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Florence Rush: Früh über Missbrauch

Florence Rush brach ein Tabu, als sie über den sexuellen Missbrauch von Kindern sprach. - Foto: Bettye Lane, Schlesinger Library
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Auch Florence Rush (1918-2008) ist eine der amerikanischen Pionierinnen, die am 17. April 1971 auf der Konferenz der New York Radical Feminists zum Thema Vergewaltigung auftraten. Die damals 53-Jährige sprach von ihren Erfahrungen als psychiatrische Krankenschwester mit Missbrauchsopfern und auch über den Schock der eigenen Belästigung durch einen Bekannten der Familie – und dass die Eltern ihr nicht glauben wollten. Susan Brownmiller erinnert sich: „Am Ende ihrer Rede standen hunderte von Frauen auf und jubelten ihr zu. Sie hatte gewagt, ein Tabu zu brechen.“ Vergewaltigung war bis dahin kein Thema gewesen. Und vor allem der Missbrauch von Kindern entsprach angeblich – und laut Sigmund Freud – nicht der Realität, sondern der überhitzten Phantasie der Kinder. Rush benannte den sexuellen Missbrauch als die entscheidende Prägung der Kinder durch die Täter, sich zu schämen, schuldig zu fühlen und in die Macht der Männer zu fügen. Rushs Text wurde zu einem Meilenstein in der feministischen Theorie und ist über ein halbes Jahrhundert später brandaktuell. Die New Yorkerin war die Tochter emigrierter russischer Juden und Mutter von drei Kindern. Ihr Sohn starb früh an Aids, und sie engagierte sich später auch in diesem Kampf aktiv. – Der Text wurde in Deutschland zwei Jahre nach Erscheinen des Originals 1982 durch den alternativen feministischen Verlag sub rosa veröffentlicht.

Es ist schwer, bei den derzeitigen Einstellungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern nicht die Geduld zu verlieren. Eine Tendenz unserer Tage, Sex zwischen Erwachsenen und Kindern als harmlos zu betrachten und Kindesschänder von der Verantwortung für ihr Verhalten freizusprechen, hat einige Verfechter der sexuellen Befreiung zu folgenden Thesen ermutigt: 1. In Sachen Sex seien „Kinder nicht unbedingt immer noch Kinder“, 2. Pädophilie sei ein Verbrechen ohne Opfer, und 3. mit dem Eintritt der sexuellen Revolution werde „das Tabu Pädophilie entfallen“.

Im Sog dieser neuen Moral drängen jetzt auch organisierte Pädophile in die Öffentlichkeit und beanspruchen Sex mit Kindern als „Bürgerrecht“. Prompt sehen sich auch einige Experten dazu berufen, diese Praktik „wissenschaftlich“ zu verteidigen.

Anlässlich einer nationalen Konferenz über den sexuellen Missbrauch von Kindern, die in Washington stattfand, sagte ein Sprecher, der sich beruflich mit dem Problem des Inzests befasst hatte, vor 300 Teilnehmern: Inzesterfahrungen könnten durchaus positiv und gesund oder schlimmstenfalls langweilig und neutral sein! Eine Behauptung, die, um nur das mindeste zu sagen, reiner Hohn ist.

Es gibt die Tendenz, Sex zwischen Erwachsenen und Kindern zu verharmlosen

Allein die Ungleichheit zwischen einem Kind und einem Erwachsenen müsste als Warnung ausreichen, und aus der unterschiedlichen Körpergröße und Kraft ergeben sich klar umrissene medizinische Risiken. Ein winziger Mund, der After oder eine kleine Scheide bieten einem erigierten Penis keinen ausreichenden Platz. „Ich habe in letzter Zeit in der Gynäkologie und Geburtshilfe gearbeitet. Was sich dort abspielt, ist äußerst erschreckend. Die Stationen und Krankenzimmer sind voll junger Mädchen … Sie sind innen zerfetzt. Die Reparaturarbeit, die wir leisten, spottet jeder Beschreibung. Diese Mädchen sind allen erdenklichen Arten von sexuellem Missbrauch ausgesetzt worden. Früher pflegten Ärzte Prostituierte in solch einem Zustand zu behandeln. Aber heute müssen wir junge Mädchen aus den besten Familien behandeln. Jeden Tag haben wir mit Teenagern zu tun, die an Krankheiten und Infektionen leiden …“ (So ein amerikanischer Chirurg vor dem „Nationalausschuss für Pornografie und Obszönität“.) 

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Inzest und andere Formen sexuellen Kindesmissbrauchs sind in Märchen, Widersprüche und Verworrenheit gehüllt. Ärzte, Therapeuten, Sexologen und Forscher sind sich uneinig darüber, ob ebenso viele Jungen wie Mädchen geschändet werden; ob beide die gleichen Traumata davontragen; ob Kindesschänder normal, neurotisch, psychopathisch oder psychotisch sind; ob sich das kindliche Opfer in irgendeiner Weise zu einer sexuellen Begegnung anbietet; ob das Verhalten des Sexualtäters auf eine gestörte Mutter oder eine zerrüttete Familie zurückzuführen ist.

Spekulationen über die Zahl der Vorkommnisse schwanken allein in den USA von 5.000 bis zu einer Million Fälle pro Jahr. 5 bis 35 Millionen Erwachsene haben während ihrer Kindheit eine sexuelle Begegnung mit einem Erwachsenen erlebt. Es scheint jedoch Einigkeit darüber zu herrschen, dass die Täter überwiegend männlichen Geschlechts sind (etwa 80 bis 90 Prozent); dass sie in 80 Prozent aller Fälle ein Verwandter oder Freund des Opfers und seiner Familie sind; dass die tatsächliche Anzahl der Vorfälle weit über der Zahl der angezeigten Fälle liegt, und: dass Unzucht mit Kindern vor keiner Gesellschaftsschicht haltmacht.

Den ganzen Artikel in der Mai/Juni-Ausgabe lesen.

Der Text ist ein Auszug aus „Das bestgehütete Geheimnis – Sexueller Missbrauch von Kindern“ (Verlag sub rosa) - „The Best Kept Secret – Sexual Abuse of Children“ (Prentice Hall, 1980) – Vergriffen. Einsehbar im Archiv und Dokumenationszentrum FrauenMediaTurm.

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