Alice Schwarzer schreibt

Von Flintenweibern und Flintenkerlen

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Diesmal kam es schon in den Osterferien. Das Flintenweib ist so real wie das Ungeheuer von Loch Ness, allerdings bedeutend unbeliebter. Keine/r will es, das Flintenweib, aber alle halten es für nötig, lautstark gegen es zu protestieren.

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Früher, zu SPD-Zeiten, war es wenigstens noch ein Minister, der Verteidigungsminister Apel, der, durch gar zu lockere Plaudereien, dem Flintenweib ab und an einen Anschein von Leben verlieh. Inzwischen erwärmt sich in Bonn nur noch eine untere Charge, der CDU-Staatssekretär Würzbach im Verteidigungsministerium, vorwitzig für das Flintenweib. Das heißt, er mag das Flintenweib eigentlich auch nicht, er träumt nur von ein paar Flintenweibern ohne Flinte. Und über eben diesen Traum plaudert der Staatssekretär ab und zu mit der Bild-Zeitung. Mit beneidenswertem Effekt.

Die CDU-Frauen reagierten prompt: "Der Dienst an der Waffe ist Frauen nach Artikel 12a, Absatz 4 des Grundgesetzes verboten. Das muss so bleiben." Kanzler Kohl hatte schon kurz zuvor in der Frauendebatte des Bundestages präventiv geschworen: "Frauen mit Kombattanten-Status? Niemals! Eine von mir geführte Bundesregierung wird das nicht tun."

Macht nichts, die SPD-Frauen halten es trotzdem auch ihrerseits für nötig, der Presse mitzuteilen, dass sie "die geplante Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr, ob freiwillig oder nicht, als Schritt zur weiteren Militarisierung der Gesellschaft ablehnen": ja. sie wollen sogar "Busse nach Bonn" organisieren, um ihren Protest sichtbar zu machen. Die grünen Frauen protestieren ebenfalls "schärfstens gegen die Militarisierung von Frauen". Und den Gewerkschaftsfrauen schwant gar eine "Verhohnepipelung von Frauen ohnegleichen". Ohnegleichen.

Die linke "taz" hat bereits das Komplott geortet und weiß von einer kurz bevorstehenden "Änderung des Soldatengesetzes", die nur dank des "aufkeimenden Widerstandes von Frauengruppen" noch verhindert werden könne. Die DKP-nahe Initiative "Frauen zur Bundeswehr - wir sagen nein" freut sich über ihre Wiederbelebung. Und die "Friedensbewegung" kündigte eine "breite Mobilisierung" gegen das Schrecknis "Frauen zum Bund" an.

Das ganze wurde gekrönt von einer Spiegel-Titelgeschichte, bei der ein blondbezopftes Mädchen sein Kussmaul darbot, eingereiht zwischen Olivgrünen.

Große Aufregung. Über die 48.000 Frauen, die schon heute für die Bundeswehr arbeiten und dies vorwiegend in den niederen Regionen als Bürokräfte, Küchenmamsellen und Putzfrauen (nur ganze 307 durften Karriere machen), redete dabei kaum eine/r. Skandalöser Gegenstand der Debatte sind die weiteren 15.000 Frauen, von denen Würzbach in Bereichen wie Fernmeldedienst, Musikkorps oder Transporteinheiten träumt.

Sie wären Soldatinnen. Das heißt, Beinahe-Soldatinnen. Denn auch diese 15.000 sollen, nach Würzbach. Wörner und überhaupt allen, "auf keinen Fall" den Kombattanten-Status, das heißt, eine Ausbildung an der Waffe erhalten (womit ihnen automatisch der Zugang zu Bundeswehr-Karrieren verschlossen bliebe).

Es geht also nicht darum, ob Frauen überhaupt für den größten Arbeitgeber der Bundesrepublik, die Bundeswehr. arbeiten, denn das tun sie ja schon. Es geht um ihre Einschränkung - und ums Prinzip.

Gegen das Prinzip protestieren etablierte wie alternative Polit-Frauen. Aber nicht etwa gegen die Begründung des Ausschlusses von Frauen aus der Bundeswehr, bei der Mütter und Väter des Grundgesetzes sich auf die "Natur der Frau" beriefen (Der Dienst an der Waffe widerspricht unserer Auffassung von der Natur und Bestimmung der Frau").

