Berlin gegen Teheeran - doppelter Sieg
Teheran, 4. Mai 2006. Sirenengesang erhebt sich über dem Ararat-Stadion in Teheran. Eintausend iranische Frauen feuern mit hellen, aber kräftigen Stimmen ihre Frauenfußball Nationalmannschaft an. Es ist das erste offizielle Frauenfußballspiel auf iranischem Boden seit der Revolution vor 27 Jahren. Zum ersten Mal sehen also Frauen im Stadion einem Fußballspiel zu, und zum ersten Mal spielt die Frauen-Nationalmannschaft im eigenen Land. Denn Fußballspielen in der Öffentlichkeit ist Frauen in Iran verboten. Die Mannschaft spielte bisher nur in der Halle – geschützt vor den Blicken der Männer.
Heute aber spielen sie im Stadion, gegen eine Frauenmannschaft des türkischen Fußballvereins Al Dersimspor aus Berlin-Kreuzberg. 90 Minuten dürfen die Zuschauerinnen ihre Spielerinnen unter freiem Himmel anfeuern, hemmungslos schreien, aus sich herausgehen. Kein Mann ist da, um sie zu ermahnen, nur einige Sittenwächterinnen beäugen das Treiben skeptisch. 90 Minuten ist Fußball Frauensache und Hoffnungsträger für ein Leben ohne religiöse Zwänge. Auch für die Gastmannschaft: Susu, Safiye, Mehtap, Paros, Silke, Conny, Friederike und ihre Mannschaftskameradinnen. Sie sind nach Teheran gekommen, um die iranischen Spielerinnen zu unterstützen und sich selbst einen Traum zu erfüllen. Dafür nehmen sie in Kauf, daß sie beim Spiel Kopftuch tragen müssen und einen speziellen, weiten Trainingsanzug.
Auf der Tribüne schieben bald einige Zuschauerinnen ihre Kopftücher nach hinten, einer Frau fällt es herunter, doch sie kümmert sich zunächst nicht darum; sie heben die Köpfe gen Himmel, als könnten sie die atemraubende Stimmung einatmen und für immer speichern. Eine Frau im konservativen schwarzen Tschador feiert ebenso mit wie eine Frau mit farbigem Kopftuch, die eine iranische Flagge auf ihre Wangen gemalt hat. Mädchen mit deutschen und iranischen Flaggen stehen am Spielfeldrand und begrüßen die Spielerinnen.
Dieses Spiel findet just an dem Tag statt, als das Ultimatum der Amerikaner abläuft. Ihren Anfang aber nimmt die Geschichte in Berlin vor einem Jahr. Die Schwestern Marlene und Valerie Assmann begegnen dem iranischen Theater- und Filmregisseur Ayat Najafi auf dem Talent Campus der Berlinale. Die Assmanns zeigen einen Kurzfilm über die Frauenfußballmannschaft aus Berlin-Kreuzberg, der sie angehören. Najafi ist von ihrer Arbeit begeistert. Auch er ist auf der Berlinale mit einem Kurzfilm vertreten: ‘Move It’, in dem es ebendarum geht, dass Frauen in Iran nicht öffentlich Fußball spielen dürfen.
Najafi, Valerie, Marlene und ihre Geschwister Corinna und David Assmann entschließen sich, im fußballfanatischen Iran ein Freundschaftsspiel zwischen der Kreuzberger und einer iranischen Mannschaft zu organisieren. Sie wollen darüber einen Dokumentarfilm drehen und der Welt zeigen, was Sport bewirken kann.
Ayat Najafi lädt die Geschwister nach Teheran ein. Sie treffen Spielerinnen des Nationalteams in Teheran, freunden sich mit ihnen an und geben sich ein Versprechen: Das Spiel wird stattfinden. Doch es folgt eine endlose Odyssee. Ursprünglich war die Begegnung für November angesetzt, dann wird es Dezember, Januar, März. Visa werden verweigert, Versprechen von iranischer Seite scheitern an Absagen in letzter Minute. Die Verantwortlichen in Iran haben Bedenken – auch die Präsidentin des iranischen Frauenfußballverbandes. Erst vor zwei Jahren war ein Spiel zwischen zwei iranischen Frauenteams im Teheraner Azadi-Stadion in letzter Minute abgesagt worden.
