"Ich bin nicht käuflich"
Alice Schwarzer Du warst in den vergangenen Monaten arbeitslos, weil du einen Film geschmissen hast, noch vor Beginn der Dreharbeiten ausgestiegen bist. Warum?
Franke Potente Da gab es Probleme. Es ging um Nacktheit, oder sagen wir, damit fing es an.
Solltest du dich ausziehen?
Es war komplizierter. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Nacktheit, aber das muss in der Rolle und in der Geschichte begründet sein. Bei den Szenen aber war es so, dass ich nicht wusste, warum ich mich ausziehen sollte. Dann schlug man mir also vor, einfach Bodydoubles zu nehmen. Aber das löst das Problem doch nicht. Es ging ja um die grundsätzliche Frage: Was zeigt man wann und warum? Das ist dann zu einem fürchterlichen Streit eskaliert. Am meisten hat mich verletzt, dass dann Sätze fielen wie: "Ich habe gar nicht gewusst, dass du so prüde bist." Im Endeffekt hat mich aber die Art und Weise, wie mit mir über das Problem geredet wurde, abgestoßen, das war letztendlich ausschlaggebend für die Entscheidung, den Film doch nicht zu machen. Ich hatte kein Vertrauen mehr. Aber das ist ja ein generelles Problem. Wenn ich sehe, wie Frauen heute schon um 18 Uhr im Fernsehen gezeigt werden... Von Filmen und Werbung ganz zu schweigen. Angeblich wird das vom Publikum gewollt. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube eher, dass die Macher das wollen. Ich habe zum Beispiel neulich mit meiner Mutter gesprochen, die ist jetzt 50. Sie hat gesagt, dass sie bei sich so eine wachsende Empfindlichkeit feststellt gegen diesen ganzen Exhibitionismus in den Medien. Und sie fragt sich: Bin ich die Einzige, die das stört? Ist sie nicht. Mich stört das auch.
Wo läuft denn für dich die Linie zwischen erotisch und pornografisch?
Beim Lesen eines Drehbuches spüre ich das sofort. Nehmen wir eine Szene: Die Frau geht in die Dusche. Wenn dann da steht: von vorn oder von halbnah zoomen – dann frage ich: Warum? Dass die Frau nackt ist, kann man auch am nackten Rücken zeigen, dazu muss man keine Brustwarzen sehen! Entweder die Nacktheit ist inhaltlich begründet, oder sie ist spekulativ. Früher war ich da naiver. Ich weiß noch, als ich "Nach fünf im Urwald" gemacht habe, meinen ersten Film. Da schwimmen wir einmal nachts im Pool, ich oben ohne und mit so einer Frotteeunterhose. Ich habe mir damals gar nichts dabei gedacht. Das hat eben auch mit Erfahrung zu tun. Aber dann legte bei der Premierenfeier so’n älterer Typ so ganz komisch seine Hand auf mein Knie und sagte: Ich fand Sie wahnsinnig niedlich in der Unterhose... Würg. Da hab ich kapiert, was da los ist.
Passiert dir so was öfter?
Nein, eher selten. Ich bin irgendwie nicht der Typ für die Art von Geilheit.
Hat das nur mit Geilheit zu tun – oder auch mit Macht und Erniedrigung?
Wie meinst du das?
Na, die Klage von Schauspielerinnen, dass sie – im Film wie im Theater – bedrängt werden, sich auszuziehen, die ist ja nicht neu. Das trifft auch die nicht ganz Jungen und auch die ganz Berühmten. Denk an den allerletzten Film von Marilyn Monroe mit diesen tristen Nacktfotos. Oder die Klagen von Stars wie Romy Schneider in den 70ern, die darüber sehr verletzt war.
Mag sein. Aber ich denke, es hat auch mit Neugierde zu tun. Mit dem Bekanntheitsgrad wächst die Gier, dich nackt zu sehen. Man weiß jetzt schon ganz viel von dir, dann will man das auch noch wissen. Wie wenn alle schreien würden: Ausziehen! Ausziehen! Und so manche Schauspielerin macht da zunächst auch selbst mit – und plötzlich wird es ihr dann zu viel.
Werden solche Erwartungen denn öfter an dich rangetragen?
