Frauenhass im Netz? Gibt’s nicht!
Die gute Nachricht zuerst: Das Bundesjustizministerium will das Gesetz reformieren, das den Hass im Internet eindämmen soll. Es trägt den sperrigen Namen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, kurz NetzDG, und trat am 1. Oktober 2017 in Kraft. Ziel war, Facebook, Twitter & Co. dazu zu bringen, strafbare Inhalte wie Beleidigungen und Bedrohungen schnellstmöglich zu löschen und die Täter zu bestrafen. Doch das NetzDG, da waren sich alle ExpertInnen einig, blieb ein zahnloser Tiger. Künftig soll es aber endlich den Hatern die Zähne zeigen. Dazu hat das Justizministerium jetzt zwei Gesetzentwürfe vorgelegt.
Und jetzt die sehr schlechte Nachricht: Ausgerechnet die Personengruppe, die im Netz besonders häufig und besonders heftig Zielscheibe von Hasskommentaren ist, kommt im entscheidenden dieser beiden Gesetzentwürfe überhaupt nicht vor: die Frauen.
Auch im neuen Gesetz gegen "Hatespeech":
die Frauen nicht auf dem Schirm
Dabei hat das Ministerium die enorme Tragweite von „Hatespeech“ eigentlich genau erfasst: Hasspostings sind keineswegs nur das persönliche Problem der beleidigten und bedrohten Betroffenen. Durch solche Äußerungen, die sich durch „stark aggressives Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten auszeichnen wird nicht nur das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen angegriffen, sondern auch der politische Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung“, heißt es im „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“. „In diesem verrohten Umfeld kommt es schon jetzt dazu, dass bestimmte Meinungen aus Sorge vor solchen Reaktionen nicht mehr geäußert werden. Dies kann sogar dazu führen, dass sich Menschen vollständig aus dem öffentlichen politischen Diskurs zurückziehen.“
So ist es. Und diese Menschen sind besonders oft weiblich. 87 Prozent aller Politikerinnen im Bundestag wurden laut einer Umfrage von Report München quer durch alle Parteien im Internet sexistisch beschimpft. Zum Beispiel als „Drecksfotze“, die mal „richtig durchgerammelt werden muss“ wie im Fall Renate Künast. Jede zehnte der befragten Politikerinnen denkt angesichts der Attacken daran hinzuschmeißen. Aber nicht nur Politikerinnen sind betroffen, sondern fast jede Frau, die sich erlaubt, im Netz eine Meinung zu vertreten.
Dennoch ist das Justizministerium der Ansicht, dass „fremdenfeindliche, antisemitische und rassistische Tatmotivationen mit Abstand die größte Bedeutung innerhalb der Hasskriminalität“ seien. Woher das Ministerium das weiß? Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik. Dort aber gibt es die Kategorie „Frauenhass“ überhaupt nicht. Zwar erfasst die PKS seit 2017 auch „antiziganistische“, „christenfeindliche“ und „islamfeindliche“ Straftaten sowie solche aufgrund der „sonstigen ethnischen Zugehörigkeit“ des Opfers. Frauen? Fehlanzeige.
EMMA fordert, zu Fremden- und Judenhass auch die Kategorie Frauenhass zu etablieren
Der Gesetzentwurf aus dem Hause von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) nennt noch weitere Personengruppen. Handelt der Täter aus „rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen“, kann laut §46 StGB die Strafe höher ausfallen. Was sind sonstige menschenverachtende Beweggründe? „Tatmotive, die sich zum Beispiel gegen die sexuelle Orientierung oder Identität, gegen eine Behinderung oder gegen den gesellschaftlichen Status (etwa bei Obdachlosen) richten. Frauen? Fehlanzeige.
Wie kann das sein? Seit drei Jahrzehnten fordert EMMA, den Frauenhass als politische Kategorie analog zum Fremden- oder Judenhass zu begreifen und entsprechend in Statistiken und Gesetze aufzunehmen. Denn das Tatmotiv Frauenhass ist keineswegs privat, auch wenn sich die Taten oft hinter verschlossenen Türen abspielen. 114.000 Frauen wurden im Jahr 2018 Opfer so genannter „Partnerschaftsgewalt“, also von Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung. Jeden Tag versucht ein Mann, seine (Ex)Frau umzubringen. 122 Frauen überlebten die Gewalt nicht. Hinzu kommen jährlich fast 10.000 angezeigte Vergewaltigungen. Da nur jede zwölfte Frau die Tat anzeigt, sind es also über 100.000.
1991 rief EMMA die Kampagne „Stoppt Frauenhass!“ ins Leben und forderte, die politische Dimension (auch) dieses Hasses zu erkennen: „Frauenmorde sind politische Morde! Ihr Ziel ist – ganz wie beim Fremdenhass – die Entwürdigung und Einschüchterung einer bestimmten Menschengruppe, nämlich aller weiblichen Menschen.“
Frauenfeindlichkeit gehört ebenfalls zum zum Hasspaket von Amokläufern dazu
Anno 2020 tragen Zehntausende Frauen in aller Welt diese Botschaft auf die Straße. Von Mexiko bis Frankreich demonstrieren sie gegen die „Femizide“, wie sie in anderen Ländern längst heißen. In Deutschland verkündet die Frauenministerin inzwischen immerhin jährlich die aktuellen und niemals sinkenden Zahlen der „Partnerschaftsgewalt“. Und nach dem Attentat von Halle wurde in den Medien erstmals breit darüber debattiert, was EMMA schon seit dem ersten Amoklauf in Montréal 1989 immer wieder analysiert hat: Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus gehören zum Hasspaket der Täter fast immer dazu. Und auch die Aufstachelung zum Frauenhass passiert, wie die Aufstachelung zum Hass auf Juden oder Muslime, im Internet.
Und das Justizministerium? „Es ist uns bewusst, dass Frauen im Internet aufs Heftigste beleidigt, bedroht und diffamiert werden“, heißt es auf EMMA-Anfrage. Und was folgt daraus? Anbieter wie Facebook & Co. sollen in ihren „Transparenzberichten“, die sie halbjährlich beim Ministerium abliefern müssen, Frauen als Zielscheibe von Internethass besonders im Auge haben und Zahl und Art der gemeldeten Verstöße aufführen. Das regelt Gesetz Nr. 2, die „Ergänzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“. In die Statistik haben es die Frauen also geschafft. Immerhin.
Wir brauchen ein klares Signal: Frauenhass ist nicht privat, sondern politisch
Aber bei der Strafverfolgung herrscht die übliche Leerstelle. Das bringt auch den Juristinnenbund auf die Barrikaden. „Dass Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus für viele Angreifer eine maßgebliche Motivation darstellen, wird von dem Gesetzentwurf komplett ausgeblendet“, klagt der Verband in seiner Stellungnahme zum Gesetz.
Der Juristinnenbund fordert deshalb unter anderem, dass die Androhung von Vergewaltigung explizit ins Gesetz aufgenommen wird. Bei der Strafzumessung sollen „neben rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Motiven auch sexistische Motive aufgenommen werden“. Denn: „Die geschlechtsspezifische Dimension hier zu ignorieren, wäre eine verheerende Botschaft an die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt“. Und nicht nur an die. Auch Polizei und Staatsanwaltschaften, die die Straftaten im Internet verfolgen sollen, müssen ein klares Signal bekommen: Frauenhass ist nicht privat, sondern politisch.