1970: Firestone über die Liebe

Shulamith Firestone war eine der radikalsten und visionärsten frühen Feministinnen. FOTO: Michael Hardy
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Sie war eine der radikalsten und visionärsten frühen Feministinnen. Shulamith Firestone (1945 – 2012) war 25 Jahre alt, als sie 1970 ihr rasantes Pamphlet gegen die Liebe veröffentlichte; gegen eine Liebe, die Frauen in Abhängigkeit bringt und unterdrückt: „The Dialectic of Sex“. Firestones Buch hat die Neue Frauenbewegung weltweit nachhaltig geprägt – auch mich persönlich und den „Kleinen Unterschied“. Simone de Beauvoir, die Firestone sehr schätzte, hat einmal gesagt: „Wenn man von weit her kommt, macht man manchmal größere Schritte.“ Shulamith, genannt Shulie, kam von sehr weit her. Sie war das zweite von sechs Kindern einer orthodoxen jüdischen Familie, geboren am 7.1.1945 unter dem Namen Shulamith Bath Shmuel Ben Ari Feuerstein in Ottawa. Shulie studierte Kunst an der Washington University und begann zu malen. In den späten 1960er Jahren engagierte sie sich in feministischen Gruppen, zunächst in Chicago, dann in New York. 1970 erschien Firestones Buch über die Liebe, gleichzeitig mit Kate Milletts Buch über Sexualität („Sexus und Herrschaft“). Damit war das Kern- und Kampfthema der Neuen Frauenbewegung angeschlagen: Liebe & Sexualität. Die Begeisterung wie die Empörung schlugen hohe Wellen. Schließlich gehen Liebe & Sex jeden an, jede Frau und jeden Mann. Der Druck auf Shulamith Firestone wurde nach Veröffentlichung so groß, dass sie nicht standhielt. Sie wurde mit der Diagnose „Schizophrenie“ in die Psychiatrie eingeliefert. Und verstummte für lange Zeit. 28 Jahre später, 1998 veröffentlichte Firestone ihr zweites Buch: „Airless Spaces“. Sie schrieb es in der dritten Person, aber es war ihre Geschichte. „Sie hatte ‚Dantes Inferno‘ gegenwärtig, als sie das erste Mal ins Hospital eingeliefert wurde (...) Als sie rauskam, erinnerte sie sich an nichts mehr“, schreibt sie und fährt fort: „Sie war klarsichtig, ja, aber welchen Preis hatte sie dafür gezahlt. Ihr Leben war ruiniert – und sie hatte keinen Rettungsplan.“ A.S.

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Die legendäre Consciousness-Raising-Group "Redstockings" in New York, links Shulie. - Foto: Mary Ellen Makr/Redstockings-Archive
Die legendäre Consciousness-Raising-Group "Redstockings" in New York, links Shulie. - Foto: Mary Ellen Makr/Redstockings-Archive

Ein feministisches Buch, das sich nicht mit der Liebe auseinandersetzt, wäre ein politischer Fehlschlag. Denn die Liebe ist – wahrscheinlich mehr noch als das Kinderkriegen – der Schlüssel zur Unterdrückung der Frauen heute. Ich weiß, dass dies eine erschreckende Frage beinhaltet: Wollen wir die Liebe abschaffen?

Das Gefühl der Panik, das uns ergreift, sobald die Liebe bedroht wird, ist ein klarer Hinweis auf ihre politische Bedeutung. Ein weiterer Hinweis, dass die Liebe der zentrale Punkt jeder Analyse der Frauen- oder Sexualpsychologie ist, besteht darin, dass sie aus dem kulturellen Leben ausgeschlossen ist und in den „persönlichen Bereich“ abgeschoben wird (Wer hat jemals von Logik im Schlafzimmer gehört?).

Für diesen Mangel an Analyse gibt es gute Gründe: Frauen und Liebe sind der Unterbau; werden sie analysiert, dann wird schon dadurch die gesamte Struktur der Kultur bedroht. Die herablassende Frage: „Was haben denn die Frauen gemacht, während die Männer ihre Meisterwerke schufen?“ verdient mehr als die naheliegende Entgegnung: Frauen waren von der Kultur ausgeschlossen und wurden in ihrer Rolle als Mutter ausgebeutet.

Liebe und Kultur sind aber noch sehr viel tiefer miteinander verwoben. Die Männer konnten denken, schreiben und kreativ sein, weil die Frauen all ihre Energie in diese Männer steckten. Simone de Beauvoir hat es ausgesprochen: „Das Wort Liebe hat für die beiden Geschlechter durchaus nicht denselben Sinn, und hierin liegt eine Quelle der schweren Missverständnisse, die sie voneinander trennen.“

Was haben Frauen gemacht, während Männer Meisterwerke schufen?

