Frauen im Iran: In Ohnmacht erstarrt
Die iranische Frauenbewegung“, sagt Shadi Sadr, Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin aus Teheran und jetzt im Exil in Deutschland, „die iranische Frauenbewegung ist schockgefroren.“ Dabei waren die Frauen bei den Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen im Juni 2009 die treibende Kraft des Protests. Über drei Millionen Menschen gingen damals auf die Straße. Noch nie waren so viele protestierende Frauen zu sehen, noch nie hatten Frauen so stark das Bild Irans im Ausland geprägt. „Sie waren es, die den Ton angaben, die Parolen ausgaben und die Proteste anführten“, erzählt der Angehörige einer Botschaft in Teheran.
Weil das Regime befürchtet hatte, dass die Proteste am 12. Juni, ein Jahr nach den umstrittenen Wahlen, wieder aufflammen könnten und die Oppositionsführer Mousavi und Karrubi zu friedlichen Kundgebungen aufgerufen hatten, wurden vorsorglich Oppositionelle festgenommen, darun ter zum fünften Mal auch Mahboubeh Karimi, eine der Aktivis - tinnen der „Eine Million-Unterschriften-Kampagne“ für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz. Seit dem 20. Mai hat Mahboubeh keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie.
Die Bilder dieser Frauen, die gesellschaftliche Veränderungen mit aller Kraft erzwingen wollten, gingen um die Welt. Zuerst die Fotos von perfekt geschminkten, schönen jungen Frauen mit grünem Stirnband und Sonnenbrille. Dann die Fotos von Frauen im schwarzen Tschador, die Studenten, die von Basidj-Milizionären verprügelt wurden, ohne zu zögern zur Hilfe eilten. Dann die Fotos von Müttern, die Woche für Woche in öffentlichen Parks die Bilder ihrer zu Tode gebrachten Kinder hochhielten und die in ihrer Trauer unbezwingbar geworden waren. Die Mütter wurden aus den Parks vertrieben, verwarnt und Mitte Februar sieben von ihnen verhaftet. Aus dem Gefängnis entlassen, zeigten sie erneut die Bilder ihrer toten Kinder in der Öffentlichkeit.„Was wären wir für Mütter, wenn wir nicht um unsere Kinder trauerten?“, fragen sie.
Die Menschenrechtlerin Shadi Sadr berichtet von einer Aktivistin der Frauenbewegung, die in ihrer Wohnung verhaftet wurde, ohne Haftbefehl. Ihr Laptop wurde mitgenommen, Nachricht über ihren Verbleib bekam die Familie nicht. Doch dann war die Verhaftete plötzlich online. Ihre Freundinnen dachten, sie sei aus dem Gefängnis entlassen worden und berichteten ihr, was in der Zwischenzeit passiert war. Die schriftlichen Gespräche gingen hin und her, bis herauskam, dass die Frauen die ganze Zeit nicht etwa mit ihrer Freundin gechattet hatten, sondern mit dem Vernehmungsbeamten. Der wusste nun bestens Bescheid.
60 Aktivistinnen wurden verhaftet. Sie sollten bekennen, dass sie als „Agentinnen des Westens“ gehandelt hätten. Die allermeisten wurden inzwischen gegen die Zahlung einer hohen Kaution entlassen. Wer nicht zahlen kann, steht mit der eigenen Wohnung dafür ein.
„Es gab Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung insbesondere in Teheran“, lautet die Position eines Regierungssympathisanten, „aber im Land insgesamt hat Ahmadinedjad gesiegt. Wenn die Opposition das nicht anerkennt, muss sie so eingeschüchtert werden, dass sie ihren Widerstand aufgibt und sich wieder an die Gesetze hält. Sie muss es mit der Angst bekommen.“ Fünf politische Häftlinge wurden am 17. Mai hingerichtet.
Ziel der regierenden Hardliner ist es, „die göttliche Ordnung“ wiederherzustellen und mit aller Macht die „samtene Revolution“ zu verhindern. Bis das erreicht sei, so Saieed Hassan Firuzabadi, General der dem obersten Geistigen Führer Ali Khamenei direkt unterstellten Basidj-Milizen, müsse „die Demonstration von Autorität“ weitergehen. Und sie geht mit Gewalt weiter: „Daftar-e Tahkim Vahdat“, die größte Studentenorganisation Irans, steht unter wachsendem Druck, sich aufzulösen, Mitglieder des Zentralrats sitzen im Gefängnis. Zu neuneinhalb Jahren Gefängnis wurde jetzt die Studentin Bahareh Hedayat wegen Beleidigung der Staatsführung und Störung der nationalen Sicherheit verurteilt. In Gilan mussten die StudentInnen schwören, nicht an den Demonstrationen der Grünen Bewegung teilzunehmen, sonst drohe ihnen der Ausschluss aus den Universitäten. Die Wahl des Vorstands der Rechtsanwaltskammer wurde massiv behindert, die Hälfte der Kandidaten wurde disqualifiziert. Der Status unabhängiger Rechtsanwälte ist in der Schwebe. Die Farbe Grün, die Farbe des Propheten wie der Grünen Demokratiebewegung, ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Bei drei Gelegenheiten wurde im Fernsehen sogar der grüne Streifen der iranischen Nationalfahne durch einen blauen ersetzt.
