Friedensnobelpreis für Satyarthi

© Mujeeb Faruqui/Hindustan Times/Getty Images
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Die Verleihung des Friedensnobelpreises an eine pakistanische Muslima und einen indischen Hindu ist ein Ausrufezeichen.  Gerichtet ist es an die Rückwärtsgewandten in der islamischen Welt und ihre salafistischen Terrorkommandos, ob sie nun Taliban, al Qaida, Boko Haram oder Islamischer Staat heißen. Gedacht ist der Preis aber auch als Appell an Staaten wie das Indien der Hindu-Chauvinisten, die unter Narendra Modi zwar als „größte Zivilisation der Welt“ Supermachtstatus einfordern, aber nichts dabei finden, dass nirgendwo auf der Welt so viele Kinder arbeiten müssen wie in ihrem Land.

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Doch nicht nur das. Ihre Ideologen verlangen: Frauen gehören in die Küche und ihre Aufgabe ist es, Söhne zu gebären. Mehr nicht. Der diesjährige Friedensnobelpreis ist also ein Preis für alle diejenigen, die gegen die Kultur der Ungleichheit kämpfen.

Der Preis ist für alle, die gegen die Kultur der Ungleichheit kämpfen.

„Bildung und Wissen sind die besten Waffen gegen Intoleranz, Gewalt und Armut“, sagen Malala und der indische Preisträger Kailash Satyarthi. Das macht sie gefährlich für alle, die mit Gewalt überkommene patriarchalische Strukturen  erhalten wollen.

Kailash Satyarthi ist ein sanfter Mensch. Aber eisenhart ist er seit Jahrzehnten in der Sache: Kinder vor Ausbeutung zu schützen, Kindern zu ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen. Seine Kindermärsche durch Indien, einer ging sogar um die ganze Welt, haben so manches schlechte Gewissen geweckt. Doch wie immer in Indien, alles dauert unendlich lange, vor allem dann, wenn es um die Benachteiligten in der Gesellschaft geht, diejenigen, die ganz unten sind.

Dabei gibt es in Indien schon – oder erst? – seit 2009 ein Gesetz, das ein Recht auf kostenlose Schulbildung und Schulpflicht für alle sechs-bis 14-Jährigen vorschreibt. Aber weder ist die Schule gratis, noch gehen alle Kinder in die Schule. Vor allem nicht die Mädchen, die in der Mehrzahl kaum das 5. Schuljahr erreichen. Wozu denn auch, sagen ihre Eltern, sie heiraten ja doch bald.

In Indien gibt es etwa 60 Millionen Kinderarbeiter, weit mehr als doppelt so viele wie in Schwarzafrika. Viele von ihnen verrichten Sklavenarbeit ihr Leben lang, weil ihre Eltern Kredite dem Geldverleiher nicht zurückzahlen können. Sie schuften auf Feldern, sie schleifen Diamanten, reißen mit bloßen Händen kochend heiße Ziegel aus dem Brennhaufen, sticheln in dunklen Kellern Textilien für den Export, kriechen durch Bergwerke, basteln unter Lebensgefahr Feuerwerkskörper zusammen oder schieben 24-Stunden-Schichten in privaten Haushalten. Da bleibt keine Zeit für die Schule.

Indien ist der größte Sklavenmarkt für kleine Mädchen.

Zehn Millionen minderjährige Mädchen sind von ihren Eltern in den letzten beiden Jahren in die Prostitution verkauft worden. Indien ist der größte Sklavenmarkt für kleine Mädchen. Mehr als ein Viertel aller Mädchen werden im Alter zwischen zehn und 15 Jahren verheiratet, ein Drittel aller Kinderbräute auf der Welt leben in Indien. Jede dritte Frau in Indien kann nicht lesen und schreiben. Das sind Verhältnisse, die schlimmer sind als in Bangladesch und fast so schlimm wie im muslimischen Pakistan.

Schulbildung von Mädchen hat noch größere Auswirkungen auf eine Gesellschaft als die von Jungen. Denn gebildete Mädchen, das Zauberwort der Entwicklungspolitik heißt „empowerment“, sind Multiplikatoren des Fortschritts. In Ländern, wo Mädchen die Grundschule beendet haben, ist die Armut um ein Drittel zurückgegangen. Mädchen mit Schulbildung haben auch weniger Kinder. Das ist wichtig, wenn es darum geht, langfristig die Zahl ungebildeter, arbeitsloser, frustrierter junger Männer zu verringern, die nur noch einen Lebenszweck sehen: den gewalttätigen Extremismus.

Mit anderen Worten: Gebildete Mädchen und Frauen schaffen stabilere Gesellschaften. Sie sind die beste und billigste Waffe gegen die sich so rasant ausbreitende Kultur der Gewalt.

Bildung ist wichtig, um die Zahl frustrierter junger Männer zu verringern.

Pakistans Präsident nennt Malala scheinheilig den Stolz Pakistans. Dabei ist er selbst in großem Maße verantwortlich dafür, dass es in seinem Land noch weniger Bildungschancen für Kinder und vor allem kaum welche für Mädchen gibt als in Indien.

Auch in Indien wird der Nobelpreisträger vom Regierungschef gelobt, auch dort mit einer gewissen Scheinheiligkeit. Denn Narendra Modi hat sich zwar vorgenommen, alles für den Wirtschaftsaufschwung zu tun. Von funktionierenden Schulen für alle Kinder, auch die versklavten, war freilich weniger die Rede. Die bequeme Ausrede: Es fehlt an Geld.

Dabei haben Pakistan und Indien seit einem halben Jahrhundert unter Einsatz von Milliarden gegeneinander aufgerüstet. Malala und Kailash hoffen nun mit dem Nobelpreis im Rücken diesem Wahnsinn ein Ende machen zu können. Zusammen wollen sie auch dem Zankapfel Kaschmir, wo in diesen Tagen wieder gestorben wird, ein wenig Frieden bringen.

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Ehre und Tränen für Malala

Malalas Vater, Ziauddin Yousafzai, bei der Preisübergabe in Paris. - Foto: Bettina Flitner
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Die Stimmung war festlich in dem mit rund 200 Menschen besetzten Raum. Gekommen waren feministische Aktivistinnen, Intellektuelle sowie PolitikerInnen beiderlei Geschlechts. Am Abend zuvor hatte Frankreichs Außenminister Fabius Malalas Vater getroffen; heute, am Abend der Preisverleihung, empfängt die marokkanischstämmige Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem ihn und die 30-köpfige Jury des Preises (zu der auch ich gehöre). Das heißt: Große Ehrerbietung und Aufmerksamkeit für die so junge Heldin, die einen so hohen Preis bezahlt hat für ihren Mut.

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Bereits im Alter von elf hatte Malala begonnen zu bloggen. Aus Protest, weil die Taliban ihre Mädchenschule geschlossen hatten. Bestärkt von ihrem Vater, einem Schuldirektor, ließ das Mädchen sich auch von Todesdrohungen nicht einschüchtern. Die Psycholanalytikerin Julia Kristeva, eine der Festrednerinnen, erinnerte daran, dass Olympe de Gouges schon vor 200 Jahren beklagt hatte: Frauen haben zwar das Recht auf das Schafott zu steigen, aber nicht auf die Tribüne. Olympe endete auf dem Schafott. Auch Malala, die so kühn das Recht auf Bildung fordert, hätte das beinahe mit dem Leben bezahlt.

Die Pariser „Referentin für Gleichheit“, die algerischstämmige Fatima Lalem, beschwor in ihrer bewegten Rede den Kampf gegen die Islamisten und die weltweit ansteigenden Femizide - das Töten mit dem Motiv Frau. „Malala ist unsere Schwester“, sagte sie. „Und wir müssen für die Menschenrechte aller Malalas dieser Welt kämpfen!“

„Ich bin einer der wenigen Väter, die das Glück haben, nicht aufgrund eines Sohnes, sondern dank ihrer Tochter bekannt zu sein“, erklärte der unübersehbar stolze Vater. Ihm hatte es schon als Kind missfallen, dass seine Schwestern schlechter behandelt wurden und er mehr zu essen bekam. Übrigens: Im Saal waren auffallend viele Frauen aus dem islamischen Kulturkreis oder gar aus islamistischen Ländern – nicht eine trug ein Kopftuch. Aber so manche wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen.

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