Freierbestrafung in Frankreich

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Mit einem Abstecher in den Bois de Boulogne, den Straßenstrich im feinen Pariser Westen, wollte Jean angeblich „seinen Liebeskummer überwinden“. Doch von einer Polizei­streife in flagranti erwischt, handelte sich der 20-jährige Elektriker-Lehrling einen Bußgeldbescheid in Höhe von 250 Euro ein. Denn seit dem 13. April 2016 ist der Kauf so genannter „sexueller Dienstleistungen“ in Frankreich verboten. Mit seinem „Gesetz zum Kampf gegen das prostitutionelle System“ war Frankreich dem Beispiel Schweden, Norwegen und Island gefolgt. Ertappten Freiern drohen Geldstrafen: bis zu 1.500 Euro, im Wiederholungsfall 3.700 Euro. Ist die Prostituierte minderjährig, kann die Strafe bis zu 45.000 Euro betragen. Plus einen Sen­si­bilisierungskurs.

Jean, wie ihn die Medien nennen, geht jedoch vor dem Pariser Polizeigericht auf die Barrikaden. Er legt Widerspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, landesweit eine Premiere: „Ich finde es nicht normal, wegen einer solchen Geschichte zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden“, erläutert der selbstbewusste junge Mann dem Richter. „Dieses Gesetz ist unlogisch: ­Einer Person, die sich prosti­tuiert, wird das Recht dazu nicht abgesprochen, wir Freier aber sind nun in der Illegalität!“

Jean beantragt, der Conseil Constitu­tionnel solle prüfen, ob das Gesetz verfassungskonform sei, denn es bedrohe, so findet er, „zahllose Rechte und Freiheiten“. Doch sein Ansinnen wird abgeschmettert. Die Verfassungskonformität des Textes stehe nicht mehr zur Diskussion. Das Thema sei lang und breit bei den Parlamentsdebatten vor der Verabschiedung des Gesetzes durchgekaut worden, belehrt das Gericht den Freier. Der, so darf man getrost vermuten, wird Rückenstärkung von organisierten Freiern haben.

Jean ist bei weitem nicht der einzige, der der Polizei bisher in die Fänge geraten ist. Rund 1.300 Freier wurden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes in den ersten 15 Monaten auf frischer Tat ertappt. Im Schnitt erwischt die Polizei monatlich mittlerweile 400 Freier in flagranti. Meist geben sich die Männer geständig und nehmen den Bußgeldbescheid an, um die peinliche Angelegenheit geheim zu halten. Gleich 100 Freier auf einen Schlag gingen kürzlich in Arras in Nordfrankreich ins Netz. Die Polizei hatte einen Menschenhändlerring auffliegen lassen – und bei den Ermittlungen die Spur bis zu den Freiern zurückverfolgt. Sollten auch andere Staatsanwälte im Land auf diesen Kurs einschwenken, dürfte die Zahl der von der Justiz belangten Freier rasant steigen.

Doch beim „Gesetz zum Kampf gegen das prostitutionelle System“ geht es nicht nur um die Freier-Bestrafung, sondern um den Schutz von Prostituierten. Abgeschafft wurde der Tatbestand der „Anmache“ (Raccolage), der bis dato erlaubte, Prostituierte auf „Kundenfang“ strafrechtlich zu verfolgen. Nun gelten sie offiziell als „Opfer der Prostitution“. Festgeschrie­ben wurden auch Ausstiegshilfen, finanziert aus einem speziellen Fonds von 6.6 Millionen Euro.

Jedes Département muss zudem Kommissionen einberufen, in denen VertreterInnen von Polizei, Gesundheits- und ­Sozialamt gemeinsam mit Hilfs­vereinen auf regionaler Ebene Präventionspolitik entwickeln. Allein jenen, die aus dem Rotlicht­mi­lieu herauswollen, muss konkreter und maßgeschneiderter Beistand ­gegeben werden. Ausstiegswilligen Ausländerinnen ohne Papiere wird es erleichtert, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für sechs Monate zu erhalten – ohne dass sie dafür, wie bislang verlangt, ihren Zuhälter, zumeist aus dem Milieu von Menschenhändler-Netzwerken, nennen müssen. Und sie können Sozialhilfe beantragen – wenn auch nur 330 Euro monatlich.

