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Françoise Sagan: Bonjour Liberté!

Françoise Sagan liebte Sportwagen, hier in ihrem Jaguar XK 140. FOTO: Bridgeman Images/IMAGO
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Hinter dem glamourösen, vermeintlich leichten und wilden Leben mit schnellen Sportwagen und einer Bande voller Freundinnen und Freunde zwischen Paris und Saint-Tropez, in Casinos, mit Whisky und Jazz verbirgt sich eine schüchterne junge Frau. Sie landet mit 18 Jahren einen literarischen Welterfolg, der zum Mythos einer ganzen Generation wird und das Lebensgefühl einer Epoche prägt. Doch die Autorin bleibt scheu und einsam. Da sie der Legende nicht entkommen kann, beschließt sie, sie wie einen Schleier zu tragen.

Mit ihren Eltern hat sie Glück, sie sind selbst „dans le vent“, feiern gern, lieben Bugattis und Pferderennen und lassen ihr, der verwöhnten Jüngsten, alle Freiheiten. Als „Kiki“ jedoch die Abiturprüfung nicht besteht, muss sie die Sommerferien in Paris verbringen anstatt an der Côte, um für die Nachprüfung zu lernen. Gelangweilt von dieser Anforderung schreibt sie ein paar Wochen lang in ein blaues Schulheft vor sich hin, imaginiert die Geschichte einer ebenfalls gelangweilten, schwer in ihren attraktiven Vater vernarrten Tochter, die skrupellos ihr Lebensrecht auf Amüsement gegen eine Stiefmutter mit Prinzipien ante portas durchsetzt und diese durch eine Intrige in den Tod treibt. 

Diese kühl gegen das Azurblau der Côte d’Azur konstruierte Geschichte, 1953 in nur sechs Wochen geschrieben, bietet sie voller Chuzpe den drei renommiertesten Pariser Verlagen an: Gallimard, Plon und Juillard. Letzterer, René Juillard, tut etwas ganz und gar Ungewöhnliches: Der Verleger selbst ruft umgehend zurück. Er will und wird diesen Text so schnell wie möglich ver­öffentlichen. 

Schon im Sommer 1954 wird Françoise zur Titelgeschichte des Figaro, von Elle und Paris Match, die Verkaufszahlen explodieren, die Rechte werden in 21 Länder verkauft. Die große Colette, Sagans Vorbild, gratuliert ihr noch vor ihrem Tod, eine Art Staffelübergabe. „Ein kleines Meisterwerk an Zynismus und Grausamkeit“, schreibt Le Monde über das Buch und bleibt der Autorin über Jahrzehnte gewogen, wie überhaupt die älteren Herren der Literaturkritik und der ­Académie Française. Sie vergleichen die Debut­autorin mit Laclos’ „Liaisons Dangereuses“ und Stendhal.

Den schönen Titel, Bonjour Tristesse, hatte die junge Autorin aus einem Eluard-Gedicht. Ihren Eltern zuliebe, die den Skandal fürchten, muss sie ein Pseudonym wählen. Es wird, was auch sonst, der Name einer Proust-Figur: Sagan. Die Figur gibt es männlich und weiblich im „Schatten junger Mädchenblüte“. Einmal kommt „Bonjour“ vor, einmal Prousts „Françoise“. Sehr knapp vor Redaktionsschluss wird aus Françoise Quoirez für immer Françoise Sagan. Der Name ist auch ein Anagramm von „à sang“: aufs Blut.

Schon der erste Satz des Romans verzaubert: „Sur ce sentiment inconnu dont l’ennui, la douceur m’obsèdent, j’hésite à opposer le nom, le beau nom grave de tristesse.“ (Ich zögere, diesem fremden Gefühl, dessen sanfter Schmerz mich bedrückt, seinen schönen und ernsten Namen zu geben: Traurigkeit.)

Was nach der Veröffentlichung folgt, ist ein Rausch. Sagan wird zum Star, wird Kult, auch international. Die minderjährige Millionärin gibt auf Papas Rat hin das Geld, das sie mit leichter Schreibhand verdient, mit beiden Händen großzügigst wieder aus. So wird sie es immer halten: Geld ist Spielgeld, im Casino oder in Saint-Tropez auf dem Küchentisch für Freunde. Die Sportwagen wechseln, barfuß ergibt sie sich dem Rausch der Geschwindigkeit wie dem des Alkohols; auch ein schwerer Autounfall 1957, den sie nur knapp überlebt, ändert daran nichts.

