Die EU-Kommission & die Frauen

Konnte Frauenanteil nicht erhöhen: EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker.
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Neun von Achtundzwanzig. Mit diesem Zahlenverhältnis müssen die Europäerinnen also weiterleben. Zumindest voraussichtlich, wenn das Parlament zustimmt. Denn in diesen Tagen hat EU-Kommmissionspräsident Jean-Claude Juncker seine designierten KandidatInnen für die neue EU-Kommission vorgestellt. Neun davon sind weiblich, so wie auch in den vergangenen fünf Jahren. Aus dem groß angekündigten Fortschritt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit im „Team Juncker“ ist also trotz langem Gerangel nichts geworden.

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„Diese Stagnation der Anzahl von Frauen ist völlig inakzeptabel“, erklärte die European Women’s Lobby direkt nach Veröffentlichung der KandidatInnen-Liste. Aus Protest haben sie nun den Hashtag #NotEnough ins Leben gerufen. Denn die Brüsseler Dachorganisation von 2.000 Frauenverbänden hatte andere Vorstellungen, was die Zukunft der Kommission betrifft: 50 Prozent Frauen, 50 Prozent Männer. Dafür hatte die Lobby mit ihrer 50/50-Kampagne seit Beginn des Europa-Wahlkampfes im vergangenen Jahr gekämpft. Und auch alternative Vorschläge zum Besetzungsverfahren der mächtigen Ämter in Brüssel geliefert: Zum Beispiel, dass jedes Mitgliedsland einen Mann und eine Frau vorschlägt, aus denen der Präsident dann auswählen kann.

Die Realität sieht so aus: Die meisten Mitgliedsländer haben ohne Umschweife sofort einen Mann nominiert. Darunter auch Deutschland. Günther Oettinger, vormals Energie-Kommissar, soll nun Kommissar für Digitale Wirtschaft werden.

Schon fast grotesk wirkte dagegen Präsident Junckers Mühen, das Ruder doch noch rumzureißen: In den vergangenen Wochen flehte er die Mitgliedstaaten quasi an, Frauen für seine Kommission vorzuschlagen. Es ist schließlich noch gar nicht so lange her, da sah es nämlich so aus, als ob nicht nur neun, sondern nur drei Kandidatinnen im Gespräch sein werden. Wenn überhaupt.

Das wäre mehr als peinlich gewesen. Schließlich hatte Juncker selbst kurz vor seiner Wahl zum Kommissions-Präsidenten für das Modell der Brüsseler Frauenlobby geworben und damit die Erhöhung des Frauenanteils in seiner Kommission ganz oben auf die Agenda gesetzt.

Sicherlich auch, weil sein früherer Kontrahent und jetziger Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz (SPD) von vornherein angekündigt hatte, dass es in einem Parlament unter seiner Führung keine Mehrheit für eine Kommission geben wird, in der weniger Frauen vertreten sind als bisher.

Die Frauenfrage war also für die Chefs in Brüssel in den vergangenen Wochen auch ein gutes Mittel, um Putz zu machen bei der Neuordnung der EU-Gremien. Bloß, dass alle Beteiligten die Rechnung ohne die Mitgliedstaaten gemacht haben. Juncker wörtlich: „Den ganzen August habe ich am Telefon gesessen, verhandelt und versucht, die Zahl der Frauen zu erhöhen. Bis letzten Donnerstag musste ich noch um zwei Kandidatinnen kämpfen. Nun habe ich neun Kandidatinnen – das ist kein Riesen-Fortschritt in Sachen Geschlechter-Gleichstellung, aber es ist immerhin auch kein Rückschritt.“

Immerhin kein Rückschritt. Allerdings hat Juncker ebenso wenig die Minimalansprüche erfüllt, die Frauen in Brüssel an ihn gestellt haben: „Ten or More“ forderten die scheidenden Kommissarinnen in einem offenen Brief an den „Lieben Jean-Claude“, als sich der Frauenmangel in seinem Team schon abzeichnete. Mindestens zehn, selbst daraus ist nichts geworden. 

In den kommenden Wochen müssen sich alle designierten KommissarInnen in Anhörungen dem Europäischen Parlament stellen.

Im Oktober stimmt das Parlament dann in Straßburg über die Ernennung der neuen Kommission ab. Dann können die Parlamentarier das gesamte „Team Juncker“ ablehnen – nicht aber einzelne Kandidaten.

Das sind die designierten Kandidatinnen

Unter den sieben VizepräsidentInnen der Kommission, die zukünftig die Arbeit der KommissarInnen in fachlich zusammengestellten Projektteams leiten und koordinieren sollen, sind drei Frauen:

Federica Mogherini, bis dato italienische Außenministerin, wird nach langem hin und her nun doch EU-Außenbeauftragte.

