1970: Firestone über die Liebe
Ein feministisches Buch, das sich nicht mit der Liebe auseinandersetzt, wäre ein politischer Fehlschlag. Denn die Liebe ist – wahrscheinlich mehr noch als das Kinderkriegen – der Schlüssel zur Unterdrückung der Frauen heute. Ich weiß, dass dies eine erschreckende Frage beinhaltet: Wollen wir die Liebe abschaffen?
Das Gefühl der Panik, das uns ergreift, sobald die Liebe bedroht wird, ist ein klarer Hinweis auf ihre politische Bedeutung. Ein weiterer Hinweis, dass die Liebe der zentrale Punkt jeder Analyse der Frauen- oder Sexualpsychologie ist, besteht darin, dass sie aus dem kulturellen Leben ausgeschlossen ist und in den „persönlichen Bereich“ abgeschoben wird (Wer hat jemals von Logik im Schlafzimmer gehört?).
Für diesen Mangel an Analyse gibt es gute Gründe: Frauen und Liebe sind der Unterbau; werden sie analysiert, dann wird schon dadurch die gesamte Struktur der Kultur bedroht. Die herablassende Frage: „Was haben denn die Frauen gemacht, während die Männer ihre Meisterwerke schufen?“ verdient mehr als die naheliegende Entgegnung: Frauen waren von der Kultur ausgeschlossen und wurden in ihrer Rolle als Mutter ausgebeutet.
Liebe und Kultur sind aber noch sehr viel tiefer miteinander verwoben. Die Männer konnten denken, schreiben und kreativ sein, weil die Frauen all ihre Energie in diese Männer steckten. Simone de Beauvoir hat es ausgesprochen: „Das Wort Liebe hat für die beiden Geschlechter durchaus nicht denselben Sinn, und hierin liegt eine Quelle der schweren Missverständnisse, die sie voneinander trennen.“
Ich habe einige der traditionellen Unterschiede in der Liebe zwischen Mann und Frau aufgezeichnet, die so häufig bei Party-Gesprächen über die „Doppelmoral“ auftauchen und über die man sich allgemein einig ist: Frauen sind monogam, können besser lieben, sind besitzergreifend, anhänglich, haben eher Interesse an (sehr engen) „Beziehungen“ als an Sex und verwechseln häufig Zuneigung mit sexuellem Verlangen.
Männer sind vor allem daran interessiert, die Frau rasch „aufs Kreuz zu legen“, oder sie romantisieren Frauen auf geradezu lächerliche Weise. Haben sie erst einmal eine Frau sicher an der Angel, werden sie zu notorischen Schürzenjägern, die nie befriedigt sind und Sex mit Gefühl verwechseln.
Auf Grund dieser Unterschiede ziehe ich drei Schlüsse: 1. Männer können nicht lieben. 2. Die übermäßige Anhänglichkeit der Frauen wird durch ihre objektive soziale Situation verursacht. 3. Diese Situation hat sich nie grundlegend geändert.
Männer können nicht lieben. Wir haben gesehen, weshalb es den Männern schwerfällt zu lieben, und wenn sie lieben, dann „verlieben“ sie sich gewöhnlich in ihr projiziertes Bild. Meistens rennen sie einer Frau an einem Tag die Bude ein und sind am nächsten Tag gründlich desillusioniert. Aber die wenigsten Frauen verlassen ihren Mann, und wenn, dann tun sie es gewöhnlich aus mehr als einem guten Grund.
Es ist gefährlich, mit dem eigenen Unterdrücker Mitleid zu haben – Frauen sind ganz besonders anfällig für diesen Fehler –, aber in diesem Fall bin auch ich geneigt, der Versuchung nachzugeben. Nicht lieben zu können, muss die Hölle sein. Und so läuft es dann: Sobald der Mann irgendeinen Druck zur Bindung seitens der Partnerin spürt, gerät er in Panik und kann auf eine von verschiedenen Möglichkeiten reagieren:
Er rennt los und bumst mit zehn anderen Frauen, um zu beweisen, dass die erste Frau ihn nicht in der Hand hat. Wenn sie das akzeptiert, kann er die Beziehung zu ihr aufrechterhalten. Die anderen Frauen bestätigen seine (falsche) Freiheit, und gelegentlicher Streit ihretwegen hält seine Panik in Schach. Aber diese Frauen sind nur Papiertiger, es wird sich nichts besonders Tiefgehendes zwischen ihm und ihnen abspielen: Er hält sie in Schach, so dass keine viel von ihm bekommt. Clevere Frauen, die erkennen, dass es sich hierbei nur um ein Sicherheitsventil für die Angst ihres Mannes handelt, werden ihn an der „langen Leine“ halten; denn die wirkliche Ursache bei all den Auseinandersetzungen um andere Frauen ist die Unfähigkeit des Mannes, eine Bindung einzugehen.
