Die Bordellbesitzerin und der Richter
Felicitas Schirow, Bordellbetreiberin und seit Jahren das Sprachrohr der Pro-Prostitutions-Lobby macht aus ihren Absichten auch an diesem Abend keinen Hehl: Sie habe Angst, dass "die große Koalition jetzt falsche Wege einschlägt", hatte sie Journalisten erklärt. Darum jetzt also, 25 Tage nach der Veranstaltung von EMMA in der Urania ("Prostitution - ein deutscher Skandal") die "Gegenveranstaltung" der Freundinnen und Freunde der Prostitution. Angekündigt war ein "Infotainment"-Abend mit "geballtem Fachwissen": "Daten und Fakten zur Prostitution, die vielleicht überraschen. Statt Schwarz(er)-Weiss Denken“.
Berliner Richter MacLean vergleicht
schwedische Polizei mit DDR-Grenzern
Auf das Infotainment kommen wir noch - zunächst einmal das Fachwissen. Höhepunkt des ExpertInnen-Reigens war ein Vorsitzender Richter des Berliner Verwaltungsgerichtes: Percy MacLean, seit einem Jahr im Ruhestand, erklärte dem geneigten Publikum die "strafrechtliche Verfolgung von Freiern" sei "völliger Unsinn". Das schwedische Modell - das die Freier übrigens nicht straf- sondern ordnungsrechtlich verfolgt - habe bekanntermaßen zu "grotesken Ergebnissen geführt". Und die Beweisführung der schwedischen Polizei sei "unappetitlich, menschenverachtend und würdelos". Denn sie verfolge die Freier "lebensbedrohend" mit einer "Art Röntgenstrahlung": "So ähnlich wie die DDR-Grenzkontrolleure früher, die Autos mit Röntgenstrahlen durchleuchtet haben, um darin menschliche Flüchtlinge festzustellen". Vor solchen Maßnahmen könne er "nur warnen".
Wer solcherlei Ausführungen aus dem Munde eines Richters erstaunlich findet, wundert sich vielleicht nicht mehr, wenn er erfährt, dass eben dieser Richter MacLean und die Bordellbesitzerin Schirow (vor ihrer Verehelichung Weigmann) alte Bekannte sind. Im Jahr 2000 sprach nämlich genau dieser Richter ein bahnbrechendes Urteil pro Weigmann/Schirow. Die Ex-Prostituierte wollte ihr Bordell auch weiterhin in einem Berliner Wohnhaus im bürgerlichen Wilmersdorf betreiben, wogegen Anwohner geklagt hatten. Richter MacLean nun fand, dass gegen ein Bordell im Flur gegenüber nichts einzuwenden sei, schließlich sei Prostitution heutzutage "nicht mehr sittenwidrig". Mit diesem Urteil war nicht nur Bordellbetreiberin Schirow glücklich, sondern die ganze Bordellindustrie. Denn es öffnete deren Treiben in Deutschland Tür und Tor. MacLeans Urteil war bahnbrechend für die Reform von 2002, die Deutschland laut Justiz zur "europäischen Drehscheibe des Menschenhandel" und zum "Paradies für Zuhälter und Menschenhändler" machte.
Strafrechtlerin Prof. Frommel bezeichnet Benennung von Zwangsprostitution als
faschistoid und warnt vor "Polizeigesetz".
Die Ausführungen des Richters waren auf der Veranstaltung, der knapp hundert Menschen in einem weitgehend leeren Saal folgten, eigentlich kaum noch zu untertreffen. Selbst nicht von der früheren Direktorin des "Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie" der Universität Kiel, Monika Frommel. Die Professorin erklärte an dem Abend unter anderem, der bei der Polizei übliche Begriff der "Rotlichtkriminalität" sei „Blödsinn“ und stamme aus dem 19. Jahrhundert. Es gebe schließlich „überall Gewalt“. Sodann verkündete Frommel ihre „Grundregel“: „Wir müssen, wenn wir über Prostitution reden, das Thema Menschenhandel ausklammern.“
Warum? Das erläuterte die Strafrechtlerin, ebenfalls im Ruhestand, wie folgt: „Wer bei Prostitution immer gleich Zwang und Opfer assoziiert, spricht so, wie man es 1931 begonnen hat zu praktizieren.“ Die Begriffe „Opfer“ und „Zwangsprostituierte“ seien „polizeiliche Etiketten“. Und „das dritte Reich fing mit solchen Etikettierungen an“. Will sagen: Es ist faschistoid, von Opfern und Zwangsprostitution auch nur zu reden.
