FrauenFilmFestival: Komplizinnen!

Annie macht sich auf den Weg und kämpft für das Recht auf Abtreibung. Foto: Aurora Films.
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Wir schreiben das Jahr 2023. Die Präsidentin der Berlinale-Jury: eine Frau, Kristen Stewart. In der sechsköpfigen Berlinale-Jury: vier Frauen. Von 19 Filmen im Wettbewerb: sechs von Frauen, immerhin ein Drittel.

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Im Jahr 1983 gingen alle elf Berlinale-Preise – bis auf den Silbernen Bären für die beste Darstellerin – an Männer. Es war das Jahr, in dem Kölner Filmstudentinnen beschlossen, dass es nun auch in Deutschland an der Zeit sei für ein Frauenfilmfestival.

Schon 1978 hatten französische Cineastinnen das „Festival de Films de Femmes“ in Créteil bei Paris gestartet, das mit seinem kundigen Programm Maßstäbe setzte. Die Kölnerinnen nannten ihr Festival: Feminale. Vier Jahre später gründeten im Ruhrgebiet filminteressierte Feministinnen ein zweites Festival: die Femme Totale. „Wir wollen ‚machen‘, was Frauen und Film schreibt.“ So stand es damals im ersten Programmheft. Frauen und Film hieß die Zeitschrift, die Filmpionierin Helke Sander 1974 im Zuge der Frauenbewegung in Berlin gegründet hatte. Jetzt wollten die Dortmunderinnen nicht nur über Filme von Frauen lesen, sondern sie auch einem großen Publikum zeigen. Beide Festivals fanden alle zwei Jahre statt.

Im Gegensatz zur Kölner Feminale stellte die Femme Totale jedes Festival unter einen Schwerpunkt. So zeigte sie 1987 „Macht und Gewalt in Filmen von Frauen“, beim zweiten Festival präsentierten die Macherinnen „Filme sowjetischer Frauen“. In weiteren Filmen ging es um „Die subversive Kraft des Lachens“ oder Krimis und Horrorfilme von und mit Frauen („Unheimliches Vergnügen“).

Im Jahr 2006 fusionierten die beiden Frauenfilmfestivals, wenn auch nicht ganz freiwillig. Die Geldgeber der zuständigen NRW-Ministerien drängten zum Zusammenschluss, um Fördermittel zu sparen. Feminale und Femme Totale wurden zum „Internationalen Frauenfilmfestival Köln/Dortmund“. Seither werden jährlich, abwechselnd an Rhein und Ruhr, rund 100 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme gezeigt. Damit ist das Festival eins der größten Frauenfilmfestivals weltweit. Jedes Festival hat jetzt einen „Fokus“.

In diesem Jahr, dem Jahr des 40. Festival-Geburtstags, heißt der Fokus: „Wir sind Komplizinnen!“. „Der Fokus Komplizinnen lädt ein zu feministischer Solidarität quer durch die Kinogeschichte“, schreiben die Festivalmacherinnen. „Wir wollen einer jungen Generation die Geschichte des feministischen Kinos nahebringen“, sagt Maxa Zoller, seit fünf Jahren künstlerische Leiterin des Festivals. „Denn leider ist bei vielen jungen Frauen das Wissen darüber begrenzt, was schon alles geschafft und geschaffen wurde.“ Stefanie Görtz, Pressesprecherin und seit über 30 Jahren dabei, bestätigt: „Wir wollen zeigen: Ihr müsst nicht alles immer wieder neu erfinden! Es gibt Komplizinnen, die euch stärken können.“

Die feministische Zeitreise beginnt mit Stummfilmen wie „Rosalie emmenage“ (Rosalie zieht ein) aus dem Jahr 1911. Es bleibt kein Stein auf dem anderen, als die anarchische Rosalie in ihrer neuen Wohnung hobelt und nagelt. In „Filibus“ von 1915 verwandelt sich die Baronesse Troixmonde in einen mysteriösen Meisterdieb, der mit seinem Luftschiff nicht nur Millionären ihre Juwelen stiehlt, sondern auch der Schwester des Detektivs das Herz. „Eine der ersten lesbischen Protagonistinnen auf der Leinwand überhaupt!“

„Als die Frauenfimfestivals gestartet sind, ging es vor allem darum, Filme von Frauen auszugraben und sichtbar zu machen“, sagt Stefanie Görtz. Ganz überflüssig geworden ist das Graben bis heute nicht. So förderten die Festivalmacherinnen in ihrem Schwerpunkt zu Frauen des arabischen Kinos („Pionierinnen, Diven und Visionärinnen“) zum Beispiel den tunesischen Film „Zohra“ zutage, dessen Drehbuch schon vor 100 Jahren von einer Frau geschrieben wurde: Haydée Chikli.

Eine der bedeutendsten Komplizinnen in der feministischen Filmwelt ist Helke Sander („BeFreier und Befreite“). Dokumentarfilmerin Claudia Richarz („Abnehmen in Essen“) porträtiert die heute 85-jährige Pionierin in ihrem Film „Aufräumen“, der auf dem Frauenfilmfestival Premiere haben wird.

In der Sektion „Panorama“ laufen weitere Dokumentarfilme wie „Sieben Winter in Teheran“ über die Studentin Reyhaneh Jabbari, die ihren Vergewaltiger in Notwehr erstach und 2014 wegen Mordes hingerichtet wurde. Oder „All the Beauty and the Bloodshed“ von Laura Poitras („Citizenfour“): Mit ihrem Film über die Fotografin Nan Goldin, die nach ihrer eigenen Opioid-Abhängigkeit gegen den Pharmariesen Sackler klagte, gewann Poitras 2022 den Goldenen Löwen in Venedig. Acht Filme treten an zum mit 15.000 Euro dotierten Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen, in der Jury: Maria Furtwängler, die deutsch-iranische Schauspielerin Sara Fazilat („Holy Spider“) und Helke Sander.

„Es ist interessant, wie die Themen aus den 70ern heute immer noch oder wieder da sind“, sagt Stefanie Görtz. „Helke Sander ist damals in einem ihrer Filme aus Protest auf einen Baukran gestiegen, weil sie keine bezahlbare Wohnung fand, und heute reden wir wieder über Wohnungsnot.“ In „Annie Colère“, einem der Wettbewerbsbeiträge, findet die ungewollt schwangere zweifache Mutter Annie über ihren Kampf für das Recht auf Abtreibung zur Frauenbewegung. „Der Film spielt in den 70ern, aber es ist ja kein Zufall, dass solche Filme – wie ja auch das auf dem Roman von Annie Ernaux basierende ‚Ereignis‘ – heute wieder gemacht werden“, sagt Maxa Zoller. „Dass das Recht auf Abtreibung wieder in Gefahr ist, ist erschütternd.“ Auch deshalb, so die Festivalleiterin, müsse es auch im Jahr 2023 noch ein Frauenfilmfestival geben.

Und es gibt noch einen Grund. „Frauen sind natürlich als Regisseurinnen oder Drehbuchautorinnen viel präsenter, aber wir kratzen immer an den 30 Prozent, über die wir nicht hinauskommen.“ Stichwort Oscars: Unter den zehn Nominierungen für den Besten Film: einer von einer Frau. Unter den fünf Nominierten für die Beste Regie: keine Frau. Wir schreiben das Jahr 2023.

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