Er verhält sich permanent unberechenbar. Er versetzt sie häufig, legt sich nicht auf die nächste Verabredung fest, erzählt ihr „Erst kommt die Arbeit ...“ oder hat ein Bündel anderer Entschuldigungen parat. Das heißt, er weigert sich, sie irgendwie zu beruhigen, obwohl er ihre Angst bemerkt hat. Oder er weigert sich sogar, ihre Angst als gerechtfertigt anzuerkennen. Er braucht ihre Angst als ständige Gedächtnisstütze, dass er sich immer noch frei fühlen kann und die Tür noch nicht ganz zugeschlagen wurde.
Wenn er zu einer (lästigen) Bindung gezwungen wird, zahlt er es ihr heim: Er schielt in ihrer Gegenwart nach anderen Frauen, vergleicht sie ganz und gar nicht schmeichelhaft mit früheren Freundinnen oder Filmstars, erinnert sie vor Bekannten hämisch daran, dass sie sein „Klotz am Bein“ sei, oder nennt sie seinen „Quälgeist“, „dumme Kuh“ oder „Xanthippe“. Oder er deutet an, dass er als Junggeselle sehr viel besser dran wäre.
Seine ambivalente Haltung zur „Minderwertigkeit“ der Frauen kommt ans Licht: Durch die Bindung an eine Frau hat er irgendwie die verhasste weibliche Identifikation vollzogen, die er nun immer wieder von neuem verleugnen muss, wenn er seine Selbstachtung in der (männlichen) Gesellschaft aufrechterhalten will. Diese ständige Herabsetzung ist nicht nur Angabe. Denn tatsächlich sieht auf einmal jedes andere Mädchen sehr viel attraktiver aus, und er kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass er etwas versäumt hat – und natürlich macht er seine Frau dafür verantwortlich.
Er hat nämlich die Suche nach dem Ideal niemals aufgeben, und sie hat ihn gezwungen, darauf zu verzichten. Ganz sicher wird er sich bis zum Grab betrogen fühlen und nie begreifen, dass zwischen der einen Frau und der anderen kein großer Unterschied besteht und dass die Liebe diesen Unterschied erst hervorruft.
Es gibt viele Möglichkeiten, um den heißen Brei herum zu schleichen. Viele Männer haben eine oberflächliche Affäre nach der anderen und ziehen sich immer dann zurück, wenn es brenzlig wird. Und dennoch, ein Leben ohne Liebe ist letztlich für Männer genauso unerträglich wie für Frauen. Die Frage, die sich deshalb jedem normalen Mann stellt, lautet: Wie kriege ich eine Frau dazu, mich zu lieben, ohne dass sie den gleichen Einsatz als Gegenleistung verlangt?
Die Lage der Frauen hat sich niemals grundlegend geändert. Seit Jahren haben die Frauen doppelt unter der Liebe zu leiden: Unter dem Vorwand der „sexuellen Revolution“, die angeblich stattgefunden hat, sind die Frauen dazu verleitet worden, ihre Rüstung abzulegen. Die moderne Frau hat einen Horror davor, als prüde Zicke angesehen zu werden, während ihre Großmutter das als den natürlichen Lauf der Dinge betrachtete. Selbst die Männer erwarteten zu Großmutters Zeiten, dass jede Frau mit Selbstachtung sie warten lassen und die angebrachten Spielchen ohne Scham spielen würde: Eine Frau, die nicht auf diese Weise ihre Interessen wahrte, wurde nicht respektiert. Das lag auf der Hand.
Das Gerede von der sexuellen Revolution aber erwies sich als praktisch für die Männer, auch wenn es keine Verbesserung für die Frauen brachte. Die modernen Frauen wurden davon überzeugt, dass die üblichen weiblichen Spiele und Forderungen grauenhaft, unfair, prüde, altmodisch, puritanisch und selbstzerstörerisch seien. Dadurch wurde ein neues Reservoir verfügbarer Frauen geschaffen und der magere Nachschub für die sexuelle Ausbeutung vergrößert, weil die Frauen sogar des geringeren Schutzes, den sie sich so mühsam erworben hatten, beraubt wurden. Die Frauen wagen heute nicht, die alten Forderungen zu stellen, aus Angst, dass ihnen dann ein ganz neues Vokabular, das nur zu diesem Zweck erfunden wurde, entgegengeschleudert wird: „verklemmte Ziege“, „Pissnelke“, „zugenäht“. Das Idealbild dagegen ist das „scharfe Klasseweib“.
Ja, Liebe bedeutet für Männer etwas vollkommen anderes als für Frauen: Sie ist Besitz und Kontrolle, bedeutet Eifersucht dort, wo er sie nie vorher gezeigt hat, selbst wenn sie sich danach gesehnt haben sollte. (Was geht es ihn an, ob sie pleite ist oder vergewaltigt wurde, solange sie nicht offiziell zu ihm gehört: Erst dann wird er ein wahrer Tornado, weil sein Besitz, die Ausdehnung seines Ichs, bedroht worden ist.)
Der Text ist ein Auszug Shulamith Firestone: „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ (1975, Fischer Verlag, Ü: Gesine Strempel-Frohner). Vergriffen, einsehbar u.a. im FrauenMediaTurm, frauenmediaturm.deanett
Ausgabe bestellen