Frauenfußball: Mädchen stürmen vor

Artikel teilen

Lange hieß es: "Fußball ist nichts für Mädchen!" - Doch was sich Mütter früher verbieten ließen, ist für Töchter heute selbstverständlich. Noch nie jagten so viele Mädchen auf den Fußballplätzen den Jungs den Ball ab.

Anzeige

Vier Wochen lang sprach die kleine Martina zu Hause kein einziges Wort. Sauer war sie, um genau zu sein: stocksauer. Das eisige Schweigen galt ihrer Mutter. Die hatte nämlich ein mütterliches Machtwort gesprochen: „Fußball ist nichts für Mädchen.“

Dieses Mädchen wollte aber nichts lieber als Fußballspielen und war außerordentlich begabt. Der Trainer des KWC Duisburg hatte Martinas Kick-Künste im Schwimmbad beobachtet, war begeistert und wollte sie für seine Mädchenmannschaft haben. Er reiste sogar zum Hausbesuch an, um der Mutter die Bedenken auszureden. Nix zu machen. Die Horrorvision einer viel zu burschikosen Tochter mit dicken Fußballerwaden und o-beinigem Männergang schreckte Mama Voss. Die Tochter schmollte erbittert.

Einen Monat später sprach Martina zwar wieder, hatte sich aber mitnichten geschlagen gegeben. Zwar spielte die 13-jährige gezwungenermaßen erstmal Tisch­tennis, kriegte aber den Fußball nicht aus Kopf und Herz. Sie trainierte heimlich und gewann mit 15 schließlich doch noch den Kampf um die Kick-Erlaubnis. Der deutsche Frauenfußball kann von Glück sagen: Martina Voss ist heute 30 und Kapitänin der Fußball-Nationalmannschaft.

17 Jahre ist es her, daß das Fußballverbot im Hause Voss ausgesprochen wurde. Seitdem ist die Behauptung, Fußball sei nichts für Mädchen, von den Kleinkickerinnen schlagend widerlegt. Sie stürmen massenhaft die Vereine. Fast verdoppelt hat sich die Zahl der Mäd-chenmannschaften im Deutschen Fußball-Bund (DFB) in den letzen vier Jahren: von 1.600 im Jahr 1994 auf rund 3.100. Über 60.000 Fußballerinnen unter 16 Jahren kicken heutzutage organisiert auf deutschen Fußballplätzen. Zum ersten Mal in der 28jährigen Geschichte des Frauenfußballs gibt es mehr Mädchen als Frauenmannschaften.

„Da wächst eine breite Basis nach“, freut sich Gisela Gattringer. Die Vorsitzende des DFB-Mädchenausschusses hat 1970 als 26jährige die Aufhebung des Frauen-Fußballverbots im DFB erlebt. „Da hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Für die Mädchen ist es heute selbstverständlich, daß sie Fußballspielen.“

Deutschland im WM-Fieber. Zur Zeit müssen sich viele verblüffte Papis daran gewöhnen, daß ihnen die Töchter den Stammplatz im Fernsehsessel streitig machen – und außerdem echt Ahnung haben, weil sie selbst dreimal die Woche auf dem Platz stehen.

Zum Beispiel Anna, Elena und Eva. Die sind 14 und spielen seit fast zehn Jahren, inzwischen in der hessischen Besten-Auswahl. Heute treten sie beim sogenannten DFB-Länderpokal gegen die Besten der anderen 20 Landesverbände an. Die drei alten Häsinnen hocken im Schneidersitz auf dem Rasen, beobachten mit Stift und Papier aufmerksam ihre Gegnerinnen und sehen in ihren schwarz-weißen adidas-Anzügen mit der Aufschrift „Hessen“ superprofessionell aus.

Seit sich Anna, Elena und Eva mit fünf Jahren zum ersten Mal ihre Fußballschuhe schnürten, ist viel passiert. „Mäd­chenfußball ist auf jeden Fall angesehener geworden. Und es gibt auch viel mehr Mädchenmannschaften als früher“, sagt Anna, die viele Sommersprossen und eine enorm große Klappe hat. Saudoof findet sie, daß sie die Spiele der großen Fußballschwestern in der Bundesliga nicht im Fernsehen sehen können. Die anderen beiden nicken. Wenn die Spiele der weiblichen Nationalmannschaft übertragen werden, verpassen sie nur ganz selten eins.

Als die Nationalspielerinnen Martina Voss oder Doris Fitschen Ende der 70er ihre ersten Kickversuche unternahmen, konnten sie im Fernsehen nur Helden anfeuern. „Frauen als Vorbilder? Nee, die hatte ich nicht. Nur meinen Bruder“, bedauert Ex-Nationalspielerin Silvia Neid, heute Co-Nationaltrainerin. Nicht zuletzt dank Neid ist das heute anders: Anna & Co. können den vierfachen Europameisterinnen zujubeln und sich vorstellen, mal in deren Stollenschuhstapfen zu treten. Das haben sie auch fest vor. Natürlich träumen Anna, Elena und Eva von einem Platz in der Nationalmannschaft. Und sie sind auf dem besten Weg dahin.