Vor den Wahlen im Juni 2009 schien für eine kurze Zeit ein friedlicher Übergang zu mehr Demokratie in Reichweite zu liegen. Eine Aufbruchsstimmung erfasste die Gesellschaft, überall wurde über die Wahlen, die Kandidaten und eine bessere Zukunft diskutiert. Studenten konfrontierten die Präsidentschaftskandidaten mit ihren Forderungen nach mehr Demokratie und Freiheit. Säkulare und religiöse Frauen schlossen sich zu einer breiten Koalition zusammen und ihre Abgesandten befragten die Anwärter auf das Präsidentenamt nach ihrem Programm für die Frauen. Also konkret: „Herr Kandidat, was werden Sie für die Frauen tun, sollten Sie Präsident werden?“ – „Halten Sie es für gerechtfertigt, dass Ihre Tochter nur die Hälfte dessen erbt, was Ihr Sohn erben wird?“ – „Werden Sie die Gesetzesvorlage unterstützen, mit der die Polygamie erleichtert werden soll?“ – „Werden Frauen in Ihrem Kabinett vertreten sein?“ Etc. etc.
Die Liste der Fragen ist lang. Die Frauen der „Stop-Stoning-Initiative“ fragten, warum in entlegenen Gebieten immer noch Frauen für Ehebruch gesteinigt würden. Und das, obwohl es eine Abmachung zwischen der Islamischen Republik und der EU gibt, auf diese archaische Strafe zu verzichten. Die Frauen der Kampagne „Eine-Million-Stimmen-Kampagne“ fragten, warum CEDAW, die UN-Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau, zwar in der Ära des liberalen Präsidenten Khatami im iranischen Parlament eine Mehrheit gefunden hätte, aber noch immer nicht in Kraft getreten sei. Die „White Scarfs“ erkundigten sich, wann endlich auch Frauen in die Fußballstadien dürften. Und die „Mütter für den Frieden“ schließlich forderten Auskunft darüber, warum Iran die Konflikte der Region eher anheize als zu ihrer Lösung beizutragen.
Es schien ein großes Tauwetter. Der Kandidat Mir-Hussein Mousavi, in den 80er-Jahren Premierminister der Islamischen Republik; der Geistliche Mehdi Karrubi, während zwei Legislaturperioden Vorsitzender des Parlaments; und sogar Mohsen Rezaei, ein ehemaliger Befehlshaber der Revolutionswächter, versprachen öffentlich, mehr Frauen in die Regierung zu holen. Von Ahmadinedjad aber war keine Antwort zu hören. Nach der Wahl schlug er dann zwei Frauen als Ministerinnen vor. Nur eine einzige konnte im Parlament die nötige Zustimmung erzielen.
Aber zurück: Die Repräsentantinnen der säkularen und der religiösen Frauen und die Sprecherinnen der Kampagnen einigten sich vor der Wahl auf zwei grundlegende Forderungen: Die Islamische Republik Iran sollte endlich die UN-Konvention CEDAW gegen die Diskriminierung von Frauen in Kraft setzen; die Verfassung sollte vorbehaltlos geprüft und alle Gesetze, die Frauen benachteiligen, sollten geändert werden.
Doch dann gewann Ahmadinedjad –aller Plausibilität zuwider – angeblich turmhoch und der oberste Geistige Führer, Ali Khamenei, segnete dieses Ergebnis trotz der öffentlich geäußerten Zweifel und trotz lautstarker Forderungen nach einer umfassenden Überprüfung umgehend ab.
Nun begehrten die Menschen, die sich um den Sieg ihrer Kandidaten betrogen fühlten, auf – wie noch nie in der Geschichte der Islamischen Republik. Der friedliche Aufstand erschütterte das Gefüge der Islamischen Republik. Frauen, Studen - ten, Gewerkschaftler, Bazaris, liberale Geistliche, Akademiker, aber auch Leute aus dem armen Teheraner Süden und aus der Provinz kamen in der „Grünen Bewegung“ zusammen.
Einige Zeit sah es so aus, als würden die spezifischen Forderungen der Frauen im allgemeinen Kampf gegen Despotie und für Demokratie untergehen. „Die Opposition ist geschlechtsneutral geworden“, klagten die Aktivistinnen. Doch sie haben vom Aufstand gegen den Schah 1979 gelernt: Ein zweites Mal wollten die Frauen es nicht hinnehmen, dass ihre Forderungen als weniger wichtig „auf später“, und das hieß auf den St. Nimmerleinstag, verschoben werden.
Am 8. März, zum Internationalen Frauentag, trafen also die Vertreterinnen aller Richtungen der Frauenbewegung mit Sahra Rahnavard, der Ehefrau von Mir-Hussein Mousavi, zusammen. Mutig und allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz wiederholten sie mit Nachdruck ihre politischen Parolen und demonstrierten der Öffentlichkeit: Wir sind noch da und wir machen weiter.
