Kachelmanns Ex-Freundin verurteilt!
Zum ersten Mal ergriff Claudia Dinkel - das mutmaßliche Opfer im Prozess gegen Kachelmann - öffentlich das Wort. Nachdem das Oberlandesgericht Frankfurt sein Urteil gesprochen hatte, verlas sie eine Erklärung. „Sie wurden heute Zeugen eines Justizskandals“, sagte sie. Der „rein männlich besetzte Senat“ habe „sämtliche Fakten und Indizien“ ignoriert, die „gegen eine Falschaussage und für eine Vergewaltigung sprechen“.
Claudia Dinkel: "Man will ein Exempel statuieren."
Der wegen "Mangels an Beweisen" 2011 freigesprochene Jörg Kachelmann gibt keine Ruhe. Er verklagte seine Ex-Freundin Claudia Dinkel auf Rückerstattung des Honorars eines der von ihm bestellten Gutachter, der - im Gegensatz zu einem anderen Gutachter, der zu dem gegenteiligen Schluss gekommen war - zugunsten von Kachelmann vorgetragen hatte. Der neue Gutachter behauptete, Dinkel habe sich die nach der Nacht von Ärzten festgestellten Verletzungen selber beigebracht. Das Frankfurter Oberlandesgericht unter Vorsitz von Richter Thoma Sagebiel verurteilte Claudia Dinkel jetzt zur Zahlung von 7.000 Euro an Kachelmann.
Das Urteil trifft Claudia Dinkel tief - aber erstmals geht sie in die Offensive. Denn es gehe nicht nur um ihren konkreten Fall, meint die Ex-Freundin von Kachelmann. „Man will ein Exempel statuieren, um Frauen einzuschüchtern, um sie davon abzuhalten, die Wahrheit über männliche Gewalt laut zu sagen. Man will uns Frauen stumm schalten." In der Tat dürfte das Urteil des OLG Frankfurt, so es denn Bestand hat, genau dies zur Folge haben.
Dieses Urteil ist nicht nur für Claudia D. eine schwere Niederlage. Es ist auch eine Katastrophe für alle tatsächlichen Opfer einer Sexualstraftat, bei denen der oder die Täter am Ende nicht verurteilt werden. Und das passiert in den meisten Fällen: Nur jede zehnte Anzeige wegen Vergewaltigung endet mit einer Verurteilung des Angeklagten. So hat es das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ermittelt und beklagt eine „besorgniserregende Entwicklung“.
"Man will uns Frauen stumm schalten."
Das Problem: In den meisten Fällen von Sexualgewalt steht Aussage gegen Aussage. Freisprüche aus "Mangel an Beweisen" - wie im Fall Kachelmann - werden fast zur Regel. Was allerdings nicht immer etwas darüber aussagt, ob die Vergewaltigung nun stattgefunden hat oder nicht.
Auch im Fall Kachelmann hatten Schuld oder Unschuld des Ex-Wettermoderators nicht abschließend geklärt werden können. Richter Michael Seidling in Mannheim hatte in seiner Urteilsbegründung erklärt: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist.“ Und der Richter hatte betont, die Öffentlichkeit möge „bedenken, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat“. Aber: „Bedenken Sie auch umgekehrt, dass Frau D. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.“
Was das Mannheimer Gericht in einem neunmonatigen Prozess mit zahllosen (widersprüchlichen) Gutachten nicht hat klären können, das sah nun das Frankfurter Oberlandesgericht offenbar in zwei Tagen Verhandlung als bewiesen an: Nämlich, dass Claudia Dinkel ihren Ex-Freund Jörg Kachelmann „vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt“ habe. Das schloss Richter Thomas Sagebiel aus den Mannheimer Gutachten über die Verletzungen, die Claudia Dinkel nach deren Aussage in der Tatnacht von Kachelmann zugefügt worden waren. Dabei waren die zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.
Das Gericht lehnte alle Beweisanträge ab.
Und auch ein neuer Gutachter, den das OLG Frankfurt beauftragt hatte, kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. Alle sechs Verletzungen könnten zwar „durch fremde Hand oder Unfallgeschehen entstanden sein“, erklärte der Frankfurter Rechtsmediziner Prof. Marcel Verhoff. Es spreche aber „deutlich mehr für Selbstbeibringungen.“ Obwohl selbst die Argumentation dieses Gutachters keineswegs nach einer zweifelsfreien Aussage klingt, genügte das dem Oberlandesgericht Frankfurt, um die angebliche „Falschbeschuldigung“ durch Claudia Dinkel für bewiesen zu halten. Dabei hatte das bisher weder das Landgericht Mannheim noch das Landgericht Frankfurt in erster Instanz so gesehen.
„Ein Gegengutachten, das zu dem Schluss kam, dieses Gutachten sei fehlerhaft, wurde vom Gericht nicht zugelassen“, klagt Manfred Zipper, der Anwalt von Claudia Dinkel. Überhaupt seien alle Beweisanträge inklusive eines Befangenheitsantrags gegen das Gericht abgelehnt worden. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Sagebiel schon vor Beginn der Verhandlung erklärt, er halte die Klage Kachelmanns „für berechtigt“. Es sei „äußerst ungewöhnlich, dass ein Richter noch vor Beginn des Prozesses verkündet, welches Urteil er sprechen wird“, kommentiert Anwalt Zipper.
Nur jede zwölfte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung wird überhaupt angezeigt. Nach diesem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt dürften die Opfer von Vergewaltigungen nun noch seltener zur Polizei gehen, denn: „Über allen Opfern schwebt jetzt ein Damoklesschwert“, sagt auch Anwalt Zipper. „Denn das Signal dieses Urteils an die Opfer lautet: Wenn du anzeigst und der Täter wird nicht verurteilt, musst du damit rechnen, selbst vor Gericht gestellt zu werden und hohe Kosten zu haben. - Das darf so nicht stehenbleiben!“
Über allen Opfern schwebt ein Damokles-
schwert.
Das sieht auch Claudia Dinkel so, die nicht länger schweigen will. Dazu dürfte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom April 2016 beigetragen haben: Nachdem Kachelmann seiner Ex-Freundin gerichtlich hatte verbieten lassen, ihre Sicht der fraglichen Nacht zu verbreiten - während er selbst sie öffentlich als „Falschbeschuldigerin“ und „Erfinderin des Vergewaltigungsvorwurfs“ bezeichnete - hatten die höchsten RichterInnen entschieden: Auch Claudia Dinkel darf, ganz wie Kachelmann, ihre Sicht der Dinge öffentlich äußern. Schließlich habe das Gericht die Wahrheit nicht finden können und den Angeklagten deshalb "mangels Beweisen" freigesprochen. Nichts anderes hat Claudia Dinkel getan: Sie spricht über ihre subjektive Sicht der umstrittenen Nacht.
Und sie will auch in Zukunft nicht schweigen. Für sich selbst. Und für alle Frauen. Denn sie ist der Auffassung, dass man in ihrem Fall "einen prominenten Fall mit maximaler öffentlicher Aufmerksamkeit" gewählt habe und „am Beispiel dieser Frau allen anderen zeigt, was mit ihnen passieren kann, sollten sie es wagen, sexuelle Gewalt zur Anzeige zu bringen“.
Auch deshalb, sagt Claudia Dinkel, will sie weitermachen. Zur Not bis zum Bundesverfassungsgericht.
Chantal Louis