In der aktuellen EMMA

Ehegattensplitting: Fauler Kompromiss!

"Disappearing Housewives" der Künstlerin Kristina Kanders.
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Es war schon zu erwarten, als Olaf Scholz die EMMA-Wahlprüfsteine 2021 beantwortete. „Wir wollen das Ehegattensplitting verändern“, antwortete der SPD-Spitzenkandidat damals. Und damit war klar: Verändern ist nicht abschaffen. So ist es nun gekommen. Die „Fortschrittskoa­lition“ wird lediglich die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen – und das auch erst ab 2030. Diese Steuerklassen sind entscheidend dafür, wie viel Netto vom Brutto monatlich auf dem Konto landet. Bei Paaren in der Kombination 3/5 bekommt der besser Verdienende beide Freibeträge und hat deshalb relativ gesehen viel mehr Netto. Fast immer in Deutschland ist das der Mann.

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Außer Deutschland kennen nur noch Polen und Luxemburg das Ehegattenplitting

Für die Frau in Steuerklasse 5 scheint sich die Arbeit hingegen aufgrund der hohen Steuerbelastung nicht zu lohnen. So entstand der Spruch „Bleib doch lieber zuhause bei den Kindern“, der über Jahrzehnte die Machtverhältnisse in deutschen Familien regelte. 

Massiv verschärft wird dies durch eine Eigenheit, die außer Deutschland in Europa nur noch Polen und Luxemburg kennen – das sogenannte Ehegattensplitting. Es begünstigt Einverdiener-Ehen und liefert seit Jahrzehnten ein weiteres Scheinargument, dass sich das Arbeiten für Frauen angeblich nicht lohnen würde.

Die aktuelle September/Oktober-EMMA gibt es als Print-Heft oder als eMagazin im www.emma.de/shop
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Nehmen wir eine Einverdiener-Partnerschaft ohne Kinder, in der A 100.000 Euro verdient und B nichts. Sind A und B nicht verheiratet, zahlt A laut Bundesfinanzministeriums-Steuerrechner im kommenden Jahr 25.057 Euro Steuern. Der Gang aufs Standesamt reduziert das auf 16.596 Euro – und zwar dank des Ehegattensplittings.

Beim Splitting wird das Einkommen von A und B zusammengerechnet und dann halbiert. Die Steuer wird jeweils auf das halbe Einkommen, also im Beispielfall auf je 50.000 Euro berechnet, und dann wieder verdoppelt. 

Der Grund für die Steuerersparnis ist das progressive Steuersystem in Deutschland. Jeder und jede hat einen Steuerfreibetrag – im kommenden Jahr 12.084 Euro –, auf den nichts zu zahlen ist. Dann aber steigen die Sätze nicht linear, sondern progressiv an. Auf die 10.000 Euro Einkommen zwischen 90.000 und 100.000 Euro wird also viel mehr Steuer fällig als zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Deshalb profitieren Ehepaare mit sehr unterschiedlichem Einkommen besonders vom Splitting. 

Wie viel monatlich netto auf dem Konto ankommt, regeln hingegen die Steuerklassen. Verdienen A und B beide je 50.000 Euro, zahlen sie bei Wahl der Steuerklassen 3/5 extrem unterschiedliche Steuern: 3.452 Euro für A, 12.648 Euro für B. Der Grund dafür sind die beiden Freibeträge, die ausschließlich bei A verbucht werden. 

Wo bleibt das Realsplitting? Es wäre ein Modell für ein faires Verfahren

Seit einigen Jahren werden Menschen nach der Heirat automatisch in die Steuerklasse 4 eingeteilt, wo jeder seinen eigenen Freibetrag behält. Das gilt inzwischen für 36 Prozent aller Paare, wie das Statistische Bundesamt Ende Juli meldete. Die Mehrzahl jedoch ist nach wie vor entweder in der Kombination 3/5 (39 Prozent) oder sogar in Einverdiener-Ehen (25 Prozent). 

So ist die Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Unverständlich ist jedoch, warum die Umstellung erst 2030 kommen soll. Und höchst ärgerlich ist, dass das Ehegattensplitting wieder überlebt – obwohl mit dem beispielsweise in Frankreich betriebenen Realsplitting ein Modell für ein faires Verfahren verfügbar wäre. Dann würde nicht die Ehe an sich, sondern die aufgezogenen Kinder den Steuervorteil bringen. 

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