Früher entdeckten die Vereine den talentierten Nachwuchs eher per Zufall, und so manche Fußballerin mit großer Zukunft versauerte in ihrem kleinen Verein. Heute hat die Talentsuche und -förderung im Deutschen Fußball-Bund System. In jedem der 21 Landesverbände gibt es mittlerweile TrainerInnen und Turniere speziell für die Sichtung des weiblichen Nachwuchses. Auch der mit 250.000 Mark finanzierte DFB-Länderpokal ist so ein „Sichtungsturnier“. Eine Riesenchance, denn Nationaltrainerin Tina Theune-Meyer und Co-Trainerin Silvia Neid sind hier.

Wenn Anna, Elena und Eva gut sind, dann werden sie vielleicht für die Nationalfrauschaft der Mädchen unter 16 ausgesucht. „Das wär schon der Hit“, denn die sogenannte U 16 ist eine Steilvorlage, um sich in die „richtige“ Nationalmannschaft zu schießen. Diese „U 16“ gibt es seit 1991, die „U 18“ sogar erst seit einem Jahr.

Der Aufbruch der Mädchen verun­sichert die Jungen gewaltig, auf dem Fußballplatz – und überhaupt. „Am Anfang war das ja noch okay mit den Jungs“ erzählt Anna, die bis zwölf in einer „gemischten“ Mannschaft gespielt hat. „Aber als wir älter wurden, kamen die mit einem Mädchen nicht mehr klar. Die haben mich dann einfach nicht mehr angespielt.“

Manche Jungs finden, daß sie „eigentlich gar keine richtigen Mädchen sind“. Andere wiederum haben echt Respekt vor den Kickerinnen. Die kriegen nicht gleich einen Herzkasper, wenn ihnen mal ein Fingernagel abbricht. Von solchen gibbelnden Tussen halten auch die drei Kickerinnen nix. Fußballerinnen sind „irgendwie natürlicher und nicht solche Weicheier“, findet Elena. „Ein Mädchen, das Ballett macht, kann sich auch nicht so gut gegen Jungen durchsetzen wie wir.“ Fußballerinnen sind Kumpelinnen. Kumpelsein hatten die Jungs bis dato für sich gepachtet. Damit isses jetzt vorbei.

Zwischen Achtung und Ablehnung schwanken auch die Vereine in puncto Mädchenfußball. „Klar gibt es Vereine, die sich ein Bein ausreißen für die Mäd­chenmannschaften“, sagt Margret Kratz, saarländische Cheftrainerin und Trainerin der Bundesligistinnen des 1. FC Saarbrücken. „Aber die sind leider noch die Ausnahme. In vielen Vereinen ist es immer noch schwierig, überhaupt eine Mädchenmannschaft zu gründen. Und wenn es eine gibt, dann ist die oft das fünfte Rad am Wagen.“

Da fehlt bei den Mädchen angeblich  Geld für Trikots oder Bälle, die die Jungs längst haben, da ist der schöne Rasenplatz für die jungen Herrn reserviert, während die Damen auf dem schlecht beleuchteten Aschefeld spielen. Und der neue Trainer trainiert natürlich die Jungs.

Weibliche Trainer sind sowieso noch eine Seltenheit. Allerdings bieten einige Landesverbände inzwischen spezielle Ausbildungsprogramme für Trainerinnen an. Aber auch mit den männlichen Trainern ist das so eine Sache. „Die werden oft belächelt, wenn sie Mädchen trainieren. Das ging sogar Gero Bisanz so, als der

damals die Frauen-Nationalmannschaft übernommen hat“, klagt Martina Voss. Manchmal erklärt sich dann ein gutwilliger Vater bereit, die Mädchen zu trainieren. Und wenn dann der Erfolg ausbleibt, heißt es: „Da haben wir’s – Mädchen können eben nicht Fußballspielen.“

Deshalb drängelt Nationaltrainerin Tina Theune-Meyer ihre Spielerinnen, selbst die Trainerinnen-Ausbildung zu machen. Ein paar Nationalspielerinnen sind gerade dabei. Bei Länderspielen und Lehrgängen bieten sie Probetrainings an, zu denen bis zu hundert potentielle „Vossis“ und „Fitschis“ anrücken.

Je mehr Jungkickerinnen, desto mehr Publikum für den Frauenfußball. Es sind vor allem Mädchen, die oft gleich in Mannschaftsstärke zu den Spielen pilgern und sonntags die spärlich besetzten Ränge „ihres“ Frauen-Bundesliga-Clubs füllen. Und sich nach dem Spiel auf die Jagd nach dem Stirnband der angeschwärmten Stürmerin machen.