Sie protestieren nur gegen Würzbachs ein wenig naive Überlegung, mit 15.000 Frauen den Pillenknick auszufüllen (Apel hielt noch 30.000 für nötig). Es scheint Würzbach nicht ganz klar zu sein, dass zur Zeit die militärpolitische List "Lückenfüller Frau" in keinem Verhältnis zur geschlechterpolitischen Strategie steht, die da lautet: Die Frau ist von Natur aus friedlich, ihre Kanone ist die Gulaschkanone, ihr Schlachtfeld ist die Familie.

Wo der/die Kombattant/in anfängt, und wo er/sie aufhört, dies erweist sich zum Beispiel in der - viel aufgeschlosseneren - US-Debatte als ganz und gar beliebige Definierung. Trägt schon die Bürokraft zur Schlagkraft einer Armee bei, oder ist es erst der/die Techniker/in oder gar erst der/die Logist/in? Oder ist Soldat nur der Manöver-Komparse, der die Waffe durch den Schlamm schleppt?

Eine Trennung zwischen "Etappe" und "Front" gibt es schon lange nicht mehr. Und eigentlich existierte sie noch nie.

Die Etappe war nie weniger gefährlich als die Front. Im 2. Weltkrieg gab es 27.843.000 tote Soldaten und 27.157.000 tote Zivilisten! Und nicht nur zum Opfersein sind Frauen im Ernstfall allemal gut genug. Die Notstandsgesetze erlauben in der BRD schon heute im "Ernstfall" die Einziehung von Frauen. Im Ernstfall darf auch als Frau gestorben werden, im Friedensfall aber darf nicht gearbeitet werden bei der Bundeswehr. Warum also das ganze Theater?

Geht es den Protestler/inne/n um die besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in den Kasernen? Wohl kaum.

Sonst würden sie sich ja wohl zu deren besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen an anderen Stellen ebenso lautstark äußern. Nimmt man denn nicht als Peeperin mindestens ebenso Schaden an seiner Seele wie als Soldatin? Ist die Unerhörtheit des Arbeitsverhältnisses einer Hausfrau (unbezahlt, abhängig von einem Mann, nicht selten seelischer und körperlicher Gewalt ausgeliefert) nicht mindestens ebenso schockierend wie die Unerhörtheit der Arbeitsverhältnisse eines Soldaten/einer Soldatin (gedrillt zum Gehorchen und ausgeliefert der Willkür ihrer Vorgesetzten)?

Ich habe die Ehre, im Zusammenhang mit der Frage "Frauen und Bundeswehr" immer wieder zitiert zu werden. Sozusagen als Vorposten der Flintenweiber. Schwarzers angebliche Position: Frauen in die Bundeswehr!

Doch wie stehe ich als Feministin nun tatsächlich zu der Frage? In meinen drei in den Jahren 1978 bis 1980 dazu veröffentlichen Kommentaren vertrete ich die immerselben Grundpositionen: Ich bin, als kämpferische Pazifistin, gegen Bundeswehr und Militarisierung und gegen jegliche Wehrpflicht (für Männer wie für Frauen).

Ich bin, als kämpferische Feministin, grundsätzlich gegen jeden Ausschluss von Frauen aus politischen oder beruflichen Bereichen und besonders gegen einen Ausschluss, der auch noch offen sexistisch begründet wird (wie im Falle der Bundeswehr mit der "Natur derFrau").

Bevor Frauen überhaupt sagen können "Bundeswehr = nein danke", müssten sie eine Bundeswehr haben, die sagt "Frauen - ja bitte". Denn, selbst wenn das Soldatengesetz geringfügig geändert würde, bliebe es beim Ausschluss der Frauen vom "Kombattanten-Status" - und damit bei ihrem Ausschluss aus den Macht- und Karrieresphären der Bundeswehr. Frauen haben bei der Bundeswehr "Berufsverbot".

Und genau das verstößt gegen die Verfassung. Der Artikel 12a, Absatz 4 des Grundgesetzes ist verfassungswidrig. Er verstößt gegen Artikel 2 (das Gleichberechtigungsgebot und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) und gegen Artikel 33 des Grundgesetzes (das Zugangsrecht zu jedem öffentlichen Amt auch für Frauen).

Hinzu käme eigentlich noch das Völkerrecht, kämen das UNO-Abkommen und die EG-Richtlinien, die beide die uneingeschränkte Möglichkeit von Frauen zur Beteiligung am "politischen und öffentlichen Leben ihres Landes" und "insbesondere" deren "Mitwirkung an der Ausarbeitung der Regierungspolitik und deren Durchführung" fordern, sowie die "Wahrnehmung aller öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit". Allerdings: Ausgerechnet die Bundesrepublik behielt sich von Anfang an die Ausklammerung dieser allgemein gültigen Völkerrechtspassagen vor.