Kristalina Georgiewa aus Bulgarien war bisher EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe. Jetzt soll sie Vizepräsidentin für den Haushalt und Personal werden.

Alenka Bratušek, ehemalige slowenische Ministerpräsidentin, ist vorgesehen als Vizepräsidentin für Energie.

Außerdem in der Kommission vertreten:

Cecilia Malmström aus Schweden, bisher EU-Innenkommissarin. Juncker will sie zukünftig als Handelskommissarin einsetzen.

Die Dänin Margrethe Vestager soll Kommissarin für Wettbewerb werden.

Die Tschechin Vera Jourová ist als Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Geschlechtergerechtigkeit vorgesehen.

Marianne Thyssen aus Belgien soll die Ressorts Beschäftigung, Soziales und Mobilität übernehmen.

Elżbieta Bieńkowska aus Polen ist designierte Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie und Unternehmertum.

Kommissarin für Regionales soll Corina Cretu aus Rumänien werden.

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Europa und die Frauenfrage

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Was für ein Theater! Nur wenige Wochen nach der ersten Sitzung des neu gewählten Europäischen Parlaments und wenige Tage nach der von Turbulenzen begleiteten Wahl Jean-Claude Junckers zum Kommissions-Präsidenten werden die Staats- und Regierungschefs sich einfach nicht einig im großen Who-is-Who um die Top-Jobs innerhalb der Europäischen Union. Bis Ende Juli sollen die Vorschläge für die 28 KandidatInnen feststehen, die in den kommenden fünf Jahren als KommissarInnen nach Brüssel ziehen und die neue EU-Kommission bilden. Jedes EU-Land stellt einen Kommissar – oder eine Kommissarin.

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Am Mittwoch wollten sich die Politiker immerhin schon mal über die Hohe VertreterIn der Außen- und Sicherheitspolitik verständigen – und über den neuen Präsidenten (oder die neue Präsidentin) des Europäischen Rates. Aber trotz eines extra zu diesem Zweck angesetzten Gipfeltreffens bis spät in die Nacht haben sie diese Entscheidung dann doch vertagt. Auf den 30. August. Das klingt wie eine halbe Ewigkeit.

Im Personalchaos wegen Parteiproporz und nationalen Interessen sticht darüber hinaus eine Sache besonders hervor: In dem Theater um die Machtverteilung gibt es einen neuen Handlungsstrang. Er trägt den Titel: „Wo stehen die Frauen?“

Ein ausgewogenes Geschlechter- verhältnis ist kein Luxus

Denn es war niemand anderes als Juncker selbst, der noch kurz vor seiner Wahl die Mitgliedstaaten dazu aufforderte, nicht nur eineN, sondern zwei (oder auch drei) KandidatInnen für die Kommission vorzuschlagen, sowohl weibliche als auch männliche. Junker wörtlich: „Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis ist kein Luxus, sondern ein politisches Muss und sollte für jeden selbstverständlich sein, auch für die führenden Politiker in allen Hauptstädten unserer Mitgliedstaaten, wenn sie ihre  Vorschläge für die Ernennung der Mitglieder der nächsten Kommission unterbreiten.“

Damit folgte der ehemalige luxemburgische Premierminister einer Forderung der European Women’s Lobby, die seit Beginn des Europa-Wahlkampfs im vergangenen Jahr mit ihrer 50/50-Kampagne dazu aufruft, den Frauenanteil auf den europäischen Spitzenpositionen zu erhöhen (EMMA berichtete). Jedes Land, so fordert die Lobby, soll zukünftig und für alle Zeiten immer einen Mann und eine Frau als KommissarIn vorschlagen, aus denen der Kommissionspräsident dann auswählen kann.

Aber das Signal aus Brüssel ist in den Ländern nicht angekommen. Sogar in Deutschland nicht, mit einer der mächtigsten Frauen der Welt an der Spitze. „Unsere Nominierung für Deutschland steht fest. Es ist ein Mann“, erklärte Angela Merkel unlängst. Günther Oettinger (CDU), bisher Kommissar für Energie, soll in Brüssel bleiben.

So ähnlich tönt es aus fast allen Ländern. Auch wenn die KandidatInnen-Liste noch nicht geschlossen ist, haben die meisten Länder mittlerweile durchsickern lassen, wen sie aller Wahrscheinlichkeit nach schicken werden. Und fast alle schicken Männer. Selbst Länder wie Schweden, die bisher mit Cecilia Malmström eine Kommissarin hatten.