Ich habe einige der traditionellen Unterschiede in der Liebe zwischen Mann und Frau aufgezeichnet, die so häufig bei Party-Gesprächen über die „Doppelmoral“ auftauchen und über die man sich allgemein einig ist: Frauen sind monogam, können besser lieben, sind besitzergreifend, anhänglich, haben eher Interesse an (sehr engen) „Beziehungen“ als an Sex und verwechseln häufig Zuneigung mit sexuellem Verlangen. 

Männer sind vor allem daran interessiert, die Frau rasch „aufs Kreuz zu legen“, oder sie romantisieren Frauen auf geradezu lächerliche Weise. Haben sie erst einmal eine Frau sicher an der Angel, werden sie zu notorischen Schürzenjägern, die nie befriedigt sind und Sex mit Gefühl verwechseln.

Auf Grund dieser Unterschiede ziehe ich drei Schlüsse: 1. Männer können nicht lieben. 2. Die übermäßige Anhänglichkeit der Frauen wird durch ihre objektive soziale Situation verursacht. 3. Diese Situation hat sich nie grundlegend geändert.

Männer können nicht lieben. Wir haben gesehen, weshalb es den Männern schwerfällt zu lieben, und wenn sie lieben, dann „verlieben“ sie sich gewöhnlich in ihr projiziertes Bild. Meistens rennen sie einer Frau an einem Tag die Bude ein und sind am nächsten Tag gründlich desillusioniert. Aber die wenigsten Frauen verlassen ihren Mann, und wenn, dann tun sie es gewöhnlich aus mehr als einem guten Grund.

Es ist gefährlich, mit dem eigenen Unterdrücker Mitleid zu haben – Frauen sind ganz besonders anfällig für diesen Fehler –, aber in diesem Fall bin auch ich geneigt, der Versuchung nachzugeben. Nicht lieben zu können, muss die Hölle sein. Und so läuft es dann: Sobald der Mann irgendeinen Druck zur Bindung seitens der Partnerin spürt, gerät er in Panik und kann auf eine von verschiedenen Möglichkeiten reagieren:

Es ist gefährlich, mit dem eigenen Unterdrücker Mitleid zu haben

Er rennt los und bumst mit zehn anderen Frauen, um zu beweisen, dass die erste Frau ihn nicht in der Hand hat. Wenn sie das akzeptiert, kann er die Beziehung zu ihr aufrechterhalten. Die anderen Frauen bestätigen seine (falsche) Freiheit, und gelegentlicher Streit ihretwegen hält seine Panik in Schach. Aber diese Frauen sind nur Papiertiger, es wird sich nichts besonders Tiefgehendes zwischen ihm und ihnen abspielen: Er hält sie in Schach, so dass keine viel von ihm bekommt. Clevere Frauen, die erkennen, dass es sich hierbei nur um ein Sicherheitsventil für die Angst ihres Mannes handelt, werden ihn an der „langen Leine“ halten; denn die wirkliche Ursache bei all den Auseinandersetzungen um andere Frauen ist die Unfähigkeit des Mannes, eine Bindung einzugehen.

Er verhält sich permanent unberechenbar. Er versetzt sie häufig, legt sich nicht auf die nächste Verabredung fest, erzählt ihr „Erst kommt die Arbeit ...“ oder hat ein Bündel anderer Entschuldigungen parat. Das heißt, er weigert sich, sie irgendwie zu beruhigen, obwohl er ihre Angst bemerkt hat. Oder er weigert sich sogar, ihre Angst als gerechtfertigt anzuerkennen. Er braucht ihre Angst als ständige Gedächtnisstütze, dass er sich immer noch frei fühlen kann und die Tür noch nicht ganz zugeschlagen wurde.

Wenn er zu einer (lästigen) Bindung gezwungen wird, zahlt er es ihr heim: Er schielt in ihrer Gegenwart nach anderen Frauen, vergleicht sie ganz und gar nicht schmeichelhaft mit früheren Freundinnen oder Filmstars, erinnert sie vor Bekannten hämisch daran, dass sie sein „Klotz am Bein“ sei, oder nennt sie seinen „Quälgeist“, „dumme Kuh“ oder „Xanthippe“. Oder er deutet an, dass er als Junggeselle sehr viel besser dran wäre.