Wir schreiben das Jahr 1984. Es hätte uns Deutschen 1945 gut angestanden, blockfrei zu werden, nicht noch einmal das Wahnsinnswettrüsten mitzumachen. Wir schreiben das Jahr 1984. Es würde uns Deutschen gut anstehen, höchst misstrauisch zu sein mit allem, was im Namen einer "Natur der Frau" propagiert und verordnet wird. Für bewusste Frauen gar sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die Aufteilung der Welt in kriegerische Männer und friedliebende Frauen zurückzuweisen.

Ob mensch zur Waffe greift, das ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage der Lage. Hat man eine kritische Haltung zur Militarisierung im allgemeinen und zur Bundeswehr im besonderen, so kann die Parole nur lauten: Frauen und Männer zur Bundeswehr = nein danke! Hat man das nicht, gibt es keine Berechtigung, Frauen aus der Bundeswehr auszuschließen.

Was nun die freiwillige Beteiligung an der Bundeswehr angeht: das sollte jedermanns und jederfraus eigene Sache sein.

Da helfen keine Verbote, da hilft nur Bewusstsein. Das Argument der "Lückenbüßerei", zu der die Frauen jetzt auch in der Bundeswehr herangezogen würden, ist da nur wenig stichhaltig. Denn: Wo ist das nicht so, dass Frauen nur dann zugelassen werden in einem bis dahin exklusiv männlichen Bereich, wenn man sie gut gebrauchen kann, weil Männer fehlen - oder sie selbst einen so starken Druck ausüben, dass man sie reinlassen muss?!

Das Argument der "negativen Anpassung" sticht meiner Meinung nach nur bei der Wehrpflicht. Denn wer freiwillig zur Bundeswehr geht, empfindet den Wehrdienst ja offensichtlich eben nicht als negativ (oder zumindest als das kleinere Übel). Frauenarbeit bei der Bundeswehr darf also nicht Pflicht, muss aber Recht werden.

Hat die übereitrige Propagierung der um jeden Preis friedlichen und reinen Frau nicht eher etwas mit einer tiefliegenden Angst eben dieser Frauen mit dem Bruch mit der traditionellen Weiblichkeit und der Konfrontation mit der Männergesellschaft zu tun? Zum Beispiel damit, dass Politikerinnen, die sich bei ihren Kollegen allein durch ihre Existenz unbeliebt gemacht haben, nun gern zu der Gelegenheit greifen, sich ein wenig anzubiedern zum Beispiel, in dem sie das Tabu "Frauen und Waffen" (= Frauen und Gewalt) so übereifrig mit vertreten?

Geht es bei der ganzen grotesken Debatte um Frauen und Bundeswehr nicht in Wahrheit um das Verhältnis von Frauen zu den Waffen überhaupt, das heißt, um das Verhältnis von Frauen zur Gewalt?!

Die "Frau von nebenan" reagiert interessanterweise sehr viel gelassener als die Schwestern, die sich an der Seite etablierter und alternativer Politiker einen Platz im Schatten erkämpft haben. Das zeigen alle Umfragen, und die neuesten bestätigen den Trend. Allensbach fand trotz seiner suggestiven Fragestellung (nämlich nach einer Wehrpflicht statt nach einem freiwilligen Dienst) heraus, dass immer mehr Frauen, vor allem die jungen, den Zugang von Frauen zur Bundeswehr selbstverständlich finden.

Allerdings mit gender gap: 1979 waren noch 41 Prozent aller jüngeren Männer für Frauen in der Bundeswehr, bis hin zum Waffendienst, 1984 sind es nur noch 29 Prozent. 1979 sprachen sich 14 Prozent der jungen Frauen für eine uneingeschränkte Wehrpflicht aus. 1984 sind es schon 20 Prozent. Zweifellos liegt die Zahl der Befürworterinnen eines freiwilligen Wehrdienstes noch bedeutend höher. Vom "Nein der Frauen" (Der Spiegel) kann keine Rede sein.

Auf dem Weg zur Menschwerdung haben auch Frauen die Last der Selbstverantwortung auf sich zu nehmen. Wenn sie aus Gewissensgründen nicht beim Militär mitmachen wollen, haben sie dies aus freier Entscheidung zu tun, und nicht, weil man es ihnen verbietet.

Und was die "Flintenweiber" angeht: die haben mir, mangels Masse, bisher weniger Angst gemacht, als die Flintenkerle.

EMMA Kampagne Frauen beim Militär

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