Kamerad M gegen Kamerad W

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Ein gefundenes Fressen für Gisela Friedrichsen, Spiegel-Kriegsberichterstatterin an der Geschlechterfront vor Gericht. Noch während des laufenden Prozesses gegen „den angeblichen Vergewaltiger“ Ronny P. (22), ein sächsischer Obergefreiter in der Sanitätsakademie München, dem „angeblichen Tatort“, stand für die Gerichtsreporterin das Urteil fest: juristischer Freispruch für den mutmaßlichen Täter – moralische Verurteilung des mutmaßlichen Opfers. Die „Spiegel“-Frontfrau über die „rothaarige“ Jutta S., zum Tatzeitpunkt 17: „Ein Mädchen, das auf Anstand und Vorschriften pfeift.“ Ronny P. hingegen „stellen seine Vorgesetzten das beste Zeugnis“ aus: „Ein junger Kerl aus Sachsen, in eine krachend bayerische Männerwelt geworfen und plötzlich dem Zugriff der Justiz und, schlimmer noch, dem Zeitgeist ausgeliefert.

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“ Zeitgeist? Was meint die Reporterin damit? Etwa das, was EMMA seit 1975 forderte: die Zulassung von Frauen zur kämpfenden Truppe? Genau. „Jahrzehntelang war der Dienst an der Waffe eins der letzten männlichen Refugien“, schreibt Friedrichsen einfühlsam: „Plötzlich tauchten Frauen da auf, wo sie nie hingehört hatten.“

Tanja Kreil war es, die das letzte Männer-Refugium im Sturmschritt eroberte. Die junge Frau aus Niedersachsen verklagte – auf Anregung der damaligen CSU-Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Michaela Geiger, und mit Unterstützung des Bundeswehrverbandes – die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Gerichtshof. Kreil gewann den Prozess. Die Europa-Richter befanden: Im Sinne der EU-weit  geltenden Gleichbehandlung müssen auch deutschen Frauen im Militär – über Sanitätsdienst und Militärmusik hinaus – alle Laufbahnen uneingeschränkt offen stehen. Inklusive Dienst an der Waffe. Genau ein Jahr später, im Januar 2001, rückten die ersten 253 Soldatinnen zum Dienst an der Waffe in die Kasernen ein. Inzwischen sind es 2.000 Frauen, die sich freiwillig für die kämpfende Truppe entschieden haben. Hinzu kommen knapp 5.000 im Sanitätsdienst, 60 bei der Militärmusik und 140 in den so genannten „Sportförderkompanien“. Insgesamt dienen heute also rund 7.000 Soldatinnen – „Kameraden (w)“ – bei der Bundeswehr, macht genau 3,6 Prozent. Das ist immer noch wenig im Vergleich zu den Armeen der anderen NATO-Staaten, wo sich der Frauenanteil zwischen sieben und zehn Prozent bewegt.

Künftige Zeit- und Berufssoldatinnen müssen sich, ganz wie die Kameraden (m), einem dreitägigen Eignungstest unterziehen. Aus diesem Grund hielt sich Ende März 2001 die 17-jährige Jutta S. mit zwei anderen Bewerberinnen im „Zentrum für Nachwuchsgewinnung“ der Münchner Bundeswehr-Sanitätsakademie auf. Laut „Spiegel“-Reporterin Friedrichsen soll es dort „munter hin und her, rauf und runter“ gegangen sein: „Die Mädchen bei den Soldaten, die Soldaten bei den Mädchen.“ Vor allem Jutta S. habe es besonders toll getrieben. Ein Gefreiter vom Betreuungsdienst (GvB) „ließ sie schnöde abblitzen. In der nächsten Nacht aber fand sich ein Willigerer, in dessen Dienst­raum es gleich zur Sache ging. Danach vergnügte sich dort der nächste GvB mit ihr.“ Kurzum: selber schuld!

Der Staatsanwalt allerdings sieht das anders. Die 17-Jährige wurde mitten in der Nacht auf ihrer Stube überfallen, in ein anderes Gebäude gezerrt und dort „auf verschiedene Weise vergewaltigt“, heißt es in der Anklageschrift: „Erst nach dem Hinweis des Opfers, dem der Täter bei der Tat die Augen verbunden hatte, dass der Wachhabende in Kürze die Zimmer kontrollieren werde, beendete er die Misshandlung.“ Der von Jutta S. bei einer Gegenüberstellung identifizierte Obergefreite Ronny P., ein Zeitsoldat, bestreitet alles. Auch seine Kameraden (m) wollen nichts gehört und nichts gesehen haben; bis auf einen, bei dem das verzweifelte Opfer am frühen Morgen – tränenüberströmt, mit zerrissenem T-Shirt – an die Stubentür klopfte. Dieser Gefreite habe die Tat dann sofort dem wachhabenden Unteroffizier gemeldet, so der ermittelnde Münchner Staatsanwalt Manfred Wick zu EMMA: „Doch der Feldwebel versuchte, die Sache zu vertuschen.“ Erst als Jutta S. am 2. April 2001, drei Tage nach der Vergewaltigung, die Polizei einschaltete, kamen die Ermittlungen ins Rollen. Auch gegen den wachhabenden Unteroffizier: „wegen Verdacht auf Strafvereitelung“. Er wurde vorübergehend vom Dienst  suspendiert. Wäre er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwölf Monaten verurteilt worden, hätte ihm die fristlose Kündigung gedroht. Doch inzwischen trägt der Feldwebel wieder Uniform – er kam mit einer Geldstrafe von 3.068 Euro davon.

