Warum sollten wir Sie wählen...
Warum sollten wir – die nicht-traditionellen CDU-Wählerinnen – Sie wählen, Frau Merkel?
Angela Merkel Wenn Sie mich wählen, sollten Sie mich natürlich auch wegen meiner Überzeugung und Konzepte wählen und nicht nur wegen meines Geschlechts. Doch ist die Tatsache, dass eine Frau zur Wahl steht, natürlich auch die Frage wert: Was bedeutet das für andere Frauen? Allen voran für die, die seit Jahren in der Frauenpolitik engagiert sind. Und da meine ich, dass die Tatsache, dass ich als Frau an dieser Stelle stehe, auch eine gute Botschaft für andere Frauen sein könnte.
Gerade den bewussten Frauen ist aber nicht verborgen geblieben, dass Sie, seit Sie Parteivorsitzende sind, das Thema Frauen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Und das ist seit Ihrer Ernennung zur Kanzlerkandidatin nicht besser geworden, eher schlechter.
Diese Einschätzung teile ich nicht.
Entspricht diese frauenpolitische Zurückhaltung Ihrem eigenen Bedürfnis – oder raten Ihnen das Ihre Berater?
Ich finde es wichtig, dass wir uns in Deutschland nicht mit unseren wirtschaftlichen und sozialen Problemen abfinden, sondern dass wir unsere Lage wieder verbessern. Das ist für Frauen, Kinder und Männer gleich wichtig. Soweit das Allgemeine, das mich bewegt. Daneben bin ich noch nie in meiner politischen Laufbahn so stark als Frau wahrgenommen worden wie in den letzten Monaten. Im Gegenzug habe ich mich in einem für mich ungewohnten Maße auch öffentlich zu meinem Frausein bekannt. Und damit meine ich jetzt nicht nur das Schminken …
… und die apricotfarbenen Gewänder …
… sondern auch einen sicher eher weiblichen Stil – wie ein bestimmter Humor oder eine manchmal andere Sprache – mit einzubringen in die Politik.
Sind die apricotfarbenen Jacketts Ihr eigener Geschmack? Oder ein Tipp Ihrer Wahlstrategen? So à la Hillary Clinton?
Nein, das ist mein ganz eigener Geschmack. Was ich allerdings mit Frau Clinton teile, ist die Genesis der Frisur. Der ewige Kampf: Was könnte zu mir passen? Wenn ich jetzt zurück blicke, verstehe ich gar nicht, dass ich nicht schon früher auf meinen jetzigen Schnitt gekommen bin. Aber damals hat es mich ja offensichtlich nicht gestört. Was nun meine Kleidung anbelangt, so werden Sie feststellen, dass ich frische Farben nicht erst seit kurzer Zeit mag …
Aber sind solche niedlichen Farben Ihnen nicht eigentlich fremd? Und sind die nicht in Wahrheit auf den Tipp „Weiblicher anziehen“ zurückzuführen?
Nein. Wenn Sie sich zum Beispiel meine Bayreuth-Kleider über zehn Jahre anschauen: das stahlblaue Seidenkleid oder die Federboa, das hat mir schon Spaß gemacht. Einmal im Jahr auftreten, wie ich es nur als Frau kann und wie es Verwunderung auslöst. Das spreche ich mit niemandem ab. Aber ich bin dann auch zufrieden darüber, dass ich in den restlichen 364 Tagen im Jahr wieder meine praktische Kleidung tragen kann.
Über Ihre Kleidung auf den Wahlplakaten sprechen Sie nicht mit Ihren Strategen?
Doch, natürlich, bei Plakaten ist das etwas Anderes.
Und die raten Ihnen „weibliche“ Farben. Nur, Frau Merkel, ist da auch Frau drin, wo Frau drauf ist?
Ich glaube, dass ich durch mein eigenes Leben meinen eigenen Stil demonstriere. Ich habe zum Beispiel mit meinem heutigen Ehemann lange Zeit – auch in der, als ich Bundesministerin war, ohne Heirat zusammengelebt, was für die CDU durchaus nicht selbstverständlich war. Dafür habe ich Schelte von Kardinal Meisner bekommen. Aber ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich heirate aus Karrieregründen. Ich wollte aus Liebe heiraten. Und als Frauenministerin (Anm.d.Red.: von 1991–1994) bin ich stolz auf zwei Dinge: Erstens habe ich durchgesetzt, dass Frauen, die arbeitslos sind, auch entsprechend ihrem Anteil an allen Arbeitsbeschaffungs- und arbeitspolitischen Maßnahmen beteiligt werden. Zweitens habe ich mich auch innerhalb meiner Partei sehr intensiv für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingesetzt. Ich habe auch nie verstanden, warum es so kompliziert sein soll, Mittagessen an Schulen anzubieten. Gerade in dem Bereich von Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in den letzten 10, 15 Jahren sehr viel passiert. Gesamtgesellschaftlich, aber auch innerhalb der CDU. Doch gleichzeitig bin ich natürlich überhaupt nicht so sozialisiert, die Dinge krampfhaft zu betreiben.