Die politische Situation spitzt sich zu, und die Ängste vor einer Reise nach Iran, vor den Sitten und Regeln, die es dort einzuhalten gilt, verstärken die Skepsis der Deutschen. Ende April naht eine weitere Chance: Der iranische Frauenfußballverband verspricht Unterstützung. Ein beruhigendes Gespräch mit dem Auswärtigen Amt überzeugt auch die Kreuzberger.
Mäntel, die über die Knie reichen, und passende Kopftücher für das Abenteuer in Iran sind schnell besorgt. Kurz vor der Landung in Teheran werden noch einmal die Regeln erklärt: In Iran geben Frauen den Männern nicht die Hand. Augenkontakt mit Männern sollte vermieden werden. Ein Grundsatz: Als Frau sollte man eher reagieren als agieren. Nun ist es auch Zeit, das Kopftuch anzulegen. Einige Spielerinnen kennen die Auseinandersetzungen mit den elterlichen und religiösen Forderungen. Zögerlich legen sie sich nach und nach die Tücher um, keine will die erste sein. Etwas rebelliert innerlich dagegen. Schamgefühl und Unsicherheit zeigt sich auf ihren Gesichtern.
Das letzte Hindernis auf dem Weg zum Spiel: Das Visum bekommen wir erst am Teheraner Flughafen. Ein Journalistenvisum hätte das ganze Vorhaben in Gefahr bringen können, als Teil der Mannschaft aber ist die Einreise nun kein Problem. Das Auswärtige Amt hatte im Vorfeld ausdrücklich betont, die Assmanns sollten vorsichtig mit der Beteiligung der deutschen Presse sein. Ayat Najafi begrüßt uns entsprechend: „Es ist ein Wunder, dass ihr hier seid.“
Im Olympic Hotel von Teheran sind zwei Sittenwächterinnen im schwarzen Tschador zur Betreuung abgeordnet. Sie stehen in der Lobby und warten auf die Gäste – von ihrer schwarzen Kleidung umrahmt, die Gesichter zerbrechlich, schmal, grazil, ihre dunklen Augen unsicher und skeptisch. Sie sind jung, erst neunzehn Jahre alt, und für sie ist es ihr erster Auftrag. Rutscht ein Kopftuch zu weit nach hinten oder wird es im Affekt hinter das Ohr gesteckt, sind sie zur Stelle und ermahnen. Schon der Parkplatz vor dem Hotel gilt als unwillkommenes Ausflugsziel, und man wird zur Rückkehr ins Hotel aufgefordert.
Im Team wird die Kontrolle unterschiedlich aufgenommen. „Wir wollen den Fußballerinnen hier in Iran eine Zukunft geben“, erklärt Kotrainerin Safiye Kok. Denn solange Frauen in Iran nur Hallenfußball spielen dürfen, bekommt niemand etwas davon mit. Daher rät sie nochmals allen, sich an die Regeln zu halten. Das ist für die Berliner nicht einfach. Sie sind daran gewöhnt, ihrer Selbstständigkeit und rebellischen Natur viel Raum zu geben.
Die Präsidentin des iranischen Frauenfußballverbandes bedankt sich für den Respekt gegenüber iranischen Sitten durch das Tragen des Kopftuchs. Es sei ja alles freiwillig. Sie fügt am Ende ihres Begrüßungswortes jedoch unmissverständlich hinzu, dass die beiden Sittenwächterinnen dazu abgestellt seien, darauf zu achten, dass die Regeln beachtet würden.
