In der aktuellen EMMA

Frauen für den Frieden

Christine de Pizan, Bertha von Suttner, Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg - sie stellten sich der Kriegshysterie entgegen.
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"Ein Krieg“, warnt sie ihren Fürsten, „ist leicht angefangen, aber schwer zu beenden.“ Er möge deshalb immer das Schlimmste vor Augen haben: Welches Elend Krieg über die Menschen bringt. Und er solle sich vor Augen führen, dass ganze Königreiche so zerstört werden können. Auch sein eigenes.

Sie weiß, wovon sie spricht. Der Hundertjährige Krieg hat Frankreich in ein Schlachtfeld verwandelt. Plündernd ziehen Soldaten durchs Land, Felder und Dörfer brennen. Leichen liegen an den Straßen: Männer, ermordet wegen ein paar Münzen, Frauen und Kinder, vergewaltigt und danach zum Sterben zurückgelassen oder einfach verhungert. Die auf Brutalität dressierten Kämpfer haben den Frieden nie erlebt. Sie kennen nichts anderes.

Christine de Pizan (1364 – 1429) gilt als Feministin avant la lettre. Ihr „Buch über den Frieden“ für den Herzog von Guyenne, den ältesten Sohn des Königs, schreibt sie 1412/1413, als das Morden gerade eine Atempause macht. Vergeblich. Während Christine zum Frieden aufruft, wird eine Hauptfigur des Hundertjährigen Kriegs gerade erst geboren: Jeanne d’Arc.

Die Verbindung von Feminismus und Pazifismus hat eine lange Tradition. In dem altgriechischen Theaterstück Lysistrate werden die Frauen zwar klischeehaft, aber gleichzeitig auch als fulminante Antimilitaristinnen gezeigt. Frieden erreichen sie nicht nur durch den Sexstreik, für den sich Frauen der Kriegsparteien Athen und Sparta verbünden (gewissermaßen eine feministische Internationale). Erfolgreich besetzen sie auch die Burg von Athen samt Kriegskasse. Versuche, diese zurückzuerobern, scheitern: Die Männer beziehen Prügel. 

Der Autor, Aristophanes, war zwar sicher kein Feminist. Doch auch hier sind Forderungen nach Frieden und Frauenrechten, wenn auch noch so bescheidene, miteinander verbunden.

Nach den Napoleonischen Kriegen werden in ganz Europa Friedensgesellschaften gegründet. Die Erfahrung des Krieges schafft Pazifisten. Gleichzeitig schafft die zunehmende Unterdrückung der Frauen Feministinnen. Beide Begriffe, Pazifismus wie Feminismus, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Und schnell ist den Frauen klar, dass ihre untergeordnete Stellung ihre Lage in Kriegszeiten nicht verbessert. So überrascht es nicht, dass Feminismus und Pazifismus oft zusammenfinden. 

Der Roman „Die Waffen nieder“ der Feministin Bertha von Suttner (1843 – 1914), der 1898 erscheint, wird für Jahrzehnte das Standardwerk des Pazifismus: Aus einer adligen Soldatenfamilie kommend, ist die Heldin Martha stolz, einen schmucken Offizier zu heiraten. Dann kommt der Krieg, und kurz darauf ist sie Witwe – mit neunzehn. Vom Soldatengroupie wird Martha nach und nach nicht nur zur Pazifistin, sondern auch zu einer eigenständigen Frau. Wie ihre Autorin, die, damals skandalös, mit einem sieben Jahre jüngeren Mann verheiratet war. Auch politisch ist Suttner aktiv für den Frieden: 1892 gründet sie mit dem österreichischen Schriftsteller und Pazifisten Alfred Fried die Deutsche Friedensgesellschaft und erhält 1905 den Friedensnobelpreis, den sie selbst initiiert hatte. Den Ersten Weltkrieg verhindern kann sie nicht.