Daß diese jungen Fußball-Freaks, die in ihren Vereinen massenhaft Tore machen, auch in der Schule an den Ball dürfen, ist nicht gesagt. In den Lehrplänen ist der populärste Volkssport Fußball bis heute nicht verankert, weder für Mädchen noch für Jungen. Ob die Mäd­chen kicken dürfen oder immer noch zur rhytmischen Gymnastik verdammt sind, entscheiden die LehrerInnen.

„Bei unserer Projektwoche wurde Fußball nur für Jungs angeboten“, meckert Elena. Die Hessen-Auswahl-Spielerin probte den Aufstand. Und dank einer engagierten Lehrerin gab es bei der letzten Projektwoche ein Fußball-Projekt auch für Mädchen. Damit es mehr davon gibt, bietet zum Beispiel der DFB-Landes­verband Niederrhein Fußball-Lehrgänge für Grundschul-Lehrerinnen an.

Als Martina Voss 1987 ihr Abitur machte, sorgte sie an der Schule für Aufruhr: Sie wollte im Fach Sport in „Fußball“ geprüft werden. Das hatte man noch nie erlebt, es mußte eine Sondergenehmi­gung des Regierungspräsidenten eingeholt werden. „Natürlich haben bei uns die Jungs mit dem Lehrer Fußball gespielt und die Mädchen mit der Lehrerin Gym­nastik gemacht“ erinnert sich Martina Voss. Die Jungen stark, die Mädchen schön. Klar, daß sie heute fordert: „Fuß­ballspielen muß an den Schulen für Mädchen selbstverständlicher werden.“

Da sind auch die Fußballvereine gefragt. Von einer flächendeckenden Zu­sammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen kann zwar noch nicht die

Rede sein. Aber Rita Wahl arbeitet dran. Sie ist Mitglied im Mädchenausschuß, den der DFB 1989 eingerichtet hat, und im Schulsportausschuß, dem sie beständig wg. Mädchenfußball auf die Füße tritt. Die Sportlehrerin sorgt für Kontakte zwischen Schulen und Fußballvereinen und macht Druck, wenn nicht genug für die Mädchenförderung getan wird. Und es tut sich was: „Ich beobachte immer öfter, daß Schülerinnen zu ihren Sportlehrern gehen und sagen: „Wir wollen jetzt Fußballspielen!“

Das freut die Schulsport-Beauftragte. Kolossal ärgert sie sich aber darüber, daß beim größten Fußball-Talent­wettbewerb der Schulen die Mädchen im Abseits stehen: Bei „Jugend trainiert für Olympia“ sind Mädchen nur in einer von vier Altersklassen zugelassen, die Jungs in drei.

„Totalen Schwachsinn“ findet auch Tina Theune-Meyer diese Abseitsfalle. Und sie ist „ziemlich stinkig“ darüber, daß Fußballerinnen und Fußballer laut DFB-Satzung nur zusammen spielen dürfen, bis sie zwölf sind. Inzwischen ist nämlich unbestritten: Mädchen, die mit Jungs trainieren, sind meist die besseren Fußballerinnen. „Die sind schneller und haben ein anderes Zweikampfverhalten“, weiß die Nationaltrainerin.

Annelie Brendel muß vielleicht ihre Fußball-Karriere an den Nagel hängen. Die Mittelfeld-Spielerin vom MSV Hettstedt in Sachsen-Anhalt ist in der U-16-Nationalfrauschaft und gilt als Super-Talent. Nach der nächsten Saison muß sie wg. Altersgrenze in eine Mädchenmannschaft wechseln. Die nächste auf ihrem Niveau gibt es in Magdeburg, eineinhalb Stunden entfernt. Das bedeutet für Annelie: Entweder ins Internat gehen oder aufhören. Aber die Satzungsänderung, die das Spiel ohne Geschlechter-Grenzen zumindest bis 14 erlauben sollte, ist wieder vom Tisch. Also ist auch weiter für viele Kickerinnen mit zwölf Schluß mit Fußball.

Trotzdem: Noch nie jagten so viele Mädchen auf den Fußballplätzen den Jungs den Ball ab. Und die kleine Dina, 4, wird sich ihr Recht aufs Kicken ganz bestimmt nicht mehr erkämpfen müssen. Im Gegenteil: Ihre Mutter wäre sicher sehr enttäuscht, wenn sie nicht in spätestens zwei Jahren mit dem Fußballern anfinge. Dina ist nämlich die Tochter von Martina Voss. Und wenn die mal groß ist, dann verdient sie vielleicht als Top-Libera richtig Geld, und wenn sie das Tor des Monats schießt, reißen 50.000 Zuschauer die Arme hoch zu einer prächtigen La-Ola.

Zurück zur Fußball-Übersicht

Artikel teilen
 
Zur Startseite