Sagan bleibt auf der Überholspur. Schnell leben, jung sterben, die Presse sieht in ihr einen weiblichen James Dean. Der von den Ärzten nach dem Unfall gegen die Schmerzen verabreichte Morphinersatz lässt sie süchtig werden. Trotz einer Entziehungskur, die sie in „Toxique“ mit Zeichnungen von Bernard Buffet selbst dokumentiert, kommt sie aus dem Teufelskreis der Abhängigkeit von Drogen, Medikamenten und Alkohol nie mehr heraus. Les bleus à l’âme, die blauen Flecke auf der Seele sind zu groß. Der deutsche Titel von „Toxique“ ist übrigens „Ich glaube, ich liebe niemanden mehr“. 

Der „Schneeball des Ruhms“ war zur gefähr­lichen Lawine geworden, die Legende entwickelt sich schneller als das Werk. Noch ein zweites Mal entgeht sie knapp dem Tod: Als sie Mitterand zum Staatsbesuch nach Bogotà begleitet, wird sie leblos im Hotelzimmer aufgefunden. Die Ursache war vermutlich eine Überdosis an besonders reinem Rauschgift und nicht die Höhenkrankheit, wie offiziell verlautbart. Der Regierungsflieger bringt sie allein zurück.

Vom Publikumsliebling hatte sie die Presse längst zur Skandalfigur geschrieben, die Gründe sind schwer nachzuvollziehen. Drogenmissbrauch, Steuerschulden, das Eintreten der politisch eigentlich Konservativen gegen den Alge­rienkrieg und für die Unabhängigkeit der französischen Kolonie, ihre Unterschrift unter das Manifest der 343 Frauen, die abgetrieben haben … 

Die Millionen sind ihr wie Sand des Meeres unter den Händen zerronnen. In den letzten Jahren ihres Lebens ist sie, krank und verarmt, auf die Unterstützung ihrer Lebensgefährtin angewiesen. Ihr Sohn Denis Westhoff muss nach ihrem Tod 2004 mit nur 69 Jahren in einem langen Kampf mit dem französischen Staat um die Rechte an ihren Büchern kämpfen, um ihre Schulden bezahlen zu können. 

Einige Jahre vor ihrem Tod hatte sie sich in „Derrière l’épaule“ selbst über die Schulter geschaut und ihre Romane eher ungern nochmal Revue passieren lassen, nonchalant, bemerkenswert bescheiden und selbstkritisch. Ihr „eigent­liches“ Werk hätte sie noch schreiben wollen, schrieb sie.

Sagans Lebensmotto war wohl eher „Bonjour liberté“, Freiheit und Unabhängigkeit sind ihr das Wichtigste, Ehemänner, Liebhaber und Liebha­berinnen wechseln, die Geborgenheit, die sie sucht, das bisschen „Sonne im kalten Wasser“ des Lebens findet sie nicht. Manchmal Geigen, „Des violons parfois“ … oder Baudelaires „Merveilleux nuages“ … „Avec un certain sourire“ … Für Titel hat sie ein ganz besonderes Händchen. 

In der Folge schreibt Sagan mit weiterhin leichter Hand ein Dutzend schmaler Romane, meist Dreiecksgeschichten mit überschaubarem Personal in eleganten Interieurs; auch sie zwischen Rive gauche und Côté d’Azur pendelnd, mit schönen Landhäusern, immer kühl, elegant und spielerisch-frivol im Ton. Plus einige Theaterstücke, von denen „Un château en Suède“ besonders erfolgreich ist. Man spielt, man lügt, man langweilt sich, man leidet, man beginnt wie in Schnitzlers Reigen wieder von vorn im Taumel mondäner Vergnügungen, auf der Jagd nach flüchtigem Glück. Eines Tages, „In einem Monat, in einem Jahr“ werden sie aufgehört haben zu lieben und von neuem allein sein. Wie Marionetten setzt sie ihre Figuren in die mondäne Pariser ­Szenerie, die Fäden, an denen sie hängen, sind jederzeit sichtbar. Der Ennui ist auch hier Dreh- und Angelpunkt. Die kleine müßige Sagan-Welt ist mit dem Attribut „saganesk“ gut beschrieben. 

