Frauen in der Musik stören nur?

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Das Ambiente hat etwas zutiefst Idyllisches. Der Blick aus dem großen Fenster ... ein Traum! Die Uckermark in Brandenburg, nordöstlich von Berlin ist Schauplatz des externen Meetings einer Popkulturzeitschrift. Es geht darum, den im Vergleich zur Landschaft draußen weit weniger blühenden Musikjournalismus des Hefts wieder ­attraktiver zu gestalten. Ich bin als Berater von außen hinzugeladen worden, damit die anwesenden Entscheider, bestehend aus Marketing und Redaktion, nicht allzu sehr im eigenen Saft köcheln.

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Nach dem gemeinsam zubereiteten Essen (Pizza backen als teambildende Maßnahme) und tausenden Kalorien später kann es los­gehen. Kick Off mit Brainstorming, wie es in der von Anglizismen verstopften Branche heißt. Die erste Wortmeldung gebiert sich kämpferisch. Kein Wunder, wird bei solchen Veranstaltungen den Beteiligten stets eingebläut, sie sollen „frei von der Leber“ sprechen. Schließlich zahlt der Chef die Hütte in der Uckermark nicht wegen der schönen Natur, es soll was rumkommen!

Die erste Forderung in dieser Runde lautet also: „Raus mit dem Binnen-I aus dem Impressum!“ Begründung: Es seien doch nicht mehr die Neunziger, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern habe sich längst vollzogen.

Wow! Ich blicke in die Runde. Irgendwas stimmt hier nicht. In dieser dem Binnen-I entwachsenden Real-Utopie sitzen ein Dutzend Macher eines auflagenstarken Printmagazins. Macher – ohne Innen. Denn es handelt sich um zwölf Männer. Die eine anwesende Frau führt Protokoll und bescheinigt auf Nachfrage, auch ihr bedeute geschlechterspezifische Sprache nichts, sie als Frau sei überhaupt nicht benachteiligt. Die anwesenden Männer brummeln zustimmend.

In diesem Moment drängt sich mir der Gedanke auf: Hat der Musikjournalismus, den es heute zu retten gilt, seinen Untergang auch einfach verdient? Platten besprechen, Bands interviewen, sowas halt. Musikjournalismus ist letztlich eine glamouröse Hilfswissenschaft, die seinerzeit als Beiwerk der Musikindustrie ­erwuchs – und seither in ungesund symbiotischer Abhängigkeit neben jener existiert. Daraus resultiert auch der negative Ruf: Hoffnungslos subjektiv und letztlich nur ein Promotionswerkzeug der großen ­Plattenlabels.

Um sich von diesem Stigma zu entfernen, bemüht sich der gemeine Musikjournalist gern um Verbindlichkeit. Es gebe sehr wohl einen Kanon, eine eigene Sprache in diesem Genre und die gilt es erst mal zu beherrschen, wenn man mittun möchte. Das ist wahr: Musikjournalismus besitzt einen Kanon und eigene Codes. Bloß strotzen die vor Chauvinismus und sind es selten wert, weitergegeben oder gar bewahrt zu werden. Denn das Referenzsystem im Musikjournalismus besitzt selten einen frischen Blick auf die Dinge, sondern ist seit jeher geprägt von einem sehr bürgerlichen Kunstverständnis und hängt dessen Geniegedanken nach. Das erweckte, gepeinigte oder verrückte Genie allein ist zu Höchstleistungen fähig. Ihm gebühren Lob und Respekt. Dass es ein ER ist, steht dabei außer Frage. Elvis, Beatles, Stones, Dylan, Kraftwerk, Bowie, Coldplay, Radiohead ... Typen, Typen, Typen, wohin man schaut. Öde, öde, öde.

Doch ist dieser Macker-Kult weit über die Spezialistenkreise der Musikjournalisten hinausgegangen. So gab es zum Beispiel vor einem Jahr den Social-Media-Trend, zehn Platten aufzulisten, von denen man sich am meisten geprägt fühlt. Heraus kamen all die kanonisch genialen Männerbands und Künstler. Outete man die sich per gegenseitiger Nominierung ins schier unendlich fortschreibende Würstchenparade als solche, liefen die üblichen Reflexe ab: „So, so, jetzt soll auch noch die Quote in die Lieblingsplattenliste eingeführt werden!“ (Quelle: Facebook-Pinnwand des Autoren dieses Textes).