Durchaus. Ich merke es ja bei der Präsentation von jedem Film. Dann kommen immer dieselben Journalisten, die sind wie Nomaden an einer Wasserstelle. Und die wollen was zu schlürfen. Klatsch. Homestories. Privates. Im Sommer haben sie mir ein Baby angehängt. Die dachten: Okay, die hat jetzt einen Hollywoodfilm gemacht, ist seit vier Jahren mit dem Typen zusammen – jetzt ein Kind. Das wär’s. Die wollen einfach immer, dass es noch einen Schritt weiter geht.
Hältst du das für einen Zufall, dass man dir ausgerechnet auf dem Höhepunkt deiner Karriere ein Kind anhängen will? So nach dem Motto: Hollywood alles schön und gut – aber wir wollen doch immer schön Frau bleiben.
Da ist wahrscheinlich was dran. In den Medien herrschen ja auch immer noch sehr traditionelle und konservative Strukturen. Meist heißt es auch: Sie spielt an der Seite von ... Nie umgekehrt. Nur jüngst hieß es mal: Er spielt an der Seite von Franka Potente. Na bitte! So rum geht es auch mal.
Aber hat sich denn da nicht doch einiges geändert?
Nicht viel, glaube ich. Die Probleme sind heute ähnlich wie vor 20 Jahren. Nur das Vokabular hat sich geändert. Gerade die Journalisten sind – bis auf wenige Ausnahmen – meist unheimlich spießig. Und dann diese ewigen stereotypen Unterstellungen des Stils: Jeder Schauspieler träumt von Hollywood. Wie kommen die da eigentlich drauf?
Dir ist ja mal vorgeworfen worden, du hättest einen zu dicken Hintern.
Das hat nur einer geschrieben. Aber bei meinem letzten Hollywoodfilm hat man mich auch sofort rigoros auf Diät gesetzt, mit "personal trainer". Der hat, glaube ich, nicht viel Spaß mit mir gehabt. Ich habe denen gesagt: Wenn der Matt Damon sich mal in eine Frau mit meinem Hintern verlieben dürfte – ich glaube, die ganze Welt wäre euch dankbar dafür! Dann gucken die einem ein Loch in den Kopf und sagen: Yeah, very interesting. Das war’s
Hast du denn abgenommen mit deinem "personal trainer"?
Ja, acht Kilo. Aber die sind natürlich längst wieder drauf... Ich habe eine ganz durchschnittliche Figur mit Kleidergröße 38/40. Aber wenn ich zum Beispiel zu einem Fotoshooting komme, wo die Stylistinnen alle so Größe 34 haben, dann brüllen die garantiert durchs Studio: Die Hose passt nicht, haben wir noch was Größeres...? Obwohl ich denen vorher meine Größe angegeben hatte. Immer passt nichts. Mittlerweile bringe ich schon meinen eigenen Koffer mit.
Du bist die Tochter eines Lehres und einer medizinisch-technischen Assistentin. Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, Schauspielerin zu werden? Wolltest du berühmt werden?
Nein, die Phantasie hatte ich gar nicht. Mein äußerster Horizont war als Kind das Stadttheater Münster. In Dülmen gab es gar kein Kino. Und fernsehen durften wir aus pädagogischen Gründen nur sehr begrenzt.
Und wie bist du trotzdem darauf gekommen?
Das hat ganz früh angefangen. Nämlich als mein Bruder Stefan auf die Welt kam. Der ist drei Jahre jünger als ich und war ein Frühchen, das sehr umsorgt werden musste. Aus der Zeit gibt es ganz viele Fotos von mir mit einem kleinen dicken Bruder auf dem Arm und immer verheulten Augen.
Und da hast du versucht, die Aufmerksamkeit auf dich zu lenken?
Genau. Ich war sehr eifersüchtig. Und da habe ich angefangen, den Kasper zu machen. Ich hatte als Kind natürlich Sissi, die Mädchen vom Immenhof, Takatukaland und das ganze Zeug gesehen. Also hab ich versucht, mich in den Mittelpunkt zu stellen, und um Publikum gebuhlt. Das hat geklappt. In der Schule war ich bei Rollenspielen immer die Favoritin und bin dann in Theatergruppen gelandet. Aber Schauspielerin werden? Ich wusste gar nicht, wie das ging. Doch immerhin gab es da meine Freundin Elektra Tiziani. Deren Mutter war Schauspielerin, so eine extravagante mit roten Haaren, und der Vater Opernsänger. Das fand ich ganz faszinierend. Bei denen war alles anders. Voller Geschichten und Geheimnisse. In diese tolle Welt wollte ich auch.