Sie meinen: Demonstrativ?
Richtig, so meine ich es. Denn ich habe diese frauenpolitischen Maßnahmen durchgesetzt, aber nicht viel darüber geredet, sondern einfach gehandelt. Als Naturwissenschaftlerin bin ich gewohnt: Lös’ das Problem! Heute weiß ich: Man muss nicht nur das Richtige tun, sondern auch darüber reden.
Diese Unschuld werden Sie in 15 Jahren Bundespolitik verloren haben. Und Sie werden die internationalen Studien kennen, die besagen: Politikerinnen traut man automatisch die so genannten „weiblichen“ Qualitäten zu – Soziales, Familie etc. – aber „männliche“ Qualitäten müssen sie beweisen: Darum hat Margaret Thatcher sich beim Falklandkrieg auf den Panzer gesetzt und waren Sie jetzt im Kosovo. Gleichzeitig aber erwarten die Frauen von Ihnen, dass gerade Sie als Frau sich auch für Frauen engagieren: Ist das nicht ein Spagat, der eine Kanzlerkandidatin schier zerreißen muss?
Wenn ich Kanzlerin werden möchte, muss ich selbstverständlich alle politischen Felder abdecken. Hinzu kommt, dass ich die Erfahrung mache, dass die Bedürfnisse und Erwartungen von Frauen sehr unterschiedlich sein können. Die einen wollen, dass ich mich für die Frauen einsetze. Die anderen aber haben so viele Vorurteile gegen Frauen in der Politik wie manche Männer. Und die erwarten, dass ich mindestens so gut agiere wie ein Mann. Was also tun?
Am besten einfach das, was SIE richtig finden.
Genauso mache ich es.
Ihre Partei hat ein Problem: Der CDU sind die Frauen weggelaufen. Die älteren über 60 haben ihr 1998 den Rücken gekehrt, hin zur SPD. Und die Jüngeren unter 24 sind überhaupt nie angekommen bei der Union, vor allem die aus dem Osten nicht. Doch wenn Sie die Wahlen sicher gewinnen wollen, brauchen Sie die Frauen, die stellen immerhin 54 Prozent aller WählerInnen. Was also haben Sie den Frauen zu bieten?
Den jüngeren Frauen, die es auf dem Arbeitsmarkt noch schwerer haben als die Männer, vor allem im Osten, sage ich: Ich will ihnen eine Perspektive für die Zukunft bieten! Da, wo sie leben. Darum ist das Thema Arbeitsmarkt und Chancen für die Menschen so zentral. Selbst in den Gewerkschaften haben ja die Branchen, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, längst nicht so eine Lobby wie zum Beispiel die IG Metall. Das muss sich ändern! Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird von mir uneingeschränkt unterstützt, dafür steht ja schon mein eigener Lebensweg. Und im Bundesvorstand der CDU ist nicht zufällig fast die Hälfte weiblich. Dazu hat auch das Quorum beigetragen – gegen das ich, ehrlich gesagt, am Anfang war. Auch engagiere ich mich dafür, dass Themen, die Frauen besonders betreffen, ernst genommen werden. Ich habe zum Beispiel persönlich an den Anhörungen zum Frauenhandel und zur Zwangsprostitution teilgenommen.
Kommen wir also zum Regierungsprogramm der Union.
Da stehen Sachen drin, die ohne mein Zutun nicht drin stehen würden.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel die gerade erwähnte Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten. Da sind wir in die Offensive gegangen. Und ich bin überzeugt, dass die anderen Parteien nach den Wahlen da mitziehen werden.
Das ist also kein leeres Wahlversprechen? Sie meinen es ernst?
Ja, sehr ernst. Unsere gesamte Rechtsarbeitsgruppe hat schon einen Gesetzesvorschlag gemacht. Die Ausnutzung von Zwangsprostituierten soll stärker geahndet werden. Was sicherlich nicht einfach ist, aber das gilt ja für alle Sexualdelikte, vom Kindesmissbrauch bis zur Vergewaltigung in der Ehe. Da ist die Beweislage immer schwierig. Was aber nicht heißt, dass wir die Täter laufen lassen können. Außerdem hat so ein Gesetz ja auch Signalwirkung.