Die Liebe ihres Lebens wird eine Frau, die Modedesignerin Peggy Roche. Sie stirbt 1990 an Krebs – was Sagan den Boden unter den Füßen wegzieht.

Der Erfolg des Romanerstlings multipliziert sich noch einmal mit der Verfilmung durch Otto Preminger mit der wunderbar androgynen Jean Seberg, die alle in der Rolle der Cécile verzaubert. Der Film hat Filmgeschichte geschrieben und gilt gemeinhin als der Vorläufer der Nouvelle Vague, dessen Vertreter ihn mit hymnischen Kritiken feierten, als ein „Wunderwerk“ lobten. „Bonjour Tristesse“ habe das Cinema an den Punkt geführt, an den Picasso die Malerei gebracht habe, so der Avantgarde-Regisseur Rivette. Der Film ist bis heute erst ab 18 Jahren freigegeben … Auch drei weitere Romane werden prominent verfilmt mit Ingrid Bergman, Yves Montand, Cathérine Deneuve und Michel Piccoli.

Was aber hat die junge Françoise, die in ihrem Outfit eher einer Tochter aus gutem Haus gleicht, zur Projektionsfläche einer ganzen Generation werden lassen? Ihre Kindheit auf dem Land, im Lot, ist mitten im besetzten Frankreich wild und behütet zugleich. Es gibt Wälder, Tiere und Freunde trotz aller Bedrohung durch deutsches Militär, Aktionen der Résistance und Bombardierungen durch die Alliierten. Es gibt aber auch verlassene Speicher voller Bücher, die notorische Rebellin und Schulschwänzerin wird schon früh eine große Leserin: Gide, Vorbild in „Immoralismus“ mit 13, Camus und sein „Mensch in der Revolte“ mit 14, Baudelaire, Rimbaud und Proust mit 15. Die Literatur wird ihr lebenslang Heimat und Rückzugsort sein, der einzige.

Zurück in Paris streift sie lieber durch die Stadt, rebelliert gegen den Zwang der Schule, muss von einer zur anderen wechseln. Selbst das Tragen von Hosen und Schminken sind verboten. Volljährigkeit erst mit 21. Es ist ein im Kalten Krieg reaktionär erstarrtes Nachkriegsfrankreich unter dem an die Macht zurückgekehrten De Gaulle, das die Jugend gegen Prüderie und Verbote rebellieren ließ. Ein Frankreich, das dank seines Generals daran glaubte, den Krieg gewonnen zu haben, das von einem Tag auf den ­anderen die mit Hitler kollaborierende Vichy-Regierung vergessen hat. Ein heuchlerisches Frankreich, sehr katholisch, antisemitisch, bigott, prüde, verklemmt. Ein kolonialistisches Frankreich, das beschämende Kriege führt in Indochina und Algerien. Der Existentialismus, der Jazz, die Clubs, ganz Saint-Germain-dès-Près halten dagegen. Wie auch Sartre schreibt Sagan Chansons für Juliette Gréco, mit der sie lebenslang befreundet ist. 

Auffallend ist lebenslang die Melancholie in Sagans Blick, die Ruhelosigkeit in ihrem Leben, die hektische Suche nach etwas, das sich nicht finden lässt. Ihr Lebenslauf ist klassisch für einen garçon manqué, einen verpassten Jungen. Eigentlich hätte sie ein Junge werden sollen, ein François, der den Eltern den kleinen Maurice, der plötzlich tot in seiner Wiege lag, ersetzen sollte. Nun gilt all ihre Fürsorge diesem jungenhaften Mädchen, das die Freiheit sucht, auch um den Preis des Todes.