Und wie hast du das geschafft?
Mit 16 habe ich mich heimlich auf eine Anzeige beworben: Die suchten Tänzerinnen für eine Fernsehserie. Die haben mir zwar eine Absage geschickt, aber ich hatte eine Antwort, ich hatte den Faden zu fassen gekriegt. Und dann habe ich in den Westfälischen Nachrichten eine ganze Seite über die Schauspielschule Bochum gelesen. Aha! Da habe ich mich also beworben. Hat auch nicht geklappt. Aber auf der Falkenbergschule in München bin ich dann angenommen worden. Wahnsinn! Also, ab nach München!
Und was macht Stefan jetzt?
Der studiert Medizin in Berlin.
Wie bist du eigentlich dann auf die Idee gekommen, von der Falkenbergschule auf die Strasbergschule in New York zu gehen?
Rückblickend verstehe ich, dass in München alles ein bisschen festgefahren war für mich. Privat wie beruflich. Ich wohnte da mit einem Freund zusammen und fing schon mit 21, 22 an, in so ein richtig brav-bürgerliches Leben zu rutschen. Riesige Wohnung. Von Kindern war die Rede. Und ich war immer die, die eingekauft und Wäsche gewaschen hat. Ich habe mich aber auch selber in die Rolle gedrängt. Und er hat es zugelassen. Klar. Beruflich war es ähnlich. In der Falkenbergschule war ich die einzige Landpomeranze. Die anderen kamen aus Hamburg oder aus der Schweiz; die hatten schon abgetrieben oder geschiedene Eltern – Menschen mit Abgründen. Nur ich kam so ganz "normal" aus dem Reihenhaus. Nach meinem ersten Film aber hatte ich Blut geleckt. In mir war so eine neue Sehnsucht erwacht. Doch das ließ sich nicht vereinbaren mit der seriösen Falkenbergschule, das Filmen. Also bin ich nach New York gegangen.
Hat die Sehnsucht sich da erfüllt?
Es war zumindest eine aufregende Zeit, ich war ganz auf mich allein gestellt. Aber erst nachdem ich in Berlin mit Tom Tykwer "Lola rennt" gedreht hatte, bin ich aufgewacht. Ich habe gemerkt: So kann das Leben auch sein. Ich habe dann rigoros alle Brücken abgebrochen und bin – ohne schon mit Tom zusammen zu sein – nach Berlin gegangen. Allein. In den ersten Monaten habe ich da in so einer komischen Pension gewohnt. Das hat mir durchaus auch Angst gemacht. Aber ich hatte einfach angefangen, in eine andere Richtung zu denken.
Du äußerst dich in Interviews oft rigoros über deine Arbeit, sagst Sätze wie: "Sicher ist es stark, wenn man 50.000 DM mehr auf dem Konto hat. Aber ich bin nicht käuflich. Es kommt einzig auf das Drehbuch an."
Ich versuche einfach, eine Authentizität zu haben. Gleichzeitig liebe ich meine Arbeit wahnsinnig. Jetzt habe ich acht Monate lang nicht gedreht, weil es keine guten Angebote gab. Also habe ich angefangen zu reiten – ein Kindheitstraum – und nehme auch Ballettstunden. Vielleicht fange ich auch noch mit Klavierspielen an. Ich habe einfach das Bedürfnis, noch zu lernen. Mein größter Traum wäre, mal wieder im Orchester zu spielen.
Was?
Geige. Das habe ich ja als junges Mädchen oft gemacht.
Kann es sein, Franka, dass die Kluft zwischen dem, was du öffentlich darstellst, und dem, was du innerlich bist, immer größer wird?
So ist es. Und das Ding ist: Ich mache öffentlich schon kaum was. Ich gehe nur aus, wenn ich einen neuen Film bewerben muss. Zum Glück muss ich da nur selten allein gehen. Meistens geht Tom mit. Und manchmal macht’s ja auch Spaß.
Was wären denn für dich Idealbedingungen zum Arbeiten?
Ich bin ein klassischer Schauspieler. Ich brauche einen Regisseur, der eine starke Vision hat und mich dann auch führt. Ich bin immer so gut wie mein Regisseur.
In "Lola rennt" wart ihr beide gut. Und seither geht es rund.