Dabei gibt es zahlreiche relevante Frauen im Popbetrieb. Ihr Status ist aber nicht der, den ihre männlichen Kollegen genießen. Was auch daran liegt, dass sich die Sprache des Musikjournalismus an dieser Stelle allzu oft teilt. Männer werden über den genannten Genius und das Werk kommuniziert, Frauen über ihr ­Geschlecht und den Körper.

Madonna ist dabei vielleicht die Einzige, die auf Augenhöhe in dem zugrundeliegenden Wertesystem auftaucht, aber auch hier beschäftigt sich die Rezeption in den Magazinen weitgehend mit dem (älteren) weiblichen Körper auf der Bühne statt mit der Musik. Diese Form der Erzählung müsste man sich mal bei Bob Dylan vorstellen. Undenkbar! Wie kann man einen solch bedeutenden Mann an seinem Äußeren messen?! Würde sich vermutlich der Bundespräsident einschalten.

Plus: Eine Band mit Männern ist eine Band. Eine Band mit Frauen ist eine Frauenband. Ein gern gesetztes Lob in der Berichterstattung ist das Folgende: Frauen seien an ihren Instrumenten „genauso gut wie ihre männ­lichen Kollegen“. Würde man über eine Männerband schreiben, dass diese sich nicht hinter ihren Kolleginnen verstecken muss, der Autor käme nicht in ein Musikmagazin, sondern vermutlich in eine Heilanstalt.

Wie all diese fehlende beziehungsweise defekte Repräsentation von Frauen im Pop in Wechselwirkung mit dem angeschlossenen Popkulturbetrieb steht, machten zuletzt im Internet kursierende Bilder deutlich. Sie zeigen die Plakate großer Festivals wie Rock am Ring, Hurricane oder Summerjam. Allerdings finden sich alle Bands rausgelöscht, die aus Männern bestehen. Somit offenbaren die übrig gebliebenen Versionen, wie viele Frauen das Line-Up beherbergt. Teilweise bleiben nur zwei oder drei Acts stehen. Aus dem Drei-Tages-Festival mit fünf Bühnen wird da schnell eine Veranstaltung, die man an einem Abend durchziehen könnte.

Doch trotz all der strukturellen Jungs­herrlichkeit in dieser Welt gibt es auch in Deutschland einflussreiche Musikjournalistinnen. Es wäre kontraproduktiv, das an dieser Stelle zu verschweigen. Stellvertretend namentlich genannt seien die ehemaligen Spex-Redakteurinnen Sandra und Kerstin Grether, die bis heute in einer Vielzahl von Medien gegen die Ausblendung von Frauen im Musikjournalismus anschreiben – und zudem mit ihrer Popband „Doctorella“ die verkrusteten Mechanismen auch noch von der Künstlerinnenseite herausfordern.

Solchen engagierten Protagonistinnen ist es zu verdanken, dass man den kontemporären Musikjournalismus doch noch nicht knicken muss. Wenn es die Männer schon zu selten tun, schreiben die Autorinnen eben über Frauen in der Musik. Über die Jungs gibt es ja bereits genug Artikel.

Also guckt man nach den Platten weiblicher Acts, weil man sich einerseits identifizieren will und kann, und sich andererseits freut, etwas Eigenes gefunden zu haben. Ist aber natürlich ein Errichten von Zäunen und Luise Pusch’schen Frauenräumen, die man eigentlich überwunden haben wollte. Dazu kommt, dass frau sich manchmal betont vorsichtig und unkritisch über Platten von Frauen äußert, um nicht als stutenbissig zu gelten.

Doch eine Erkenntnis ist nicht verhandelbar: Popkultur und Poptexte, in denen sich alles nur um Typen dreht, sind vor allem auch deshalb abzulehnen, weil sie so wahnsinnig langweilig sind. Gedanken, Hits, Akkorde, Befindlichkeiten, Einschätzungen nur von Männern? Nein, danke. Musikjournalismus für alle!

PS: Das Impressums-Binnen-I wurde seinerzeit in der Uckermark übrigens doch nicht abgeschafft – nach hitziger Debatte.               

Linus Volkmann

 

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