Für das Gesetz hatten Feministinnen jahrelang gekämpft. Rückenwind erhielten sie von einer Kommission der Nationalversammlung. Die veröffentlichte im April 2011 eine Lagebeschreibung zur Prostitu­tion in Frankreich, die ein großes Echo in den Medien hatte. Die beiden VerfasserInnen, die Sozialistin Danielle Bousquet und der Konservative Guy Geoffroy, präsen­tierten darin die Ergebnisse einer halbjäh­rigen Recherche im In- und Ausland. In Frankreich belaufe sich, so der Bericht, die Zahl der prostituierten Personen auf 20.000 – 40.000. Zu 85 Prozent handele es sich um Frauen, 99 Prozent der Freier seien Männer. Neun von zehn Prostituierten seien AusländerInnen, vor allem aus Osteuropa und Schwarzafrika. Die PolitikerInnen räumten auf mit dem romantischen Bild von Irma la Douce: Auf dem Strich fänden sich mittlerweile in überwältigender Mehrheit Menschen, die von kriminellen Netzwerken zum Anschaffen gezwungen seien.

Im Frühjahr 2016, als das Gesetzesvorhaben nach viel Widerstand endlich in die Zielgerade gegangen war, gaben sich viele Medien, allen voran die linke Tageszeitung Libération, überzeugt davon, diese „revolutionäre Idee“ sei „nicht umsetzbar“. Eine Botschaft, für die auch die „Sexarbeiter-­Gewerkschaft“ Strass bei Kundgebungen in Paris trommelte.

Davon ist ein Jahr später, anlässlich der ersten Bilanz des „Gesetzes zum Kampf ­gegen das prostitutionelle System“, keine Rede mehr. Inzwischen schlagen auch die Medien andere Töne an. Die Statistiken zur Zahl ertappter Freier sprechen für sich – und für die Umsetzbarkeit des Gesetzes. Nun stehen in den Medien, statt effektheischendem Mitleid mit geschassten Freiern, die Fakten im Vordergrund.

Auch zwei Kampagnen der Regierung scheinen zu einem Bewusstseinswandel beigetragen zu haben. Im Juni 2016 wurde erstmals auf Plakaten landesweit der Slogan verbreitet: „Der Preis für eine schnelle Nummer auf dem Strich ist höher als du denkst.“ Im Oktober 2016 lief eine zweite Aktion: „Sex zu kaufen ist inzwischen verboten.“ Die Medien berichten nun über die Schwierigkeiten beim Ausstieg und über die Sensibilisierungskurse, die ertappten Freiern auferlegt wurden.

Pionierarbeit leistet ein Verein im Département Essonne, im Süden von ­Paris. Normalerweise kümmert er sich um Täter Häuslicher Gewalt, die vom Gericht zur Teilnahme an einem Sensibilisierungskurs verpflichtet werden. Im vergangenen März bot der Verein ACJE91 landesweit den ersten Kurs zum Thema Prostitution an. Leitgedanke bei dem Kurs sei, erklärt Vereinspräsident François Roques, „aufzuklären zum Thema Frauenkauf“. Ertappte Freier darauf hinzuweisen, dass sie eine Straftat begangen haben. Vor allem aber: Ihnen bewusst zu machen, wie sehr die Gewalt zum Rotlichtmilieu gehört.

In Frankreich gilt die Prostitution seit einigen Jahren offiziell als „Gewalt an Frauen“. Dazu liefert das Pariser „Staatssekretariat für die Gleichstellung von Männern und Frauen“ auf seiner Webplattform Zahlen: 51 Prozent der Frauen, die sich in Frankreich prostituieren, hätten im Laufe der letzten zwölf Monate bei der ­Arbeit physische Gewalt erlebt. Im selben Zeitraum seien 38 Prozent Opfer einer Vergewaltigung geworden – sechsmal mehr als in der weiblichen Bevölkerung Frankreichs. Und fast jede dritte Person auf dem Strich hat im Laufe des letzten Jahres Selbstmordgedanken gehegt.

In ganz Frankreich sind derzeit die ­gesetzlich geforderten neuen Strukturen zum Kampf gegen das „prostitutionelle System“ im Aufbau. Der Verein „Mouve­ment du Nid“, der seit 70 Jahren Prostituierten zur Seite steht, ihnen beim Ausstieg hilft und in vielen Städten Beratungsstellen betreibt, verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Marlène Schiappa, Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frauen und Männern, hat noch kürzlich versichert, die Umsetzung des Gesetzes habe für die neue Regierung Priorität. Eine Auskunft, die Grégoire Théry, Geschäftsführer des „Mouvement du Nid“, beruhigt: „Schließlich hat Präsident Emmanuel Macron die Gleichstellung der Frauen zum ‚großen nationalen Anliegen‘ erklärt“.

