Frauen in der Fremde

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Schon Anfang des Jahrhunderts schrieb sie über Schleierzwang in Algerien und Prostitution in Japan, über hosentragende Nomadinnen in Lappland und zigarrenrauchende Händlerinnen in Burma. Die Fotos und Feuilletos der Wiener Reisejournalistin Alice Schalek waren lange verschwunden. Jetzt zeigt das Hamburger "Stern"-Haus eine Ausstellung.

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Eine „sensationsgeile Kriegsberichterstatterin“ sei sie, befand Karl Kraus verächtlich, und er hatte mit seinem Urteil nicht nur Unrecht. Tatsächlich berichtete Alice Schalek seit 1915 mit einiger Begeisterung von der „grandios organisierten“ Gebirgsfront, widmete sich in ihren Artikeln aber so wenig dem Feind, dass der Verteidi­gungs­minister nicht recht zufrieden war und einige Abgeordnete ihre Abberufung anstrengten. Denen war die Schreiberin und Fotografin, die schon seit 1903 die Welt bereist und sich bei Kriegsbeginn einen Namen als Reisejournalistin gemacht hatte, auch aus einem anderen Grund suspekt: Eine Frau gehörte an den Herd und nicht an die Front – „weibliche Sen­sations­gier und Abenteuerlust“, fanden Genie Kraus & Co., habe dort fernzubleiben.
Ihre Abenteuerlust ließ sich die 1847 in Wien geborene Tochter eines „Annoncenhändlers“ so wenig nehmen wie ihren Blick auf die Frauen: Die erklärte Feministin Schalek interessiert sich auf ihren Reisen weniger für Gebäude und Landschaften, sondern mehr für die Menschen, auf die sie trifft – vorzugsweise für die weiblichen. So schreibt Schalek über den ersten Frauenkongress in Indien; das Schicksal junger japanischer Geishas; Jungfrauen auf Samoa, die Besuchern als Gastgeschenk angeboten werden; oder ihren Besuch bei der amerikanischen „Federation berufstätiger Frauen“. Ihre Berichte und Fotos veröffentlicht die Journalistin (und Bergsteigerin) in der Berliner Illustrierten, den Münchner Neuesten Nachrichten oder der Wiener Freien Neuen Presse – bis die österreichische Jüdin Schalek 1939 wegen „Verdachts der Greuelpropaganda“ von den Nazis verhaftet wird. 1940 emigriert sie nach Amerika und stirbt 1956 in New York. Nach dem Jüdischen Museum in Wien zeigt vom 12. Juli bis 10. August das Hamburger „Stern-Haus“ eine Schalek-Ausstellung: „Von Samoa zum Isonzo“.
(Katalog: Mandelbaum Verlag)
EMMA Juli/August 2000
 