Die Folgen dessen, was beschönigend als „die große Zeit“ bezeichnet wird, sieht man bald überall auf den Straßen. Die Männer, die ihre zerschossenen Körper mühsam an Krücken vorbeischleppen, sind mit Kinderbüchern aufgewachsen, in denen lachende Soldaten in schöner Natur abgebildet sind. Dass man einen Krieg auch verlieren kann, hat ihnen erst der Schützengraben beigebracht. Es sind die Feministinnen, die die Konsequenzen ziehen: Hat die griechische Lysistrate ihren Frauenkongress nur auf der Bühne einberufen, kommt es 1915 zu einem in der Realität. Mitten im Krieg und einer allumfassenden Kriegseuphorie fahren über 1.000 Frauen aus verfeindeten Ländern nach Den Haag zum Internationalen Frauenfriedenskongress. Sie riskieren viel: Manchen wird von ihrer Regierung die Ausreise verweigert, andere stehlen sich in langen Fußmärschen über die Grenze. Wer per Schiff kommt, weiß nicht, wie lange überhaupt noch welche fahren. 

Aus Deutschland sind Anita Augspurg (1857 – 1943) und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (1868 – 1943) angereist, die sich auch für das Frauenwahlrecht stark machen. Am Ende wird eine Resolution verabschiedet: Frieden sei möglich, Krieg vermeidbar. Die Frauenrecht­lerinnen belassen es nicht bei schönen Worten, sondern stellen auch einen Katalog von Forderungen auf. Heftig wird gegen die Zerstörung der Kultur und die Leiden der Frauen – insbesondere die in jedem Krieg verübten Vergewaltigungen – protestiert. Außerdem werden die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs und gleichberechtigte Teilhabe an der Politik verlangt. Einige Forderungen der Frauen wurden später umgesetzt, etwa der Internationale Gerichtshof (natürlich ohne die Rolle der Frauen zu würdigen). 

In der Deklaration der Feministinnen wird der Zusammenhang von Pazifismus und Feminismus besonders deutlich. Pazifistische Forderungen stehen neben der nach voller Gleichberechtigung. Die Teilnehmerinnen wissen sehr gut, dass niemand ihre Interessen vertritt, wenn sie es nicht selbst tun. Interessant ist auch die Betonung der Kultur, die einem Hauptargument des Bellizismus – Krieg fördere die Kultur – den Wind aus den Segeln nimmt. Die Frauen haben erkannt, dass Kriege viel mehr zerstören als nur das Leben Einzelner (was allein schon schlimm genug wäre) und dass es Kultur nur im Frieden gibt. Auch die jüngere japanische Pazifistin und Feministin Hasegawa Teru (1912 – 1947) fragt, ob das die großartige Kultur sei, die ihr Land mit seinem Krieg verteidige: Gewalt gegen Schwächere, Zwangsprostitution der sogenannten „Trostfrauen“?

Entsprechend setzt sich die feministische Literatur schon früh mit der pazifistischen Theorie auseinander. Lida Gustava Heymann schreibt 1917/22 in „Weiblicher Pazifismus“, Staaten seien Männerstaaten. Konsequenterweise funktionierten sie nach männlichen Idealen, und diese beinhalteten nun einmal immer Zerstörung – während das weibliche Prinzip Aufbau sei. „Denn weibliches Wesen, weiblicher Instinkt sind identisch mit dem Pazifismus.“ 

Das ist noch ganz essenzialistisch gedacht, denn natürlich gibt es nicht „die“ Frau. Heymanns Zeitgenossin Mathilde Vaerting (1884 – 1977) hingegen vertritt schon die Position, dass es meist das dominierende Geschlecht sei, welches die Kriegerkaste stelle – und das muss nicht das männliche sein. Frauen tendierten zum Pazifismus, weil sie aufgrund ihrer untergeordneten Stellung vom Krieg nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hätten. Tatsächlich zeigt uns die Geschichte, dass es immer schon auch kämpfende Frauen gab. Richtig ist allerdings auch, dass das Kriegerideal mit patriarchalischen Wertvorstellungen einhergeht. Schon vor dem Ersten Weltkrieg ging die Militarisierung der Gesellschaft Hand in Hand mit der Betonung von Krieg als Prüfstein von „Männlichkeit“. Männliche Pazifisten wurden als Landesverräter gejagt oder in die Psychiatrie gesperrt. Und das lange vor den Nazis.  

