Julie Bindel: Feminismus für alle!

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Im April 2016 fuhr ich nach Melbourne, um an einer Konferenz zum Thema Prostitution in Australien teilzunehmen, die Feministinnen gegen den Sexhandel organisiert hatten. Victoria ist ein Bundesstaat mit einem der ältesten legalisierten Systeme der Bordellprostitution der Welt. Ich wollte Frauen treffen, die dieses System überlebt haben.

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Das Sexgewerbe ist auf Frauenfeindlichkeit, Armut und Klassenvorurteilen, Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus aufgebaut. Wer also eine Lektion darüber braucht, was Intersektionalität in der Praxis bedeutet, braucht nicht weiter zu suchen als im Sexhandel. Arme, schwarze, braune und indigene Frauen leisten die Schwerstarbeit in der Prostitution und je niedriger der Status der Frauen in den Augen der Käufer ist, desto schlechter werden sie behandelt.

Am Tagungsort, dem Campus der Universität Melbourne, hatte eine Gruppe von Demonstranten ihr Lager vor dem Eingang aufgeschlagen, hielt Plakate in die Höhe und rief durch Megafone: „Sexarbeit ist Arbeit“, „Blow Jobs sind echte Jobs“ und „Transfrauen sind Frauen“. Die DemonstrantInnen bezeichneten uns nicht nur als SWERFs (= sex worker exclusionary radical feminists), sondern auch als TERFs (= transgender exclusionary radical feminists), denn, wie ein Demonstrant rief: „Farbige Transfrauen und Sexarbeiterinnen sterben dank der SWERFs!“

„Der intersektionale Feminismus lebt hier!“, rief die Menge.

Bei Prostitution werden indigener Status, Klasse und Frauenfeindlichkeit ignoriert

An der Konferenz nahmen viele indigene und andere farbige Frauen teil, sowohl als Rednerinnen als auch als Delegierte. „Weiße Männer haben uns als Kinder ins Visier genommen, weil sie wussten, dass die Polizei sich nicht darum kümmert“, sagte Caro, eine Ex-Prostituierte. „Indigene Mädchen sind in ihren Augen noch weniger wert als weiße Mädchen.“

Eine Rednerin nach der anderen sprach von den sich überlappenden Unterdrückungen, denen so viele prostituierte Frauen ausgesetzt sind. Und jede Überlebende, die ich auf der Konferenz traf, sagte mir, dass die Befürworter des Sexgewerbes, wie die, die draußen „SWERF“ und „TERF“ riefen, die Themen Rasse, indigener Status, Klasse und Frauenfeindlichkeit ignorieren, wenn es um Prostitution geht.

„Sie nennen mich eine Rassistin – eine ‚weiße Feministin‘, erzählte Sammie, eine indigene Frau und Überlebende des Sexhandels. „Ich nehme an, dass die Verteidigung weißer, reicher Zuhälter und Freier und der ‚glücklichen Huren‘, die im gehobenen Escort ein- und ausgehen, ihnen mehr Schulterklopfen einbringt als das Eintreten für die Frauen am unteren Ende der Gesellschaft.“

Am folgenden Tag hörte ich die Veröffentlichung von „Prostitution Narratives: Stories of Survival in the Sex Trade“, eine Sammlung von zwanzig Erfahrungsberichten von Frauen, die aus dem Sexgewerbe ausgestiegen sind. Die Geschichten erzählten von der Gewalt, dem Missbrauch und den Langzeitfolgen der Prostitution, wie posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), Dissoziation, Depression und Angstzustände. Aber die Geschichten waren auch voller Hoffnung.

Feminismus hielt sich immer an das Prinzip, das heute "Intersektionalität" genannt wird

Viele der Autorinnen waren bei der Vorstellung des Buches anwesend und wirkten gleichermaßen stolz und nervös. Einige der Frauen lasen Auszüge aus ihren eigenen Texten. Als ich ihren Geschichten zuhörte, konnte ich nicht umhin, eine wachsende Wut zu verspüren: Teenager, die von Zuhältern aus Pflegeheimen entführt werden; Mädchen, die von Familienmitgliedern vergewaltigt werden und von zu Hause weglaufen und in die Fänge von Ausbeutern geraten; und junge farbige Frauen, die in Striplokalen als „exotisch“ an Männer vermarktet werden.

Meine Wut wurde noch um einiges größer, als ich von den Protesten gegen die Veranstaltungen erfuhr. Eine Veranstaltung in Brisbane musste aufgrund von Drohungen von Pro-Prostitutions-Aktivisten sogar verlegt werden.

Zeit, daran zu erinnern: Der Feminismus in seiner besten Form hat sich immer an das Prinzip gehalten, das heute als „Intersektionalität“ bekannt ist. Es ist unmöglich, das System Prostitution zu verstehen, ohne auf den Einfluss von Geschlecht, Rasse und ökonomischer Klasse zu achten, mit anderen Worten: ohne einen intersektionellen Ansatz zu verfolgen.

In ihrer ursprünglichen Form ist die Intersektionalität ein nützliches politisches Instrument. Doch wie so viele andere nützliche politische Konzepte kann auch dieses von denjenigen missbraucht werden, die ihre eigene politische Agenda verfolgen. Für die afrikanische feministische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie „kann der Begriff ‚intersektional‘ von weißen Feministinnen oft dazu benutzt werden, den Feminismus weißer Frauen falsch zu interpretieren und zu verhöhnen“. Adichie staunt über die Art und Weise zu sprechen, in der einige „woke weiße Frauen“ sich berechtigt fühlen, schwarze Feministinnen über „intersektionale“ Politik zu belehren. „‚Intersektional‘ ist zu einem Begriff geworden, der Frauen vorgeworfen wird, um sie zum Schweigen zu bringen“, sagt sie.

Mit dem Begriff "Intersektional" werden Frauen zum Schweigen gebracht

Trotz der unübersehbaren Tatsache, dass so viele Überlebende des Sexhandels indigen, farbig und schwarz sind, werden Abolitionistinnen, also Prostitutions-Gegnerinnen, oft als „rassistisch“ oder „kolonialistisch“ abgestempelt. Denn ihre Aktionen, so die Befürworter des Sexhandels, hinderten farbige Frauen daran, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen.

Ich werde ständig von jungen Studentinnen angesprochen, die mir mitteilen, dass sie gedrängt werden zu akzeptieren, dass „Sexarbeit Arbeit ist“, und sich gleichzeitig fragen, warum so viele linke Männer nicht auf die farbigen Frauen hören, die Prostitution als rassistisch und kolonialistisch kritisieren. Jungen Sozialistinnen, die den Missbrauch von armen und marginalisierten Frauen aus der Arbeiterklasse in Frage stellen, wird gesagt, sie sollten den Mund halten und „Weiße Feministinnen“ meiden.

Dieser verfälschten Version der Intersektionalität geht es, wie der der neuen „Queer“-Identitätspolitik, um individuelle Definitionen von Identität und nicht um strukturelle, materielle Unterdrückung. Feministinnen, die das kritisieren, werden als „weiße Feministinnen“ abgetan – unabhängig von unserer Rasse und Ethnie.

Doch Feminismus ist für alle Frauen da und hat so lange einen Sinn, bis wir nicht mehr Opfer männlicher Gewalt sind, nur weil wir Frauen sind.

Julie Bindel

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus Julie Bindels neuem Buch „Feminism for Women“ (Little Brown)

 

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