„Wir vom Mouvement du Nid haben jährlich Kontakt zu etwa 5.000 Menschen in der Prostitution. Im Anschluss kommen 1.500 von ihnen zu einer weiteren Beratung in unsere Anlaufstellen“, bilanziert Grégoire Théry. Sie suchten Rat und Hilfe – sei es beim Beantragen von Sozialhilfe, in Sorgerechtsfragen für ihr Kind oder einer Aufenthaltsgenehmigung. Der Ausstieg aus dem Milieu gelingt ­vielen erst nach langjähriger Stabilisierungsarbeit.

Suzanne Krause

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Knesset für Freierbestrafung!

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Es war ein „historischer Moment“, sagt die Knesset-Abgeordnete Aliza Lavie. Denn es passiert selten, dass sich im israelischen Parlament die Parteien einig sind – oft trennen sie bekanntlich Welten. In dieser Frage jedoch stimmten alle anwesenden 74 Abgeordneten dafür: Männer, die Frauen kaufen, sollen künftig bestraft werden! Und: Frauen und Männer in der Prostitution sollen beim Ausstieg aktiv unterstützt werden.

Eine Überraschung war die Entscheidung der Knesset in erster Lesung nicht. Denn die beiden Gesetzentwürfe – der eine für die Freierbestrafung, der andere für die Ausstiegsprogramme – wurden von einer parteiübergreifenden Politikerinnen-Allianz aus Regierungsparteien und Opposition eingebracht: von Aliza Lavie (Foto Mitte) von der liberalen Yesh Atid, Zehava Ga-Lon von der linken Meretz und Shuli Moalem-Refaeli von der nationalreligiösen  Habayit Hayehudi. Und schon im Vorfeld hatten 71 Abgeordnete (von 120) ihre Zustimmung erklärt.

Menschenhandel und das Betreiben von Bordellen ist in Israel schon heute strafbar. Seit zehn Jahren kämpfen Politikerinnen darum, das so genannte Nordische Modell auch in Israel einzuführen. Seit Schweden 1999 als erstes Land der Welt Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde verurteilt und das so ­genannte „Sexkaufverbot“ eingeführt hatte, folgten immer mehr Länder diesem Beispiel: In Norwegen, Island, Irland, Nord­irland, Frankreich und Kanada macht sich heute strafbar, wer einen Menschen für Sex kauft. Die Prostituierten selbst wurden immer gleichzeitig entkriminalisiert.

So soll es in absehbarer Zeit auch in ­Israel sein. Vor einigen Monaten hatte Justizministerin Ayelet Shaked (Foto) eine Untersuchung zum Thema in Auftrag ­gegeben. Die Ministerin will die Ergebnisse demnächst präsentieren. Sie ist eine ­absolute Befürworterin der Freierbestrafung und erklärte: „Solange Prostitution nicht kriminalisiert ist, signalisieren wir unseren Kindern, dass sie okay ist.“

Ministerin Shaked wird auch selbst einen Gesetzentwurf einbringen. Inhaltliche Differenzen scheint es zwar keine zu geben. „Aber als Regierung bevorzugen wir ein Gesetz, das von der Regierung kommt“, erklärte die Justizministerin. Vermutlich wollten die drei Abgeordneten – Lavie, Ga-Lon und Moalem-Refaeli – mit ihren so genannten „Private Bills“, also den von ihnen eingebrachten Entwürfen, aufs Tempo drücken. Das hat funktioniert. Ministerin Shaked hat versprochen zu handeln.

„Das Gesetz wird dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren, denn sie ist es, die diese ganze Industrie antreibt“, erklärte Aliza Lavie, die auch Sprecherin des Knesset-Komitees zur Bekämpfung von Menschenhandel und Prostitution ist. „Es wird außerdem helfen, die vielen Frauen und Männer, die aus der Prostitution aussteigen wollen oder ausgestiegen sind, wieder in die Gesellschaft zu integrieren.“ Geht es nach Lavies Entwurf, sollen Freier entweder eine Geldstrafe erhalten oder zum Besuch eines Kurses auf der so genannten „John’s School“ verdonnert werden (John = der englische Slang-Ausdruck für Freier).

Dass Israel die Freierbestrafung einführen wird, steht also außer Frage. „Die Unterstützung für das Gesetz aus Politik und Zivilgesellschaft ist beispiellos“, sagt Aliza Lavie. „Ich bin sicher, dass Israel spätestens im nächsten Jahr der Riege fortschritt­licher Staaten folgt.“
Bleibt also nur eine Frage: Wann folgt Deutschland?

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