Aufgrund der traditionell engen Verbindung zwischen Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und Pazifismus finden sich bei sozialistischen Feministinnen wie Clara Zetkin (1857 – 1933) Überlegungen zum Kapitalismus als Kriegsursache. Zetkin verfasste fulminante und mitreißende pazifistische Appelle, in denen sie die Rolle der Mütter betont und die Gier der Konzerne als wahre Kriegsursache benennt. Sie spricht die traurige Wahrheit aus: Krieg macht reich. (Natürlich nicht die, die kämpfen und für den Profit anderer sterben.) Hedda Zinner (die Großmutter von Schriftstellerin Jenny Erpenbeck) verbindet 1931 in ihrem Gedicht „Front der Frauen“ Kapitalismuskritik mit einem feministischen Pazifismus, etwa in der ersten Strophe:

Wir standen im Werk beim Granatendrehen/wir füllten Giftgas in Flaschen./Wir trafen uns hungernd beim Schlangestehn …/Gingen heim mit leeren Taschen. Wir führten die Wagen, wir trugen die Post/wir pressten die Bleche und Niete –/Ersatzstoffe, Rüben … das war unsre Kost!/Wir schafften und schafften – Profite,/wir Frauen, wir Frauen!

Wo die Kriegsgründe als banale Gier entlarvt werden, wird zur letzten Ausrede gegriffen: Angefangen hat natürlich immer der andere. Schon 1928 entlarvt Helene Stöcker (1869 – 1943) dieses Argument: „Dass der Krieg ein Verbrechen ist, das wagen heute auch die nicht mehr zu bestreiten, die noch an seine ‚Unvermeidlichkeit‘ glauben. Sie sind nur der Meinung, dass immer der Gegner es sei, der dies Verbrechen verursache. Erst wenn wir erkennen, dass wir alle diese Verbrecher sind, durch den Glauben an diese Unvermeidlichkeit, erst dann werden wir mit Erfolg die Wege beschreiten, die dieses größte Verbrechen der Menschheit an der Menschheit selbst auszu­löschen vermögen.“ Auch Stöcker kommt aus der Frauenbewegung, setzt sich insbesondere für sexuelle Freiheit und die Entkriminalisierung von Homosexualität und Abtreibung ein. Gleichzeitig ist sie im 1919 gegründeten Bund der Kriegsdienstgegner aktiv, der das bis heute bestehende antimilitaristische Netzwerk War Resisters International (WRI) mitbegründet.

Wir, die wir in friedlichen Zeiten aufgewachsen sind, vergessen allzuoft, dass es die meiste Zeit in der Geschichte schwer war, PazifistIn zu sein. Und dass es oft Feministinnen waren, die es dennoch riskierten: Ob die Amerikanerin Kate Millett, die wegen ihres Protests gegen den Vietnamkrieg ihre Dozentinnenstelle verlor, oder die Französin Hélène Brion (1882 – 1962), die wegen ihres Pazifismus als erste Frau vor ein Militär­gericht gestellt wurde. Auch als Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ihren Friedensappell zum Ukrainekrieg publizierten, ernteten sie Häme und offenen Hass. 

Heute beginnen die ersten einzusehen, dass der Ruf nach einer friedlichen Verhandlungs­lösung vielleicht doch nicht so falsch war. Für die verstümmelten und getöteten Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten und die Ver­gewaltigten kommt diese Einsicht freilich zu spät. Und weiterhin drohen Kriegstreiber Europa in ein Schlachtfeld zu verwandeln – in einer Zeit, in der Atomwaffen ganze Landstriche für Jahrzehnte zu vergifteten Wüsten zu machen imstande sind.

Da hätte man besser auf Christine de Pizan gehört, die schon vor über 600 Jahren wusste: Ein Krieg ist leicht angefangen, aber schwer zu beenden. Und er zerstört immer. Manchmal hundert Jahre lang.  

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