Das Urteil im Prozess gegen Ronny P. stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Doch es ist zu befürchten, dass die Gewalttat in der Münchner Sanitätsakademie so milde geahndet wird wie ein ähnlicher Fall in einer Wilhelmshavener Kaserne. Dort hatte am 19. September 1996 ein Zeitsoldat eine Kameradin vom Sanitätsdienst nach einem Kneipenbesuch auf ihre Stube begleitet und sich dann geweigert, das Zimmer wieder zu verlassen. Er verriegelte die Tür, zerriss das Nachthemd der Frau und vergewaltigte sie. So stellte es das Opfer dar. Doch: Kamerad (m) habe Kamerad (w) lediglich „zwei Stunden lang bedrängt“, heißt es in der Urteilsbegründung des Amtsgerichts Wilhelmshaven. Es verurteilte den Soldaten in der ersten Instanz wegen „schwerer sexueller Nötigung“ zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Dagegen legte der Berufung ein.

Am 28. Januar 1998 hob das Landgericht Oldenburg als zweite Instanz das Urteil auf und verringerte das Strafmaß auf zehn Monate zur Bewährung. Es habe sich nur um einen Fall von „minder schwerer sexueller Nötigung“ gehandelt, so die Oldenburger Richter. Denn die Frau habe sich im Beisein des Angeklagten ein Nachthemd angezogen: „Das hatte eine gewisse Reizwirkung.“ Dank dieser geringen Strafe behält der Täter Beamtenstatus und Anspruch auf Abfindung (zirka 15.000 Euro) nach Ablauf seiner Dienstzeit. „Sexuelle Nötigung – keine Gefahr für die berufliche Laufbahn!“ empörte sich die „Nordwest-Zeitung“, „Das Opfer ist bis heute krank.“

Nicht nur so manche Richter und GerichtsreporterInnen ergreifen kameradschaftlich Partei für die armen Jungs, die ihr letztes Männer-Refugium verloren haben. Auch Rudolf Scharping (SPD) wiegelte nach Bekanntwerden der Vergewaltigung in der Münchner Sanitätsakademie ab: „Das sind keine bundeswehrtypischen Vorgänge.“ Dabei wäre es für den Verteidigungsminister besser, mit offenen Karten zu spielen. Denn die Bundeswehr hat Nachwuchssorgen und ist auf Soldatinnen angewiesen. Hinzu kommt: Möglicherweise gibt es gar nichts zu verbergen, oder zumindest nicht viel.

„Im Jahr 2001 wurden neun Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemeldet“, vermeldet Wilfried Penner (SPD), Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, in seinem im März 2002 vorgelegten „Jahresbericht 2001“. Neun Verstöße, das scheint wenig – angesichts einer geballten  Männer-Streitmacht von 173.000 Berufs- und Zeitsoldaten (Wehrdienst­leistende nicht mitgerechnet) auf der einen und 7.000 Soldatinnen auf der anderen Seite. Beunruhigend ist allerdings, dass bisher kein Verstoß Folgen für die Kameraden (m) hatte. Wehrbeauftragter Penner: „Sechs Fälle blieben ohne Ergebnis, weil ein Täter nicht ermittelt oder die Beschuldigungen nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten. In den drei weiteren Fällen sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen.“ Eins davon ist das in München.

Bei den neun Verstößen allerdings handelt es sich lediglich um „gemeldete“ Fälle. Die Dunkelziffer liegt vermutlich höher. So brachte eine Umfrage des US-Verteidigungsministeriums an den Tag,  dass sich jede Zweite der 90.000 befragten amerikanischen Soldatinnen „sexuell beläs­tigt“ fühlt. 40 Prozent gaben an, von ihren Kameraden „in eindeutig sexueller Weise berührt“ worden zu sein. Und 14 Prozent erklärten, Vorgesetzte hätten ihnen „eine Beförderung für Sex“ angeboten.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist auch in zivilen Berufen gang und gäbe, seit die Frauen in den 70er Jahren verstärkt ins Berufsleben drängten. Die Erniedigung und Sexualisierung als Frau ist eben immer noch die effektivste Waffe in der Männerwelt. Vor allem in bislang exklusiven Männerdomänen wie der Polizei (EMMA 4/99) oder jetzt eben auch dem Militär – neben der  katholischen Kirche der geschlossenste aller Männerbünde.

