute unangefochten.

Mit ihrer "Clause de l’Européenne la plus favorisée" (der "Klausel der meistbegünstigten Europäerin") startete Halimi 2005, unterstützt von Mitstreiterinnen. Die erste Etappe ist klar: Die frauenfreundlichsten Gesetze müssen ausfindig gemacht werden. Es beginnt eine über zwei Jahre dauernde Recherche. Alle Gesetzestexte der 27 EU-Mitgliedsstaaten werden im Hinblick auf die fünf wichtigsten Lebensbereiche von Frauen durchforstet und verglichen: 1. die freie Entscheidung über die Mutterschaft, 2. Familie, 3. (Sexual)Gewalt, 4. Arbeit und 5. Politik.

Parallel befragt Choisir PolitikerInnen und Frauenorganisationen in ganz Europa, denn deren Meinung ist wichtig, und ein möglichst großes Netzwerk muss geknüpft werden. Das Endprodukt kann sich sehen lassen: ein "gesetzlicher Blumenstrauß" für alle Europäerinnen wird im Mai 2008 als "Klausel der meistbegünstigten Europäerin. Das Beste Europas für die Frauen" veröffentlicht (bisher nur auf Französisch). Es sind interessanterweise nicht immer die großen Nationen, die mit besonders frauenfreundlichen Gesetzen brillieren, sondern oft auch die kleineren und jüngeren Mitgliedsländer.

In Bezug auf Deutschland ist die Ausbeute mehr als kläglich: Kein einziges deutsches Gesetz wurde als das frauenfreundlichste innerhalb der EU gewählt! Ganz anders Schweden. Es dürfte kaum verwundern, dass das EU-Musterland der Emanzipation, in dem Regierung und Parlament (fast) zur Hälfte mit Frauen besetzt sind, gleich dreimal den Zuschlag erhielt.

Erstens bei der "Freien Entscheidung über Mutterschaft", der neben Sexualerziehung und Verhütung auch die Abtreibung betrifft – und damit den Bereich mit dem wohl größten politischen Sprengstoff. In Schweden ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 18. Woche legal. Die Abtreibungspille ist zugelassen, die Kosten trägt der Staat. Meilenweit davon entfernt sind Irland, Polen, Malta und Zypern, wo Abtreibung nach wie vor illegal oder nur in Ausnahmefällen zugelassen ist. Und Deutschland, wo mit der Indikationslösung die Abtreibung bis heute kein Recht, sondern nur eine Gnade ist. Hier wird der Unterschied der Lebensbedingungen von Frauen in Europa überdeutlich.

Zweitens: die Familie. Auch bei der Elternzeit ist das schwedische Recht führend, denn es garantiert uneingeschränkt 80 Prozent des Gehalts über einen Zeitraum von 390 Tagen, also knapp 13 Monate. Gleichzeitig sind – ganz wie jetzt auch in Deutschland – zwei Monate davon für den Vater reserviert, was die Männer dazu bringen soll, verstärkt in die Elternzeit zu gehen. Dies ist das beste bisher bestehende Gesetz in Europa, wobei selbst in Schweden immer noch verhältnismäßig wenige Männer, nämlich 18 Prozent, die Elternzeit in Anspruch nehmen.

Zu dem Bereich der Familie gehören auch Eheschließung, Eingetragene Lebenspartnerschaft und Scheidung. Belgien ist bei der Lebenspartnerschaft vorne dran, ebenso wie die Niederlande: Dort können auch homosexuelle Paare heiraten bzw. eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und seit 2006 ist auch die Adoption für gleichgeschlechtliche, verheiratete Paare möglich.

Drittens die (Sexual)Gewalt. Dazu gehört nach Verständnis der Mehrheit in Europa auch die Prostitution. Auch hier hat Schweden das beste Gesetz: Prostitution ist, genau wie Frauenhandel, in Schweden verboten.

Strafbar macht sich der Freier, nicht aber die Prostituierte. Prostituierte, die gegen Zuhälter und Frauenhändler aussagen, erhalten einen besonderen Schutz zugesichert. Ebenfalls gesetzlich garantiert sind soziale und staatliche Anlaufstellen für Prostituierte; insbesondere für Ausländerinnen, die Opfer von Frauenhandel wurden. Man will Prostituierten den Ausstieg bzw. einen Einstieg in ein neues Leben ermöglichen. Politik und Medien arbeiten eng zusammen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren. Laut Umfragen sind rund 80 Prozent aller Schwedinnen und Schweden heute gegen Prostitution.