Den EMMA-Appell und seine inzwischen rund 10.000 UnterstützerInnen rückte Frommel in die Nähe eines „völkischen Feminismus“ der Nazizeit. „Wobei ich Alice Schwarzer hier gar nicht als bedeutsam nennen möchte. Sie ist einfach geschickt auf eine Strömung aufgesprungen“. Der Name Schwarzer fiel dann aber während ihres Vortrags doch noch etwa zwanzig Mal.
Selbstverständlich lehnt Frommel die geplante Verschärfung des Prostitutionsgesetzes ab: Was die Koalition da plane, sei ein „getarntes Polizeigesetz“. Auch die Bestrafung von Freiern von Zwangsprostituierten stieß bei der Expertin aus Kiel auf Ablehnung. Zwar werde die nichts bringen, aber „wir haben dann eine Sprache. Der Freier ist der Dreckskerl.“ Und das sei „unmenschlich“.
Linke und grüne PolitikerInnen
wissen nicht, wovon sie reden.
Folgte der Reigen der linken und grünen Politikerinnen sowie einer Berliner Soziologin.
Evrin Sommer, frauenpolitische Sprecherin der Berliner Fraktion der Linken und Mitverfasserin einer „Gesamtstrategie gegen die strukturelle Diskriminierung der Frau“, warnte vor dem „Damoklesschwert Schweden“. Und sie spottete über das „Geschrei“ des Berliner Innensenators Henkel (CDU), der - aufgrund der zahlreichen Beschwerden von AnwohnerInnen wegen Belästigungen der Frauen und Kinder durch Freier - Sperrzeiten für den berüchtigten Berliner Straßenstrich an der Kurfürstenstraße einführen will.
Dass Heike Rudat vom Landeskriminalamt zuvor berichtet hatte, der Strich an der Kürfürstenstraße sei „einfach zu eng geworden für alle Frauen, die vor allem aus Rumänien und Bulgarien dorthin strömen“, focht die junge „überzeugte Postfeministin“ nicht an.
Auch die Sachkenntnis der Grünen Gesine Agena, 26, hielt sich in Grenzen. So erklärte die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, das Prostitutionsgesetz sei schließlich „nie dazu dagewesen, den Menschenhandel zu bekämpfen“. Ein Blick in die Begründung des Gesetzes hätte sie eines Besseren belehrt. Dort steht: „Durch die Verbesserung der rechtlichen Stellung der Prostituierten soll den in diesem Bereich oftmals vorherrschenden kriminellen Begleiterscheinungen, die auch dem Bereich der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden müssen, die Grundlage entzogen werden.“
Agena sprach sich auch dagegen aus, das Weisungsrecht, das Bordellbetreiber mit dem Gesetz über Prostituierte bekommen haben, wieder abzuschaffen. Seit Existenz dieses Weisungsrechts erlauben Bordellbetreiber sich das Diktieren der Arbeitszeiten (bis zu zwölf Stunden), der Arbeitskleidung (nackt) sowie die - lebensbedrohende - Entscheidung: mit oder ohne Kondom. Zum Beispiel. Vor 2002 fiel so etwas unter "dirigistische Zuhälterei". Selbst ein Verbot von Flatrate-Bordellen hält die Grünen-Politikerin für überflüssig weil „Symbolpolitik“. Überhaupt werde die ganze Debatte „mit moralischen Grundsätzen und ethischen Anschauungen geführt“. Die grüne Frauenpolitikerin, aufgewachsen auf einem Bio-Bauernhof, findet das offenbar verwerflich.