Zum Glamour-Bild, das die Skandalpresse von Sagan entworfen hat, sagt sie selber nur: „Wenn ich mich nicht kennen würde, ich hätte keine Lust, mich kennenzulernen.“ Und sie setzt dagegen: „Die Literatur ist das einzige moralische Maß, das ich anerkenne.“

Ihre Grabinschrift hat sie schon Jahre vor ihrem Tod verfasst: „Sagan, Françoise. Tauchte 1954 mit einem schmalen kleinen Roman auf, Bonjour Tristesse, der ein weltweiter Skandal war. Ihr Verschwinden nach einem Leben und einem Werk, die beide gleichermaßen angenehm wie hingepfuscht waren, war nur für sie selbst ein Skandal.“ Ein Epitaph, das ihr ähnlich sieht.

Die großen französischen Tageszeitungen haben die Nachricht von Sagans Tod auf der ersten Seite gebracht und ihr mehrseitige Nachrufe gewidmet. In Deutschland dagegen herrschte mal wieder der überhebliche Unterton vor, wie in der Süddeutschen Zeitung: „… So wie ein Literaturkenner es nicht über sich bringen würde, das Œuvre der Françoise Sagan zum weltliterarischen Kanon zu rechnen …“

Kanon oder nicht, 70 Jahre nach „Bonjour Tristesse“ scheint es Zeit zu sein für eine Neubewertung dieser Autorin und ihres Werkes, bei der vor allem die frühen Romane nichts von ihrer Faszination verloren haben. Die Herablassung auch der Literaturkritikerinnen in Deutschland ist nur ärgerlich, scheinen sie doch das stilsichere fili­grane Werk unter dem Bild des skandalumwitterten Lebens begraben zu haben. 

Der britische Guardian schreibt über „Bonjour Tristesse“: „Es war unbegreiflich, dass ein 17- oder 18-jähriges Mädchen Sex hatte, ohne verliebt zu sein, mit einem Jungen ihres Alters, ohne dafür bestraft zu werden. Die Leute konnten die Vorstellung nicht hinnehmen, dass das Mädchen nicht wahnsinnig verliebt in den Jungen und am Ende des Sommers nicht schwanger war. Es war auch nicht akzeptabel, dass ein junges Mädchen sich das Recht herausnahm, mit seinem Körper zu tun, was es wollte, und dabei Lust empfand, ohne dafür sanktioniert zu werden.“

Eines ihrer zentralen Themen ist die Einsamkeit der Menschen und die Anstrengungen, die sie unternehmen, um ihr zu entfliehen. Auch dieses Thema hat nichts von seiner Brisanz verloren, ganz im Gegenteil. Es ist also Zeit für Neuübersetzungen und eine Werkausgabe, wie sie Stock in Frankreich vorgelegt hat. Einige von Sagans Romanen und Texten sind auf Deutsch (noch) gar nicht erschienen, viele in leicht vulgärer Aufmachung bei Ullstein mit unterschiedlichsten Übersetzern. Iris Berben allerdings hat „Bonjour Tristesse“ auf Deutsch sehr schön eingelesen. 

Ungestüm, unangepasst und unerschrocken hat sie lange vor dem Mai 68 gesellschaftliche Verkrustungen aufgeweicht, Tabus gebrochen und immer wieder ihre vor allem männlichen Kritiker und deren Klischeevorstellungen verspottet: „Alles in allem sind Whisky, Ferrari und Glücksspiel doch amüsanter als Stricken, Haushalt und Sparen.“ Im Spiegel-Interview kritisiert sie 1988, dass man einer Frau, die politische Positionen habe, unterstelle, sie müsse einen Dutt tragen und intellektuell daherreden: „Man kann sehr wohl schnelle Autos lieben und dennoch politische Ideen haben.“

Frankreich hat sie zu einem seiner erfolgreichsten Exportprodukte, Deutschland zu einer Art Soraya der Literatur gemacht: Zeit, sie (wieder) zu entdecken.

Sagan war eine Feministin avant la lettre, wenn sie sagt: „Ich bin frei, verglichen mit anderen Menschen. Ich muss von niemandem etwas erdulden, wer oder was es auch immer sei. Ich muss nicht Ja sagen, wenn ich Nein meine, ich muss nicht so tun, als ob. Ich muss nicht lügen.“

Bonjour, Françoise Sagan.

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