In Deutschland dürfte die Entscheidung für das schwedische (Anti)Prostitutionsgesetz auf Widerstand stoßen, ist das Land doch weiterhin für permissive Gesetzgebung und die industriellen Megabordelle bekannt, die in der Folge der Prostitutionsreform von 2002 entstanden. In Schweden jedoch gilt die Prostitution nicht als "Beruf wie jeder andere", sondern ganz wie in Frankreich als schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde.

Bei der Bekämpfung der häuslichen Gewalt hat sich besonders Spanien in den letzten Jahren durch hervorragende Maßnahmen ausgezeichnet, denn das Land mit dem feministischen Ministerpräsidenten Zapatero geht das Problem umfassend an. Schon in der Schule werden Mädchen und Jungen aufgeklärt über sexuelle Gewalt und sexistische Darstellungen in den Medien. Opfer häuslicher Gewalt erhalten sofortigen Schutz, Unterkunft und Überbrückungsgeld. BetreuerInnen, Polizei und RichterInnen erhalten eine spezielle Ausbildung. Ziel ist die zukünftige materielle Autonomie der Frau.

Vierter Punkt ist die Arbeit und es muss gleich hinzugefügt werden, dass kein einziges europäisches Land eine tatsächlich gleichwertige Behandlung von Frau und Mann erreicht, und dies obgleich gerade die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen die Basis für jegliche Freiheit bildet. Es gibt also dringend Handlungsbedarf, wobei das Problem tief in unseren Gesellschaften verwurzelt ist: Schon mit der Ausbildung von Mädchen – immer noch werden eher weniger technische Berufe angestrebt – wird der Grundstock für die Ungleichheit gelegt.

Aufgaben im Haushalt, Kindererziehung sowie die Pflege von Familienmitgliedern werden überwiegend von Frauen erledigt und es sind zu großer Mehrheit die Frauen, die ihre Karriere zur Kindererziehung unterbrechen und Teilzeitjobs annehmen.

Dass dies Auswirkungen auf die Rente haben muss, versteht sich von selbst. Trotz aller Einschränkungen fällt die Wahl auf das französische Arbeits- und Rentenrecht, denn deren Gesetze basieren im europäischen Vergleich sehr weit gehend auf der sozialen Realität mit dem Ziel, die Gleichberechtigung voranzutreiben.

Fünfter und letzter Punkt: die Gleichstellung in der Politik. Hierbei fiel die Wahl auf Belgien, denn dort ist das Prinzip der Gleichberechtigung bezüglich aller politischer Ebenen in der Verfassung verankert und es müssen bei allen Wahlen Frauen und Männer mit Hilfe einer Quotenregelung in gleicher Zahl aufgestellt werden. Im belgischen Senat wurde darüber hinaus bereits 2007 ein Entschließungsantrag gestellt, die Klausel gesetzlich einzuführen.

Soweit nun die Theorie. Doch wie könnte ein solch umfassendes Gesetzespaket für alle europäischen Staaten gültig werden? Niemand in der Europäischen Union kann von oben herab in nationales Recht einzelner Länder eingreifen. Und es ist auch klar, dass sich zum Beispiel Länder wie Polen oder Irland nicht so leicht von ihrer rigorosen Abtreibungspolitik abbringen lassen werden. Und Deutschland ist ja sogar gerade im Begriff, sein restriktives Abtreibungsrecht noch zu verschärfen.

Doch wer hätte vor Jahrzehnten gedacht, dass man sich in der Europäischen Union darauf einigen könnte, auf die Todesstrafe zu verzichten? Warum also nicht auch die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen für alle!

Choisir arbeitet mit Jean-Luc Sauron, Professor für Europarecht, zusammen. Der ist von dem Projekt begeistert und glaubt fest an die Chance einer konkreten Umsetzung in nicht allzu ferner Zukunft. Zurzeit erstellt Sauron eine juristische Machbarkeitsstudie. Daneben arbeitet Choisir fieberhaft daran, die politischen Parteien in Frankreich davon zu überzeugen, die Klausel in ihr Programm für die Europa-Wahlen aufzunehmen. Und Ende 2008 haben sich bei einem EU-Kolloquium in Paris EU-Abgeordnete, Frauenorganisationen und Völkerrechtler aus ganz Europa zusammengefunden, um das Projekt voranzubringen.

Deutsche TeilnehmerInnen suchte man dort allerdings vergeblich. Weder Familienministerin Ursula von der Leyen noch auch nur eine EU-ParlamentarierIn war der Einladung gefolgt. Aber das kann ja noch werden.

Denn die bevorstehenden Europa-Wahlen sind die ideale Plattform zur Aufklärung und Diskussion: nicht nur über bessere und effektivere Maßnahmen und Gesetze zur Ökonomie und Ökologie, sondern auch in Sachen Frauenemanzipation.

www.choisirlacausedesfemmes.org

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