Aber in den letzten zwölf Monaten ging es für mich ganz schön bergauf und bergab. Eigentlich hab ich immer ein gutes Händchen gehabt mit der Arbeit. Aber im letzten Jahr hatte ich viel Pech mit Projekten. Manche sind geplatzt, andere schief gegangen. Und von den mir angebotenen Drehbüchern waren 80 Prozent der letzte Scheiß. Gleichzeitig kam mein ers- ter Hollywoodfilm raus. Das war eine Wahnsinnsdiskrepanz: Das öffentliche Bild von mir und meine innere Verfassung.
Dein Lebensgefährte Tom Tykwer, mit dem du schon zwei Filme gemacht hast, ist ein Regisseur, wie du ihn schätzt.
Ja. Und ich finde es auch toll, dass er nicht auf vergangenen Erfolgen aufsattelt. Es gibt da jetzt so Trends, wie diese Jungliteraten mit ihrem seltsamen Ästhetizismus. Die behaupten einfach: Form ist Inhalt. In dieser banalen Form finde ich das echt bescheuert, aber so was ist natürlich leicht verkäuflich. Tom Tykwer und ich, wir haben versucht, mit unserem zweiten Film, "Der Krieger und die Kaiserin", in dem es eben auch um Inhalte geht, gegen diesen Trend zu steuern. Und wir haben gesehen, wie schwer das ist. Wann immer du versuchst, subjektiv genau zu sein – und damit objektiv Gemeingültiges sagst –, wird es schwierig. Dann hast du eben nicht nur die geneigten Medien und die Millionen Zuschauer.
Habe ich richtig verstanden, dass der neun Jahre ältere Tom nicht nur für deine berufliche, sondern auch für deine private Entwicklung wichtig ist?
Ja. Tom ist jemand, der freiheitsliebend, aber auch sehr freiheitsgebend ist. Ich bin gerade dabei, das auch zu lernen. Dass man manchmal einfach Ruhe geben muss, auch geografisch. Wir haben hier in Berlin nicht zufällig zwei getrennte Wohnungen und sind ja auch bei der Arbeit oft getrennt. Am Anfang hat mir das Angst gemacht. Jetzt, nach vier Jahren, fange ich an, es zu verstehen – und zu genießen. Die Zweisamkeit, aber auch mit mir allein zu sein und mich trotzdem wohl zu fühlen. Tom hat mich einfach darin bestärkt, meinen eigenen Weg zu suchen.
Es ist in diesen Wochen nach dem 11. September, nach den Attentaten gegen Amerika und den Bomben auf Afghanistan, viel die Rede davon, alles sei anders geworden. Es gäbe eine neue Ernsthaftigkeit. Spürst du das auch?
Ja und nein. Jetzt, Monate nach dem Horrortag, dem 11. September, hören viele Leute schon wieder auf, darüber zu reden. Die Geschehnisse rücken wieder weiter weg, haben scheinbar doch weniger mit uns zu tun. Ich empfinde das aber nicht so. Ich hatte in den letzten Wochen aber auch viel Zeit, Zeitung zu lesen, und habe viel mit Freunden in den USA gesprochen, die sehr verunsichert sind, vor allem nach den Milzbrandfällen. Mich macht die ganze Lage, auch in Israel, nachdenklich, zuweilen auch kraftlos und ängstlich. Momentan finde ich die Weltpolitik weder stabil oder überschaubar, wir wissen nicht, was alles noch kommt, wo sich wieder etwas zuspitzt – man kann sich nicht entspannt zurücklehnen. Reden und diskutieren hilft mir hier. Mir fehlt in solchen Zeiten auch ein bisschen die Lust zu arbeiten – was ist schon irgendein Film – eine Illusion – gegen diese Wirklichkeit? Alles relativiert sich.
Du sagst, in diesem Jahr seist du eigentlich so richtig Achterbahn gefahren, rauf und runter. Was wünschst du dir für das nächste Jahr, Franka?
Gute, erfüllende Arbeit! Mit spannenden Leuten zusammen etwas wagen. Und ich hoffe – global gesagt – ,dass sich politische Brennpunkte beruhigen, aber die Nachdenklichkeit bleibt.
Beide Potente/Tykwer-Filme sind als Video im Verkauf/Verleih:
"Lola rennt" und "Der Krieger und die Kaiserin"; außerdem: "Franka Potente, die neue Lola", Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf.