Freigesprochen – aber so gut wie tot

Fanatische Muslime protestieren gegen den Freispruch von Asia Bibi. Foto: Imago/Pacific Press Agency
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Pakistans Oberstes Gericht hat sie vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen und das Todesurteil aufgehoben, aber weder ist sie frei noch stehen ihre Chancen gut, nun in Frieden weiterzuleben. Acht Jahre hat Asia Bibi in Einzelhaft in der Todeszelle gesessen. Was ist von der 51-jährigen Frau wohl noch übrig? Niemand weiß es, auch ihr Aufenthaltsort ist unbekannt; wahrscheinlich ist es nach wie vor das Gefängnis, „zu ihrem eigenen Schutz“. Denn drei Tage lang haben nach dem Freispruch Millionen von wütenden, hasserfüllten Demonstranten - alles Männer übrigens - Pakistan lahmgelegt.

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„Hängt sie, sie hat den Propheten beleidigt“, forderten sie und riefen auf zur Ermordung der Obersten Richter, des Armeechefs, den sie als Angehörigen der Minderheit der Ahmadi für einen „Kafir“ (Ungläubigen) halten, und auch des Regierungschefs, den sie „ein Judenkind“ nennen. 

Der Staat hat vor den religiösen Fanatikern kapituliert

Aber statt den Spruch der obersten juristischen Instanz durchzusetzen, kapitulierte die Regierung und schloss einen Kuhhandel mit dem Mob: Nun wird es eine weitere Gerichtsverhandlung geben, und das Land verlassen darf Asia auch nicht. Damit ist der Weg versperrt, der ihr vielleicht noch hätte das Leben retten können. 

Pakistan, das sich stolz „Land der Freien“ nennt, und von Iqbal, dem spirituellen Vater der Nation, als Land des Rechts und der Religionsfreiheit konzipiert wurde, ist längst ein „failed state“, ein gescheiterter Staat, von Chaos, Fanatismus und Talibanisierung verseucht. Religiöse Horden treiben den Staat vor sich her, der mit seiner Kapitulation ein gefährliches Signal aussendet. Denn so haben die Blasphemie-Brigaden freie Hand zu entscheiden, wer Freund ist und wer Feind. 1.500 Kandidaten extrem islamistischer und terroristischer Gruppen bewarben sich bei den Wahlen im Juli und wurden von Millionen Menschen gewählt. Auch von Frauen, weil das patriarchalische System sie zwingt, so abzustimmen wie ihre Männer.

Der Fall der Christin Asia Bibi, die zum Tod durch den Strang verurteilt wurde, weil sie angeblich den Propheten beleidigt oder den Islam geschmäht hatte, hat seit Jahren in aller Welt zu Protesten geführt. Auch Papst Benedikt XVI. hat sich für die Katholikin eingesetzt. Sein Nachfolger Franziskus schweigt allerdings und antwortet auch nicht auf Asias Briefe aus dem Gefängnis. 

Verteidiger von Blasphamie-Opfern werden ermordet

Bis zum heutigen Tag ist allerdings nicht klar, was damals eigentlich auf dem Feld geschah, auf dem die Tagelöhnerin zusammen mit mehreren muslimischen Frauen arbeitete. Angeblich soll sie Trinkwasser geholt, dann aber als erste von diesem Wasser getrunken und es damit für die anderen verunreinigt haben. Erst gab es Streit, dann habe Asia Bibi „Gotteslästerliches“ gesagt. Was das war, bleibt im Dunkeln. Denn eine Wiederholung angeblich blasphemischer Aussagen ist eine weitere Blasphemie, die mit dem Tode bestraft werden muss.

Asia Bibi schwebt trotz Freispruch weiterhin in Lebensgefahr.
Asia Bibi schwebt trotz Freispruch weiterhin in Lebensgefahr.

Die Blasphemie-Gesetze, von denen die Extremisten behaupten, sie sorgten für Ordnung im Land, öffnen der Willkür Tor und Tür und ermuntern die Leute, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. 

Meist geht es dabei gar nicht um Religion, sondern um Krach mit dem Nachbarn, den man loswerden will, vor allem, wenn man auf dessen Besitz scharf ist. Leicht ist es, mit Gerüchten Massenhysterien zu schüren, besonders gegen die winzigen Minderheiten im Land, die Ahmadis, die Hindus und vor allem die Christen, von denen es lediglich vier Millionen unter den 230 Millionen Pakistanis gibt. Wird jemand der Blasphemie beschuldigt, dann ist er oder sie schon so gut wie tot. Denn die Beschuldigten werden ohne weitere Prüfung der Fakten von der Polizei festgenommen und von der Staatsanwaltschaft unter Anklage gestellt.

Der Einfluss Saudi-Arabiens auf das Land wächst

Verteidiger von Blasphemie-Opfern und Richter, die sie freisprechen, werden – wie die Freigesprochenen - immer wieder schon vor dem Gericht ermordet. Der Anwalt Asia Bibis ist bereits mitsamt seiner Familie ins Ausland geflohen. Mit dem Tod bezahlte auch der Gouverneur des Punjabs seinen Einsatz für Asia Bibi, ebenso wie der Minister für Minderheiten, ein Katholik. Ihre Mörder hingegen werden von den Fanatikern als Helden gefeiert, als Vollstrecker von „Gottes Willen“.

Die islamistische Radikalisierung Pakistans begann unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq in den 1980er Jahren. Der General glaubte, damit das Volk im Griff zu haben. Dass er damit quasi unumkehrbar einen furchtbaren Geist aus der Flasche holte, wurde nicht bedacht, auch nicht von Benazir Bhutto, die nach Zias Ermordung 1984 Regierungschefin wurde. Ihr ließen die mächtigen Generäle freilich keine andere Wahl, als sie beschlossen, sich eine fünfte Kolonne im Nachbarland Afghanistan zuzulegen, die unter dem Namen Taliban zu wüten begann.

Imran Khan, ehemaliger Playboy und Frauenheld, der als unsterbliches Cricket-Idol und inzwischen fromm gewordener Nationalist im Juli zum neuen Regierungschef des Landes gewählt wurde, hat sich die Bekämpfung des religiösen Fundamentalismus sowie der mittelalterlich patriarchalischen Strukturen, der Unterdrückung der Frauen und der permanenten Menschenrechtsverletzungen auf die Fahnen geschrieben. „Das bedeutet Krieg“, war die Antwort der Radikalen, was keine leere Drohung ist. Der Premier gerät auch an einer weiteren Front unter Druck. Sein Land ist nämlich pleite, weshalb nun abermals Saudi-Arabien als Nothelfer in die Bresche gesprungen ist. Das bedeutet, dass der Einfluss des wahabitischen Islamismus, der bereits die ganze Region zersetzt hat, weiter zunimmt. 

Warum bloß stoppt niemand diesen Irrsinn?

Zur Zeit des Generals Zia gab es etwa 300 Koranschulen im Land. Inzwischen sind es zwischen 20.000 und 50.000, vornehmlich von den Saudis finanziert und überwiegend Brutstätten von Terrorismus und Extremismus. Da die meisten Pakistani zu arm sind, ihre Söhne in die staatlichen Schulen zu schicken, geben sie diese in die Koranschulen, denn da bekommen die Kinder – Mädchen müssen natürlich draußen bleiben – auch noch ein warmes Essen. Mittlerweile sind die Koranschulen auch die Kaderschmieden des allmächtigen Militärs.

Das Schicksal von Asia Bibi zeigt, wie religiöser Fanatismus das Leben der Menschen zerstört und wie hemmungsloser Fundamentalismus eine ganze Region in den Abgrund zieht. Das Bedrückende ist, dass anscheinend niemand diesen Irrsinn stoppt.

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Asia Bibi in Sicherheit!

Asia Bibi saß wg angeblicher "Gotteslästerei" neun Jahre in der Todeszelle, nun konnte sie Pakistan verlassen.
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„Es bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, Asia Bibi wäre glücklich, nach Deutschland zu kommen“, sagte im November 2018 ihr Verteidiger, der selbst Schutz in den Niederlanden gefunden hat. Schließlich nimmt kein Land so großzügig Verfolgte und selbst Nichtverfolgte auf wie die Bundesrepublik. Obwohl das Oberste Gericht in Islamabad die seit neun Jahren in der Todeszelle sitzende Frau von den geradezu absurden Vorwürfen der Gotteslästerei freigesprochen hat, drohte Asia Bibi weiter der Tod im Hexenkessel Pakistan.

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Eine Million Männer haben gelobt, sie mit bloßen Händen umzubringen, und in den Straßen schreien schon fünfjährige Jungen “Hängt Asia“, während sie kleinen Puppen den Strick um den Hals legen.

Dass Asyl für eine Frau wie Asia nicht selbstverständlich ist, hatte Großbritannien vorgemacht. England beherbergt die größte pakistanische Gemeinde in Europa, und man fürchtet den islamistischen Mob. Der weltweit inszenierte Aufruhr nach kleinen Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung ist nicht vergessen.

Deutschland hält sich in Sachen Asyl für Asia Bibi bedeckt

Auch Deutschland, wo eine Politik der offenen Tür zahllose Afghanen und Pakistani ins Land strömen ließ, denen das radikal-islamistische Denken und Handeln ihrer Heimatländer zur zweiten Natur geworden ist, hält sich in Sachen Asia Bibi bisher bedeckt. Und auch die Welcome-Kanzlerin schweigt bisher.

Bemerkenswert ist, dass es im Fall Asia Bibi bisher hierzulande auch nur für ein paar müde Lichterketten gereicht hat, wo doch sonst Tausende gegen Abschiebungen selbst Krimineller zu mobilisieren sind. Dabei stünde es gerade Deutschland gut an, jetzt ein Zeichen zu setzen. Und sich nicht länger wegzuducken vor allem, was in Deutschland bisher reichlich unscharf unter der Rubrik „Islam“ und „Religionsfreiheit“ läuft.

In Pakistan hat der Staat längst vor den radikalen Islamisten kapituliert, indem er die freigesprochene Frau weiter in Gewahrsam hält und den Fanatikern erlaubt, sie ein weiteres Mal vor Gericht zu zerren. Niemand, der zu Mord und Totschlag von Asia Bibi und jetzt auch des Premierministers und der Obersten Richter aufrief, ist bisher gestoppt worden. Und die sonst so empfindlichen pakistanischen Generäle reagierten nicht, als die Ultras die Armee zur Meuterei und die Soldaten zur Ermordung ihres Oberbefehlshabers aufriefen.

Sehr beunruhigend ist auch, dass die Regierung mittlerweile sogar erklärt, nicht die die radikalislamische TLP, sondern die Oppositionsparteien hätten den Aufruhr verursacht.

Dabei gibt es keinen Zweifel, wer den Mob aufhetzt: Khadim Hussain Rizvi heißt der Hassprediger, der auf Knopfdruck hunderttausende johlende, gewalttätige Demonstranten, alles Männer übrigens, mobilisiert. Er hat mit einem Fingerschnippen ein ganzes Land mit 230 Millionen Menschen lahmgelegt, als der Freispruch für Asia bekannt wurde. Seine bei den Juli-Wahlen aus dem Stand zur sechstgrößten Partei aufgestiegene Tehreek-e-Labaik (TLP), was etwa „Gesandte Gottes“ heißt, will in Pakistan die Uhren zurückdrehen, will den Gottesstaat.

Islamisten in Pakistan fordern die Todesstrafe für Asia Bibi. - Foto: Rana Sajid Hussain/Imago/Pacific Press Agency
Islamisten in Pakistan fordern die Todesstrafe für Asia Bibi. - Foto: Rana Sajid Hussain/Imago/Pacific Press Agency

Asia Bibi, die Christin, ist ihm da Mittel zum Zweck, weil sie angeblich den Islam oder den Koran oder den Propheten – niemand weiß, wen oder was - geschmäht haben soll, was Asia bestreitet.

Muhamad Ali Jinnah, der Staatengründer Pakistans, das sich stolz „Land der Freien“ nennt, wollte einen säkularen, von Zivilisten geführten demokratischen Staat. Doch damit war es nach Jinnahs frühem Tod schnell vorbei. Die größte Radikalisierung fand unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre statt. Der infizierte auch gleich das Nachbarland Afghanistan mit, indem er den fundamentalistischsten unter den Dschihadisten die meisten Waffen und Dollars für den Kampf gegen die damalige Sowjetunion zuschusterte.

Der Westen trägt Mitschuld am Erstarken des islamistischen Terrors

Die westlichen Geldgeber, die damals den Kampf der „Gotteskrieger“ gegen die Sowjetunion finanzierten, tragen eine schwere Mitschuld an der Entwicklung des islamistischen Terrors. Selbst die gefeierte Benazir Bhutto, die nach der Ermordung Zias 1984 Regierungschefin wurde, war machtlos gegen die Radikalen. Die mächtigen Generäle ließen ihr keine Wahl, als sie sich eine fünfte Kolonne im Nachbarland Afghanistan zulegten, die unter dem Namen Taliban bis heute wütet.

Zur Zeit Zias gab es etwa 300 Koranschulen im Land. Inzwischen sind es zwischen 20.000 und 50.000, meist von den Saudis finanziert. Sie verbreiten ihren wahabitischen Islam, der bereits die gesamte Region zersetzt hat. Sie sind Brutstätten von Terrorismus und Extremismus. In diese Koranschulen schicken die meisten Pakistani ihre Söhne, weil ihnen die staatlichen Schulen zu teuer sind. Mädchen bleiben natürlich draußen. Denn da werden die Kinder zwar nicht unterrichtet, sondern verhetzt, aber sie bekommen immerhin ein warmes Mittagessen.

Pakistan, dieser gescheiterte Staat, ist heute von Chaos und Fanatismus verseucht. 1.500 Kandidaten extrem islamistischer und terroristischer Gruppen traten bereits bei den jüngsten Wahlen an. Das Schicksal von Asia Bibi wirft ein Schlaglicht darauf, wie religiöser Fanatismus das Leben von Menschen zerstört und wie hemmungsloser Fundamentalismus eine ganze Region in den Abgrund zieht.

Wir Europäer sollten nicht so tun, als ob uns das nichts anginge. Denn es geht auch um unsere Zukunft, um unsere Freiheit. Pakistan liegt schließlich ziemlich gleich um die Ecke.

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