Fall Pelicot: Was am Skandal positiv ist
Am 20. Dezember fallen in Avignon voraussichtlich die Urteile gegen Dominique Pelicot und die 51 weiteren Männer, die Gisèle Pelicot im Betäubungsschlaf vergewaltigt haben. Es ist damit zu rechnen, dass die Richter den Forderungen der Staatsanwälte weitgehend folgen werden: Die Maximalstrafe von 20 Jahren für den Ehemann, der seine heute 72-jährige Frau im Alter zwischen Mitte 50 und Mitte 60 nachts mit gesundheitsschädlichen Betäubungsmitteln bewusstlos gemacht hatte, vielfach vergewaltigte und sie rund 80 fremden Männern, die er im Internet rekrutierte, auslieferte. Er filmte und archivierte alles, von daher war die Beweislage eindeutig.
Doch die Staatsanwälte, eine Frau und ein Mann, gehen weiter. Sie wollen zur Abschaffung der nicht nur in Frankreich herrschenden „Kultur der Vergewaltigung“ beitragen und wünschen, dass sich „die Beziehung zwischen Männern und Frauen grundlegend verändert“. Es ist ein politischer Prozess.
Die vergewaltigenden Männer waren Nachbarn. Sie kamen alle aus der Region, Umkreis 50 km, sowie allen Altersklassen und sozialen Schichten. Alle machten mit. Nur einer nicht. Aber auch er ging nicht zur Polizei und zeigte Pelicot an, selbst anonym nicht. Das Ganze war durch einen Zufall rausgekommen.
Zu Recht erregt der Prozess in der französischen Provinz weltweit Aufsehen. Durchaus auch etliche Männer manifestieren öffentlich ihre Solidarität mit „Gisèle“, vor allem aber Frauen identifizieren sich mit dem Opfer. Sie tragen Transparente durch die Straßen mit Slogans wie „Je suis Gisèle“ (Ich bin Gisèle) und „Tous les hommes!“ (Alle Männer!). Es gibt Schlaumeier, die das als „Kollektivverurteilung“ kritisieren. Doch das ist dumm. Denn dass selbstverständlich nicht alle Männer Komplizen des Frauenhassers Dominique Pelicot sind - allen voran die Söhne der Feministinnen oder Vertrauten verzweifelter Mütter nicht - ,das zeigt schon die zentrale Rolle von Gisèles Anwalt Stéphane Babonneau. Der leitet sie wie ein Schutzengel durch diesen Horrortrip. Aber es könnten alle Männer sein, geschützt von ihren Komplizen. Gisèles Anwalt: „Wir müssen aufhören zu glauben, dass ein guter Familienvater kein Vergewaltiger sein kann!“
Doch was noch nicht gesagt wurde: Der Fall Pelicot ist ein Dokument des Grauens, ja - aber er ist auch ein Dokument der Hoffnung. Denn er zeigt, dass man es nicht mehr mit allen Frauen machen kann. Dominique Pelicot musste seine Ehefrau bewusstlos machen, um die ihm beruflich überlegene, stolze Gisèle gegen ihren Willen sexuell benutzen zu können. Eine wache Gisèle hätte nicht mitgemacht. Er hatte es zwar Jahre zuvor einmal geschafft, sie zum gemeinsamen Besuch in einem Swingerclub zu überreden. Aber danach hatte sie angewidert erklärt: Nie wieder! Vor Gericht gab der Täter zu: Er habe seiner Ex-Ehefrau Betäubungsmittel gegeben, „um eine unbeugsame Frau gefügig zu machen“.
Es hat 50 Jahre gedauert, bis
die Botschaft angekommen ist
In Deutschland ist die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau überhaupt erst seit 1997 eine Straftat, bis dahin war die sexuelle Verfügbarkeit die Pflicht einer Ehefrau. In Frankreich war es nicht viel anders, wenn das Gesetz auch etwas früher kam, nämlich 1990.
Nach langer Ignoranz lässt uns erst jetzt, 34 Jahre später, die polizeiliche Statistik wissen: Es gab in Deutschland im Jahr 2023 genau 360 sogenannte „Femizide“ (Die unentdeckten „Haushaltsunfälle“ nicht mitgerechnet). In knapp jedem zweiten Fall war es der eigene (Ex)Ehemann bzw. Freund, der die Frau tötete. In fast jedem weiteren dritten Fall war es ein Täter „aus dem familiären Umfeld“ („Ehrenmord“ etc). Es ist also seltener der dunkle Park, der eine tödliche Gefahr für Frauen ist, und eher das eigene Wohnzimmer. Für die Vergewaltigung gilt Ähnliches. Siehe der Fall Gisele Pelicot.
Dass Frauen über ihren eigenen Körper und ihr sexuelles Begehren selber entscheiden dürfen, ist ein relativ neuer Gedanke. Es waren wir Feministinnen, die ihn Anfang der 1970er Jahre in die Welt trugen: „Mein Körper gehört mir!“
Übrigens: Auch der berühmteste, hellste Satz, der in diesem dunklen Prozess von Gisèle Pelicots Anwalt Stéphane Babonneau gesprochen wurde - „Die Scham muss die Seite wechseln“ -, stammt aus der Zeit. Die FAZ-Korrespondentin Michaela Wiegel berichtete, dass er in einem Vergewaltigungsprozess von der in Frankreich bekannten linken und feministischen Anwältin Gisèle Halimi gesagt worden war: „Die Scham muss die Seite wechseln.“ Das war 1978 in Aix-en-Provence. Vor fast einem halben Jahrhundert also. So lange dauert es, bis die feministische Revolution in der Mitte der Gesellschaft ankommt.
ALICE SCHWARZER