In der Tat wäre das ein großer Fortschritt. Nur was ist mit dem Rest des Programms? Da sieht es eher mau aus. Das finden nicht nur Feministinnen, sondern auch altgediente Unions-Politikerinnen, mit denen EMMA gesprochen hat.
In welchen Punkten denn?
Zum Beispiel, dass zur Kinderbetreuung und zu Ganztagsschulen – wo ja die SPD-Familienministerin Schmidt in den letzten Jahren eine sehr gute Arbeit geleistet hat – kein konkretes oder gar verbindliches Wort fällt.
Das Erreichte werden wir nicht rückgängig machen. Da haben wir ja auch zugestimmt. Aber das ist natürlich im Wesentlichen eine Sache der Länder und Kommunen, nicht Aufgabe des Bundes. Der Bund kann steuerliche Erleichterungen gewähren. Eine Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern zahlt nach unserem Programm in Zukunft bis zu einem Jahreseinkommen um die 38.000 Euro überhaupt keine Steuern mehr.
Stichwort Ehegattensplitting. Mit dieser Möglichkeit für Gutverdienende mit Hausfrauen bzw. Teilzeitfrauen, ihr Gehalt geteilt in 50/50 entsprechend niedriger zu versteuern, behindert Vater Staat nicht nur die Rückkehr von Frauen in den Beruf, sondern schenkt den Ehemännern auch 21 Milliarden Euro im Jahr. Seit über 25 Jahren fordern Politikerinnen aller Parteien, auch der CDU, die Abschaffung dieses Privilegs. Da ist es, gelinde gesagt, überraschend, dass die Union nicht nur die Beibehaltung des Splittings ankündigt, sondern es auch noch aufwertet als „besonders grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie“, die „keine Steuervergünstigung“ sei, „sondern Ausdruck der Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft Ehe“.
Ich finde das vollkommen in Ordnung.
Das ist überraschend. Ihre Kolleginnen Süssmuth, Karwatzki und Männle sehen das ganz anders.
Mag sein. Aber ich sehe in der Ehe die Bereitschaft, lebenslang füreinander einzustehen.
Das ist ja auch schön. Aber ist das nicht Privatsache und muss nicht von allen SteuerzahlerInnen belohnt werden?
Nein. Denn mit der Ehe sind ja auch eine ganze Reihe von Pflichten verbunden. Die Pflicht, für den anderen auch finanziell einzustehen, wenn er oder sie in Not ist. Ich unterstütze nicht diese Tendenzen, die durch Hartz IV entstehen, wonach die, die keine Erwerbsgemeinschaft bilden und am besten in zwei Wohnungen leben, materiell besser wegkommen als die, die sich füreinander entscheiden.
Dieser Aufwertung der traditionellen heterosexuellen Ehe steht im Jahr 2005 allerdings die reale Entwicklung hin zu vielfältigen Lebensformen entgegen.
Ich will, dass jeder so leben kann, wie er leben möchte. Aber das steht meinem Ziel, trotzdem Ehe und Familie ausdrücklich zu unterstützen, nicht entgegen. Außerdem werden wir in Zukunft mehr und mehr Ehen haben, wo beide, der Mann wie die Frau, berufstätig sind und beide zunehmend gleich verdienen. Das ist eine Form von gleichberechtigter Partnerschaft, bei der das Splitting überhaupt nicht mehr zum Tragen kommt.
Dann könnten sie es ja gleich abschaffen … Ihre Unions-Kolleginnen beklagen grundsätzlich, dass das von vier Männern geschriebene Regierungsprogramm ganz und gar „frauenfrei“ sei.
Wenn sie das tatsächlich so sagen, liegen sie falsch. Das Programm trägt nun wirklich auch meine Handschrift, um es zurückhaltend zu sagen.
Stichwort: Integration und Islamismus?
Mir liegt sehr am Herzen, dass Sprachkurse gemacht werden. Und das ist ja jetzt auch im Ausländergesetz verankert. Ich halte die Sprachkenntnisse gerade von Frauen für den Schlüssel zur Integration. Bisher gilt die Pflicht zum Erlernen der Sprache nur für Neuzugezogene. Aber ich fände es gut, wenn in einem zweiten Schritt die Mütter von kleinen und schulpflichtigen Kindern hinzugezogen würden. Das muss man allerdings mit den Ländern abgesprochen werden.