Purdah-Damen

Zum ersten Mal haben sich nun in Indien, dem Lande der Frauenunterdrückung, Vorkämpferinnen für die Befreiung der Frauen zusammengefunden, um auf einem öffentlichen Kongreß freimütig die furchtbaren  Miß­stände zu enthüllen, die das Leben der Inderin geistig, sittlich und körperlich un­ter­graben. Als sich die achtzigjährige Fürstin Bhopals als Ehrenpräsidentin an die Spitze des Komitees gestellt hatte, ließ man sie gewähren, aber der Konferenz wurde vorgeschrieben, nur Erziehungsfragen auf die Tagesordnung zu stellen, wodurch die brennenden Probleme der Wiederverheiratung von Witwen, des Ausschlusses der Frauen vom Erbrecht, der Zahlung von Alimenten für Geschiedene und vor allem des Verbots der Kinderheirat unerörtert bleiben sollten. Letzteres kommt nun doch auf das Programm, weil durch die frühe Verheiratung die Kinder vom Schulbesuch abgehalten werden.
Nach der Eröffnungsansprache der Vizekönigin hält die achtzigjährige Fürstin eine von ihr selbst entworfene Rede gegen das Purdah, das ist die Sitte der Verhüllung des Antlitzes und der Verschließung der Frauen in das Zenana, das Frauengemach. Und dabei ist die alte Dame selbst noch in einem Purdah-Schleier und in einem Purdah- Auto zur Sitzung gekommen. Rauschender Beifall dankt ihr, aber nicht nur aus dem Parkett, wo die bereits modern gewordenen indischen Frauen mit unverhülltem Gesichte sitzen, sondern auch von der Galerie, wo hinter einem dichten rosa Musselinvorhang zahlreiche Purdah-Damen der Tagung beiwohnen. Still und bescheiden sitzen die Witwen da; daß sie überhaupt anwesend sein dürfen, ist eine ungewöhnliche Neuerung. Wiewohl diese Frauen als erste einer höheren Bildung teilhaftig geworden sind, sprechen sie vollkommen frei und mit hinreißendem Schwung, nur einmal klingt die Rednerstimme schüchtern und verlegen, steht doch eine Witwe oben auf dem Podium. Die Nachbarinnen hatten ihr zuerst zureden müssen, sich zu melden, sie hatte es anfangs unter qualvollem Erröten abgelehnt, aber man hatte sie geradezu hinausgeschoben. Die überwältigende Tatsache, daß eine indische Witwe in Sachen der Befreiung ihres Geschlechtes eine öffentliche Rede hält, entflammt das ganze Auditorium zu minutenlangem Beifall.
 

Ans gehorchen gewöhnt

Eines Abends führt mich mein Landsmann in das Geishaviertel, wo ich ein wenig von außen in eines der Geishabureaus hineingucken kann. In einem ebenerdigen offenen Raum mit zahlreichen Telephonen, hinter einer Schranke, wie in einem Kassenraum einer Bank, sitzen an Pulten Schreiber und Buchhalter. Hierher kommen die Bestellungen auf Geishas von den Tischgesellschaften der Hotels, von denen die meisten im nahen Umkreise stehen. Aus jedem dringt Musik und Lärm, wenn auch lange nicht so wüst und tierisch wie aus chinesischen Ver­gnüg­ungs­vierteln. Noch weiter draußen liegt das ehemalige Yoshiwara, wo die lebende Ware seit kurzem nicht mehr wie einst im Schaufenster ausgestellt werden darf. Seitdem haben die verrufenen Häuser in Tokio im Toreingang einen kleinen Schauraum aufgebaut, in welchem sehr große Photographien der Mädchen in einer Reihe an der Wand hängen. Schließlich fahren wir bis an den Rand der Stadt hinaus, in denjenigen Teil des Yoshiwara, der vor einigen Jahren abgebrannt und nun ganz neu erbaut ist. Vor zwölf Jahren, als in den Auslagen der niedrigen Schuppen Mädchen einen lebenden Blumenladen bildeten, war diese damals lichtübersäte Straße ganz toll und verschwenderisch herausgeputzt. Jetzt ist es hier verhältnismäßig finster. Angesichts dieser modernisierten Hölle erzählt mir mein Begleiter von den kleinen Mädchen, die hier leben und sterben. Ihr Gewerbe, das sie als Opfer auf sich nehmen, wird von niemandem, auch nicht von ihnen selbst als Schande betrachtet. Nur sind diese Mädchen oft so tieftraurig, daß der euro­päische Gast manchmal mitleidig gerührt fortgeht, ohne sie zu berühren. Überhaupt wird es in Japan einem Manne zu leicht, ein Mädchen zu verführen, so sanft sind sie hier. So sehr an gehorchen gewöhnt, daß sie nicht wagen würden, sich zu versagen. Mit leiser vibrierender Stimme erzählt mir dies mein Freund, in dem tragischen Ton, der einem Ort wohl ansteht, wo hübsche kleine Musmehs an dem ihnen aufgezwungenen Lebenswandel sterben.

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