Ungeduldig warten die Spielerinnen auf ein Treffen mit der iranischen Mannschaft. Doch es wird abgesagt. Ayat Najafi bittet die deutschen Fußballerinnen, trotzdem nicht vorschnell über sein Land zu urteilen: „Es wird kontrolliert, und wer weiß, wer hier nicht will, dass wir sie treffen, aber es geht in diesem Land immer einen Schritt vor und dann häufig hundert zurück.“
Angst ist zu spüren im Land, davor, dass sich mit Präsident Ahmadineschad die Lage für Frauen wieder verschlimmert. Da hilft auch nicht die pünktlich zu diesem Spiel ergangene Ankündigung, dass Frauen nun wieder in die Fußballstadien dürfen, um Spiele der Männer zu sehen. Immerhin: Die Kreuzberger müssen sich keine Sorgen mehr um das Spiel und ihre Sicherheit machen. Ahmadineschad hat an diesem Tag persönlich ein Fax geschickt, in dem er zumindest das Spiel begrüßt.
Teheran befindet sich 1.500 Meter über dem Meeresspiegel, die Luft ist dünn und durch den Smog dreckig. Sie brennt in der Lunge und schmerzt in der Nase. Trotzdem herrscht Erleichterung nach dem ersten Training in Kopftuch und weitem Anzug: „Es ist nicht so schlimm, wie wir dachten, nur fühlt man sich, als wäre man unter Wasser, weil das Kopftuch so nah an den Ohren anliegt“, sagt Valerie Assmann. Sie trägt ein Sportkopftuch; es ist speziell zugeschnitten und wird direkt über den Kopf gestülpt. Mit einer Art Stirnband wird es dort festgehalten.
Aber die Sittenwächter sind rigide, auch Karaduman muss außerhalb des Stadions bleiben. Die Vertreter der Fifa und Arie Haan, Trainer beim FC Persepolis in Teheran und ehemaliger Bundesliga-Profi, bleiben ebenfalls ausgeschlossen. Als Ayat Najafi über Handy zum ersten Mal den Spielstand erfährt, herrscht helle Aufregung: 1:0 für Deutschland.
Im Stadion erklingen Sprechchöre: "Iran, Iran" aber auch: "Alemann, Alemann". In der Pause passiert es dann: Die Zuschauerinnen reißen sich die Kopftücher ab und beginnen zur eingespielten Musik zu tanzen. Die Luft vibriert. Wir erleben eine Manifestation des Freiheitswillens der Frauen in Iran. Bald aber wird die Musik ausgeschaltet, und eine Frauenstimme mahnt die Zuschauerinnen über Lautsprecher, sie könnten, wenn sie sich derart verhielten, auch gleich in den Puff gehen.
Augenblicklich kehrt Ruhe ein. Doch die Fans lassen sich nicht entmutigen. Das Publikum intoniert den Namen einer deutschen Stürmerin: "Susu, Susu". Denn sie haben einen ganz besonderen Moment erlebt, der auch von den iranischen Zuschauerinnen frenetisch gefeiert wurde: Eine Ecke der Deutschen von rechts, Susu köpft den Ball trotz Kopftuchs präzise knapp unter die Latte ins Tor. Das Stadion bebt vor Begeisterung über dieses spektakuläre Tor einer ausländischen Frauenmannschaft, die bereit ist, für die Iraner Kopftuch zu tragen.
Der Endstand lautet 2:2 - ein schönes Ergebnis. Langsam legt sich der Gesang im Stadion. Das war es: 90 Minuten Freiheit und noch ein bisschen mehr. Denn am Abend lernen sich Iranerinnen und Deutsche doch noch kennen. Sie essen gemeinsam, tauschen Trikots.
Die Nationalspielerinnen hoffen nun, dass sich mehr ausländische Mannschaften nach Iran trauen werden, damit sie an Spielpraxis gewinnen können. Immerhin 20 Frauenmannschaften gibt es im Land, und sie werden trainieren, um weiter hier und auch international Fußball zu spielen.
Immer dabei war in diesen Tagen das Filmteam der Assmanns. Es gibt nur eine Schrecksekunde nach der Abreise der Mannschaft: Das Filmmaterial wurde beschlagnahmt. Doch die Behörden bestätigen, dass nichts Unerlaubtes zu sehen sei. Nun ist der Weg frei für den Dokumentarfilm über eine höchst ungewöhnliche Reise nach Iran.
Der Text erschien zuerst in der FAZ.