Shulamith Firestone im Alter von 52 Jahren. - Foto: Lori Hiris
Shulamith Firestone im Alter von 52 Jahren. - Foto: Lori Hiris

Seine ambivalente Haltung zur „Minderwertigkeit“ der Frauen kommt ans Licht: Durch die Bindung an eine Frau hat er irgendwie die verhasste weib­liche Identifikation vollzogen, die er nun immer wieder von neuem verleugnen muss, wenn er seine Selbstachtung in der (männlichen) Gesellschaft aufrechterhalten will. Diese ständige Herabsetzung ist nicht nur Angabe. Denn tatsächlich sieht auf einmal jedes andere Mädchen sehr viel attraktiver aus, und er kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass er etwas versäumt hat – und natürlich macht er seine Frau dafür verantwortlich.

Er hat nämlich die Suche nach dem Ideal niemals aufgeben, und sie hat ihn gezwungen, darauf zu verzichten. Ganz sicher wird er sich bis zum Grab betrogen fühlen und nie begreifen, dass zwischen der einen Frau und der anderen kein großer Unterschied besteht und dass die Liebe diesen Unterschied erst hervorruft.

Es gibt viele Möglichkeiten, um den heißen Brei herum zu schleichen. Viele Männer haben eine oberflächliche Affäre nach der anderen und ziehen sich immer dann zurück, wenn es brenzlig wird. Und dennoch, ein Leben ohne Liebe ist letztlich für Männer genauso unerträglich wie für Frauen. Die Frage, die sich deshalb jedem normalen Mann stellt, lautet: Wie kriege ich eine Frau dazu, mich zu lieben, ohne dass sie den gleichen Einsatz als Gegenleistung verlangt?

Wer profitierte eigentlich von der sogenannten "Sexuelle Revolution" ?

Die Lage der Frauen hat sich niemals grund­legend geändert. Seit Jahren haben die Frauen doppelt unter der Liebe zu leiden: Unter dem Vorwand der „sexuellen Revolution“, die angeblich stattgefunden hat, sind die Frauen dazu verleitet worden, ihre Rüstung abzulegen. Die moderne Frau hat einen Horror davor, als prüde Zicke angesehen zu werden, während ihre Großmutter das als den natürlichen Lauf der Dinge betrachtete. Selbst die Männer erwarteten zu Großmutters Zeiten, dass jede Frau mit Selbstachtung sie warten lassen und die angebrachten Spielchen ohne Scham spielen würde: Eine Frau, die nicht auf diese Weise ihre Interessen wahrte, wurde nicht respektiert. Das lag auf der Hand.

Ein Klassiker der Frauenbewegung von Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und Sexuelle Revolution.
Ein Klassiker der Frauenbewegung von Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und Sexuelle Revolution.

Das Gerede von der sexuellen Revolution aber erwies sich als praktisch für die Männer, auch wenn es keine Verbesserung für die Frauen brachte. Die modernen Frauen wurden davon überzeugt, dass die üblichen weiblichen Spiele und Forderungen grauenhaft, unfair, prüde, altmodisch, puritanisch und selbstzerstörerisch seien. Dadurch wurde ein neues Reservoir verfügbarer Frauen geschaffen und der magere Nachschub für die sexuelle Ausbeutung vergrößert, weil die Frauen sogar des geringeren Schutzes, den sie sich so mühsam erworben hatten, beraubt wurden. Die Frauen wagen heute nicht, die alten Forderungen zu stellen, aus Angst, dass ihnen dann ein ganz neues Vokabular, das nur zu diesem Zweck erfunden wurde, entgegengeschleudert wird: „verklemmte Ziege“, „Pissnelke“, „zugenäht“. Das Idealbild dagegen ist das „scharfe Klasseweib“.

Ja, Liebe bedeutet für Männer etwas vollkommen anderes als für Frauen: Sie ist Besitz und Kontrolle, bedeutet Eifersucht dort, wo er sie nie vorher gezeigt hat, selbst wenn sie sich danach gesehnt haben sollte. (Was geht es ihn an, ob sie pleite ist oder vergewaltigt wurde, solange sie nicht offiziell zu ihm gehört: Erst dann wird er ein wahrer Tornado, weil sein Besitz, die Ausdehnung seines Ichs, bedroht worden ist.)   

Der Text ist ein Auszug aus Shulamith Firestone: „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ (1975, Fischer Verlag, Ü: Gesine Strempel-Frohner). Vergriffen, einsehbar u.a. im FrauenMediaTurm - Mehr aus der EMMA-Reihe "Feministische Vordenkerinnen"

 

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