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Fatou Diome: Die Freidenkerin

Die Schriftstellerin Fatou Diome: Migrantinnen eine Stimme gegeben. - Foto: Astrid di Crollalanza
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Am liebsten trägt sie Lila, diese „sanfte Mischung aus dem Rot der afrikanischen Hitze und dem kalten europäischen Blau“. Die franko-senegalesische Autorin Fatou Diome, die vor 30 Jahren der Liebe wegen von ihrer kleinen atlantischen Insel Niodior ins nasskalte Straßburg kam, hat mit ihrem Bestseller „Der Bauch des Ozeans“ 2003 erstmals MigrantInnen eine Stimme in der Literatur gegeben.

Seither hat sie unseren Blick auf Afrika, Kolonialismus und Rassismus verändert. In ihrem jüngsten Erzählband, „Was es braucht, das Leben zu lieben“, ist der Titel Programm: Sie zeigt uns, dass es nicht reicht, Geld zu verdienen und Dinge zu besitzen. Es geht darum, die Lebensfreude wiederzufinden. Überleben allein reicht nicht, es braucht Gründe, das Leben zu lieben.

Schon Diomes Biografie ist mehr als aufregend: 1968 ist sie in dem senegalesischen Fischerdorf Niodior als uneheliches Kind geboren, was in einer muslimischen Familie ein unauslöschlicher Makel ist, mit dem sie keinerlei Lebensrecht gehabt hätte. Wären da nicht wunderbare Großeltern gewesen, die das kleine Mädchen allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz liebevoll aufgezogen haben. Sie waren ihre „Leuchttürme“ und ihre Schutzengel. Der Großvater nimmt sie mit zum Fischen, obwohl sie ein Mädchen ist. Den Schulbesuch im Dorf muss sie sich ertrotzen, das Gymnasium in der Stadt mit Putzen erkaufen.

Es ist ein langer Weg voller Entwürdigungen und Demütigungen, sexuelle Nötigungen eingeschlossen. Als sich ein französischer Entwicklungshelfer heftig in sie verliebt, folgt sie ihm nach Straßburg, wo sie Literatur studiert. Leider kommt der französische Ehemann im heimatlichen Straßburg nicht gegen den offenen Rassismus seiner Familie an, die keine schwarze Schwiegertochter will, höchstens zum Putzen: „Seine Familie wollte lieber ein Schneewittchen, die Ehe war kurz, die Strafe hart“. Aus dem charmanten Prinzen war ein hässlicher Frosch geworden.

Die Erfahrung, dass Europa kein Paradies ist, kein Eldorado für Einwanderer, hat Fatou Diome am eigenen Leib gemacht. Aber für die Daheimgebliebenen fühlt sich alles ganz anders an, die alte Kolonialmacht scheint noch immer voller Verheißungen. In starken Bildern erzählt Fatou Diome die Lebensträume der Inselbewohner und setzt die raue Wirklichkeit von Ausbeutung, Scheitern und Abschiebung dagegen. Fatou Diome selbst hatte sich schon mit 13 Jahren in die Literatur und ins Schreiben gerettet. Seit ihrem großen internationalen Erfolg tritt sie auch in der französischen Öffentlichkeit voller Selbstbewusstsein ein im Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung und für eine Dekolonisierung des Denkens.

In dem gerade auf Deutsch erschienenen Band von acht Novellen mit dem schönen Titel „Was es braucht, das Leben zu lieben“ stellt sie uns eine Galerie unterschiedlichster Figuren vor, Frauen wie Männer, die ein Gefühl vereint: das der Einsamkeit. Da erleben wir die zarte Freundschaft einer heimwehkranken Senegalesin mit einem durch Kinderlähmung Versehrten, der ihr zum Schutzengel wird; die zarte Liebe zwischen zwei Menschen am Rande der Gesellschaft; oder wir hören der aus Libyen geflohenen Samira zu, die für den Hirten im wilden Roya-Tal betet, der für seine Gastfreundschaft vor Gericht gestellt wird. Wir erfahren auch von den Nöten der Fischer im Land der Serer, die ihre Familien wegen Dürre, Versalzung der Reisfelder und Überfischung des Meeres nicht mehr ernähren können, deren „Träume in den Mangrovensümpfen“ untergegangen sind.

Und doch gibt es sonnige kleine Beziehungsinseln, Momente von Verstehen und Nähe. Am schönsten ist die letzte Geschichte über den „Alten Mann und das Boot“, inspiriert von Diomes Lieblingsbuch, Hemingways „Der Alte Mann und das Meer“. Sie wird zu einer wunderbaren Hommage an den geliebten Großvater, der ihr einst beigebracht hat, dass man versuchen muss, seine Träume, die hinter dem Himmel versteckt sind, zu realisieren. Den Traum vom Schreiben hat sich Fatou Diome mit ihren Büchern erfüllt. Sie zeigt uns, dass „eine Stimme genügt, um die ganze Einsamkeit der Welt durch Lebensfreude zu ersetzen“, denn „hier wie überall ist eine ausgestreckte Hand die größte Chance.“

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