Mögliche Kandidatinnen sind - wenn überhaupt - „im Gespräch“. Allen voran die italienische Außenministerin Federica Mogherini. Die soll, ginge es nach Italien, die nächste EU-Außenministerin werden. Nebst Italien können sich, so heißt es zumindest, noch Belgien und Bulgarien vorstellen, eine Frau zu entsenden. Die Europa-Abgeordnete Marianne Thyssen und die noch amtierende Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Kristalina Georgieva. Macht zusammen: Drei potenzielle Kandidatinnen für die EU-Kommission. Das sind sechs Frauen weniger als bisher.

Nationalstaaten hinken in Sachen Gleich- berechtigung hinterher

Nicht ein Anstieg, sondern ein Rückgang des Frauenanteils in der mächtigsten Institution der Union – kann das sein? Nein, findet Serap Altinisik von der European Women’s Lobby. „Das zeigt einmal mehr, dass die Nationalstaaten in Sachen Gleichberechtigung noch lange nicht so weit sind wie die Europäische Union.“ Denn die Länder hätten ja problemlos Frauen vorschlagen können. Sogar nebst einem männlichen Kandidaten. Haben sie aber nicht. Und das kann eigentlich nicht sein.

Das sehen die scheidenden neun Kommissarinnen genau so: Als sich der Frauenmangel unter den Nominierten abzeichnete, schrieben sie einen Offenen Brief an ihren „Lieben Jean-Claude“. Ihre Forderung: Mehr als zehn der 28 KommissarInnen müssen Frauen sein. Juncker soll sich dafür bei den StaatschefInnen einsetzen. „Innerhalb der letzten zehn Jahre waren immer ein Drittel der EU-Kommissare weiblich, vor allem weil José Manuel Baroso darauf bestanden hat“, schreiben die Frauen. Und erinnern an die Verantwortung, die die Europäische Union gegenüber der Hälfte ihrer Bevölkerung hat. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist schließlich schon in den Römischen Verträgen festgeschrieben worden.

Bleibt zu hoffen, dass Juncker es schafft, in diesem Spätsommer dem Europäischen Parlament nicht nur eine reine Männermannschaft zu präsentieren. Denn dann stimmen die ParlamentarierInnen nach Anhörungen in den jeweiligen Ausschüssen darüber ab, ob sie Junckers Team für die Kommission annehmen – oder nicht. Der Frauenanteil im Europäischen Parlament liegt bei 36,75 Prozent (1,25 Prozent mehr als vor der EU-Wahl in diesem Jahr). Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat schon verkündet, dass eine Kommission mit nur drei weiblichen Mitgliedern im Europäischen Parlament keine Mehrheit finden wird. Das könnte spannend werden.

Im Speziellen wenn es um die Besetzung des EU-Außenministers geht – oder eben: Außenministerin, derzeit noch die Britin Catherine Ashton. Um kein Amt wird so sehr gerangelt wie um ihres. Italien will seine Außenministerin Federica Mogherini, Linke, Politikwissenschaftlerin, 41 Jahre alt, auf dem Posten.

Mehr als zehn KommissarInnen  müssen Frauen sein

Das ist nicht im Interesse aller. Zu jung, zu unerfahren, den osteuropäischen Staaten zu russlandfreundlich, so die Kritik. Dabei wäre sie als Sozialdemokratin eine Ergänzung zum konservativen Juncker. Der hingegen favorisiert die Bulgarin Kristalina Georgieva, ebenso eine Konservative. Und als scheidende Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten in Sachen Europa-Politik erfahrener als Mogherini.

Auch für die Präsidentschaft des Europäischen Rates war eine Frau im Gespräch: Die dänische Ministerpräsidentin und Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt. Auch auf die konnten sich die Regierungschefs nicht einigen. Allerdings auch nicht auf einen männlichen Gegenkandidaten.

Das Theater wird also weitergehen. Und sein Ausgang wird auch ein Signal sein, wie es in Sachen Frauen in der Europäischen Union weiter geht. Die gilt als der wichtigste Motor der Gleichberechtigung in den Mitgliedsländern. Zumindest bisher. Denn Jean-Claude Juncker ließ bei der Vorstellung seiner politischen Agenda am Dienstag doch einige Fragen offen. Die Arbeitslosen waren Thema und der digitale Wandel. Die Wirtschaftskrise, das Freihandelsabkommen mit den USA und ein neuer Kommissar für Flüchtlinge. Nur die Frauen und die Gleichberechtigung, die kamen - jenseits der Personalpolitik der Europäischen Kommission – leider nicht vor.

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