Soziologin Howe fragt sich, was wohl
bei dem "Setting" Prostitution passiert
Auch die Diplom-Soziologin Christiane Howe, wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Berlin, plädierte für eine "Versachlichung", ein Lieblingsbegriff der Pro-Prostitutionsfront. Die "Empörung" beim Thema Prostitution findet sie „ganz erstaunlich“. Gehe es doch lediglich um „Vorstellungsgehalte, die mit den entsprechenden Begrifflichkeiten abgerufen werden". Dabei müsse man sich doch nur genau fragen: „Was passiert bei diesem Setting?“
Soziologin Howe jedenfalls weiß genau, was bei diesem „Setting“ nicht passiert: „Es ist weder so, dass die Frau ihren Körper verkauft noch, dass sie ihre Seele zu Markte trägt.“ Dass Menschen irrigerweise annehmen, dass es so sein könnte, liegt an der Art, wie „Heterosexualität konfiguriert ist“. Tja.
Auf einer zweiten Ebene allerdings, so Howe, gebe es da schon das „strukturelle Problem der ökonomischen Ausbeutung“. Da sei die Frage: „Wie kann sich die Frau als handelndes Subjekt verorten?“ Eine gute Frage, deren Beantwortung Howe allerdings schuldig blieb. Stattdessen gab sie einen Tipp: „Da müssen wir weiter denken."
Lobbyistin Stefanie Klee fordert
Fortbildung für den Beruf Prostituierte
Beim anschließenden Publikumsgespräch dachte Stefanie Klee weiter. Die Alt-Lobbyistin und Mitgründerin des „Bundesverbandes sexuelle und erotische Dienstleistungen“ fragte empört, wie es sein könne, dass der Staat so viel Geld für Bildung ausgebe - die Ausbildung der Frauen im Beruf Prostituierte jedoch derart vernachlässige.
Die einzige Ausnahme in der Pro-Prostitutions-Front dieses Abends: Heike Rudat, Dezernatsleiterin beim Berliner Landeskriminalamt für Organisierte Kriminalität. „Prostitution ist nicht gleich Menschenhandel. Menschenhandel ist aber Teil der Prostitution“, erklärte sie. „Und Menschenhandel ist eine der eklatantesten Menschenrechtsverletzungen, die ich kenne.“ Zwar zeige das „Lagebild Menschenhandel“ zahlenmäßig eine „relative Konstanz“, erläuterte die Kommissarin, lieferte aber auch gleich die Erklärung dazu: Seit dem Prostitutionsgesetz kann die Polizei – mit Ausnahme von zwei Bundesländern, die entsprechende Polizeigesetze erlassen haben – „in den Bordellen nicht mehr kontrollieren“.
365 Verfahren gegen die „Rotlichtkriminalität“ habe die Berliner Polizei im Jahr 2012 geführt, knapp die Hälfte davon seien Gewaltdelikte. An der Spitze der Opferstatistik: rumänische Frauen. Trend: Die Opfer werden „immer jünger“ und „es sind immer weniger Frauen bereit auszusagen“. Prostitution sei „einfach ein Anziehungspunkt für die Organisierte Kriminalität, weil sich da unheimlich viel Geld verdienen lässt“, erklärte die Kommissarin. Und fügte an: „Ich weiß, dass Sie das nicht gern hören.“ So ist es.
Bordellbetreiberin Felicitas Schirow
trägt noch ein Kinderliedchen vor
Nun noch das Infotainment. Zur Begrüßung hatte Bordellbetreiberin Felicitas Schirow es sich nicht nehmen lassen, in roter Robe mit tiefem Rückendekolleté ein selbstgedichtetes Liedchen vorzutragen: "Weißt du, wie viel Bordelle stehen?" (nach der Melodie des Kinderliedes "Weißt du, wieviel Sternlein stehen?"). Auf diese schlichte Frage allerdings konnte auch in dem kompetenten Kreis in der Urania niemand antworten. Bordelle gibt es heute in Deutschland schließlich wie Sand am Meer und überall - auch in Wohnhäusern. Nicht zuletzt dank Richter MacLean und seiner FreundInnen.