Am Anfang des Protests hatte die Frage gestanden: „Wo ist meine Stimme geblieben?“ Nach der ersten Welle der Repres - sion hörte man: „Freiheit für alle politischen Gefangenen! Freiheit für die Presse! Freiheit, sich zu versammeln!“ Dann ging es darum, diejenigen, die für Folter und die Hinrichtungen in den Gefängnissen verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen. Die Regierung, die sich auf die Armee, die Bataillone der Revolutionswärter, die Milizen, den Geheimdienst, die staatlichen Medien und auf die vielen stützen kann, die von der Verteilung der Ölgelder leben, schlug um sich und machte jeglichen Kompromiss zunichte. Obwohl Kompromisse inzwischen sogar von Teilen des konservativen Establishments verlangt werden.
Inzwischen hat sich die Koalition der Frauen – soweit sie nicht im Exil oder Gefängnis sind –, wieder zusammengefunden. Die Frauen veröffentlichten ein Statement: „Wir stehen hier, um gemeinsam unsere Sorgen über die wachsende Gewalttätigkeit in der Gesellschaft zu äußern. Wir stehen für Gewaltlosigkeit.“ 50 Einzelpersonen haben unterschrieben, in ihrem Namen, nicht in dem einer Gruppierung.
Die Sorge der Unterzeichnerinnen bezieht sich dabei nicht nur auf die Gewalttätigkeit der Milizen, der Gefängniswärter und des Geheimdiensts; sie hat auch die jungen ProtestlerInnen im Visier, die den Beleidigungen und der Brutalität der bewaffneten Verteidiger des Regimes ihre Wut entgegenschleudern. Geschichten von brennenden Polizeimotor - rädern und Regierungsgebäuden machen die Runde. Und es ist die Rede von kleinen Gruppen junger Frauen, die mit den kämpferischen Männern gleichziehen.
Heikel ist da die Gratwanderung von Oppositionsführer Mousavi. Er hat die Verantwortung, dass es zu keinen Massakern unter seinen Anhängern kommt, und er muss die Hoffnung auf einen Wechsel offen halten. Dafür hat er nichts als seine Stimme. Aber bislang, so Shadi Sadr, wird gewaltsamer Widerstand von nur ganz wenigen Parteigängern der Grünen Bewegung begrüßt – die vielen tausend Toten der Revolution von 1979 stecken den Menschen noch immer in den Knochen.
Doch der Aufruf zur Gewaltlosigkeit schützt die Frauen nicht. Sahra Rahnaward, Ehefrau von Mousavi, wurde auf einer Versammlung in der Uni mit Reizgas besprüht und auf einer Kund gebung mit einem elektrischen Knüppel geschlagen. Von Fatemeh Karrubi, der Ehefrau des anderen Oppositionsführers, ist zu hören, dass ihre Wohnung während ihrer Abwesenheit von bezahlten Randalierern demoliert worden sei.
Wo aber bleibt die bis vor kurzem noch so lebendige Frauenbewegung? „Schock - gefroren“, wiederholt Shadi Sadr. Gerade wurde auch die Aktivistin in Abwesenheit wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu sechs Jahren Haft und 74 Schlägen verurteilt, berichten entsetzte Studentinnen aus dem Iran. „Glut unter der Asche“ –diese Worte hört man inzwischen immer wieder. „Wenn der Wind das Feuer erneut anfacht, sind wir alle wieder da.“
Mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen ist inzwischen weiblich, die Forderungen nach Gleichheit werden mit Sicherheit auch in Zukunft nicht verstummen. Und es gibt eine neue Gemeinsamkeit der Generation, die der Protest erweckt hat. Rührend und bezeichnend ist da die Geschichte eines Ayatollah und seiner zwei Töchter. Als die beiden Studentinnen von einem Besucher gefragt wurden, ob sie die Geschichten ihres Vaters von der heroischen Revolution von 1979 nicht manchmal satt hätten, antworteten sie: „Ja. Aber nachdem wir selbst an den Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen teilgenommen haben, haben wir nun unsere eigenen Erfahrungen mit der Despotie. Unser Vater kämpfte gegen den Schah und wir gegen den, sagen wir: neuen Schah. Und so kämpfen wir inzwischen gemeinsam gegen Despotie.“
Selbstbewusst bewegen sich die jungen Frauen heute in der Öffentlichkeit, neugierig und freundlich sprechen sie die Frauen aus dem Ausland an, Politik ist allerdings kein Thema. Aber dann schenkt mir eine junge Lehrerin in Shiraz, beim Grab des von allen Iranern verehrten Dichters Hafez, ein Poster, darauf Zeilen in der wunderschönen persischen Kalligrafie. Was denn da stünde, frage ich sie. „Wissen Sie, dass der persische Herrscher Cyros die erste Erklärung universaler Menschenrechte verfasst hat? Hier steht sie. Ein Geschenk für Sie.“ Lächelt, winkt und geht.