Eine Ihrer engsten Vertrauten, die baden-württembergische Bildungsministerin Annette Schavan, hat den Anstoß zu dem Kopftuchverbot für Lehrerinnen in der Schule gegeben. Auch Sie haben das Kopftuch als politisches, nicht religiöses Symbol bezeichnet. In Frankreich wurde vor einem Jahr auch ein Kopftuchverbot für Schülerinnen erlassen, damit die Schulen kopftuchfreie Räume sind. Wie stehen Sie dazu?
Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist richtig. Aber es ist nicht auf Schülerinnen übertragbar. Denn im Gegensatz zu Schülerinnen, die als Privatpersonen am Schulunterricht teilnehmen, sind Lehrerinnen Vertreter staatlicher Institution und Repräsentanten des Staates.
Sehen Sie eine Möglichkeit, in Zukunft die Lage der Menschenrechte, auch von Frauen, in der deutschen Außenpolitik stärker zum Thema zu machen?
Selbstverständlich! Auch bei meinem Besuch in der Türkei habe ich mit Ministerpräsident Erdogan gerade darüber gesprochen. Da nehme ich auch die türkischen Stimmen in Deutschland ernst, Frauen wie Necla Kelek, die es gewagt hat, die Wahrheit über die Zwangsehen zu schreiben. Das ist eine Frage der Menschenwürde.
Würde eine Kanzlerin Merkel die Menschenrechte und damit auch die Frauenrechte zu einem zentralen Faktor ihrer Außenpolitik machen, wie es zum Beispiel die Schweizer Außenministerin tut?
Ich finde, dass die Menschenrechte zur Zeit eine untergeordnete Rolle in der Außenpolitik spielen. Wir erleben ja durch die Globalisierung eine zunehmende Konkurrenz zwischen wirtschaftlicher Opportunität und Menschenrechten. Da bleiben Frauenrechte dann natürlich ganz schnell auf der Strecke.
Stichwort: Folgen der Globalisierung. Wie ist hier Ihre Strategie?
Für mich ist das auch eine große moralische Herausforderung. Wenn jetzt plötzlich Inder und Inderinnen, Chinesen und Chinesinnen, Afrikaner und Afrikanerinnen durch die Globalisierung mit uns in den Wettbewerb treten können – dann kommen wir natürlich aus der Rolle des Gebenden in die der Konkurrierenden. Das ist einfach eine Realität. Ich finde es wichtig, dass unser Blick auf die Globalisierung nicht so ein neidischer Blick ist, sondern dass wir erkennen, dass sie für uns auch eine Chance ist. Und da sehe ich auch die Aufgabe der Welthandelsorganisation: Dass bestimmte Mindeststandards eingehalten werden, also keine Kinderarbeit …
… und kein Frauenhandel?
Selbstverständlich nicht.
Frau Merkel, hätten Sie, wären Sie Kanzlerin gewesen, deutsche Soldaten in den Irakkrieg geschickt?
Nein, auch eine Kanzlerin Merkel hätte keine deutschen Soldaten in den Irak geschickt. Doch ich muss feststellen, dass der Irakkrieg auch von Schröders Politik nicht verhindert werden konnte. Das hat Europa nicht geschafft, denn es war gespalten. Und an dieser Spaltung hatte Herr Schröder leider einen erheblichen Anteil. Ich plädiere darum für einen gemeinsamen Kurs von Europa und Amerika, so, wie es jetzt beim Iran versucht wird.
In anbetracht der überwältigenden Hegemonialmacht von Amerika wären wir allerdings sehr ungleiche Verbündete.
Für mich ist Amerika keine, wie Sie es nennen, Hegemonialmacht. Aber sehr wohl ist es die einzige Supermacht heute. Um Einfluss zu nehmen, müssen wir selbst stark sein und den Dialog suchen, statt unsere Verbündeten zu brüskieren.
Kehren wir zurück nach Deutschland. Gesetzt den Fall, Sie würden – als erste Frau – ins Kanzleramt einziehen: Zieht da Ihr Girlscamp mit? Und würden Sie, ergänzend zur allgemeinen Männerbündelei, eine gewisse Frauenbündelei fördern?
Ich bin natürlich für mehr Frauen in Verantwortung, auch und gerade in nicht traditionell weiblichen Bereichen. Wenn ich eines Tages auf mein politisches Leben zurück blicke, möchte ich da nicht lesen: Selber Karriere gemacht, aber für andere Frauen nichts getan.
Das Gespräch führte Alice Schwarzer