Wohin mit dem Geld? Frauen stiften an!
Die Berlinerin Irene M. Sie ist 78 Jahre alt, kommt aus einer bürgerlichen Familie, hat geerbt und als Akademikerin ihr Leben lang gut verdient. Sie hat eine Tochter, die längst erwachsen ist und ebenfalls beruflich qualifiziert. Die wird von der einen Million, die Irene besitzt (ein Haus und Aktien), den Pflichtteil erben. Das weiß sie und ist damit in Frieden. Den stattlichen Rest will Irene, die ihr Leben lang eine engagierte Feministin war und ist, in eine Stiftung für Frauen einbringen. Eine Stiftung, die sich ganz sicher einsetzt sowohl für ihre Generation als auch für die Töchter und Enkelinnen. Sie sucht noch nach der passenden Stiftung. Ein entsprechendes Testament hat sie bereits aufgesetzt.
Die Protestgeneration, die 68er und die Frauenbewegten, gehen in Ruhestand, werden alt, sterben. Manche sind in der Altersarmut gelandet, vor allem die Frauen, manche kommen gerade über die Runden. Aber nicht wenige haben mehr Geld, als sie für sich persönlich benötigen. Und sie wollen es über sich hinaus sinnvoll einsetzen, etwas tun. Für Feministinnen liegt da nahe, in die Förderung von Frauen und feministischen Projekten zu investieren, also in die Zukunft der Töchter- und Enkelinnengeneration. Wie können sie fündig werden?
Wer beim „Bundesverband Deutscher Stiftungen“ bei der „Stiftungssuche“ das Suchwort „Frauen“ eingibt, bekommt stolze 295 Ergebnisse. Diese relativ große Zahl täuscht allerdings. Denn hier ist alles versammelt: Zum Beispiel Stiftungen, die von Frauen gegründet wurden, aber nicht speziell Frauen- und Mädchen fördern, sondern zum Beispiel den Kinder- oder Umweltschutz. Oder bei denen die Unterstützung von Frauen und die „Förderung der Gleichberechtigung“ einer von mehreren Stiftungszwecken ist. Im Jahr 2019 hat der „Bundesverband Deutscher Stiftungen“ seine „Grundsätze guter Stiftungspraxis“ um den Punkt „Geschlechtergerechtigkeit“ erweitert. Die sei „anzustreben“, heißt es dort. Was dazu geführt haben dürfte, dass sich seither etliche Stiftungen die Förderung der „Geschlechtergerechtigkeit“ in die Satzung geschrieben haben, um der (letztlich unverbindlichen) Ansage des Dachverbandes genüge zu tun und sie umzusetzen – oder auch nicht.
Von den Stiftungen, deren Zweck einzig die Förderung von Frauen und Mädchen ist, haben nicht wenige einen kirchlichen Hintergrund. Ob damit allerdings immer im Sinne der Frauen gehandelt wird, darf bezweifelt werden, wenn zum Beispiel der „Schutz ungeborenen Lebens“ der Stiftungszweck ist. Andere Stiftungen widmen sich der Frauengesundheit, wie die „Deutsche Stiftung Eierstockkrebs“.
Stiftungen von Feministinnen für feministische Zwecke jedoch sind in der deutschen Stiftungslandschaft dünn gesät. Immer noch. Dabei gab es schonmal einen, wenn auch kleinen, feministischen Stiftungs-Boom. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her. Auslöser: eine Erbschaftswelle. „Die Feministinnen der ersten Stunde kommen nun in eine Lebensphase, in der die Privilegierteren durch den Tod ihrer Eltern zu Erbinnen werden. Sie überlegen, wie sie das Vermögen für den Fortbestand der feministischen Arbeit, die sie mit aufgebaut haben, einsetzen können.“ Das schrieb 1997 Marita Haibach in EMMA. Die Fundraising-Expertin und ehemalige Landtagsabgeordnete (Die Grünen) war von 1985 bis 1987 Staatssekretärin für Frauenangelegenheiten in der hessischen Landesregierung. Nach deren Scheitern ging die studierte Politologin in die USA, wo sie begann, sich auf das Thema „Frauen und Geld“ zu spezialisieren, genauer: Was Frauen mit ihrem Geld bewegen könnten. Und in den USA bewegten sie schon damals eine ganze Menge.
Schon mit der Frauenbewegung in den 1970er Jahren hatten die amerikanischen Feministinnen gleich eine Art Frauenstiftungsbewegung initiiert. Den Anfang machte Tracy Gary: Als 21-Jährige hatte sie in den 1970er Jahren zwei Millionen Dollar geerbt. Ein Großteil des Vermögens war in Aktien der Rüstungsindustrie angelegt. Tracy verkaufte die Aktien und legte das Geld neu an. 1981 gründete die Feministin mit zwei weiteren Frauen die „Women’s Foundation of California“. Als Mitarbeiterin eines Frauenhauses wusste sie genau, wie schwierig es war, Geld für das Women’s Shelter aufzutreiben. Gary entschied sich, vermögende Frauen in Sachen Philantropie zu schulen, also darin, ihr Geld für „menschenfreundliche“, in diesem Fall: frauenfreundliche Projekte, einzusetzen. 1984 startete sie das Projekt „Managing Inherited Wealth“ (Ererbtes Vermögen managen), das Erbinnen weiterbildete und vernetzte. Sie gründeten Netzwerke wie das „Women Donors Network“ oder „Women Moving Millions“. Innerhalb der folgenden 20 Jahre entstanden in den USA rund 70 Frauenstiftungen.
Eine davon ist „EMILYʼs List“, gegründet 1985. Denn die Amerikanerinnen hatten schnell begriffen, dass sie mit ihrem Geld nicht nur Charity betreiben, sondern auch handfest Politik machen konnten. „Emily“ steht für „Early Money is like Yeast“ – Frühzeitiges Geld ist wie Hefe. Mit ihren Spenden, in den USA unerlässlich für die Wahlkampagnen von PolitikerInnen, fördert EMILY’s List bis heute Kandidatinnen der Demokratischen Partei, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen. Beherztes Motto: „Run. Win. Change the World.“
Selbstredend haben die Emilys auch Hillary Clinton und Kamala Harris unterstützt. Beides ging zwar schief, aber der Erfolg von EMILY’s List kann sich trotzdem sehen lassen: 175 Kandidatinnen bugsierte die Initiative in vier Jahrzehnten ins Repräsentantenhaus, 26 in den Senat. 20 Gouverneurinnen gehen auf das Konto von EMILY’s List sowie rund 1.500 Politikerinnen in den Bundesstaaten und in der Lokalpolitik.
Gründerin von EMILY’s List ist Ellen Malcolm, die von ihrem Großvater, einem der Gründer des Computer-Giganten IBM, Milliarden geerbt hatte. Auch sie wollte ihr Vermögen im Sinne von Frauen einsetzen. Das ist eine Haltung, die in den USA, in denen weniger auf den Staat als auf privates Engagement gesetzt wird, sehr viel selbstverständlicher ist als hierzulande. Aber: Die Amerikanerinnen setzten keineswegs nur auf das Engagement einzelner Frauen mit großen bis riesigen Vermögen. Sondern auch auf sogenannte „Gemeinschaftsstiftungen“, zu der jede etwas beitragen konnte, je nach finanziellen Möglichkeiten. Auch EMILY’s List ist eine solche Gemeinschaftsstiftung.
All das erlebte mit wachsender Begeisterung Marita Haibach, als sie von 1988 bis 1990 an der Universität Washington zum Thema forschte. Schließlich promovierte sie über „Frauenbewegung in der Philantropie – Frauen verändern die Stiftungswelt in den USA“. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland machte sich Haibach daran, dafür zu sorgen, dass Frauen die Stiftungswelt auch in Deutschland verändern. „Auch in Deutschland ist die Zeit reif für eine Frauenstiftungsbewegung“, schrieb Marita Haibach vor 25 Jahren in EMMA.
Sie organisierte Erbinnen-Konferenzen, zu denen sie Amerikanerinnen wie Tracy Gary einlud. Gemeinsam mit der Bosch-Erbin Ise Bosch gründete sie das Erbinnen-Netzwerk „Pecunia“, in dem sich vermögende Frauen bis heute vernetzen. Und das nicht nur, um gemeinsam zu überlegen, wie sie ihr Geld zum Wohle von Frauen sinnvoll einsetzen können, sondern auch – und das mag die weniger vermögende Leserin verwundern – weil Erbin sein gar nicht so leicht ist.
Denn „Frauen und Geld“ das ist ja bekanntlich so eine Sache. Sie haben traditionell ein schwieriges Verhältnis dazu. Das hat einen einfachen Grund: Frauen hatten jahrhundertelang kein Geld. Ausnahmen bestätigen die Regel. Mit ihrer Heirat verloren Frauen nicht nur einen Großteil ihrer bürgerlichen Rechte, sondern auch die Verfügungsgewalt über ihr Geld, sollten sie denn welches mit in die Ehe gebracht haben. Von nun an verwaltete der Ehemann ihr Vermögen nach seinem Gutdünken. Erst 1958 durften in Deutschland Frauen ein eigenes Bankkonto eröffnen, ohne dazu die Erlaubnis ihres Mannes einzuholen. Hinzu kommt: Geld ist Macht. Und auch zu Macht haben Frauen traditionell ein gespaltenes Verhältnis.
„So gesehen ist Pecunia also nicht strahlendes Symbol einer neuen Generation von Frauen, die am gesellschaftlichen Reichtum ernsthaft und gleichberechtigt teilhaben“, schreiben die Pecunias. „Es ist der Anfang eines gerade mühsam entstehenden weiblichen Selbstbewusstseins, das sich nach Jahrzehnten des Kampfes um körperliche Selbstbestimmung nun auch der größten gesellschaftlichen Herausforderung stellt: dem Kampf um finanzielle Freiheit“ (in ihrem Buch „Wir Erbinnen – Frauen übernehmen Verantwortung“). Und weiter: „Eine der lesbischen Frauen unter den Pecunia-Erbinnen berichtet, dass ihr Coming-out als reiche Frau für sie weitaus schwieriger war als das Outing als Lesbe.“
Schwer verständlich? Genau das ist Teil des Problems. Denn während viel Geld Männer auf der Attraktivitäts-Skala nach oben katapultiert – und es selbstverständlich ist, dass ihre Partnerin von ihm finanziert wird – werden Frauen mit Geld eher misstrauisch beäugt. Und ein eventueller Partner gilt schnell als Loser oder Schmarotzer. Außerdem soll die vermögende Frau ihr Geld bitteschön für andere ausgeben.
„Ist es Zufall, dass männliche Erben mit großem Selbstverständnis nicht nur schweigend sehr viel mehr Geld einstreichen, sondern auch mit großer Selbstverständlichkeit die damit verbundenen Macht- und Prestige-Positionen in Aufsichtsräten von Unternehmen, Verbänden oder Stiftungen einnehmen? Dass damit niemand besondere Forderungen oder gar Vorwürfe verknüpft? Dass es den Erbinnen ganz anders geht?“, fragt Pecunia. Nämlich so: „Kein Artikel, der über das Pecunia-Netzwerk berichtet, kommt ohne den moralischen Appell aus, Geben sei seliger denn Nehmen. Wenn die Damen schon was haben, so scheinen sich alle einig, dann sollten sie es auch gleich wieder abgeben, zumindest teilen.“
Und in der Tat: Immer mehr Feministinnen wollen ihr Geld tatsächlich für Mädchen und Frauen einsetzen.
So gründete sich im Rahmen des kleinen Stiftungs-Booms um das Jahr 2000 zum Beispiel „filia. Die Frauenstiftung“. „filia versteht sich als Tochter der Frauenbewegung. Daher der Name: filia ist das lateinische Wort für Tochter. filias Mission ist es, Mittel zur Verfügung zu stellen und diese zu ‚verwandeln‘, indem sie Geld in Aktivitäten von Frauen und Mädchen für Frauen und Mädchen fließen lässt“, schrieben die Gründerinnen, darunter Marita Haibach und Ise Bosch, im Gründungsjahr 2001. Schwerpunkt von filia sind Mädchen- und Frauenprojekte im Ausland, vom Women’s Center Shushi in Armenien bis zum Mädchenprojekt GrlzWave in Georgien. Ein „Mädchenbeirat“ entscheidet mit, wo das Geld der Gemeinschaftsstiftung gebraucht wird.
Doch der vor einem Vierteljahrhundert so euphorisch ausgerufene Stiftungsboom „hat sich leider nicht ganz so dynamisch entwickelt, wie ich gehofft hatte“, bedauert Marita Haibach heute im Gespräch mit EMMA. Ein Grund dafür sei die Finanzkrise von 2008 gewesen und auch die extreme Niedrigzinsphase der letzten Jahre sei ein großes Problem. Denn Stiftungen dürfen in der Regel nichts aus dem Stiftungskapital auszahlen, sondern nur aus den Zinserträgen.
Dennoch gibt es inzwischen ein gutes Dutzend Stiftungen, mit denen Feministinnen Frauen- und Mädchenprojekte fördern. Sei es, dass sie Frauenforschung betreiben, wie zum Beispiel die MaLisa-Stiftung von Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth (die regelmäßig Studien zur medialen Präsenz von Frauen in Auftrag geben). Sei es, dass Stiftungen die Geschichte der Feministinnen und der Emanzipation der Frauen sichern, wie das von Alice Schwarzer gegründete feministische Archiv FrauenMediaTurm in Köln (siehe Seite 54). Sei es, dass Stiftungen Frauen in Not unterstützen, wie die von der jüngst verstorbenen Lea Ackermann gegründete Solwodi-Stiftung für die Opfer von Frauenhandel; sei es, dass sie das von den Nazis geraubte jüdische Eigentum „Zurückgeben“ wollen, wie die Albert-Speer-Enkelin Hilde Schramm mit ihrer gleichnamigen Stiftung, die jüdische Künstlerinnen fördert. Oder sei es die Förderung von Frauen in der Wissenschaft und das mal ganz pragmatisch: Mit der Christiane-Nüsslein-Volhard-Stiftung finanziert die Nobelpreisträgerin vielversprechenden Wissenschaftlerinnen eine Haushaltshilfe – damit sie mehr Zeit zum Forschen haben.
Und so rollt nach der ersten Stiftungs- und Spendenwelle um das Jahr 2000 jetzt, da die feministischen Erbinnen von damals langsam selbst ans Vererben denken müssen, eine zweite. „Wichtig dabei ist, dass Frauen anfangen, großzügig zu denken. Die Vielfalt feministisch motivierter Geldsammlungen und Stiftungsgründungen kann gar nicht groß genug sein“, schrieb 1997 Marita Haibach. Die „Zukunft der Frauen entscheidet sich heute.“
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