Dass er seiner Truppe (m) nicht über den Weg trauen kann, wusste Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat schon vorher. Er erließ im Dezember 2000, einen Monat vor Einrücken der Soldatinnen, eine „Führungshilfe für Vorgesetzte“. Titel: „Umgang mit Sexualität“. Darin befahl der gut informierte General Kujat: „Überzogene Thematisierung sexueller Erfahrungen, provozierendes Verhalten sowie das ‚Ausleben’ von Sexualität jeglicher Orientierung sind innerhalb der militärischen Liegenschaften zu unterlassen!“ Und er mahnte eindringlich, dass damit auch „Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Verhaltensweisen“ gemeint seien. Und „sexuell  bestimmte körperliche Berührungen“ sowie „Bemerkungen sexuellen Inhalts“. Sowie: „Zeigen und sichtbares Anbringen pornographischer Darstellungen“.

Prompt konterte „Bild“ den Kujat-Angriff auf Pornos und Pin-ups mit einer Spindluder-Serie. Parole: „Wer hat das schärfste Luder im Schrank?“ Marschbefehl: „Kameraden, hängt die Mädels ab und schickt sie an BILD! Die Schönste bringen wir zum Truppenbesuch in die Kaserne.“ Nicht nur einfache Dienstgrade, auch Offiziere schickten zuhauf die „heißesten Mädchen“, „süßesten Mäuse“ und „Traumfrauen in tarnfarbenen Bikinis“. Bei solchen Führungskräften müssen Soldatinnen dann sexuelle Übergriffe „melden“. Zu Recht bemängelte deshalb Wilfried Penner in seinem „Jahresbericht 2001“, dass „weisungsunabhängige Ansprechstellen für weibliche Soldaten“ fehlen.

In der Tat, zwar schreibt das Gleichstellungsgesetz von 1994 für alle Behörden des öffentlichen Dienstes zwingend Frauenbeauftragte vor, die Streikräfte  jedoch sind davon ausgenommen.  Zwar gibt es auch bei der Bundeswehr  Frauenbeauftragte, aber die sind nur für  die 49.000 zivilen Mitarbeiterinnen in Kasernenbüros, Kantinen und Kleiderkammern zuständig. Rita Scholz- Vollhard, Frauenbeauftragte im Berliner Bundesverteidigungsministerium, fordert deshalb schon lange, die Zuständigkeit ihrer Kolleginnen auf die Soldatinnen auszudehnen: „Doch das wollen die Militärs nicht.“ Scholz-Vollhard sauer: „In der Bundeswehr stehen Frauen von heute Männern von gestern gegenüber.“ Genauer gesagt: „Den Männern von vorgestern!“

Allerdings: Ganz so schlimm wie in Amerika scheint es in der deutschen Armee nicht zuzugehen. „Sexuelle Be­lästigung ist weniger ein Problem als Mobbing“, berichtete der 26-jährige Stabsunteroffizier (w) Ramona Edelmann am 10. Januar 2002 im Bundesverteidigungsministerium. Dorthin hatte Rudolf Scharping 46 Soldatinnen zu einem „Erfahrungsaustausch in Augenhöhe“ eingeladen, um nach einem Jahr mit weiblichem Dienst an der Waffe Bilanz zu ziehen. Kein Mobbing „zwischen Vorgesetzten und Untergebenen“, nein. Vielmehr komme unter den Kameraden (m) Neid auf, beklagte Unteroffizier Edelmann, „wenn eine Frau vor versammelter Mannschaft für eine gute Leis­tung besonders belobigt wird“. Und noch etwas kritisierte Ramona Edelmann aus Bayreuth: „Extrawürste für Frauen in Sachen Sport.“ Will meinen: Unterforderung der Bewerberinnen bei den „Physical Fitness Tests“ im Rahmen der Eignungsprüfung. Die Anforderungen seien der „Fairness wegen“ so niedrig, verbrämte Generalinspekteur Harald Kujat die unterschiedliche Behandlung. Aber Galanterie ist schon im Zivilleben gönnerhaft und herablassend gemeint. Und dann erst in der Armee, wo körperliche Kraft ein berufliches Kriterium ist.

Doch manche Frauen würden den „Frauen-Bonus“ geradezu genießen, beschwerte sich Feldwebel (w) Kuhl aus Leer in Ostfriesland über die Geschlechtsgenossinnen: „Die packen oft nicht gleichberechtigt an.“ Dabei komme es nicht auf „starke Muskeln und eine laute Stimme“ an, sondern auf „Rückgrat und Selbstbewusstsein“. Heide Kuhl kämpferisch: „Ich werde trotz meiner Länge von 1,61 voll akzeptiert.“  Bei einer wie Heide Kuhl als wachhabende Unteroffizierin wäre die Ver­gewaltigung in der Münchner Sanitäts­akademie Ende März 2001 vermutlich nicht vertuscht worden. Wahrscheinlich wäre es erst gar nicht dazu gekommen.

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